Gestern konnte Vazhenkovs Anwalt Anton Gaschinskij seinen Mandanten besuchen und seiner Vernehmung beiwohnen. Am 9. August brach bereits der Kontakt zu Vazhenkov ab, und am 11. August wurde das Video ins Netz gestellt, auf dem er nach seinen Misshandlungen zu sehen ist.

Nachfolgend ein Interview mit Gaschinski, das Dmitrij Kotschetov für "Umnyj gorod" geführt hat.

 

Wie geht es Artyom jetzt?

Er ist schwer geschlagen worden, er hat Hämatome unter dem Auge und auf dem Rücken, Blutergüsse am ganzen Körper, an den Armen Spuren von den Kabelbindern.

Wie ist das abgelaufen?

Artyom berichtet, dass einer ihn geschlagen habe, während die anderen ihn anfeuerten: „Gib ihm noch mehr!“ Es ging allein darum, einen zu erniedrigen, zu brechen. Es ist schwer sich vorzustellen, dass sich das alles im 21. Jahrhundert abspielt. Artyom hat von Folter gesprochen.

Wie sind die Haftbedingungen?

Am ersten Tag hat Artyom auf den Knien im Gras geschlafen, mit dem Gesicht an eine Mauer gepresst. Am zweiten Tag wurde er mit 40 weiteren Gefangenen in eine Zelle gebracht, die für sechs Personen vorgesehen ist. Da schliefen sie in der Hocke oder übereinander auf dem Boden. Sie bekamen nichts zu essen, durften nicht zur Toilette und bekamen nur wenig Wasser. Am dritten Tag wurde Artyom in Untersuchungshaft gebracht, dort sind die Verhältnisse wesentlich besser, man wird nicht geschlagen und bekommt dreimal am Tag etwas zu essen.

Was will man Artyom zur Last legen?

Beteiligung an Massenunruhen, nach Art. 293.2 StgB, der dafür bis zu acht Jahren Freiheitsentzug vorsieht. Im Verhör hat sich Artyom für unschuldig erklärt. Er wurde mit einem Freund zusammen festgenommen, als sie friedlich über die Straße gingen.

Der russische Botschafter in Minsk Dmitrij Mesentsev hat bereits am Abend des 11. August erklärt, dass Artyom Vazhenkov und Igor Rogov freigelassen werden müssten. Igor wurde dann auf freien Fuß gesetzt, Artyom dagegen nicht. Warum nicht?

Ich weiß es nicht, ich kann nur vermuten, dass hier Publikationen in den Medien über die Mitarbeit von Artyom Vazhenkov in NGOs eine Rolle gespielt hat.

Was war das Ergebnis Ihres Besuchs bei Artyom?

Artyom Vazhenkov hat erklärt, dass er keinen Gesetzesverstoß begangen hat, und um ein Treffen mit einem Vertreter der russischen Botschaft gebeten. Außerdem hat er gebeten, ihm nach Möglichkeit Wäsche mitzubringen.

Wie kann sich diese Geschichte weiter entwickeln?

Man kann Artyom anklagen, ihn dann nach Russland überstellen oder ihn in Belarus aburteilen. Die zweite Möglichkeit wäre, von einer Anklage abzusehen.

Wann werden wir das erfahren?

Am Samstag wird sich Artyom den dritten Tag in U-Haft befinden; die Entscheidung wird in den nächsten Tagen fallen.

 

13./14. August 2020

 

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