Zahlreiche Verhaftungen in mindestens 19 Städten im Vorfeld der Aktionen zum 21. April

 

Während Alexej Navalnyj, nachdem er in einen Hungerstreik getreten ist, sich mittlerweile auf der Krankenstation eines Straflagers befindet, geht die Verfolgung derjenigen weiter, die für seine Freilassung, für die Wahrung ihrer Recht auf Versammlungs- und Redefreiheit und gegen zunehmende politische Repressionen seit Januar 2021 auf die Straße gehen. Nachdem Navalnyjs Anhänger für den 21. April zu Protesten aufgerufen haben, kam es bis zum Vorabend bereits zu zahlreichen Verhaftungen in mindestens 19 russischen Städten. Unter den Verhafteten befinden sich zahlreiche Mitarbeiter des Navalnyj-Stabs, unter anderem die Juristin des Fonds zur Korruptionsbekämpfung Ljubov Sobol.

Russland im März 2021 - die Repressionen gehen weiter.

 

Über die wichtigsten Fälle politischer Verfolgung im Monat März 2021 informiert OVD-Info.

Neben einer Vielzahl an Verhaftungen nach den Protesten übten die Behörden auch massiven Druck auf die sozialen Medien aus, verbunden mit Forderungen nach der Löschung bestimmter, mit den Aktionen verbundener Inhalte und unter Androhung hoher Strafen. Dabei wurden unter anderem Geldstrafen von bis zu 8,9 Millionen Rubel [ca. 89.000 Euro im Falle es Nachrichtendienstes Twitter] verhängt, zudem forderte die Aufsichtsbehörde Roskomnadzor von dem Nachrichtendienst, den Account des Internetmediums MBCh Media zu entfernen. Wir bringen eine gekürzte Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse im März in Übersetzung.

 

Moskau

Im Rahmen von mehreren Strafverfahren gegen Teilnehmer der Aktionen seit Januar 2021 wurden erste Strafen verhängt. So wurde im März eine Person zu zwei Jahren, eine zu einem Jahr Haft verurteilt wegen Anwendung von Gewalt gegen die Demonstrationen auflösenden Sicherkräfte [Art. 318 StGB]. Zwei Personen wurden unter derselben Anklage festgenommen, mindestens drei weitere befinden sich in Untersuchungshaft. Ein Mann, der einen Auffahrunfall auf einen Polizeiwagen verursachte, erhielt eine Strafe von einem Jahr auf Bewährung. Ein Gericht in Moskau verhängte die Ausweisung eines in Donezk geborenen Teilnehmers der Proteste für 99 Jahre, ein seit 10 Jahren in Moskau lebender Staatsbürger Kirgistans, der ebenfalls an den Demonstrationen teilgenommen hatte und ausgewiesen wurde, darf für 40 Jahre nicht mehr nach Russland einreisen. Ähnliche Einreiseverbote wurde gegen Staatsbürger aus Moldavien und Belarus verhängt.

Am 13. März sprengten Sicherheitskräfte die in einem Hotel stattfindende Versammlung des Forums „Munizipalnaja Rossija“ [Kommunales Russland]. Nach Angaben von OVD-Info wurden im Rahmen dieser Aktion nicht weniger als 194 Personen festgenommen, unter ihnen kommunale Abgeordnete und Journalisten. Gegen sie wurden Anzeigen wegen Zusammenarbeit mit einer „Unerwünschten Organisation“ aufgenommen [Art. 20.33. Ordnungsstrafrecht], einige von ihnen wurden bereits zu Geldstrafen verurteilt. Im Moskauer Büro von „Otkrytaja Rossija“ [Offenes Russland] sowie in der Redaktion des Internetmediums MBCh Media kam es zu Durchsuchungen, am selben Tag war auch das Petersburger Büro von „Otkrytaja Rossija“ von Durchsuchungen betroffen, ebenso wie die Privatwohnung der Leiterin der Organisation. Eine Moskauerin, die sich mit einem Anti-Putin Plakat auf den Roten Platz gestellt hatte, kam für 30 Tage in Haft, ein junger Mann, der nackt eine Kunst-Performance auf dem Roten Platz abgehalten hatte, erhielt zehn Tage Arrest wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt.

 

St. Petersburg

Mindestens drei Bewohner der Stadt wurden wegen Anwendung nicht gesundheitsgefährdender Gewalt in Zusammenhang mit den Januar-Protesten bereits zu unterschiedlichen Strafen verurteilt. Ein Mann, der den Sicherheitskräften gemeinsam mit anderen Demonstranten einen Festgenommenen entrissen hatte, wurde zu einem Jahr Ansiedlung in einer Strafkolonie verurteilt, ein weiterer daran Beteiligter erhielt eineinhalb Jahre auf Bewährung. Zu zwei Jahren auf Bewährung wegen der Teilnahme an den Aktionen vom 23. Januar wurde ein Vater zweier Kinder verurteilt. Einem 25-jährigen Mann droht ein Strafverfahren wegen Vandalismus [Art. 214 StGB], weil er einen Anti-Putin-Slogan auf einen Metrowagen angebracht hatte. Zudem wurden etwa 20 Teilnehmer im Alter von 12 bis 18 Jahren auf einer sogenannten Cosplay-Veranstaltung festgenommen, weil sie eine LGBT-Flagge hochgehalten hatten. Vier Staatsbürger aus Belarus und ein Russe wurden wegen Organisation einer nicht-genehmigten Veranstaltung verhaftet [Art. 20.2 Teil 2 Ordnungsstrafrecht der RF], sie hatten an einer Aufnahme teilgenommen, bei der eine Gruppe von Personen mit weiß-roter Belarus-Symbolik Lieder gesungen und eine Person „Freiheit für Navalnyj“ gerufen hatte.

 

Gebiet Tscheljabinsk

Gegen neun Personen laufen im Zusammenhang mit den Protesten Untersuchungen wegen Behinderung des Verkehrs [Art. 267/1 StGB]. Unter den Angeklagten befindet sich der Koordinator des örtlichen Navalnyj-Stabs Artem Jaumbaev, sein Stellvertreter sowie eine ehemalige Mitarbeiterin. Alle Angeklagten wurden verhört, bei einigen Durchsuchungen durchgeführt, unter anderem auch bei der Mutter Jaumbaevs. 

Gebiet Kaluga

In Kaluga leitete man ein Strafverfahren wegen Angriff auf einen Polizeibeamten gegen einen Mann ein, der die Aktionen vom 23. Januar live gestreamt hatte und später in einer Bar verhaftet wurde. Zu dem Vorfall, der ihm zur Last gelegt wird, kam es nach Angaben des Mannes erst nach seiner Festnahme im Gefangenentransporter, als ein Polizist ihn anschrie und ihm ins Gesicht schlug, wobei er diesen wohl von sich stieß. Unter Antifaschisten kam es zu Hausdurchsuchungen und mindestens sechs Verhaftungen, unter anderem von Minderjährigen. Die Festgenommenen wurden vom FSB als Zeugen in einem Strafverfahren wegen Aufrufs zum Extremismus [Art. 280/2 StGB] in Posts im sozialen Netzwerk Vkontakte verhört. 

Gebiet Vladimir

Ein Teilnehmer der Protestaktionen vom 23. Januar wurde wegen Anwendung von Gewalt gegen Sicherheitskräfte zu drei Jahren Lagerhaftstrafe verurteilt. 

Region Chabarowsk

Gegen den Koordinator des örtlichen Navalnyj-Stabs Aleksej Vorsin wurde ein Verfahren wegen mehrfacher Verletzung des Versammlungsrechts [Art. 212/1 StGB] eröffnet und Vorsin zu zwei Monaten Hausarrest verurteilt. Nach der Verhaftung entdeckte man bei ihm zahlreiche Schürfwunden und Blutergüssen. 

Udmurtische Republik

Die Polizei von Ischevsk leitete gegen eine Aktivistin der Russischen Sozialistischen Bewegung (RSD) in Zusammenhang mit der Teilnahme an den Demonstrationen vom 23. Januar ein Verfahren wegen Rowdytums ein [Art. 213 Teil 1 StGB]. Die Aktivistin soll andere Demonstranten veranlasst haben, sich auf den befahrenen Teil der Straße zu begeben. Unter derselben Anklage wurde auch das Büro der Bewegung in Ischevsk durchsucht, Flugblätter, Drucksachen und Aufkleber beschlagnahmt.

Andere Regionen

Gegen den Koordinator des Navalnyj-Stabs in Kurgan, der nach den Januar-Protesten bereits 60 Tage Verwaltungshaftstrafe abgesessen hatte, wurde ein Strafverfahren wegen Verletzung des Briefgeheimnisses eröffnet, nachdem er Gespräche von Personen über Strategien zur Erreichung gewünschter Resultate bei der Abstimmung über die russische Verfassung veröffentlicht hatte. 

Der Menschenrechtler und Jurist Ernest Mezak, wurde am 10. März am Moskauer Flughafen festgenommen, als er nach Syktyvkar fliegen wollte, um vor Gericht Marina Litvinovitsch beizustehen, die wegen der Teilnahme an einer Demonstration gegen die Verfassungsänderung im vergangenen Jahr ein Prozess erwartete. Mezak wurde wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt während der Aktionen vom 31. Januar zunächst zu 12 Tagen Arrest und während der Haft zu weiteren 6 Tagen verurteilt.

 

 

26. April 2020 

 

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