Jurij Dmitriev hat als Historiker mehrere große Grabstätten aus der Zeit des Stalinschen Terrors ausfindig gemacht und mit immenser Arbeit das Schicksal der Menschen erforscht, die dort verscharrt wurden. Dmitriev hat etliche Jahre darauf verwendet, Gedenkbücher zusammenzustellen, in denen die Namen der Opfer politischer Repressionen aufgeführt sind.
Den heute bekanntesten dieser Orte, Sandarmoch, entdeckte Dmitriev 1997. Seinem Einsatz ist es zu verdanken, dass dort eine Gedenkstätte entstanden ist. Dokumente belegen, dass die Geheimpolizei NKWD 1937-38 hier über 6.000 Menschen erschossen hat. Dank Dmitriev sind die Namen und Schicksale dieser Menschen heute bekannt.
2016 kam in Karelien die Behauptung auf, in Sandarmoch seien nicht Opfer des sowjetischen Terrors begraben, sondern Rotarmisten, die von Finnen erschossen wurden. Dafür gibt es keinerlei Belege. Im Dezember 2016 wurde Jurij Dmitriev verhaftet und der Anfertigung kinderpornographischen Materials sowie des illegalen Waffenbesitzes bezichtigt. Diese Anschuldigungen hatten nicht nur schwere Folgen für ihn selbst, sondern auch für seine Pflegetochter, die aus ihrem familiären Umfeld herausgerissen und einer extremen psychischen Belastung aussetzt wurde. Im Laufe des Prozesses gegen Dmitriev erwiesen sich die Anschuldigungen als haltlos, im April 2018 wurde er freigesprochen.
Doch bereits im Juni 2018 wurde Dmitriev erneut verhaftet, nun wurden ihm noch schwerere Verbrechen vorgeworfen. Zwei Monate danach begannen in Sandarmoch Ausgrabungen, bei denen nach den sterblichen Überresten von Rotarmisten gesucht werden sollte. Im folgenden Jahr wurden diese Arbeiten fortgesetzt. Gleichzeitig läuft das Verfahren gegen Jurij Dmitriev. Da der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, gibt es keine Möglichkeit zu beurteilen, ob es sich um ein faires Verfahren handelt. Allerdings gibt bereits die Tatsache Anlass zur Sorge, dass nach zweijährigen Ermittlungen und Gerichtsverhandlungen unmittelbar nach dem Freispruch plötzlich neue Beschuldigungen auftauchten.
Die zugänglichen Informationen über die Anklage und den Prozess haben uns zu der Überzeugung gelangen lassen, dass Dmitriev unschuldig ist und er wegen seiner Arbeit als Historiker verfolgt wird.
Jurij Dmitriev ist 64 Jahre alt. Sein Gesundheitszustand hat sich in den drei Jahren, die er bereits in Untersuchungshaft sitzt, erheblich verschlechtert. Sollte er verurteilt werden, drohen ihm bis zu 20 Jahre Haft. Damit wäre nicht nur seine Arbeit für immer beendet. Es wäre ein Todesurteil.
Das Schicksal seiner Pflegetochter gibt ebenfalls Anlass zu großer Sorge. Sie hat ein zweites Mal ihre Familie verloren und musste erleben, wie ein ihr nahestehender Mensch öffentlich erniedrigt und diffamiert wurde. Sollte Jurij Dmitriev verurteilt werden, wird sie unwiderruflich ihr gesamtes Leben darunter leiden.
Wir hoffen, dass Sie unsere Sorgen und Befürchtungen zur Kenntnis nehmen und alles in Ihrer Macht stehende tun werden, um der gezielten Verfolgung des Historikers ein Ende zu setzen und eine gerechte Entscheidung des Gerichts sicherzustellen.
- Aglaé Achechova, Abteilungsleiterin für russische Literatur in der Universitätsbibliothek für Sprachen und Zivilisationen (BULAC), Paris. Frankreich
- Galia Ackerman, Schriftstellerin, Historikerin. Frankreich
- Svetlana Aleksievitsch, Schriftstellerin, Nobelpreisträgerin für Literatur (2015), Belarus
- Petras Austrevicius, Politiker, Abgeordneter des Europäischen Parlaments. Litauen
- Gilles Authier, Philologe, Forschungsdirektor für Sprache und Literatur des Kaukasus an der Hochschule für praktische Studien (Paris). Frankreich
- Nicole Bacharan, Historiker, Politologe. Frankreich
- Anton Batagov, Komponist, Musiker, Russland
- Marieluise Beck, Politikerin, Mitglied der Partei „Bündnis 90/Die Grünen“, Mitgründerin des „Zentrums Liberale Moderne“. Deutschland
- Bérénice Bejo, Schauspielerin, César-Preisträgerin 2012, Oskar-Nominierung. Frankreich
- Prof. Dr. Dietrich Beyrau, Prof. emer., Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde Universität Tübingen, Deutschland
- Petr Blažek, Historiker, Institut für die Erforschung totalitärer Regime. Tschechien
- Reinhard Bütikofer, Abgeordneter des Europäischen Parlaments. Deutschland
- Štěpán Černoušek, Gründer von „Gulag.cz“. Tschechien
- Nikolaj Chalezin, Regisseur, Dramaturg, Direktor des Belarussischen Freien Theaters. Belarus
- Yves Cohen, Historiker, Direktor des Zentrums für historische Forschungen an der Hochschule für Sozialwissenschaften (EHESS, Paris). Frankreich
- Daniel Marc Cohn-Bendit, Politiker, einer der Wortführer der 1968er Proteste in Frankreich, Mitgründer der „Grünen“ im Europäischen Parlament. Frankreich, Deutschland
- Viola von Cramon-Taubadel, Mitglied der Partei „Bündnis 90/Die Grünen“, Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Deutschland
- François Croquette, französischer Botschafter für Menschenrechte. Frankreich
- György Dalos, Schriftsteller, Historiker. Deutschland
- Luboš Dobrovský, erster tschechoslowakischer ziviler Verteidigungsminister nach 1989, Leiter der Präsidialverwaltung Václav Havels und ehemaliger Botschafter der Tschechischen Republik in der Russischen Föderation. Tschechien
- Michel Eltchaninoff, Philosoph, Chefredakteur der Zeitschrift “Philosophie magazine”. Frankreich
- Rev. Father John Erikson, Professor emer. für Kirchengeschichte und ehem. Dekan des Theologischen Hl. Vladimir-Seminars, Chrestwood, New York. USA
- Philippe Frison, Übersetzer. Frankreich
- Ralf Fücks, Politiker, seit 1982 Mitglied in der Partei „Die Grünen“, ehem. Bürgermeister von Bremen, Zentrum Liberale Moderne. Deutschland
- Prof. Dr. Caroline von Gall, Institut für osteuropäisches Recht und Rechtsvergleichung der Universität Köln. Deutschland
- Tomáš Glanc, Philologe, Professor für Slavistik an der Universität Zürich. Tschechien
- Romain Goupil, Schauspieler, Regisseur, Drehbuchautor. Frankreich
- Raphaël Glucksmann, Schriftsteller, Journalist, Regisseur, Dokumentarfilmer. Preisträger des Europäischen Parlaments. Frankreich
- Prof. Dr. Rainer Goldt, Professor, Institut für Slavistik, Mainz. Deutschland
- Heidi Hautala, Abgeordnete und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Vorsitzende der Arbeitsgruppe des EP für Responsible Business Conduct (verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln). Finnland
- Michel Hazanavicius, Regisseur, Oskar-Preisträger 2012, Schauspieler, Regisseur. Frankreich
- Prof. Dr. Heiko Haumann, Prof. emer. für Osteuropäische und Neuere Allgemeine Geschichte, Universität Basel. Schweiz
- Agnieszka Holland, Regisseurin, Schauspielerin. Polen
- Anne Le Huérou, Soziologin, Russland-Expertin, Dozentin an der Universität Paris-Nanterre. Frankreich
- Rasa Juknevičienė, Politikerin, seit 1996 Mitglied des Seimas der Litauischen Republik, litauische Verteidigungsministerin, Abgeordneter des Europäischen Parlaments. Litauen
- Dr. Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Deutschland
- Prof. Dr. Andreas Kappeler, emer. Universitätsprofessor der Universität Wien. Österreich
- Lucie Kempf, Politologin, Russland-Expertin, Forscherin u. Dozentin, Universität Nancy. Frankreich
- Tomasz Kizny, Photograph, Journalist, Forscher. Polen
- Freya Klier, Schriftstellerin, Dokumentarfilmerin. Deutschland
- Gerd Koenen, Historiker, Schriftsteller, Spezialist für die Geschichte des Kommunismus und deutsch-russische Beziehungen. Deutschland
- Petr Kolář, Diplomat, ehemaliger Berater Václav Havels und Botschafter der Tschechischen Republik in der Russischen Föderation. Tschechien
- Natalja Koljada, künstlerische Leiterin des Belarussischen Freien Theaters. Belarus
- Maja Komorowska, Schauspielerin. Polen
- Bernard Kouchner, Arzt, Diplomat, 2007-2010 französischer Außenminister, Mitgründer von „Ärzte ohne Grenzen“. Frankreich
- Andrius Kubilius, Politiker, 1999-2000 und 2008-2012 litauischer Premierminister, Abgeordneter des Europäischen Parlaments. Litauen
- Bruno Laplane, Richter, Vorsitzender des Obersten Gerichts von Dijon. Frankreich
- Magdalena Lazarkiewicz, Filmregisseurin. Polen
- Bernard-Henri Lévy, Philosoph, Schriftsteller, Dramaturg, Regisseur. Frankreich
- Jonathan Littell, Schriftsteller, ausgezeichnet mit dem Prix-Goncourt (2006). USA, Frankreich
- Pavel Litvinov, Physiker, Aktivist der Menschenrechtsbewegung in der UdSSR, politischer Emigrant. USA
- Prof. Dr. Otto Luchterhandt, Rechtswissenschaftler, Professor emer. für Öffentliches Recht und Ostrecht an der Universität Hamburg. Deutschland
- Jan Machonin, Philologe, Tschechien
- Alena Machoninová, Philologin. Tschechien
- Martin Malek, Politologe, Wien. Österreich
- Aušra Maldeikienė, Politikerin, Ökonomin, Lehrerin, Schriftstellerin, Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Litauen
- André Markowicz, Übersetzer. Frankreich
- Rachel Mazuy, Historiker, Zeithistoriker, Centre national de la recherche sientifique (CNRS). Frankreich
- Liudas Mazylis, Politiker, Abgeordneter des Europäischen Parlaments. Litauen
- Pascal Mélani, Universität Bordeaux-Montaigne. Frankreich
- Aude Merlin, Dozentin für politische Wissenschaften, Russland-Expertin, ULB
- Adam Michnik, Politiker, Journalist, Chefredakteur der „Gazeta Wyborcza“, Polen
- Herta Müller, Schriftstellerin, Nobelpreisträgerin für Literatur 2009. Deutschland
- Norman M. Naimark, Historiker, Spezialist für Osteuropäische Geschichte, Genozid-Forscher, Professor der Universität Stanford, USA
- Dr. Maria Nooke, Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur. Deutschland
- Daniel Olbrychski, Schauspieler, Schriftsteller. Polen
- Bernard Outtier, Forschungsleiter im Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschungen (Centre national de la recherche sientifique, CNRS). Frankreich
- Michel Parfenov, Schriftsteller, Übersetzer, Herausgeber. Frankreich
- Josef Pazderka, Journalist, Chefredakteur von „Aktualne.cz“. Tschechien
- Marie Pierre Rey, Historikerin, Spezialist für russische und sowjetische Geschichte, Universität Paris-1 Panthéon-Sorbonne (Paris). Frankreich
- Thomas Piketty, Ökonom, Professor an der Hochschule für Sozialwissenschaften (EHESS) und der Hochschule für Ökonomie in Paris. Frankreich
- Petr Pithart, Politiker, ehem. Premierminister und Präsident des Senats in Tschechien, Dissident, Unterzeichner der Charta 77. Tschechien
- Petr Placák, Schriftsteller, Historiker. Tschechien
- Gerd Poppe, ehem. Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung. Deutschland
- Martin Putna, Philologe, Professor an der Karls-Universität, ehemaliger Direktor der Václav-Havel-Bibliothek. Tschechien
- Marina Razbezhkina, Filmregisseurin, Produzentin, Mitglied der Europäischen Filmakademie, Russland
- Stefan Rohdewald, Professor, Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität, Gießen. Deutschland
- Anna Šabatová, Politikerin, ehemaliger Sprecherin der Charta 77. Tschechien
- Prof. Dr. Martin Sabrow, Historiker, Politologe, Direktor des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Deutschland
- Silvia Serrano, Russland-Expertin, Professorin an der Sorbonne. Frankreich
- Isabel Santos, Politikerin, Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Portugal
- Karl Schlögel, Professor emeritus, Osteuropäische Geschichte, Berlin
- Susanne Scholl, Schriftstellerin, langjährige Russlandkennerin. Österreich
- Dr. Anna Schor-Tschudnowskaja, Assistenzprofessorin, Sigmund-Freud-Universität Wien. Österreich
- Jiřina Šiklová, Soziologin, Teilnehmerin an der Untergrund-Sektion der Charta 77. Tschechien
- Dominique Simonnet, Schriftsteller, Journalist. Frankreich
- Prof. Dr. Susanne Schattenberg, Direktorin der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen
- Karel Schwarzenberg, Politiker, ehem. Außenminister. Tschechien
- Nicolas Tenzer, Politologe, Schriftsteller, Gründer und Präsident des Zentrums für politische Aktion (Centre d’étude et de réflexion pour l’action politique, CERAP). Frankreich
- Laure Thibonnier, Forscherin und Dozentin in der Sektion für slavistische und germanistische Studien im Institut für Sprachen und Kulturen Europas, Amerikas, Asiens und Australiens (Section d\'études slaves et germaniques, Fakultät für Fremdsprachen), Grenoble. Frankreich
- Olga Tokarczuk, Schriftstellerin, Booker Prize 2018, Nobelpreisträgerin für Literatur (2018). Polen
- Nikoloz Tokhwadze, Berlin. Deutschland
- Jáchym Topol, Schriftsteller, Programmatischer Leiter der Václav-Havel-Bibliothek in Prag. Tschechien
- Prof. Dr. Stefan Troebst, Professor am Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO), Leipzig, Deutschland
- Boris Tschernyj, Professor an der Universität Cannes. Frankreich
- Petr Uhl, Journalist, 1989 Mitglied des (1989 kurzzeitig bestehenden) Prager Zweigs der sowjetischen Gesellschaft Memorial. Tschechien
- Cécile Vaissié, Professorin an der Universität Rennes (Frankreich), Historikerin, Politologin, Russland-Expertin, Autorin von „Für eure und unsere Freiheit! Die Dissidentenbewegung in Russland“. Frankreich
- Dominique Vidal, Journalist, Historiker. Frankreich
- Nicolas Werth, Historiker, Leitender Direktor im Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschungen (Centre national de la recherche sientifique, CNRS). Frankreich
- Roger Wiltz, Journalist, Übersetzer. Frankreich
- Krystyna Zachwatowicz-Wajda, Schauspielerin, Regisseurin, Polen
- Mohammed Zaher, Lehrer, Frankreich.
- Krzysztof Zanussi, Filmregisseur, Drehbuchautor, Produzent. Polen
- François Zimeray, Politiker, Anwalt, Menschenrechtler, ehem. französischer Botschafter für Menschenrechte (2008). Frankreich
- Anna Zonová, Schriftstellerin. Tschechien
Januar 2020