Stimmen des Krieges: "Es kam zu Folterungen und zu sexueller Gewalt"

Olena Jahupova aus Zaporizhzhia geriet in russische Gefangenschaft. Dort musste sie zahlreiche Misshandlungen über sich ergehen lassen, tagelang wurde sie gefoltert. Man schlug ihr mit einer Zweiliterflasche auf den Kopf und zwang sie zur Zwangsarbeit „zum Wohl der Russischen Föderation“.

 

(Oleksandr Vasyljev)

Ich heiße Olena Jahupova. Ich bin in Zaporizhzhia geboren und aufgewachsen. Zum Zeitpunkt der Voll-Invasion befand ich mich in meiner Heimatregion, zu Hause, in Kamjank-Dniprovsk. Das ist in der Nähe von Jenergodar, dem Standort des größten europäischen Atomkraftwerks – Zaporizka.

Die Voll-Invasion begann, und praktisch sofort, nach zwei bis drei Tagen, wurde unsere Heimatstadt besetzt. Damit hatte das gewohnte Leben sein Ende. Ich kam nicht sofort in Gefangenschaft. Ich wollte wegfahren, aber ich hatte natürlich Angst, weil mein Mann schon seit zwei Jahren im Krieg war. Ich kannte die Schnelligkeit der neuen „Machthaber“, die schon über Listen verfügten, und war vorsichtig. Noch während ich die Flucht vorbereitete, wurde ich denunziert. Am 6. Oktober 2022 kamen Vertreter der Militärbehörden zu mir.

Ihr Anführer war ein FSB-Mitarbeiter, der sich als solcher vorstellte und mir seinen Ausweis zeigte. Sie durchsuchten das Haus und brachten mich zur lokalen Polizeiwache. Dort begannen die Folterungen. Das dauerte einige Tage. Das lief immer nach demselben Muster ab -– Schläge, Würgen, Schein-Erschießungen.

Sie schlugen mir mit einer Zweiliterflasche auf den Kopf. Ich hatte zwei Wunden, meine ganze Kleidung war voller Blut. Ich bekam ein geschlossenes Schädel-Hirn-Trauma.

Dann kam ich in Untersuchungshaft. Ich erspare mir Einzelheiten und sage nur, dass es zu Drohungen und zu sexueller Gewalt kam.

Sie machten einem das Leben auch weiterhin zur Hölle. In der Untersuchungshaft wurde ebenfalls gefoltert. Wir wurden gezwungen, die russische Hymne zu singen. manchmal stundenlang, selbst nachts. Das hing von der Laune des Chefs der Polizei oder der U-Haft ab. Sie schlugen die Menschen, brachen ihnen die Rippen, folterten sie psychisch und physisch.

Olena Jahupova © „Kinder-Suchdienst Magnolija“
Olena Jahupova © „Kinder-Suchdienst Magnolija“

 

Später musste ich Zwangsarbeit leisten, für die russische Rüstung im Gebiet Zaporizhzhia. Die Bedingungen waren schrecklich: Der Dezember war kalt, wir schliefen auf dem Fußboden, geheizt wurde nicht, Essen gab es einmal am Tag. Man bezeichnete uns als „zivile Geiseln“, aber das ist nicht richtig – wir waren keine Geiseln, sondern Gefangene, wir saßen unter denselben Bedingungen ein wie Kriegsgefangene.

Nach der Untersuchungshaft brachte man uns mit Säcken über dem Kopf zu einem Filtrationspunkt. Dort wurden Propaganda-Videos mit uns aufgezeichnet, die sofort ins Internet gestellt wurden. Die Videos zeigten, wie wir freigelassen wurden, uns die Hände hielten und nach Hause liefen.

Das war ein Fake. Nach diesen Aufnahmen verluden sie uns in einen Kofferraum und brachten uns zu einer russischen Militäreinheit. Dort gab man uns Schaufeln und befahl uns, „zum Nutzen der Russischen Föderation“ zu arbeiten.

Am 18. Januar, bei nassem Schnee und Regen, mussten wir Schützengräben ausheben und Erdlöcher graben. Sie gaben Kleidung aus, die häufig nicht passte. Z. B. bekam ich Gummistiefel in der Größe 45 und eine zu große Militäruniform. Die Männer bauten Erdlöcher aus Materialien, die russische Soldaten aus den Häusern in den Dörfern geholt hatten. Die Frauen putzten, wuschen und kochten in den besetzten Häusern, wo russische Offiziere lebten.

Das war wirklich Sklaverei in all ihren Erscheinungsformen. Es gab nicht nur physische, sondern auch sexuelle Gewalt. Die Gefangenen konnten von einer Einheit in eine andere verlegt oder sogar verkauft werden. Man wusste nicht, was mit einem am nächsten Tag geschehen würde.

Ein glücklicher Zufall kam mir und einigen anderen Menschen zugute, und wir kamen frei. Eine Person konnte sich mit Angehörigen im besetzten Gebiet in Verbindung setzen, und diese kontaktierte jemanden in Moskau. Daraufhin reisten Vertreter der dortigen Sicherheitsorgane an, und wir wurden freigelassen. Obwohl man uns gewarnt hatte, dass wir nicht nach Telefonen suchen oder die Wachen um Hilfe bitten sollten, weil wir sonst erschossen würden. Dank des „menschlichen Faktors“ blieben wir jedoch am Leben.

Jetzt bin ich in Sicherheit. Aber dort, in den besetzten Gebieten, sind immer noch Menschen, die vermisst werden. Man weiß keinen Tag, was mit ihnen ist. Sie hoffen auf Hilfe, aber das ist nur mit aktiver Unterstützung internationaler Organisationen und Menschenrechtsaktivisten möglich. Ich möchte, dass all diese Menschen gerettet werden. Wir müssen wenigstens etwas tun, um ihnen zu helfen. Die Menschen müssen wissen, dass sie nicht im Stich gelassen werden.

 

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Vera Ammer

18. Dezember 2024/6. März 2025

 

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