Am 29. Oktober 2022 veranstaltete MEMORIAL Deutschland e. V.  zum dritten Mal am Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus auf dem Steinplatz in Berlin-Charlottenburg die „Rückgabe der Namen“. Diese 2007 in Russland entstandene Tradition findet immer am Vorabend des Tages des politischen Häftlings statt. Diesen wiederum hatten Dissidenten am 30. Oktober 1974 in sowjetischen Lagern ausgerufen. Mit Hungerstreiks machten Sie fortan jedes Jahr auf ihre Situation aufmerksam.

In diesem Jahr kamen über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Steinplatz und lasen Namen von Menschen, die in der Stalinzeit erschossen oder in den Gulag deportiert worden waren. Mit dabei waren auch ein Gulag-Überlebender, mehrere Kinder von deutschen Gulaghäftlingen und ehemalige politische Häftlinge aus der DDR.

Jelena Zhemkova von MEMORIAL aus Moskau erinnerte an 14 Nachbarn, die allein aus ihrem Wohnhaus während des Großen Terrors 1937/38 abgeholt und erschossen worden waren.

Viele andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer lasen auf Russisch, Ukrainisch und Belarusisch die Namen von Repressierten, oftmals waren es eigene Verwandte. Die deutschen Namen der diesjährigen Lesung waren Namen von Menschen, die zu Beginn der 50er Jahre in Sachsen-Anhalt inhaftiert, von einem sowjetischen Militärtribunal zum Tode verurteilt und in Moskau hingerichtet worden sind.

Auf dem Gedenkstein war die Aufschrift „Den Opfern des Stalinismus“ um den Zusatz „und des Putinismus“ erweitert worden. Die Vereinigung DemokratiJa erinnerte mit einer mobilen Ausstellung an politische Gefangene – Russen und Ukrainer - in russischen Gefängnissen.

 

Foto: Sabine Erdmann-Kutnevič

Bei der Gedenkzeremonie erinnerte MEMORIAL an Jurij Dmitriev, Historiker und Leiter von MEMORIAL in Karelien, der unter fingierten Anschuldigungen seit 2016 in Haft ist und zu einer fünfzehnjährigen Haftstrafe verurteilt wurde.

Auch die Namen von Opfern des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine wurden auf dem Steinplatz laut und deutlich genannt; unter ihnen der KZ-Überlebende Boris Romantschenko, der im März in seiner Wohnung in Charkiv bei einem russischen Raketenangriff ums Leben kam.
Viele der Namen-Lesenden endeten ihre Beiträge mit „Ruhm der Ukraine! Freiheit für die politischen Gefangenen in Belarus und Russland“. 

Aktionen fanden auch in etlichen anderen Ländern statt, darunter Frankreich, Tschechien, Polen, Serbien, Georgien und in zahlreichen Städten in Russland, darunter Moskau, Petersburg, Syktyvkar (Komi), Tomsk, Velikij Novgorod, Pskov (am 30.10.).

Aktion in Syktyvkar

 

 

Boris Belenkin (Vorstandsmitglied von Memorial International) bei der Lesung in Prag

 

In Moskau war die eigentliche Lesung verboten worden (unter dem Vorwand von Corona), dafür wurden am Solovezki-Stein vor der Lubjanka Blumen und Kränze niedergelegt und immer wieder auch ein Bezug zur heutigen Situation hergestellt (etwa mit der Aufschrift „Nein zum Krieg“).

 

Gedenken in Moskau mit aktuellem Bezug

 

In Velikij Novgorod kam es zu einer kurzzeitigen Festnahme. Michail Tschimarov hatte damit von vornherein gerechnet und vorsorglich seinen Anwalt informiert, dass es dazu kommen könnte. Vorwand für die Festnahme war allerdings nicht seine Teilnahme an dieser Aktion, sondern ein Artikel Tschimarovs im Internet, zu dem er angeblich befragt werden sollte.

30. Oktober 2022

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