Stellungnahme des russischen Menschenrechtsrats

Nachfolgend veröffentlichen wir eine Stellungnahme des russischen Menschenrechtsrats – eines informellen Gruppe von Vertretern russischer Menschenrechtsorganisationen, die sich im Jahre 2010 gebildet hat und der auch Mitglieder von MEMORIAL angehören – vom 11. Juli zu den jüngsten politischen Verfolgungsmaßnahmen in Russland.

Im Land geht eine Eskalation politischer Repressionen vor sich. Wir beobachten, wie Menschen die zivilgesellschaftliche Aktivität zeigen, auf den Straßen ergriffen und festgenommen werden, unwahre Berichte über sie erstellt und offenkundig ungesetzliche gerichtliche Urteile gefällt werden. In erster Linie zielen die Verfolgungen auf Aktivisten, die an politischen Kampagnen Navalnjys teilnehmen. Für sie nähert sich die Wahrscheinlichkeit an 100 Prozent, festgenommen und aufgrund einer Ordnungswidrigkeit verurteilt zu werden, was der sogenannte „Große Subbotnik“ [Aktion zur Unterstützung Alexej Navalnyjs, bei der in verschiedenen Städten Russlands von Anhängern Werbematerial verteilt wurde; Anmerk. Übers.] gezeigt hat, der am vergangenen Wochenende (8. – 9. Juli) stattfand. An diesem Tag wurden Dutzende von Menschen im ganzen Land festgenommen, allein in Moskau etwa 70 Personen.
Beim Analysieren der Anlässe, wegen denen man die Freiwilligen verhaftete, stießen wir auf drei Begründungen, die die Behörden verlauten ließen. Alle widersprechen dem Gesetz

Die Mitarbeiter von Polizei und Nationalgarde behaupten, dass sie Aktivisten verhaften, weil diese das Wahlgesetz verletzen, indem sie vorzeitig Agitation für einen Präsidentschaftskandidaten betreiben. Diese Behauptung stellt eine offenkundige Fälschung dar, auf die die Bewegung „Golos“ [Bewegung zum Schutz der Wählerrechte; Anmerk. Übers.] sowie „Zentrisbirkom“ [ Zentrale Wahlkommission der Russischen Föderation]schon geantwortet haben. In ihren Erklärungen ist die Rede davon, dass Alexej Navalnyj nicht an einer einzigen Wahlkampagne als Präsidentschaftskandidat teilnimmt, da Wahlkampagnen zur Präsidentschaftswahl der Russischen Föderation zum gegenwärtigen Zeitpunkt schlicht gar nicht durchgeführt, sondern erst im Dezember dieses Jahres ausgerufen werden. Aus diesem Grund darf die Tätigkeit der Anhänger Navalnyjs juristisch nicht als Wahlkampagne bewertet werden.

Die Polizei beschuldigt die Aktivisten, das Präsidialdekret Nr. 202 zur Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen während der Fußballweltmeisterschaft 2018 und des FIFA-Konföderationen-Pokals 2017 verletzt zu haben. Nach diesem Erlass ist es erforderlich, jegliche öffentliche Aktionen nicht nur mit den Organen der Exekutive abzustimmen, sondern auch mit dem FSB. Doch in dem Dekret ist die Rede von Veranstaltungen wie „Versammlungen, Meetings, Demonstrationen, Märschen und dem Aufstellen von Streikposten, die in der Tat eine Abstimmung mit der Exekutive erfordern. Einzelmahnwachen, die die Aktivisten wählen, müssen von niemandem genehmigt werden, was bedeutet, dass sie nicht unter dieses Dekret fallen und eine Zustimmung der Sicherheitsorgane nicht erforderlich ist.

Darüber hinaus wurde die erdrückende Mehrheit, wenn nicht gar 100 Prozent der Freiwilligen, während des „Großen Subbotniks“ nicht bei Einzelkundgebungen verhaftet, , sondern als sie Flugblätter verteilten, also einfach Informationen verbreiteten. Nie zuvor wurde die Verteilung von Flugblättern als öffentliche Veranstaltung oder Einzelmahnwache bezeichnet.

Wir halten es für dringend notwendig, die Behörden zur Vorsicht zu mahnen. Stellen Sie die unbegründeten Verfolgungen jetzt ein, während die politische Saison gerade erst beginnt, in ihrem eigenen Interesse. Die Bürger verstehen, dass sie das Gesetz nicht verletzen, indem sie auf die Straße gehen. Aus diesem Grund werden sie weitermachen und Navalnyj unterstützen sowie möglicherweise auch andere Kandidaten. Je näher die Präsidentschaftswahlen rücken, desto mehr werden sich diese Aktivitäten ausbreiten. Wenn die Sicherheitskräfte weiterhin widerrechtlich vorgehen, wird die Konfrontation eine massenhafte werden, Zusammenstöße auf den Straßen werden unausweichlich folgen.

Die gegenwärtigen unbegründeten politischen Repressionen, die die verfassungsgemäßen Rechte der Bürger verletzen und die vor unseren Augen Massencharakter erhalten, müssen sofort eingestellt werden.


Ljudmila Alekseeva, Vorsitzende Moskauer Helsinki-Gruppe


Valerij Borschtschev, Mitglied Moskauer Helsinki-Gruppe


Svetlana Gannuschkina, Leiterin Flüchtlingshilfsorganisation Bürgerunterstützung „ Grashdanskoe Sodejstvie“


Igor Kaljapin, Komitee zur Verhütung von Folter „Komitet po predotvraschtscheniju pytok“


Grigorij Melkonjanz, „Golos“ (Bewegung zum Schutz der Wählerrechte)


Oleg Orlov, Menschenrechtszentrum Memorial


Lev Ponomarev, „Bewegung Für Menschenrechte“ („Sa prava tscheloveka“)


Natalja Taubina, Public Verdict „Obschtschestvennij verdikt“


Aleksandr Tscherkassov, Menschenrechtszentrum Memorial



18. Juli 2017



Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker
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