Digest der russischen Anti-Kriegsproteste vom 12.03.2023 – 18.03.2023

Einzelkundgebungen

Am 13. März wurde in Moskau auf dem Roten Platz Lidija Bejn festgenommen mit einem Plakat mit der Aufschrift „Krieg ist Frieden. Freiheit – ist Sklaverei. Unwissenheit ist Stärke. George Orwell 1984.“

 

 

 

 

Am 13. März führte eine Aktivistin im Zentrum von Moskau eine Aktion durch, bei der sie das ukrainische Dreizacksymbol und die Aufschrift „PTN PNCH“ [Abkürzungen für Putin und für in etwa „Putin fick' dich“] im Fluss zu Wasser ließ. Die Bindestriche und Punkte, die um die Aufschrift herum verteilt waren, stehen nach dem Morsecode für das Wortes „Schwanz“.

Am 15. März wurde in Samara bei einer Einzelkundgebung Aleksandr Zemljakov mit einem Plakat mit der Aufschrift „Nein zum Krieg“ festgenommen.

Am 18. März hielt Jurij Koribejnikov aus Tomsk (Sibirien) auf dem dortigen Novo-Sobornaja Platz eine Einzelkundgebung ab mit einem Plakat mit der Aufschrift „Navalnyj, wir haben nicht aufgegeben. Nein zum Krieg.“ Die Polizei nahm ihn fest und brachte ihn auf die Wache.

Am 18. März wurde in Moskau gegen den 17-jährigen Oleg Blagov ein Protokoll wegen „Diskreditierung der Armee“ aufgenommen. Oleg Blagov hatte auf dem Roten Platz eine Einzelkundgebung abgehalten mit einem Plakat, auf dem stand: „StGB RF Artikel 354: 'Öffentliche Aufrufe zum Angriffskrieg'. Ich respektiere das Strafgesetzbuch, und ihr?“

In Izhevsk stellte sich der 20-jährige Unternehmer Nikita am 19. März in den Kirov-Park mit einem Plakat, auf dem er jedem eine Umarmung anbot, der gegen den Krieg ist. Tatsächlich gingen viele auf Nikita zu und umarmten ihn. Schließlich kam die Polizei und nahm Nikita mit auf die Wache.

 

Auf dem Palast-Platz in St. Petersburg nahmen Sicherheitskräfte am 19. März Lev Sokolov fest, der dort mit einem Plakat mit den Worten „Lasst uns in Eintracht leben“ eine Einzelkundgebung abgehalten hatte. Der Mann wurde zu einem Gefangenenbus geführt, durchsucht und zu seiner Arbeit, zum Wehrdienst sowie seiner Haltung zum Krieg befragt.

 

Blumen an Denkmälern

Am Abend des 18. März legten in Moskau einige Personen Blumen am Lesja-Ukrajinka-Denkmal auf dem Ukrainischen Boulevard nieder. Die Polizei prüfte ihre Dokumente und rief sie auf, an keinerlei „ungenehmigten Aktionen“ teilzunehmen. Eine weitere Gruppe Personen kam etwas später und legte blau-gelbe Blumen auf den Sockel des Denkmals.


Fotografie aus der persönlichen Korrespondenz des Verfassers des Digests

 

Blumen und ein Plakat mit der Aufschrift „Nein zum Krieg!“ liegen schon die dritte Woche am Solovezkij-Stein gegenüber dem FSB-Gebäude auf dem Lubjanka-Platz in Moskau.

 

Die Stadt spricht


Moskau. Aufschrift an einem Hauseingang: „Im Krieg verlieren alle“, an einer Hauswand: „Den Schwanz ihm in den Mund und nicht Kyjiv“, auf einem Auto: „NEIN ZUM KRIEG!“

 


Antikriegsflugblätter in Jakutien, im Gebiet Sverdlovsk und Samara, in St. Petersburg, Moskau und in der Region Primorje mit der Bezeichnung ukrainischer Städte, mit Fotografien zerstörter Häuser und Aufschriften: „Dieses Wohnhaus haben russische Raketen zerstört. Putins Armee beschießt täglich friedliche Bürger der Ukraine. Wir müssen das stoppen.“ „Nein zum Krieg. Demobilisierung!“

 


Graffitis im Bezirk Petrograd in St. Petersburg: „Putin ist ein Mörder“, „Putinismus begraben“, „Nein zum Krieg“, „Liebe besiegt Krieg.“

 

Aus dem Bereich der Hochschulbildung

Sergej Bazavluk, Vizerektor für Studentenangelegenheiten an der Universität der Völkerfreundschaft Russlands (RUDN) erklärte, auf eigenen Wunsch von seinem Posten zurückzutreten. Dazu kam es, nachdem bei einer Ausstellung der Völkergemeinschaften der Hochschule, unter denen auch eine ukrainische war, deren Flagge aufgehängt wurde. Das Ministerium für Bildung und Wissenschaft hat eine Prüfung angekündigt.

 

Anti-Kriegsposts in sozialen Netzwerken

Vladimir Volnin, Rentner aus dem Gebiet Tomsk, wurde wegen „Diskreditierung der Armee“ zu einer Geldstrafe in Höhe von 40.000 Rubel [2,5 monatliche Mindestlöhne] verurteilt. Grund sind Anti-Kriegsposts bei VKontakte, darunter ein Video mit dem Titel „Putin ist nicht Russland … Nein zum Krieg“ sowie ein Post mit der Ankündigung des Flashmobs „Putin verschwinde.“

Gegen Darija Karatova aus Sevastopol wurde ein Protokoll aufgenommen [„Diskreditierung der russischen Armee“] wegen Kommentaren gegen den Krieg bei Telegram und am Feiertag zu Ehren des „Anschlusses“ der Krim an Russland.

Wegen der Fotografie eines LKWs mit dem Kommentar [in etwa] „Russland auf dem Weg zu Hackfleisch“ und wegen des Aufrufs, Z-Kriegsfahrzeuge in die Luft zu jagen, wird der zwanzigjährige Pavel Zholtikov aus Kaluga strafrechtlich verfolgt. Im Dezember 2022 war er zu einer Geldstrafe in Höhe von 240.000 Rubel (15 monatliche Mindestlöhne) gemäß dem Paragraphen über „Aufruf zum Terrorismus“ verurteilt worden.

Zu einer Haftstrafe von 6,5 bzw. 7 Jahren wurden Ljudmila Razumov und Aleksandr Martynov, ein Paar aus dem Gebiet Tver, wegen „Vandalismus“ und „Falschmeldungen“ über den Krieg verurteilt. Das Strafverfahren gegen sie war aufgrund von Einträgen im Sozialen Netzwerk „Odnoklassniki“ [Klassenkameraden] und Aufschriften an Mauern in Siedlungen im Gebiets Tver eröffnet worden.

In Toljatti wurde der Aktivist Andrej Balin zu sieben Jahren Lagerhaft wegen sechs Posts über den Krieg in der Ukraine verurteilt: Er wurde für schuldig befunden, „Falschmeldungen“ verbreitet zu haben. Balin wurde noch im Gerichtssaal verhaftet, zuvor war gegen ihn ein Verbot, die Stadt zu verlassen, verhängt worden.

Am 14. März wurde in Jaroslavl Svetlana Zotova festgenommen und verhört. Svetlana Zotova ist die Mutter von Valerija Zotova, die wegen des Versuchs angeklagt wurde, eine Sammelstelle für Hilfsgüter für Kriegsmobilisierte in Brand zu setzen. Die Hauptverwaltung des Innenministeriums teilte mit, dass sie gegen Svetlana ein Strafverfahren wegen „Aufruf zum Terrorismus“ eingeleitet hat. Grund sind zwei Kommentare, in einem davon kommen die Wörter „Russen“ und „Atomwaffen“ vor.

„Wen hat er beschützt? Seine Familie? Seine Mutter?“ Für diesen Kommentar über den Tod eines Wehrdienstleistenden wurde Lajsan Achsanov aus Almetevsk (Tatarstan) zu 30.000 Rubel (ca. 2 monatliche Mindestlöhne) wegen „Diskreditierung der russischen Armee“ verurteilt.

Sergej Arslanov aus Anzhero-Sudzhensk wurde gemäß des Artikels „Aufruf zum Terrorismus“ zu 360.000 Rubel Geldstrafe verurteilt (22,5 monatliche Mindestlöhne), Grund sind Veröffentlichungen im Netzwerk VKontakte.

Am 15. März wurde bei Anatolij Roschtschin aus Lobnja in der Nähe von Moskau eine Hausdurchsuchung wegen „wiederholter Diskreditierung der Armee der RF“ durchgeführt: Roschtschin hatte bei VKontakte über faschistische Politik und militärische Aggression geschrieben. Seine gesamte technische Ausstattung sowie eine Flagge der Ukraine wurden beschlagnahmt, er selbst zum Ermittlungskomitee der Stadt Chimki gebracht.

 

Bilder unter Verdacht

Die Anti-Kriegswerke der 77-jährigen Künstlerin Jelena Ossipova wurden zu einer gerichtlichen Überprüfung gebracht: Nach Meinung der Sicherheitskräfte enthalten einige Aufschriften auf ihnen „wahrscheinlich falsche Informationen“ über die russische Armee. Im Februar waren 19 Werke Ossipovas auf der Ausstellung „Friedlicher Kunst-Protest“, die in den Büroräumen von Jabloko stattgefunden hatte, beschlagnahmt worden. Damals hatten die Sicherheitskräfte ihren Besuch mit einer Bombendrohung begründet und erklärt, die Bilder „zufällig“ gesehen zu haben.

 

Einschüchterungsbesuche in Bars

Am Freitag, den 17. März kam es in den Moskauer Bars Underdog und La Virgen zu Festnahmen durch die Polizei. Die Sicherheitskräfte behaupteten, diese stünden in Zusammenhang mit einem „Sponsoring der ukrainischen Streitkräfte.“ Die Sicherheitskräfte betraten die Bars mit Vorschlaghämmern und Elektroschockern. Die Festgenommenen wurden auf der Basmannyj Polizeiwache von Mitarbeitern des FSB verhört. „Agentur Moskau“ veröffentlichte ein Video, in dem die Besucher der Bar Underdog von den Sicherheitskräften gezwungen werden, das Lied „Berezy“ [Birken] der Gruppe Ljube zu singen.

Im Juli 2022 erhielten die Gründer der Bar Underdog und La Virgen Taqueria Drohungen, weil sie einen Wohltätigkeitsverkauf von Vinylplatten zur Unterstützung des Kollektivs „Engel Kyjivs“ angekündigt hatten. Danach berichteten die Besitzer, dass der Account von La Virgen Taqueria, in dem sie den Post veröffentlicht hatten, gehackt wurde. Sie erklärten, dass die Spenden dem Tierheim „Deine verdammte Angelegenheit“ zugute gekommen seien.

 

Verschiedenes

In der Moskauer Metro wurde am 17. März Jurij Samojlov wegen Veröffentlichungen gegen den Krieg festgenommen, nachdem ein anderer Passagier in sein Telefon geschaut und die Polizei gerufen hatte. Die Sicherheitskräfte verlangten, ihnen den Inhalt des Smartphones zu zeigen und entdeckten dort Bilder, die „die russische Armee diskreditieren.“ Jurij wurde zum 7. U-Bahn-Polizeirevier gebracht, wo man ihm das Telefon abnahm und ein Protokoll über Herstellung und Verbreitung extremistischer Materialien aufnahm. Später verhängte das Tscheremuschkinskij-Bezirksgericht eine Haftstrafe von 14 Tage, die er in Sacharov verbüßt.

Gegen den 40-jährigen Aleksandr Sch. aus Sarov wurde ein Ordnungsstrafverfahren eingeleitet, weil er in einer Kirche im Gebiet Nizhni Novgorod „Slava Ukraine!“ gerufen hatte. Nach der Version der Kirchenbesucher hatte er die Losung zur Unterstützung der Ukraine am 11. März in der Kirche des Leidgeprüften Hiob gerufen.

Die Polizei der Stadt Kaluga nahm Ivan Jepichin fest, weil dieser Flugblätter in der Siedlung Tovarkovo verteilt haben soll. Darin wird das russische Regime als faschistisch bezeichnet und die Krim als Teil der Ukraine. Die Sicherheitskräfte beschuldigen Jepichin des Aufrufs zum Extremismus und der Propagierung von Terrorismus.

 

Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker

16. April 2023

 

Copyright © 2024 memorial.de. Alle Rechte vorbehalten.
MEMORIAL Deutschland e.V. · Haus der Demokratie und Menschenrechte · Greifswalder Straße 4 · 10405 Berlin
Joomla! ist freie, unter der GNU/GPL-Lizenz veröffentlichte Software.
Back to Top