Digest der russischen Anti-Kriegsproteste vom 17.04.2023 – 23.4.2023

 

Fortsetzung der Geschichte der Familie Moskalev

Das Gericht wies die Klage auf Einschränkung der elterlichen Rechte des Vaters und der Mutter von Mascha Moskaleva, die in der Schule eine Anti-Kriegszeichnung angefertigt hatte, ab.

Der Staatsanwalt forderte indes, die Strafe für ihren Vater Aleksej Moskalev zu erhöhen. Er begründete dies damit, dass die Tat angeblich während des "bewaffneten Konflikts" begangen wurde. Zur Geschichte Mascha Moskalevas siehe auch unsere früheren Ausgaben: https://memorial.de/index.php/8131-stimmen-gegen-den-krieg-proteste-in-russland-vom-10-bis-16-aprilhttps://memorial.de/index.php/8130-stimmen-gegen-den-krieg-proteste-vom-25-maerz-bis-9-april.

 

Ordnungsverfahren

Aruna Arna, Aktivistin aus der Republik Altai, die sich gegen die illegale Erschließung eines Naturgebiets, den Krieg in der Ukraine und die Mobilisierung ausspricht, hat eine Videobotschaft aufgenommen, in der sie mitteilt, dass zwei Protokolle gegen sie wegen „Diskreditierung der russischen Armee“ aufgenommen wurden.


Aruna Arna. Foto aus offenen Quellen


In Jakutien entschied ein Gericht, dass die Weigerung einer Studentin, montags die russische Nationalhymne zu singen, rechtens ist. Zuvor war wegen ihrer Weigerung an Schulversammlungen teilzunehmen und die Hymne in ihrer Schule zu singen, ein Ordnungsverfahren gegen sie eingeleitet worden. Bei der polizeilichen Befragung erklärte die junge Frau zudem, dass sie die ukrainischen Streitkräfte unterstütze und mit dem Krieg in der Ukraine nicht einverstanden sei.

Ein Gericht hat entschieden, dass die Entlassung Dinara Gagarinas, Dozentin der Permer Hochschule für Wirtschaft, wegen ihrer Antikriegshaltung rechtmäßig war. Vorher war die frühere Leiterin der Permer Zweigstelle der Hochschule für Wirtschaft nach einer Anzeige von Eltern wegen Anti-Kriegsveröffentlichungen entlassen worden. Etwas später hatte sie Russland verlassen.

Gegen die Gruppe „Nogu svelo!“ wurde ein Protokoll aufgenommen wegen „Diskreditierung der Armee der RF.“ Die Gruppe hat einen Video-Clip mit dem Titel „Hymne der Verdammten (Gojda, Orks!)“ [Auf geht’s, Orks!] veröffentlicht.

https://www.youtube.com/watch?v=QGcyXkqbPts

Wegen kriegsfeindlicher Kommentare bei VKontakte wurde Tatjana Fomenko aus dem Moskauer Gebiet zu einer Geldstrafe von 15.000 Rubeln (1 monatlicher Mindestlohn) verurteilt.

Wegen Anti-Kriegsrufen auf einer Landstraße verurteilte das Gericht einen Bewohner der Region Tula zu einer Geldstrafe.

Der protestantische Prediger Eduard Tscharov wurde wegen Veröffentlichungen gegen den Krieg zu einer Geldstrafe von 65.000 Rubeln (4 monatliche Mindestlöhne) verurteilt. In den sozialen Medien spricht sich Tscharov gegen den Krieg in der Ukraine aus und kritisiert die russischen Behörden.

Rustam Nagojev aus Naltschik wurde zu einer Geldstrafe von 30.000 Rubeln (2 monatliche Mindestlöhne) verurteilt, weil er diese Kommentare auf Instagram gepostet hatte: „Wäre es nach ihnen gegangen, hätten sie die ganze Bevölkerung Russlands für Bachmut umgelegt. Woher kommt diese Blutrünstigkeit bei unserer Bevölkerung?“ und „Auf demokratischem Weg durch Wahlen kann man die Regierung nicht verändern.“

 

Strafverfahren, gesetzgeberische Aktivitäten

Ein Lehrer aus Kansk wurde zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt, weil er auf ein Werbebanner für den Militärdienst geschossen hatte. Seine Mutter und sein Anwalt versichern, dass er gefoltert und mit Vergewaltigung bedroht wurde, um das Geständnis zu erpressen, er habe das Rekrutierungsbüro von Kansk angezündet.

Gegen den 54-jährigen Andrej E. aus dem Gebiet Kirov wurde ein Strafverfahren wegen „Verbreitung von Falschmeldungen über die russische Armee“ eingeleitet, weil er bei Odnoklassniki [Klassenkameraden] über Kriegsverbrechen Russlands in der Ukraine geschrieben hatte.

Oleg Orlov, Co-Vorsitzender des Zentrums zum Schutz der Menschenrechte Memorial, erhielt die endgültige Fassung der Anklage gegen ihn wegen „wiederholter Diskreditierung der Armee.“

Oleg Orlov mit dem Plakat: "Der durchgeknallte Purin treibt die Welt in einen Atomkrieg". Foto: Sota

 

Das Urteil gegen die Journalistin Marija Ponomarenko von sechs Jahren Lagerhaft wegen eines Posts über die Zerstörung des Dramatischen Theaters in Mariupol wurde bestätigt.

Das Urteil gegen den Politiker Ilja Jaschin von achteinhalb Jahren Lagerhaft wegen „Falschmeldungen über die russische Armee“ wurde bestätigt.


Ilja Jaschin. Foto: Sota

 

Der Politiker Vladimir Kara-Mursa ist zu 25 Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden.

Vladimir Kara-Mursa. Foto: Darja Kornilova/OVD-Info

 

Die Staatsanwaltschaft fordert neun Jahre Haft für einen ehemaligen Polizisten. Er wird beschuldigt, „Falschmeldungen über die russische Armee“ in privaten Telefongesprächen verbreitet zu haben.

Die Staatsduma hat ein Gesetz verabschiedet, dass für Hochverrat eine lebenslange Haftstrafe vorsieht.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich geweigert, Folterungen auf der Polizeistation „Bratejevo“ zu untersuchen. Zuvor hatten einige junge Frauen, die im vergangenen Frühjahr bei Anti-Kriegsdemonstrationen festgenommen worden waren, berichtet, dass sie in dieser Polizeiwache gefoltert wurden. Einer von ihnen gelang es, ein Gespräch mit einem Polizisten, der sie beleidigt hatte, aufzunehmen. Auf dieser Aufnahme sind ebenfalls Geräusche von Schlägen zu hören.

 

Einzelkundgebungen und Demonstrationen

Aktivisten aus Ivanovo hängten in der Stadt ein Banner auf mit der Aufschrift „Das Land, wo die Wahrheit verbannt ist.“

 

Das Bürgermeisteramt von Novosibirsk weigerte sich, eine von der Partei „Jabloko“ organisierte Demonstration unter dem Motto „Für Frieden“ und „Gegen Verletzungen des Verfassungsrechts“ zu genehmigen.

Auf einer Werbetafel in Jekaterinburg tauchten Zitate aus Erzählungen mobilisierter Russen und ihrer Angehörigen darüber auf, dass die Mobilisierten „wie Fleisch“ zum Angriff geschickt würden und dass der russischen Armee Lebensmittel und moderne Waffen fehlen. Die Stadtverwaltung erklärte dies mit einem „gehackten“ System.

 

Kultur

Die Organisatoren des Festivals „Vozduch Karelii“ [Die Luft Kareliens] gaben die Absage des Auftritts der Gruppe „Naiv“ bekannt. Zuvor waren bereits die Konzerte der Gruppe in Jaroslavl, Tscherepovez und Perm abgesagt und auf ein Jahr später in Petersburg verschoben worden. Mitte April hatte der Sänger der Band Aleksandr Ivanov bei einem Konzert über den Fall der Familie Moskalev erzählt.

Das Aleksandrinskij Theater hat die Vorstellung des französischen Stückes „Cyrano de Bergerac“ aus dem 19. Jahrhundert abgesagt. Zuvor hatte sich ein Zuschauer an die Polizei gewendet und gefordert, die Aufführung auf „Diskreditierung der Armee“ zu überprüfen. Was genau der Beweggrund für diese Eingabe war, ist nicht bekannt.

Im Petersburger „Malyj Dramatitscheskij Teatr“ wurden die Aufführungen „Hamlet“ und „Kabale und Liebe“ mit Danila Kozlovskij verschoben. Davor hatte ein orthodoxer Aktivist gegen den Schauspieler Anzeige erstattet und gefordert, Aussagen Kozlovskijs auf Verstöße gegen den Paragraphen zur „Diskreditierung der Armee“ zu untersuchen.

Die Besitzer der Bar „Dom Kultur“ [Haus der Kulturen] sowie des Cafés „PokeRamen“ in Perm Danil Gurjanov und Danil Schischkin haben ein Video aufgenommen, in dem sie sich für einen Trinkspruch zur Unterstützung der Ukraine entschuldigen. Sie hatten ein Video veröffentlicht, in dem sie auf die Ukraine trinken, woraufhin sie Drohungen erhielten.

 

Mobilmachung

In Jakutien mobilisierte Einwohner wurden vermutlich gewaltsam in die Gruppe „Wagner“ eingegliedert und nach Bachmut geschickt.


Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker


22. Mai 2023

 

 

 

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