Warum wir das „Memorandum russischer Menschenrechtler“ nicht unterzeichnet haben

Stellungnahme des Menschenrechtszentrums Memorial

 

Der Europarat ist bemüht, Russland als Mitglied zu behalten, auch um den Preis von Zugeständnissen. Die russischen NGOs vertreten hierzu keine ganz einheitliche Position. Nachfolgend dokumentieren wir die Stellungnahme des Menschenrechtszentrums Memorial vom 14. Dezember 2018.

 

"Im letzten Jahr wurde lebhaft in den Medien und sozialen Netzen über ein mögliches Ausscheiden oder einen Ausschluss Russlands aus dem Europarat diskutiert. Eine solche Entwicklung hätte natürlich für die Menschenrechtslage in unserem Land schwerwiegende Konsequenzen.

Angesichts dieser Gefahr hat eine Gruppe russischer Menschenrechtler ein spezielles Memorandum veröffentlicht und Gleichgesinnte aus anderen russischen Menschenrechtsorganisationen aufgefordert, sich ihm anzuschließen. Unsere Kollegen äußern ihre Befürchtungen und betonen, dass ein Verbleib Russlands im Europarat erreicht werden müsse, denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), das wichtigste Institut des Europarats, sei für Bürger unseres Landes oft die einzige Instanz, an die sie sich wenden können, um ihre Rechte zu verteidigen. Unter Berufung auf Entscheidungen dieses Gerichts versucht die russische Zivilgesellschaft, mitunter auch erfolgreich, wesentliche Änderungen in Gesetzgebung und Rechtspraxis durchzusetzen. Das Memorandum enthält konkrete Vorschläge der Unterzeichner an den Europarat. Sie plädieren dafür, die Sanktionen des Parlamentarischen Rats gegenüber der russischen Delegation in Teilen zu mildern, um der russischen Führung keinen Anlass zu bieten, die „Tür zuzuschlagen“.

Das Menschenrechtszentrum Memorial hat es aus mehreren Gründen abgelehnt, das Memorandum zu unterzeichnen.

Nach unserer Auffassung ist ein Verbleiben Russlands im Europarat zweifellos wünschenswert und sogar notwendig. Den Grund dafür hat der russische Außenminister Sergej Lavrov am 16. Oktober 2018 genau formuliert: „Wir sind dem Europarat beigetreten, weil er Recht und Humanität im gesamteuropäischen Raum sichert.“ (Im Original hier)

Russland aus dem Europarat auszuschließen wäre für Europa ziemlich irrational und kurzsichtig. Für jedes Land bedeutet die Mitgliedschaft in dieser internationalen Organisation in erster Linie, dass es die Konvention für Menschenrechte und Grundfreiheiten als Gesetz anerkennt. Und nur die ständige Kontrolle über die Einhaltung dieser Konvention durch alle Länder kann Recht und Humanität im gesamteuropäischen Raum garantieren. Russland von dieser Kontrolle auszunehmen wäre unklug. Eine derartige Entwicklung ist aber auch deshalb äußerst unwahrscheinlich, weil wegen nicht geleisteter Beitragszahlungen nach dem Statut des Europarats nur das Recht sistiert werden kann, im Ministerkomitee und in der Parlamentarischen Versammlung vertreten zu sein. Aber selbst eine Aussetzung der russischen Mitarbeit im Ministerkomitee hat bisher niemand ernsthaft in Erwägung gezogen.

Wir hoffen, dass das Ausscheiden Russlands auf eigene Inititiative ebenfalls wenig wahrscheinlich ist. Es schadet vor allem den russischen Bürgern, da es ihnen ihre wichtigsten Schutzinstrumente entzieht – die Konvention über Menschenrechte und Grundfreiheiten und das Europäische Gericht für Menschenrechte. Selbstverständlich ist uns klar, dass die Rechte der russischen Bürger keineswegs die erste Sorge der Führung unseres Landes sind. Der Kreml, die Regierung und die Abgeordneten nehmen natürlich massiven Anstoß an den Sanktionen gegen die russische Delegation in der Parlamentarischen Versammlung. Aber die russische Regierung ist pragmatisch genug, um die Verbindungen nicht zu kappen, die Russland nicht weniger wichtig sind als Europa. Und die vollmundigen Erklärungen mehrerer russischer Politiker über ein mögliches Auscheiden sind ausschließlich für ein innerrussisches Auditorium gedacht. Jedenfalls hat sich der ständige Vertreter der Russischen Föderation beim Europarat Ivan Soltanovskij am 13. September 2018 hierzu eindeutig erklärt: „Die Frage eines Austritts aus dem Europarat ist zurzeit nicht aktuell.

Wenn man jedoch ernsthaft befürchtet, dass in der Führung unseres Landes Kräfte die Oberhand gewinnen, die eine Selbstisolierung Russlands betreiben, und sich die Regierung dann doch zu diesem für die eigenen Bürger nachteiligen Schritt entschließt, dann sollte man sich mit Aufrufen und Ermahnungen nicht an den Europarat, sondern eben an die russische Führung wenden. In unseren Augen ist es zumindest für russische Menschenrechtler deplatziert, dem Europarat einseitige Zugeständnisse zu empfehlen, während es in der russischen Position keinerlei Veränderungen gegeben hat. Eine derartige Appeasement-Politik gegenüber einem Land, das eklatant gegen internationales Recht verstößt und seine eigenen Verpflichtungen im Hinblick auf die Menschenrechte missachtet, wird verheerende Folgen für die internationalen Mechanismen haben, die diese Rechte garantieren sollen. Und damit wird sie wird auf lange Sicht auch unserem Land schaden.

14. Dezember 2018"

 

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