Anlässlich des Urteils gegen den früheren Vorstandsvorsitzenden des russischen Öl-Konzerns Yukos, Michail Chodorkowski, hat amnesty international (ai) erhebliche rechtsstaatliche Defizite in Russland bemängelt. "Russland ist von einem Rechtsstaat weit entfernt", sagte Peter Franck, Russland-Experte der deutschen ai-Sektion. "Immer wieder entsteht der Eindruck einer Justiz, die sich mehr den Interessen der politischen Macht als den Prinzipien des Rechts verpflichtet fühlt."

Im Fall Chodorkowski lasse vieles auf eine politische Motivation der strafrechtlichen Verfolgung schließen, kritisierte ai-Experte Franck. Dieser Eindruck habe sich im Laufe des Prozesses durch eine Vielzahl im einzelnen dargelegter Verfahrensverstöße verstärkt. "ai kann die Stichhaltigkeit der gegen Chodorkowski erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe nicht abschließend beurteilen, doch wir haben uns wegen Verletzungen der Grundsätze über ein faires Verfahren an die russischen Behörden gewandt." Chodorkowski war offen gegen die Politik von Russlands Präsident Wladimir Putin aufgetreten und hatte oppositionelle Parteien sowie Organisationen der Bürger- und Menschenrechtsbewegung finanziell unterstützt.

ai wies darauf hin, dass das Urteil gegen Chodorkowski in einer Linie mit weiteren Verfahren, wie die gegen den russischen Atomphysiker Igor Sutjagin oder die Tschetschenin Sara Murtasalijewa, zu sehen sei. Murtasalijewa wurde im Januar 2005 auf der Grundlage sehr fragwürdiger Beweismittel wegen "terroristischer Aktivitäten" zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. "Die Urteile erscheinen wie politische Botschaften: Einflussreiche Unternehmer sollen sich nicht politisch betätigen, Wissenschaftler dürfen selbst öffentlich zugängliche Informationen nur unter staatlicher Kontrolle austauschen und die staatlichen Organe präsentieren Erfolge im Kampf gegen den Terrorismus," sagte Franck.

Die in Tschetschenien stationierten russischen Truppen hingegen genießen weitgehend Schutz vor Strafverfolgung. "Diejenigen, die sich schwerer Verbrechen schuldig machen, müssen die russische Justiz kaum fürchten", sagte Franck. "Erst kürzlich hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in sechs Fällen zu Tschetschenien festgestellt, dass von einer wirksamen Strafverfolgung nicht die Rede sein kann."


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