Am 17. Oktober hielt Tatjana Gluschkova, Juristin des Zentrums zum Schutz der Menschenrechte Memorial, vor dem UN-Menschenrechtsausschuss eine Rede zur politischen Verfolgung in Russland, unter anderem wegen ablehnender Haltung gegen den Angriffskrieg in der Ukraine. Dabei forderte sie den Ausschuss auf, diese Praxis zu verurteilen. Nachstehend die Rede in Übersetzung.
Die Verkündigung der „Teilmobilmachung“ im September 2022 hat neue Anti-Kriegsproteste im Land provoziert. Allerdings sind Demonstrationen seit Beginn des Überfalls auf die Ukraine nicht die einzige Reaktion auf den Krieg. So wurden beispielsweise bereits mehrere Militärdienststellen und Verwaltungsgebäude angezündet, verstärkt seit Erklärung der Mobilmachung. Als Antwort werden zivile Proteste immer rigoroser unterdrückt, Strafverfahren gegen missliebige Personen eingeleitet oder forciert - sowohl wegen Aktionen gegen den Krieg als auch aus anderen Gründen. Wir bringen einen gekürzten Überblick über die politischen Verfolgungen im September 2022, übernommen von OVD-Info.
Erklärung des Zentrums zum Schutz der Menschenrechte Memorial
Am 10. Oktober führte die Russische Föderation einen massiven Angriff auf ukrainisches Territorium durch, mit über hundert Raketen und Drohnen. Viele Raketen schlugen Berichten zufolge in Wohnhäuser ein. Ein Hauptziel war die zivile Energie-Infrastruktur.
Ein Bezirksgericht in Moskau hat heute verfügt, die Übergabe der Räumlichkeiten von Memorial International an das Wissenschaftliche Zentrum für Information und Aufklärung (NIPC) für ungültig zu erklären.
Zu dieser Übergabe hatte sich der Vorstand von Memorial International entschlossen, nachdem das Verbotsverfahren eingeleitet worden war. Bei der Auflösung einer Organisation ist das ein übliches Verfahren – Voraussetzung ist, dass es einen Verband mit ähnlicher Zielsetzung gibt, was hier eindeutig gegeben ist.
Memorial wurde der Friedensnobelpreis zuerkannt
Heute wurde dem belarusischen Menschenrechtler Ales Bjaljazki, dem ukrainischen Zentrum für bürgerliche Freiheiten und Memorial der Friedensnobelpreis zuerkannt. Wir danken dem Nobelkomitee für diese ehrenvolle Auszeichnung.
Der diesjährige Friedensnobelpreis geht zusammen mit dem belarusischen Menschenrechtsanwalt Ales Bjaljazki und die ukrainische Organisation „Center for Civil Liberties“ an die russische Menschenrechtsorganisation MEMORIAL. Diese Entscheidung hat das Nobel-Komitee in Oslo heute Vormittag bekannt gegeben.
Jurij Dmitriev, der seine Haftstrafe in einer Strafkolonie in Mordwinien verbüßt, befindet sich zurzeit erneut – für fünf Tage - in einem Strafisolator. Das ist bereits die dritte Strafmaßnahme dieser Art. Am 16. September hatte man ihn für drei Tage in den Strafisolator gebracht und nach dem Ablauf dieser Frist am 19. September für fünf Tage. Danach gab es eine kurze Atempause, bis er am 26. September erneut für fünf Tage in den Isolator kam.
Am Wochenende des 24. und 25. September 2022 kam es bei Protesten gegen die Mobilmachung in vielen Städten und Regionen Russlands erneut zu zahlreichen Festnahmen. So wurden allein am 24. September bei Aktionen in 33 Städten mindestens 783 Personen festgenommen. Die meisten Festnahmen zählen dabei die Städte Moskau (396), St. Petersburg (132) und Novosibirsk (71).
Nach der Ankündigung einer „Teilmobilmachung“ durch den russischen Präsidenten kam es in vielen russischen Städten am Abend des 21. September 2022 zu Demonstrationen. Zu den Protesten hatten verschiedene politische Gruppen aufgerufen. Laut OVD-Info wurden bis Mitternacht 1.386 Personen in 38 Städten verhaftet, die Sicherheitskräfte gingen mit großer Härte gegen die Demonstrierenden vor, unter den Verhafteten befinden sich viele Frauen, 9 Journalisten sowie 33 Minderjährige.