2016-2020. Chronologie
In einem anonymen Brief an die Sicherheitsorgane wird berichtet, Dmitriev mache Fotos von seiner elfjährigen Pflegetochter in unbekleidetem Zustand. Zwei Fotos sind beigelegt. Der anonyme Schreiber fordert „Maßnahmen“ gegen Dmitriev. Weder die Ermittlung noch das Gericht haben Versuche unternommen, um den Schreiber ausfindig zu machen, er ist bis heute unbekannt.
Der Revierpolizist lädt Dmitriev vor, um Formalitäten im Zusammenhang mit seinen Jagdgewehren zu klären. Am Tag darauf verbringt Dmitriev vier Stunden im Polizeirevier. Nach seiner Rückkehr stellt er fest, dass jemand in der Zwischenzeit in seiner Wohnung gewesen ist.
Jurij Dmitriev wird ein seiner Wohnung in Petrosavodsk festgenommen.
Bei einer Haussuchung wird in seinem Computer ein Ordner mit Fotos seiner Pflegetochter gefunden. Nach Aussage Dmitrievs und anderer Familienmitglieder hat er die Fotos angefertigt, um den Gesundheitszustand des Kindes zu dokumentieren. Seine Pflegetochter ist von Vertretern der Aufsichtsorgane von der Schule in ein Rehabilitationszentrum gebracht worden, ohne jemanden in der Familie des Mädchens zu informieren.
Die ältere Tochter Dmitrievs Jekaterina besucht das Mädchen im Rehabilitationszentrum. Das Kind ist verschreckt, fragt nach dem Vater und möchte nach Hause zurück. Jekaterina verspricht, das Mädchen zu sich zu nehmen, aber am selben Tag wird ihr mitgeteilt, dass die Ermittlung ihr sogar Treffen mit der jüngeren Schwester untersagen. Seit diesem Tag haben sich die Schwestern nicht mehr gesehen.
Gegen Dmitriev wird Anklage erhoben nach 242,2 Absatz 2, Punkt c (2) StGB („Missbrauch von Minderjährigen zum Zweck der Anfertigung pornographischer Aufnahmen und Gegenstände“). Dmitriev wird in Untersuchungshaft genommen, angeblich um zu verhindern, dass er auf seine Pflegetochter Druck ausübt. Seit dem 13. Dezember 2016 hat er sie nicht mehr gesehen, er hatte keine Möglichkeit mit ihr zu sprechen oder ihr zu schreiben.
Die Betreuung des Mädchens wird seiner Großmutter Valentina Frolenkova übertragen. Früher hatte man ihr die Betreuung verweigert. Der Mutter des Mädchens war das Erziehungsrecht kurz nach seiner Geburt entzogen worden.
Januar 2017
Dmitrievs Pflegetochter wird vernommen und medizinisch sowie psychiatrisch untersucht. Bei den Verhören berichtet sie von keinerlei auffälligem oder unangenehmen Verhalten Dmitrievs ihr gegenüber. Das Ermittlungsgutachten stellt keinerlei medizinische und psychologische Störungen fest, die auf eine gewaltsame oder unsittliche Handlung gegenüber dem Kind schließen ließen. Nach den Ermittlungsprozeduren kommt das Mädchen zur Großmutter, die in einem abgelegenen Dorf in Karelien übergeben (etwa 600 km von Petrosavodsk entfernt).
Februar 2017
Das Mädchen schreibt an Jurij Dmitriev:
„Lieber Papa, ich sehne mich sehr nach Dir. Ich hoffe sehr, dass sie Dich bald freilassen. Bei mir ist alles in Ordnung, in der Schule bin ich gut. Alles Gute zu Deinem Geburtstag! Wie geht es Dir dort? Schreib, wenn es geht. Ich liebe Dich von ganzem Herzen. Deine Tochter.“
Dmitrievs Anwalt Viktor Anufriev reicht beim Stadtgericht von Petrosavodsk Klage gegen zahlreiche Verfahrens-Verstöße der Ermittlung ein, so bei der Begutachtung der Fotos und der Auswahl der damit betrauten Organisation, sowie der Information des Anwalts und des Angeklagten über die Ergebnisse. Der Antrag, ein alternatives Gutachten in Auftrag zu geben, war abgelehnt worden. Ebenso wenig hatte man den Anwalt informiert, welche Aufnahmen Gegenstand der Untersuchung sein sollten.
Das Stadtgericht von Petrosavodsk lehnt es nach einer Prüfung ab, die Klage des Anwalts zu den Akten zu nehmen.
Dmitriev wird in folgenden Punkten angeklagt:
Drei Anklagen (nach Art. 242.2, Abs. 2 c, nach Art. 135 in zwei früheren Fassungen) wurden auf Grund eines Gutachtens erhoben, das im Auftrag der Ermittlung durch Experten des „Zentrums für soziokulturelle Gutachten“ durchgeführt worden war (von der Pädagogin und Mathematikerin N. Krjukova, der Kunsthistorikerin E. Borejscha-Pokorskaja und dem Kinderarzt Z. Tarasov). Von den vorgelegten 239 Familienfotos, die in Dmitrievs Computer gespeichert waren, wurden neun ausgewählt, die in drei Anklagepunkten als Beweismaterial fungierten.
Jelena Askerova, Staatsanwältin von Petrosavodsk, bestätigt die Anklage gegen Dmitriev. Die Akte geht ans Gericht.
Das Stadtgericht von Petrosavodsk verhandelt den Antrag von Anwalt Anufriev, die Ergebnisse des Gutachtens nicht zum Verfahren zuzulassen, da es mit zahlreichen Unregelmäßigkeiten einherging. Dem Antrag wird nicht stattgegeben.
Präsentation der elektronischen Ausgabe der Bücher Dmitrievs: „Ich pomnit Rodina. Kniga pamjati Karel’skogo naroda“[Das Vaterland gedenkt ihrer. Gedenkbuch des karelischen Volks] und „Krasnyj bor“, die er bereits in Haft fertig gestellt hat.
Beginn des Prozesses. Das Stadtgericht von Petrosavodsk und das Oberste Gericht von Karelien lehnen die Anträge auf eine wiederholte Begutachtung der Fotos ab, auf denen die Anklage basiert. Sie halten das vorliegende Gutachten für ausreichend.
Als Experte wird Lew Schtscheglov vorgeladen, Professor für Medizin und Präsident des nationalen Instituts für Sexualkunde. Seiner Auffassung nach stellen die Fotos, die Dmitriev zur Last gelegt werden, kein pornographisches Material dar. Das Gutachten des“ Zentrums für sozialkulturelle Gutachten“ halte einer professionellen Kritik nicht stand. Das Gericht nimmt seine Beurteilung zu den Akten.
Das Menschenrechtszentrum Memorial erklärt Jurij Dmitriev zum politischen Gefangenen, nachdem es alle zugänglichen Informationen zum Verfahren untersucht hat, und fordert eine Einstellung des Verfahrens.
Der Gedenktag in Sandarmoch wird zum zwanzigsten Mal begangen und erstmals ohne Jurij Dmitriev. Regierungsvertreter der Republik Karelien oder der städtischen Administration von Medvezhegorsk bleiben der Gedenkveranstaltung fern.
Ein weiteres Gutachten über die Fotos wird in Auftrag gegeben. Damit betraut wird die Bundesabteilung für „unabhängige Gerichtsgutachten“ in St. Petersburg.
Das zweite Gutachten stellt in den Aufnahmen, die Dmitriev zur Last gelegt werden, keinerlei Merkmale von Pornographie fest. Eine umfassende psychiatrische Expertise im Serbskij-Zentrum, dem Staatlichen Zentrum für soziale und Gerichtspsychiatrie, wird angeordnet.
Jurij Dmitriev wird für das psychiatrische Gutachten nach Moskau gebracht.
Das Serbskij-Zentrum in Moskau schließt das psychiatrische Gutachten ab.
Jurij Dmitriev wird aus der Untersuchungshaft entlassen unter der Auflage, seinen Wohnort nicht zu verlassen.
Das Ergebnis des psychiatrischen Gutachtens wird bekannt gegeben. Bei Dmitriev wurden keinerlei Anomalien oder Abweichungen in seiner Gesundheit oder im Verhalten festgestellt.
Die Pflegetochter Dmitrievs vollendet ihr 13. Lebensjahr. Verwandte und Freunde gratulieren ihr telefonisch und schriftlich, so die ältere Schwester Jekaterina Klodt, ihre Patin Olga Kersina, Freundinnen – Studentinnen der Moskauer „kinoschkola“ Alexandra und Olga Kononova, die sie auf Expeditionen, an denen Dmitriev teilgenommen hatte, kennengelernt hatten. Das Mädchen freute sich und tauschte sich gerne mit den Freundinnen aus. Alle Gespräche wurden mit Erlaubnis der Großmutter, ihrem offiziellen Vormund, geführt.
Jelena Askerova, die Staatsanwältin von Petrosavodsk, beantragt für Dmitriev eine Haftstrafe von neun Jahren strengen Regimes.
Die Richterin Marina Nosova spricht Dmitriev von den Anklagepunkten frei, pornographische Materialien mit Minderjährigen angefertigt sowie unsittliche Handlungen ohne Gewaltanwendung begangen zu haben. Für unerlaubten Waffenbesitz wird er zu zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Nach der Untersuchungshaft verbleiben davon noch drei Monate. In dieser Zeit dürfte der Historiker die Stadt nicht verlassen.
Anfang April 2018
Unmittelbar nach dem Freispruch unterbindet Valentina Frolenkova, Großmutter und Betreuerin von Dmitrievs Pflegetochter, jeglichen weiteren Kontakt zu Familie und Freunden Dmitrievs und nimmt keine Anrufe und Briefe mehr an, obwohl zuvor regelmäßiger Kontakt bestanden hat. Das Telefon wird abgeschaltet, Briefe werden ignoriert, von dem Mädchen kommen keine Nachrichten mehr.
Staatsanwältin Jelena Askerova legt Berufung gegen den Freispruch ein. Zugleich ficht auch Valentina Frolenkova das Urteil an.
Jurij Dmitriev erhält für seinen historischen Beitrag zum Schutz der Menschenrechte den Preis der Moskauer Helsinki-Gruppe. Das Gericht gestattet ihm die Fahrt nach Moskau, so dass er an der Preisverleihung teilnehmen kann.
Dmitrievs Pflegetochter wird durch den Ermittler Maxim Savazkij im Beisein der Betreuerin und eines Psychologen einem intensiven Verhör unterzogen (obwohl die Ermittlungen schon längst abgeschlossen sind). Unter dem Druck des Ermittlers, der obszöne Fragen stellt, wird sie zu Tränen und schließlich zu der Aussage gebracht, es fühle sich entehrt. Das Verhör wurde aufgezeichnet (Video).
Das Oberste Gericht Kareliens hebt das Urteil des Stadtgerichts von Petrosavodsk in allen Punkten auf. Es beruft sich auf das Verhör des Mädchens (das als „Gespräch“ bezeichnet wird) sowie auf Aussagen der Großmutter. Dmitriev wird zu Hause belassen unter der Auflage, den Ort nicht zu verlassen.
Dmitriev will das Grab einer kürzlich verstorbenen Bekannten und das Alexander-Svirskij-Kloster aufsuchen und verlässt zu dem Zweck Petrosavodsk. Am selben Tag wird er wegen Verstoßes gegen die Auflage, den Ort nicht zu verlassen, festgenommen.
Das Ermittlungskomitee leitet ein neues Strafverfahren nach Art. 132 StGB, Abs. 4 b ein (gewaltsame sexuelle Akte gegenüber einer Person, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat). Grundlage der Anklage wird die Gesprächsaufzeichnung mit dem Mädchen, die zuvor schon als Grund für die Aufhebung des Freispruchs gedient hatte. Dmitriev wird verhaftet und bis zum 26. August in die Untersuchungshaftanstalt von Petrosavodsk verbracht
Jurij Dmitriev wird nach Petersburg gebracht zwecks Durchführung einer umfassenden sexologisch-psychiatrischen Gerichts-Expertise (bereits der dritten, wenn man die Gutachten vom ersten Verfahren mitrechnet). Sie wird im Staatlichen Krankenhaus für Psychiatire Nr. 6 von St. Petersburg durchgeführt.
Der Gedenktag in Sandarmoch findet zum 21. Mal statt, erneut ohne Jurij Dmitriev. Es wird nicht nur eine Gedenkaktion, sondern auch eine der Solidarität für ihn, der wiederum im Gefängnis sitzt.
Nach Abschluss der Expertise wird Dmitriev zurück nach Petrozavdosk gebracht.
Gerichtsverhandlung. Die Haft wird bis zum 26. Oktober verlängert. Das Gericht erklärt die Voruntersuchungen für das neue Verfahren vom 25. Juni für abgeschlossen.
25.-31. August 2018
Die russische Gesellschaft für Militärgeschichte (RVIO) führt Ausgrabungen auf dem Gebiet der Gedenkstätte Sandarmoch durch. Gesucht werden „Grabstätten von Häftlingen finnischer Konzentrationslager sowie von Rotarmisten, die im Kampf gegen die finnischen Besatzer in Karelien 1941-1944 gefallen sind“ (eine Darstellung, die Dmitriev schon vor seiner ersten Verhaftung für haltlos erklärt hat). Die Ausgrabungen erfolgen ohne vorheriges Gutachten und ohne jegliche Begründung. Die sterblichen Überreste von fünf Personen werden ausgegraben.
In einem Brief fordern Angehöriger der Opfer, die in Sandarmoch in den 1930er Jahren erschossen wurden, die Ausgrabungen einzustellen, die das Gesamtbild der Gedenkstätte beeinträchtigen und die Totenruhe der Ermordeten ohne hinreichende Begründung stören.
Pressekonferenz zu den Ergebnissen der Ausgrabungen. Daran beteiligte Personen sind nicht vertreten. Die Ergebnisse der Analyse der sterblichen Überreste und der aufgefundenen Gegenstände werden nicht bekanntgegeben.
Das neue Verfahren gegen Dmitriev wird mit den alten Anschuldigungen, von denen er schon freigesprochen worden war, zu einem Verfahren zusammengelegt.
Jelena Askerova, die Staatsanwältin von Petrosavodsk, die den Freispruch zugelassen hatte, tritt unvermittelt von ihrem Posten zurück.
Die Personalkommission beim Präsidenten der RF lehnt eine Kandidatur Marina Nosovas, die Dmitriev freigesprochen hatte, als Richterin des Obersten Gerichts Kareliens ab. Nach zwölf Jahren Tätigkeit als Stellvertretende Vorsitzende des Stadtgerichts von Petrosavodsk wird sie auf die Stellung eines gewöhnlichen Richters degradiert.
Viktor Anufriev, Dmitrievs Anwalt gibt die Resultate des sexologisch-psychiatrischen Gutachtens vom Sommer bekannt: Bei Dmitriev wurden keinerlei (psychologische, psychische oder sexuelle) Anomalien festgestellt (was mit den Ergebnissen der ersten beiden Gutachten übereinstimmt).
Alexandra und Olga Kononova wollen ihre Freundin, Dmitrievs Pflegetochter, in ihrem jetzigen Wohnort besuchen, wo sie bei ihrer Großmutter lebt. Sie treffen das Mädchen auf dem Schulweg, aber dieses lehnt den Kontakt ab. Alexandra dokumentiert die Begegnung in einem Animationsfilm.
Erste Gerichtsverhandlung zum neuen Verfahren mit Alexander Merkov als Richter.
Die Anklage stellt die Materialien des Verfahrens vor. Dmitriev bestreitet seine Schuld erklärt in allen Punkten.
Zweite Pressekonferenz zu den Ausgrabungen von 2018 in Sandarmoch. Sergej Verigin, einer der Verfechter der These von finnischen Erschießungen in Sandarmoch, erklärt, dass Überreste von Personen exhumiert wurden, die von Finnen erschossen worden seien, obwohl die Untersuchungen keine eindeutigen Schlussfolgerungen zulassen. Weitere Ausgrabungen sollen folgen.
Pressekonferenz von Memorial International: „Sandarmoch 2019 – was wird aus der Gedenkstätte“. Forscher und Freiwillige nehmen teil, die sich mit der Geschichte des Orts und dem Gedenken an die NKVD-Opfer befassen.
12-21. August 2019
Zweite Expedition der RVIO (Russische Gesellschaft für Militärgeschichte). Aus elf Gruben werden die Überreste von 16 Menschen ausgegraben. In dem diesbezüglihen Auftrag des Kulturministeriums der Republik Karelien an die RVIO heißt es zur Begründung: „Die Spekulationen um die Geschehnisse im Waldstück Sandarmoch schaden dem internationalen Ansehen Russlands, sie verankern im öffentlichen Bewusstsein ein unbegründetes Schuldgefühl vor angeblich verfolgten Vertretern ausländischer Staaten und leisten unberechtigten Angriffen gegen unseren Staat Vorschub. Darüber hinaus stärken sie regierungsfeindliche Kreise in Russland.“
Erklärung von über 200 russischen Wissenschaftlern, Schriftstellern und Kulturschaffenden zum Verfahren gegen Dmitriev: „Für niederträchtige Ziele wird das Schicksal eines Kindes zerstört…“
Das Projekt „Sandarmoch“ (Gedenken an die 1937-38 im Waldgebiet von Sandarmoch ermordeten Personen und die Suche nach ihren Grabstätten) wird mit dem Gajdar-Preis ausgezeichnet. Jurij Dmitriev, der „Entdecker“ von Sandarmoch, ist einer der Preisträger.
15., 20., 28. Januar 2020
In Moskau, Petersburg und Petrosavodsk wird das neue Buch von Jurij Dmitriev präsentiert: „Mesto pamjati Sandarmoch“ (Gedenkort Sandarmoch, Redakteur Anatolij Razumov), das er in der Untersuchungshaft fertiggestellt hat.
Die angesetzte Gerichtsverhandlung wird wegen Dmitrievs Erkrankung verlegt. Er hat eine starke Erkältung und hohes Fieber, das sich über eine Woche hält.
Sitzung des Gerichts, die Untersuchungshaft wird bis zum 25. Juni 2020 verlängert. Der Prozess wird wegen des Coronavirus angehalten.
Anwalt Anufriev legt Berufung ein gegen die Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der Untersuchungshaft wegen des Coronavirus (im Hinblick auf Dmitrievs Alter und angegriffenen Gesundheitszustand).
FIDH startet eine Kampagne für die Freilassung inhaftierter Menschenrechtler und führt in der Erklärung auch Jurij Dmitriev an.
Eine Erklärung des Europäischen Dienstes für Auswärtige Beziehungen zu Dmitriev wird veröffentlicht, in der es heißt: „Wir rufen die russischen Behörden dazu auf, den Fall Dmitriev zu revidieren, sein Alter und seinen Gesundheitszustand in dieser insgesamt für die Welt schwierigen Zeit in Betracht zu ziehen und ihn freizulassen. Wir gehen davon aus, dass die Anklagen gegen Dmitriev fallengelassen werden.“ Die wesentlichen Aussagen dieses Appells lässt der Leiter der EU-Vertretung in Russland Markus Ederer einige Tage später dem Generalstaatsanwalt der RF I. Krasnov in einem außerordentlichen Appell zukommen. Dessen Vertreter Grin erklärt in seiner Antwort, alle Maßnahmen der Gerichtsorgane gegenüber Dmitriev seien gerechtfertigt.
Jurij Dmitriev wird von der schwedischen Anna-Dahlbäck-Stiftung für Zivilcourage im Kampf für die Menschenrechte ausgezeichnet.
In der Haftanstalt von Petrosavodsk, in der sich Jurij Dmitriev befindet, werden zwei Covid-19-Erkrankungen diagnostiziert.
Offener Brief von russischen Wissenschaftlern, Lehrern und Kulturschaffenden mit dem Appell, die Untersuchungshaft für Dmitriev wegen der Pandemie aufzuheben.
Das Oberste Gericht Kareliens lehnt die Berufungsklage von Anwalt Anufriev gegen die Verlängerung der Untersuchungshaft für Dmitriev ab. Die Entscheidung des Stadtgerichts Petrosavodsk bleibt in Kraft.
Großbritannien äußert sich beim Ständigen Rat der OSZE zum Fall Dmitriev. Es ruft Russland auf, die internationalen Menschenrechtsabkommen und die Prinzipien des Rechtsstaats zu beachten.
Die EU stellt Erklärungen zum Fall Dmitriev auf dem Ständigen Rat der OSZE und auf der Sitzung des Ministerkomitees beim Europarat in Strasbourg vor.
Offener Brief von über 400 Wissenschaftlern aus Ländern der EU und den USA zur Verteidigung von Jurij Dmitriev, mit der Forderung nach Freiheit der Wissenschaft und einer Garantie gegen Verfolgungen seiner Person und von Wissenschaftlern und Organisationen, die die Geschichte des GULAG erforschen und sich mit dem Gedenken an die Opfer des Stalinschen Systems befassen.
Öffentlicher Appell der internationalen Literaturpreisträger Herta Müller, Svetlana Alexievich und Jonathan Littell an die Menschenrechtskommissarin des Europarats Dunja Mijatović mit der Bitte, sich für Jurij Dmitriev einzusetzen.
Wiederaufnahme der Gerichtsverhandlungen im Stadtgericht von Petrosavodsk. Die Untersuchungshaft wird bis zum 25. Juli 2020 verlängert.
Am 6. und 7. Juli Abschluss der Beweisaufnahme. Plädoyers. Die Anklagevertretung fordert für Dmitriev 15 Jahre Haft strengen Regimes. Die Verteidigung plädiert für Freispruch von den Anklagen der Pornographie, unsittlicher Handlungen, gewaltsamer sexueller Handlungen. Sie räumt allein die unbedachte Aufbewahrung von Teilen einer Schusswaffe ein.
Schlusswort Jurij Dmitrievs
Urteilsverkündung im Stadtgericht von Petrosavodsk
Jurij Dmitriev wird in folgenden Anklagepunkten für unschuldig erklärt (mit dem Recht auf Rehabilitierung):
Schuldig befunden wurde Dmitriev nach Art. 132 (b) StGB RF (gewaltsame sexuelle Handlungen an einer Person unter 14 Jahren). Obwohl die nach diesem Artikel vorgesehene Mindeststrafe zwölf Jahre Haft in strengem Vollzug beträgt, verurteilte das Gericht ihn zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren und stützte sich dabei auf Art. 64 StGB („Verurteilung zu einer geringeren Strafe als vorgesehen, sofern außerordentliche Umstände vorliegen, die mit den Zielen und Motiven des Verbrechens, der Rolle des Schuldigen, seinem Verhalten während und nach dem Verbrechen und anderen Umständen zusammenhängen, die die öffentliche Gefahr durch das Verbrechen mindern (…)“).
Da die Untersuchungshaft angerechnet wird, verbleiben nach diesem Urteil etwas weniger als vier Monate Haft.
Die Staatsanwaltschaft legt Berufung beim Stadtgericht Petrosavodsk ein. Sie fordert die Aufhebung der Freisprüche nach den o. g. Artikeln und eine erneute Verhandlung sowie eine härtere Bestrafung (13 Jahre strengen Vollzugs) nach Artikel 132 b Abschn. 4.
Am selben Tag legt auch Jurij Dmitriev Revision ein, er fordert einen Freispruch in allen Punkten.
Der Vertreter der Nebenklägerin (Valentina Frolenkova – die Großmutter der Pflegetochter) legt ebenfalls Berufung ein, sie unterstützt den Antrag der Staatsanwaltschaft.
Viktor Anufriev, Jurij Dmitrievs, reicht die Berufungsklage mit der Forderung nach einem vollständigen Freispruch in allen Anklagepunkten und einer Rehabilitierung ein.
Gerichtsverhandlung vor dem Obersten Gericht Kareliens; die Verhandlung wird auf Antrag der Verteidigung vertagt, aber als neuen Termin bereits den 22. September festgelegt (Dmitrievs Anwalt hatte einen späteren Termin beantragt, um bei der Verhandlung anwesend sein zu können).
Die Verhandlung findet in Abwesenheit von Dmitrievs Anwalt Anufriev statt. Dmitriev wird ein Pflichtverteidiger zugewiesen, der nur drei Tage Zeit hat, um sich in das Verfahren einzuarbeiten. Dmitriev lehnt diesen Verteidiger ab. Er selbst wird der Verhandlung zugeschaltet, der er aus technischen Gründen - wegen der schlechten Qualität der Verbindung - nur sehr eingeschränkt folgen kann, was vom Gericht nicht berücksichtigt wird.
Das Gericht gibt ein erneutes Gutachten über die Dmitriev zur Last gelegten Fotos in Auftrag.
Letzter Verhandlungstag vor dem Obersten Karelischen Gericht. Dmitriev wird nach wie vor von seinem Pflichtverteidiger vertreten, zu dem er keinerlei Kontakt hatte. Das Gericht folgt dem Antrag der Staatsanwaltschaft und verurteilt Dmitriev zu 13 Jahren Haft in strengem Vollzug (unter Anrechnung der Untersuchungshaft). Die Anklagepunkte, in denen er freigesprochen worden war, werden zur Neuverhandlung ans Stadtgericht von Petrosavodsk in anderer Zusammensetzung zurück verwiesen.
Das Urteil kann beim Dritten Kassationsgericht in St. Petersburg angefochten werden.
Dmitriev reicht eine Kassationsklage gegen das Urteil ein, die vom Stadtgericht Petrosavodsk nichct angenommen wird.
Dmitriev reicht erneut eine Kassationsklage ein. Das Stadtgericht Petrozavdosk weist sie wiederum zurück.
Erste Revisionsverhandlung beim Stadtgericht Petrosavodsk. Es geht um die Punkte der Anklage, die das Oberste Gericht Kareliens an dieses Gericht zurückverwiesen hat und in denen Dmitriev für unschuldig erklärt wurde – also die Anfertigung von Kinderpornographie, sexuelle Handlungen gegenüber seiner minderjährigen Pflegetochter und Waffenbesitz.
Gerichtsverhandlung beim Stadtgericht Petrosavodsk.
Dmitriev reicht eine weitere Kassationsklage ein, die das Gericht am Tag darauf schließlich akzeptiert.
Der nächste Verhandlungstermin beim Stadtgericht Petrosavodsk, für den 17. Dezember anberaumt, wird auf den 24. Dezember verlegt. Das Stadtgericht hat inzwischen die Kassationsklage Dmitrievs gegen das Urteil vom 29. September nach mehrfacher Zurückweisung inzwischen angenommen. Die Kassationsklage muss nun an die höhere Instanz – das Dritte Kassationsgericht allgemeiner Jurisdiktion (St. Petersburg) - weitergeleitet werden.
Verhandlung mit Irritationen: Dmitrievs Anwalt Anufriev erhält zum vorgesehenen Termin (10.30) vor Gericht die Auskunft, die Verhandlung sei abgesetzt, mehrere Stunden später erhält er einen Anruf mit der Anfrage, ob er denn nicht zur nun (14.30) beginnenden Verhandlung erscheinen wolle. Die Behandlung des Falls wird vom Gericht unter Hinweis auf die anstehende Entscheidung des Kassationsgerichts vertagt.
Jurij Dmitriev reicht eine Kassationsklage in den übrigen Anklagepunkten ein, die zur Verhandlung ans Stadtgericht Petrosavodsk zurückverwiesen worden waren.
Dmitrievs Anwalt Viktor Anufriev reicht eine Kassationsklage gegen alle Teile des Urteils beim Kassationsgericht ein.
Das Dritte Kassationsgericht allgemeiner Jurisdiktion in St. Petersburg weist die Kassationsklagen ab und bestätigt das Urteil des Obersten Gerichts Kareliens vom 29. September 2020.
Das Menschenrechtszentrum Memorial reicht beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klage gegen das Verfahren und die Verurteilung Jurij Dmitrievs ein.
In Petrosavodsk wird das Verfahren in den Anklagepunkten, die dorthin zurückverwiesen worden waren, wieder aufgenommen.
Lew Kopelew Preis in Köln an Jurij Dmitriev verliehen.
Norwegisches Helsinki-Komitee erkennt Dmitriev Sacharov-Preis zu.
Dmitrievs Klage gegen die Entscheidung des Kassationsgerichts geht beim Obersten Gericht der Russischen Föderation ein.
Übergabe der Urkunde des Lew Kopelew Preises an Dmitrievs Kusine in Köln.
Das Oberste Gericht der RF fordert Unterlagen zum Prozess Dmitriev für das Revisionsverfahren an.
Fortsetzung des Verfahrens in Petrosavodsk; wegen Erkrankung des Anwalts wird die Verhandlung auf den 30. September verschoben.
Verfahren in Petrosavodsk wird abermals vertagt.
Ein Richter des Obersten Gerichts lehnt eine weitere Behandlung des Prozesses gegen Dmitriev ab.
Verleihung des Sacharov-Preises an Jurij Dmitriev durch das Norwegische Helsinki-Komitee (die Zeremonie wurde pandemiebedingt verschoben).
Weitere Vertagung des Verfahrens in Petrosavodsk; wegen Erkrankung von Dmitrievs Anwalt wird ein weiterer - Roman Masaljov - von Dmitriev mit der Verteidigung betraut.
Plädoyer des Staatsanwalts: Statt 13 werden jetzt 15 Jahre Haft für Dmitriev beantragt.
Das Präsidium des Obersten Gerichts der RF lehnt eine weitere Behandlung des Verfahrens gegen Dmitriev ebenfalls ab.
Urteil des Stadtgerichts von Petrosavodsk: Das Gericht folgt dem Antrag der Staatsanwaltschaft und verurteilt Dmitriev zu 15 Jahren Haft im strengen Vollzug mit nachfolgender Aufenthaltsbeschränkung von anderthalb Jahren. Angefochten werden kann nur die Erhöhung der Haftstrafe um zwei Jahre, und zwar innerhalb von zehn Tagen.