Moskauer Abgeordneter Aleksej Gorinov erneut verurteilt - sein Schlusswort vor Gericht

Am 29. November wurde der Moskauer Abgeordnete Aleksej Gorinov, der bereits eine siebenjährige Haftstrafe wegen "Fakes über die Armee" verbüßt, zu einer weiteren Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Diesmal lautete die Anklage auf „Rechtfertigung des Terrorismus“ (basierend auf angeblichen Äußerungen zwei Mithäftlingen gegenüber, die als Spitzel auf ihn angesetzt waren und die gewünschten Denunziationen verfassten).

Die Haftstrafen werden zusammengezogen, so dass er jetzt insgesamt noch acht Jahre zu verbüßen hat. Angesichts seines Gesundheitszustands ist das ein lebensbedrohliches Urteil.

Nachstehend dokumentieren wir das Schlusswort, das Aleksej Gorinov vor Gericht vortrug.

„Mein ganzes Leben lang war ich ein Gegner von Aggression, Gewalt und Krieg. Ich habe mein Leben ausschließlich friedlichen Aufgaben gewidmet: der Wissenschaft, der Lehre, der Bildung, dem Management sowie öffentlichen Tätigkeiten als Abgeordneter, Menschenrechtsaktivist, Mitglied von Wahlkommissionen und Wahlbeobachter. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ich einen solchen Verfall des politischen Systems meines Landes und seiner Außenpolitik miterleben würde. Schon gar nicht eine Situation, in der einfache Bürger, die sich zu Tausenden für den Frieden und gegen den Krieg aussprechen, der Verleumdung der Streitkräfte sowie der Rechtfertigung des Terrorismus bezichtigt und dafür verurteilt werden.

Das dritte Kriegsjahr neigt sich dem Ende zu – das dritte Jahr beispielloser Verluste und Zerstörungen auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg, das dritte Jahr voller Entbehrungen und unermesslichen Leids für Millionen von Menschen. Darüber darf man nicht schweigen.

Ende April gab unser ehemaliger Verteidigungsminister die Verluste der ukrainischen Seite im bewaffneten Konflikt bekannt – 500.000 Menschen. Denken Sie nur an diese Zahl! Und welche Verluste hat dann Russland erlitten, das laut offiziellen Angaben unaufhörlich und erfolgreich an der gesamten Front vorrückt? Bis heute wissen wir es nicht. Wer wird die Verantwortung dafür übernehmen? Und vor allem: Wozu dient das alles?

Unsere Regierung und diejenigen, die sie in ihren militaristischen Bestrebungen unterstützen, wollten diesen Krieg unbedingt – und nun ist er bereits in unser Land gekommen. Ich möchte Sie fragen: Ist unser Leben dadurch besser geworden? Ist das Ihre Vorstellung von Wohlergehen und Sicherheit für unser Land und seine Bevölkerung? Oder haben Sie eine solche Entwicklung in Ihren Kalkulationen nicht berücksichtigt?
Dennoch werden bisher nicht diejenigen zur Verantwortung gezogen, die den Krieg begonnen haben, die fortfahren zu töten, die Kriegspropaganda betreiben und Söldner anwerben, sondern wir – die einfachen Bürger Russlands, die ihre Stimme gegen den Krieg und für den Frieden erheben. Dies bedeutet, dass wir mit unserer Freiheit und in manchen Fällen sogar mit unserem Leben bezahlen müssen.

Ich gehöre zu der aussterbenden Generation von Menschen, deren Eltern entweder am Zweiten Weltkrieg teilgenommen oder ihn mit all seinen Strapazen überlebt haben. Diese bereits von uns gegangene Generation hat uns aufgetragen, den Frieden mit aller Kraft zu bewahren – als das Wertvollste auf Erden für all ihre Bewohner. Doch wir haben dieses Vermächtnis missachtet. Unser Gedenken an diese Menschen und an die Opfer jenes Krieges verlor damit seinen Wert.

Meine Schuld besteht darin, dass ich als Bürger meines Landes diesen Krieg zugelassen habe und ihn nicht verhindern konnte. Ich bitte Sie, dies im Urteil zu vermerken.

Doch ich wünsche mir, dass meine Schuld und Verantwortung von den Organisatoren, Teilnehmern und Anhängern des Krieges geteilt werden - sowie auch von denen, die die Personen verfolgen, die für den Frieden eintreten.

Ich lebe weiterhin in der Hoffnung, dass dies eines Tages geschehen wird. Bis dahin bitte ich die Bewohner der Ukraine und meine Mitbürger, die unter dem Krieg gelitten haben, um Verzeihung.

In dem Verfahren, in dem ich angeklagt und vor Gericht gestellt wurde, weil ich die Meinung geäußert hatte, dass der Krieg beendet werden muss, habe ich meine Haltung zu diesem abscheulichen menschlichen Unterfangen ausführlich dargelegt. Ich kann nur sagen, dass Gewalt und Aggression nichts anderes als Gegengewalt provozieren. Das ist die eigentliche Ursache für unser Unglück, unser Leid, unsere sinnlosen Opfer, die Zerstörung der zivilen und industriellen Infrastruktur und unserer Häuser.

Beenden wir dieses blutige Massaker, das niemand braucht – weder wir noch die Menschen in der Ukraine. Ist es nicht an der Zeit, unsere Nachbarn in Ruhe zu lassen und uns um unsere inneren Probleme zu kümmern, die exponentiell zunehmen? Wir haben der ganzen Welt längst gezeigt, wie mutig, beharrlich und friedlich wir sind. Vielleicht ist das genug?

L. N. Tolstoj – aus einem Brief an seinen Sohn (1904):

‚Für mich sind der Wahnsinn und die Kriminalität des Krieges so offensichtlich, dass ich in ihm außer diesem Wahnsinn und dieser Kriminalität nichts anderes erkennen kann.‘

Auch ich schließe mich diesen Worten unseres großartigen Landsmanns an und unterschreibe sie.

Schließen Sie sich ihnen bitte auch an!“

 

Übersetzung: OVD-Info, Memorial Deutschland

Zurück

Suche