Nachfolgend bringen wir einen Bericht der Charkiver Menschenrechtsgruppe zu den intensivierten Luftangriffen Russlands auf zivile Ziele in der Ukraine.
Von Maryna Harieieva
Eine alarmierende Tendenz
Russland hat seine Angriffe auf dichtbevölkerte ukrainische Städte deutlich intensiviert. Das führt zu steigenden Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung, wie aus einer Stellungnahme der UN-Beobachtungsmission für Menschenrechte in der Ukraine vom 24. April hervorgeht.
Die UN-Mission verwies auf den groß angelegten, koordinierten russischen Angriff auf Kyjiv und mindestens acht weitere ukrainische Gebiete. Die russischen Streitkräfte setzten Dutzende von Raketen und Lenkwaffen in Wartestellung („loitering munitions“) ein. „In einem Kyjiver Bezirk schlug eine schwere Rakete in ein zweistöckiges Wohnhaus ein und zerstörte es vollständig. (...) Von ähnlichen Angriffen waren in dieser Nacht mehrere Gebiete betroffen, insbesondere die Gebiete Charkiv, Dnipropetrovsk, Zhytomyr, Zaporizhzhia und eben Kyjiv. Etliche Zivilisten wurden verletzt“, so die UN-Beobachter. - „Die Szenen von Zerstörung und Leid, die wir heute Morgen in Kyjiv vorfanden, demonstrieren eine alarmierende Tendenz: vor allem Zivilisten sind die Leidtragenden der immer intensiveren und häufigeren Attacken“, erklärte Daniele Bell, die Leiterin der UN-Menschenrechtsmission in der Ukraine (HRMMU) am 24. April.
Vom 1. bis 24. April 2025 hat die UN bereits mindestens 848 zivile Opfer bestätigt: 151 Personen sind ums Leben gekommen, 697 erlitten Verletzungen. Diese Zahlen lägen um 46 Prozent höher als im Vergleichszeitraum des vergangenen Jahres. Zudem könne die Zahl der Opfer noch ansteigen, weil die Überprüfung noch nicht abgeschlossen sei.
Insbesondere berichtete die UN von neun Personen, die durch den Angriff der Russischen Föderation vom 24. April auf Kyjiv getötet wurden, mittlerweile (Stand 28. April) ist bereits von dreizehn Todesopfern die Rede. Am 25. April bombardierte Russland Pavlohrad im Gebiet Dnipropetrovsk. Zum Zeitpunkt der Abfassung des Berichts waren schon drei Todesopfer bekannt, darunter ein Kind. Mehr als zehn Personen, darunter ebenfalls Kinder, wurden verletzt.
Am 25. April um 5.10 morgens führten die russischen Truppen zwei Luftangriffe auf den Ort Jarova in der Gemeinde Liman (Gebiet Donezk) durch. Die regionale Staatsanwaltschaft meldet, dass durch den Einschlag in einem Wohnhaus ein 61jähriger Mann und sein 88-jähirger Vater ums Leben kamen. Es sei eine FAB-250 [Gleitbombe]zum Einsatz gekommen.
Die UN-Mission führte auch die Attacke vom 13. April an. Am Morgen dieses Tages, am Palmsonntag, griff die Russische Föderation das historische Stadtzentrum von Sumy mit ballistischen Raketen an. „Die erste Rakete traf Berichten zufolge das Kongress-Zentrum der Universität von Sumy. Etwa zwei Minuten später explodierte eine weitere Rakete in der Luft, wobei Schrapnelle auf ein großes öffentliches Gelände flogen, was die meisten zivilen Opfer verursachte.
Durch diesen Angriff kamen über 30 Zivilpersonen ums Leben, darunter zwei minderjährige Jungen im Alter von 11 und 17 Jahren. Mindestens 80 Personen, darunter 14 Kinder, wurden verletzt. Viele von ihnen waren in einem städtischen Linienbus unterwegs, der durch die Explosion zerstört wurde. „Kurz nach dem Angriff auf das Kongress-Zentrum sollte im Kindertheater eine Vorstellung stattfinden. Dies unterstreicht ein weiteres Mal, dass der Schlag zu einer Zeit und an einem Ort geplant war, wo mit einer großen Anzahl von Zivilisten zu rechnen war, und zwar von Familien mit Kindern“, hebt die UN-Mission hervor.
Die Leiterin der UN-Mission sprach mit Opfern des Angriffs vom Palmsonntag: „Am Mittwoch besuchte ich das örtliche Krankenhaus in Sumy und sprach mit drei Frauen, die am Palmsonntag schwer verletzt wurden. Eine 62-jährige Frau saß mit ihrem Mann im Bus auf dem Weg zur Kirche, als die zweite Rakete explodierte. Ihr Mann wurde getötet, und sie trug eine schwere Kopfverletzung davon. Eine andere Frau, 64 Jahre alt, war unterwegs zum Markt. Ihr stehen jetzt mehrere Operationen bevor. Die dritte, nur 20 Jahre alt, hatte gerade ihre Schicht an einem kleinen Kaffee-Stand absolviert, als Schrapnelle ihre Beine trafen. Jede war einfach ihrer Sonntagsbeschäftigung nachgegangen, als die Raketen niedergingen“, sagte Daniele Bell.
Die UN berichtete auch über den Angriff vom 4. April auf Kryvyj Rih. Dort war eine russische Rakete in der Luft über einem Kinderspielplatz und einem Restaurant explodiert, 20 Zivilisten wurden getötet, neun davon Kinder. Das war die höchste Opferzahl an Kindern durch einen einzigen Beschuss seit Beginn der russischen Voll-Invasion. Die Schrapnelle waren in einen Park geflogen, daher gab es viele Verletzte.
„Andere Großstädte, besonders Dnipro und Zaporizhzhia, waren in den letzten Wochen ebenfalls mehrfach intensivem Beschuss ausgesetzt. Jedes Mal wurden Explosionswaffen eingesetzt, die eine großflächige Wirkung haben, einschließlich Raketen, Lenkwaffen in Wartestellung und Bomben. Fast täglich führt das zu Todesopfern, Verletzten und weitreichenden Zerstörungen“, heißt es im Bericht der UN-Mission.
In frontnahen Bezirken sind Zivilpersonen laut UN ständig Angriffen durch Drohnen von geringer Reichweite ausgesetzt. In Marhanez (Gebiet Dnipropetrovsk) traf eine russische FPV-(First-person-view) Drohne am 23. April einen Bus mit Zivilisten – Angestellten, die zu einem Bergbaubetrieb fuhren. Der Angriff erfolgte gegen 7.25 morgens. Neun Personen, acht Frauen und ein Mann, wurden getötet, es gab Dutzende Verletzte, viele sind noch im Krankenhaus. Alle Getöteten und viele der Verletzten waren lt. UN-Bericht Angestellte dieses Betriebs. Die Charkiver Menschenrechtsgruppe hatte ebenfalls über diese Attacke berichtet und angemerkt, dass Russlands Propaganda den ukrainischen Verteidigern die eigenen russischen Verbrechen zur Last legt. So wurde von russischer Seite die Fake-Nachricht verbreitet, dass der Angriff einer russischen Drohne auf den Bus mit Zivilisten in Marhanez eine „ukrainische Provokation“ gewesen sei. Daniele Bell sagt zu diesem Angriff: „Die Drohne wurde per Video gesteuert, der Operator konnte sehen, dass es sich beim Ziel um einen gewöhnlichen Linienbus mit Zivilisten handelte. Und er nahm ihn trotzdem ins Visier.“
Das sind keine Einzelfälle. Die UN-Mission verzeichnete in den frontnahen Regionen der Gebiete Cherson, Donezk, Sumy und Charkiv eine zunehmende Zahl von Opfern (Toten und Verletzten) unter der Zivilbevölkerung durch Drohnen von geringer Reichweite. In der Osterwoche wurde ein eindeutig gekennzeichneter humanitärer Konvoi in der Nähe von Kostjantynivka (Gebiet Donezk) angegriffen, der gerade ältere Personen evakuierte. Mindestens eine Frau sei dabei verletzt worden. Am 23. April kam ein zwölfjähriges Mädchen durch den Beschuss von Kostjantynivka ums Leben. „Am selben Tag wurde in Slovjansk durch einen Luftangriff eine 72-jährige Frau verletzt, ihr Mann wurde getötet“, so die UN.
Bekenntnis zu eigenen Angriffen
Das russische Verteidigungsministerium hat den „massiven Angriff durch Präzisionswaffen“ auf die Ukraine vom 24. April bestätigt. In der Nacht zum 24. April hätten russische Truppen Betriebe der Luft-, Raketen-, Maschinenbau- und Panzerindustrie sowie eine Treibstofffabrik der Ukraine angegriffen. „Die Ziele des Angriffs wurden erreicht. Alle Objekte wurden getroffen“.
Zuvor hatte Putin bereits die Angriffe auf Sumy (13. April), Kyvyj Rih (4. April) und das Gebiet Odesa (19. April) eingeräumt. So hatte er erklärt, dass der Schlag gegen das Kongress-Zentrum der Universität von Sumy, bei dem über 30 Personen getötet wurden, die „Abrechnung“ für das Vorgehen der ukrainischen Armee in den Grenzregionen gewesen sei. „Handelt es sich um ein ziviles Objekt? Ja. Allerdings fanden dort Auszeichnungen von Personen statt, die im Gebiet Kursk Verbrechen begangen hatten, von Einheiten der ukrainischen Streitkräfte, Nationalisten. Personen, die wir für Verbrecher halten, mussten für ihre Taten in den Grenzgebieten, unter anderem auch im Gebiet Kursk, ihre verdiente Strafe erhalten. Sie mussten dafür bezahlen. Das war eine Strafmaßnahme“, erklärte der russische Staatschef.
Der Presseoffizier der ukrainischen Streitkräfte, Dmytro Lychovij, hielt fest, dass im angegriffenen Kongress-Zentrum keinerlei Beratungen oder Konferenzen stattgefunden hätten. Die Teilnehmer an einer Auszeichnung durch die lokalen Behörden seien nicht verletzt worden. Zwei getötete Soldaten waren zufällige Opfer, Passanten auf der Straße, ebenso die anderen Zivilisten.
Das attackierte zivile Objekt im Gebiet Odesa soll laut Putin ein Unternehmen gewesen sein, in dem neue Raketensysteme herstellt und getestet würden.
Putin erwähnte auch den Angriff auf das Restaurant (er hatte offenbar den Schlag gegen Kryvyj Rih vom 4. April im Auge), bei dem 20 Zivilisten getötet wurden, darunter neun Kinder. „In dem Restaurant finden Zusammenkünfte, Versammlungen, [militärische] Beratungen statt, man feiert, trinkt usw. Das wurde auch angegriffen. Ist das ein Zivilobjekt? Ja. Aber was für ein Ziel ist es? Ein militärisches.“ Nach Aussage des russischen Verteidigungsministeriums ging es um ein Restaurant, in dem angeblich ukrainische Militärs mit „westlichen Instrukteuren“ konferierten. Allerdings gibt es dafür keinerlei Beweise. Die neun getöteten Kinder waren stellten weder für die verbrecherische russische Führung noch für das Land eine militärische Bedrohung dar.
Nach Einschätzung des Zentrums für strategische Kommunikation verfolgt Russland mit dem Terror gegen die ukrainische Zivilbevölkerung den Zweck, sie einzuschüchtern, zu demoralisieren und die Ukraine zur Kapitulation zu bewegen. „Diese Strategie hat Moskau schon in den 1990-er und 2000-er Jahren in Tschetschenien praktiziert“, so das Zentrum auf seiner Facebook-Seite vom 14. April.
30. April 2025/25. April 2025