Brutaler Überfall in Groznyj – die Verantwortung liegt nicht nur bei Kadyrov, sondern auch bei Putin

Erklärung des Zentrums zum Schutz der Menschenrechte Memorial zum Überfall auf Jelena Milaschina und Alexander Nemov

Am frühen Morgen des 4. Juli 2023 haben Bewaffnete die Journalistin Jelena Milaschina und den Anwalt Alexander Nemov überfallen. Beide trugen erhebliche Verletzungen davon.

Um 4.35 kamen Milaschina und Nemov aus Moskau im Flughafen von Groznyj an. Sie waren auf dem Weg zum Prozess gegen Sarema Musaeva. Heute sollte das Urteil verkündet werden. Nemov ist der Anwalt von Sarema Musaeva, und Jelena Milaschina sollte über den Prozess berichten.

Auf dem Weg vom Flughafen blockierten mehrere Fahrzeuge ihr Taxi. Bewaffnete in Masken zerrten die Journalistin und den Anwalt aus dem Auto, malträtierten sie mit Fußtritten und schlugen mit Schlagstöcken auf sie ein, nahmen Telefone, technische Ausrüstung, Dokumente und Geld weg. Sie setzten Milaschina eine Pistole an den Kopf und drohten sie zu erschießen.

Milaschina hat ein geschlossenes Schädel-Hirn-Trauma. Man rasierte ihr den Kopf und übergoss sie mit Brillant-Grün (in Russland zur Desinfizierung verwendet, schwer zu entfernen, Red.). Alexander Nemov wurde mit einem Messer verletzt. Die Täter erklärten offen ihr Motiv: „Man hat euch gewarnt – schreibt nichts! Fahrt weg von hier!“

Im Krankenhaus, in das beide vom Taxifahrer gebracht wurden, setzte sich Nemov mit Kollegen in Verbindung. Lena Milaschina verlor immer wieder das Bewusstsein. Erst nach der Intervention der Menschenrechtsbeauftragten für Russland Tatjana Moskalkova ermöglichten die tschetschenischen Behörden einen Transport beider zur medizinischen Behandlung nach Nord-Ossetien. Von dort sollen sie nach Moskau gebracht werden.

Zugleich wurde Sarema Musaeva zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt, so wie es die Anklage gefordert hatte. Angriffe auf Journalisten und Menschenrechtler sind in Tschetschenien kein Novum. Verprügelungen, Morde, Pogrome, Brandstiftung, Verhaftungen und konstruierte Verfahren hat es immer wieder gegeben. Aber diese Verbrechen darf man nicht den „rohen lokalen Sitten“ zuschreiben.

Als Ramsan Kadyrov 2019 erneut Journalisten und Menschenrechtlern öffentlich gedroht hatte, wandten sich Mitarbeiter von Memorial an das Ermittlungskomitee der RF mit der Forderung, das zu überprüfen und ein Strafverfahren einzuleiten. Wie nicht anders zu erwarten wurde das abgelehnt. Wir wandten uns ans Gericht. Das Gerichtssystem sah, was ebenfalls zu erwarten war, in Kadyrovs Drohungen nichts Verwerfliches, ja nicht einmal etwas, das untersucht werden müsste. Diese Entscheidung erfolgte im Sommer 2021.

Damals wurde auf Bundesebene die komplette Straflosigkeit der tschetschenischen Behörden für alles, was sich dort abspielt, bestätigt – sowohl innerhalb von Tschetschenien als auch außerhalb.

Es besteht kein Zweifel, dass der Angriff auf Jelena Milaschina und Alexander Nemov im Auftrag der Regierung ausgeführt wurde, um ihre Anwesenheit beim Prozess gegen Sarema Musaeva zu verhindern und um Journalisten, Anwälte und Menschenrechtler abzuschrecken. Ebenso steht außer Zweifel, dass die Behörden in Moskau und Groznyj einheitlich vorgehen. Erstere erklärten in der letzten Woche die „Novaja gazeta - Evropa“ für „unerwünscht“, letztere bereiteten den Überfall auf die Journalistin vor. Erstere verabschieden immer weitere repressive Gesetze, letztere organisieren eine Attacke auf einen Anwalt. Das gehört alles zusammen.

4. Juli 2023

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