Veranstaltungsbericht

Am 29.05.2017 zeigte MEMORIAL Deutschland e.V. in Zusammenarbeit mit dem Kino Krokodil – ein in Berlin für seine Spezialisierung auf den osteuropäischen Film bekanntes Kino – den Film „Perm-36 – Spiegelung“ unter Anwesenheit des russischen Regisseurs Sergei Kachkin.

 Sergei Kachkin

Das im Filmtitel genannte Museum Perm-36 ist die einzige GULag-Gedenk­stätte in Russland, die sich im Ural nahe der Stadt Perm am Ort eines ehemaligen Straflagers befindet. In dem ursprünglich während des Krieges für die Holzge­winnung eingerichteten Arbeitslager, in dem von 1972 bis 1988 politische Gefangene aus der Dissidenten- und den nationalen Unabhängigkeitsbewegungen inhaftiert waren, wurde auf Betreiben einer Initiative von Permer Historikern, früheren Insassen und Aktivisten des Permer Memorial in den neun­ziger Jahren eine Gedenkstätte eingerichtet.

Das Museum, das für die russische prodemokratische Zivilgesellschaft eine einzigartige Platt­form des gegenseitigen Austauschs darstellte, wurde 2014 in Zusammenhang mit Protesten ehemaliger Mitarbeiter des Strafvollzugswesens und Permer Kommunisten nach einem Wechsel des Gouverneurs verstaatlicht. Die zivilgesellschaftlichen Betreiber wurden des Geländes verwiesen und ihre Bestände und Archive konfisziert, in den Ausstel­lungen der „Beitrag der GULag-Häftlinge zum Sieg im Großen vaterländischen Krieg“ herausgestrichen.

Sergei Kachkin, der seinen Film mit Hilfe von Crowdfunding finanziert hat, hat die Entwicklun­gen im Museum drei Jahre lang mit der Kamera begleitet. In seinem Film, der ursprünglich "Territorium der Freiheit" heißen sollte, spürt er der einmaligen Anziehungskraft der Gedenk­stätte und seines alljährlich veranstalteten Festivals, dem „Bürgerforum Pilorama“, unter der damaligen zivilgesellschaftlichen Leitung von Tatjana Kursina und Viktor Shmyrov nach.

Zudem kommen die drei ehemaligen Insassen des Lagers Sergej Kovalev, Michail Mejlach und Viktor Pestov ausführlich zu den Gründen ihrer Haft und ihrer heutigen Einschätzung der damaligen Situation im Land zu Wort. Der Regisseur lässt aber auch die Menschen nicht au­ßer Acht, die sich bis heute mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht abfinden können. So entstand ein eindrucksvol­les und sensibles Porträt der spezifischen Konflikte, die zur der­zei­tigen Spaltung der russi­schen Gesellschaft führten.

Anschließend an die gut besuchte Filmvorführung konnten in einer von Anke Giesen (Vorstandsmitglied von MEMORIAL Deutschland e.V.) mode­rier­ten und von Daria Buteiko übersetzten Diskussion dem Regisseur Fragen gestellt werden. Dabei interessierte sich das Publikum, das sich aus deutsch- wie auch aus russischsprachigen Berlinern zusammensetzte, vor allem für Sergej Kachkins Beweggründe, den Film zu machen.

Dazu der Regisseur: „Ich wollte das Lager als einen Ort der Freiheit darstellen, an dem man seinen Gedanken freien Lauf lassen konnte und wo man liberale, aber auch konservative Leute treffen konnte. Perm 36 ist ein zeichenhafter Ort, man spürt dort eine sehr besondere Energie. Aber das, was mit dem Museum passiert ist, ist eine Metapher für den Stand der Dinge in ganz Russland. Deshalb der zweite Titel. Die Gesellschaft spiegelt sich in der Geschichte des Museums.“

Sergei Kachkin äußerte auch sein Erstaunen darüber, wie sehr sich diese erst Vorführung des Films im Ausland von den bisherigen in Perm, Ekaterinburg, Moskau und Petersburg unter­schied. Dort hatten auch immer Besucher mit national-patriotischen und sowjetnostalgischen Einstellungen für Streit gesorgt. In Berlin wurde sein Film hingegen durchweg positiv aufgenommen.

Im Rahmen eines kleinen Empfangs mit Wodka und Zakuski, der von den Kinobetreibern spendiert wurde, bot sich für die Kinobesucher die Gelegenheit auch untereinander über die im Film aufgeworfenen Fragen auf Deutsch oder Russisch ins Gespräch zu kommen – eine Möglichkeit, die auch ausgiebig genutzt wurde. 

5. Juni 2017
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