In einem offenen Brief an Präsident Medwedew berichtet MEMORIAL von zahlreichen Funden menschlicher Überreste, die bei Ausgrabungen an den Mauern der St. Petersburger Peter-Paul-Festung entdeckt wurden, und plädiert für eine Fortsetzung der archäologischen Untersuchungen.
In einem offenen Brief an Präsident Medwedew berichtet MEMORIAL von zahlreichen Funden menschlicher Überreste, die bei Ausgrabungen an den Mauern der St. Petersburger Peter-Paul-Festung entdeckt wurden, und plädiert für eine Fortsetzung der archäologischen Untersuchungen:
Bereits in den 60er Jahren seien hier immer wieder menschliche Überreste mit Spuren von Schusswunden gefunden worden. Von Anfang an habe der Verdacht bestanden, dass es sich bei diesen offiziell totgeschwiegenen Funden um Opfer des „Roten Terrors“ handele; Ende 2009 habe man daraufhin erstmals archäologische Untersuchungen eingeleitet. In vielen Fällen ließen sich anhand der gefundenen persönlichen Gegenstände Rückschlüsse auf Zeit und Umstände der Hinrichtung, vereinzelt sogar auf die Person der Hingerichteten ziehen. So habe man in diesem Sommer die Überreste von 17 Personen mit Uniformen von Offiziersschülern entdeckt. Sie seien offensichtlich an dem ersten Aufstand gegen den bolschewistischen Umsturz (vom 29. Oktober/11. November 1917) beteiligt gewesen und an den Mauern der Peter-Pauls Festung erschossen worden. Die geheime Grabstätte gewinne so historische Bedeutung für die russische und die Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts: „Dort ruhen die Überreste jener Personen, die als erste die russische Freiheit verteidigten und auch als erste dem kommunistischen Terror zum Opfer fielen.“ Erlebnisberichte (inzwischen von archäologischen Funden bestätigt) belegten, dass diese Personen nicht die einzigen waren, die an den Festungsmauern hingerichtet wurden. Offensichtlich habe die Gegend um die Festung in den Bürgerkriegsjahren als Hinrichtungsstätte der Petrograder Tscheka gedient.
Die zahlreichen und wertvollen Funde erfordern MEMORIAL zufolge weitere umfangreiche Forschungen und archäologische Untersuchungen. Die vom historischen Museum von St. Petersburg zur Verfügung gestellten Mittel gingen jedoch zu Ende, und von den Behörden (städtischen wie Bundesbehörden) komme keinerlei logistische, rechtliche oder finanzielle Unterstützung. Ende September habe der Museumsdirektor erklärt, es werde keine weiteren Ausgrabungen geben, und seinen Angestellten jede weitere Arbeit im Zusammenhang mit den Erschießungen untersagt.
MEMORIAL appelliert an den Präsidenten,
· die Untersuchungen zu legitimieren und ihnen einen Status zu geben, der ihrer Bedeutung entspricht,
· die Unversehrtheit der Funde der letzten Jahre (2007-2010) zu garantieren,
· die Durchführung einer gerichtsmedizinischen Untersuchungen der in den Grabstätten gefundenen menschlichen Überreste und Gegenstände offiziell zu veranlassen,
· für die Finanzierung weiterer Labor- und Feldarbeiten zu sorgen und auch die an die bisher entdeckten Grabstätten angrenzenden Territorien untersuchen zu lassen,
· Archivarbeiten durchzuführen, um die Geschichte dieser Stätten zu dokumentieren,
· im Zusammenhang mit den entdeckten Grabstätten zu überlegen, wie ein angemessenes Gedenken, angesichts der Bedeutung dieser Stätte und der damit verbundenen Ereignisse zu gestalten wäre.
Um dies zu gewährleisten, solle umgehend eine Sonderkommission zur Erforschung der geheimen Nekropole eingesetzt werden, aufgrund der nationalen Bedeutung dieser Entdeckungen vom Präsidenten selbst.
Die Erklärung erinnert abschließend daran, dass der Präsident im letzten Jahr in seiner Interneterklärung zum Gedenktag an die Verfolgungsopfer den wichtigen Gedanken geäußert habe, dass
"die Erinnerung an den Staatsterror der sowjetischen Epoche für das nationale Selbstbewusstsein von entscheidender Bedeutung sei. Die Funde an den Mauern der Peter-Paul-Festung geben Ihnen persönlich die Möglichkeit, einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung dieses Gedächtnisses zu leisten. Diese Möglichkeit darf nicht ungenutzt bleiben".
Den vollen Wortlaut des Schreibens finden Sie in russischer Sprache unter http://www.hro.org/node/9394