Ungeachtet aller Gefahren fahren sie an Brennpunkte, um diejenigen zu retten, die sich selbst nicht retten können. 500 Fische aus Kostjantynivka, Katzen und Hunde, Haustiere und sogar eine Schildkröte. Über das Leben in einem Tierheim, die Schwierigkeiten bei Adoptionen und Geschichten mit glücklichem Ausgang haben wir mit Jaryna Vintonjuk von der Organisation „Tierrettung Charkiv“ gesprochen.
Denys Volocha
Ich heiße Jaryna Vintonjuk. Ich vertrete die Organisation „Tierrettung Charkiv“. Ich bin verantwortlich dafür, mit unseren Partnern in Kontakt zu bleiben, nach Ressourcen für unsere Organisation zu suchen und mit Journalisten zu kommunizieren. Die Organisation existiert seit 2016. Seither hat sich viel verändert. Seit Beginn des Krieges sind wir gezwungen, unter völlig anderen Bedingungen zu arbeiten.
Im letzten Jahr wurde das Rehabilitationszentrum „Kleiner Prinz“ eröffnet. Wir mussten gerettete Kätzchen irgendwo unterbringen. Wir wussten, dass sie besondere Bedingungen brauchen, die irgendwie ihrem Zuhause ähneln. Deswegen entstand die Idee des Rehabilitationszentrums.
Jetzt laden wir hierher Soldaten ein, Kinder und alle, die mögen. Das ist eine Art gegenseitiger Hilfe: Für die Katzen ist es die notwendige Aufmerksamkeit und für die Menschen ist es Katzentherapie.
Wir haben sogar 500 gerettete Fische aus Kostjantynivka. Wir haben eine Schildkröte, die aus Kurachovo evakuiert wurde – Serafima. Für Besucher sind wir jeden Tag von 12:00 bis 18:00 Uhr geöffnet. Man kann vorbeikommen und den Katzen Zeit widmen und ihnen auf diese Weise helfen.
Neben dem Rehabilitationszentrum betreibt unsere Organisation auch eine Tierklinik, wo alle geretteten Tiere medizinisch versorgt werden. Außerdem haben wir begonnen, ein Tierheim für Hunde und andere Haustiere zu bauen. Wir planen für die Zukunft, dass dorthin auch Kinder hinkommen können und alle, die Kontakt mit Hunden und Haustieren haben möchten.
Vor dem Krieg haben wir in Charkiv Tiere gerettet, wenn wir angerufen wurden, dass ein Tier ertrinkt oder wenn ein Hund oder eine Katze einen Unfall hatte. Das waren unterschiedliche Situationen, in denen menschliche Nothilfe erforderlich war. Mit Beginn der Voll-Invasion haben wir einfach so weitergemacht wie vor dem Krieg. Aber in ganz anderem Ausmaß, das ist jetzt ein ganz anderer Arbeitsumfang. Wir erhalten Anfragen von der gesamten Frontlinie. Aus dem Donbas und dem Gebiet Charkiv.
Diese Arbeit geht auch jetzt weiter, weil Hunderte von Tieren zurückgelassen wurden und Hilfe brauchen. Deswegen arbeiten wir auch mit dem Militär zusammen, und Zivilisten rufen uns ebenso an. Wenn sich die Situation an der Front verschärft, spüren wir das sofort. Denn die Menschen werden normalerweise gerettet, aber mit den Tieren gibt es Probleme. Nicht alle können ihre Tiere mitnehmen.
Es gibt Situationen, in denen Menschen sterben. Und die Tiere sind einfach ihrem Schicksal überlassen. Sie suchen Rettung, laufen zu unseren Soldaten und dann kommen wir ins Spiel. Wir bringen diese Tiere nach Charkiv. Einmal sind wir mehrere Male innerhalb von 24 Stunden nach Vovtschansk gefahren, weil es so viele Anrufe gab. Und das alles in erhöhtem, intensivem Arbeitsmodus.
Den Russen ist es völlig egal, worum es geht: ob um die Rettung von Zivilisten oder von Tieren. Sie schießen im Prinzip auf alles. In Vovtschansk war das extrem spürbar, wir haben dort vier Fahrzeuge verloren. Unser Rettungshelfer wurde verletzt.
Derzeit arbeiten in unserer Organisation etwa 100 Personen. Das sind Menschen aus völlig unterschiedlichen Berufen. Wir haben auch professionelle Tierärzte. Aber während des vollumfänglichen Angriffskrieges haben sich uns Menschen angeschlossen, die ihre Arbeit verloren und noch nie mit Tieren gearbeitet haben, viele davon sind Binnenflüchtlinge. Jetzt besteht unser Team aus verschiedenen Berufen. Aber das sind alles Menschen, die Tiere lieben. Diejenigen, die Tiere nicht lieben, bleiben hier nicht.
Seit der Kämpfe in Vovtschansk hat sich unsere Klinik in eine Art Sammelstelle verwandelt, zu der alle Tiere evakuiert werden. Dazu kommen die Menschen, um ihre Tiere zu identifizieren. Die Tiere sind für zwei Wochen in Quarantäne, wir beobachten sie. Nicht immer kann man gleich erkennen, ob es irgendwelche Probleme gibt, deshalb behalten wir sie zwei Wochen, um zu sehen, wie das Tier frisst und ob nicht später irgendwelche Reaktionen auftreten.
Danach geht es um Rehabilitationsmaßnahmen für die Tiere. Viele von ihnen kommen völlig verängstigt zu uns. Manchmal scheint es, als hätten sie noch nie einen Menschen gesehen. Das fällt besonders bei den Katzen auf. Es kommt vor, dass sie sich drei Tage lang nicht erleichtern, nicht fressen. Das ist Stress überlagert mit Stress. Deshalb brauchen sie Zeit, um sich an uns Menschen zu gewöhnen und zu verstehen, dass niemand vorhat, ihnen etwas Böses zu tun und dass sie gefüttert werden. Hier ist es ruhig und alles ist gut. Sie sind in Sicherheit hier.
Dann suchen wir Familien für sie oder neue Plätze in Tierheimen. Wir arbeiten mit verschiedenen Organisationen sowohl in der Ukraine als auch im Ausland zusammen. Wir impfen die Tiere, chippen sie und bereiten Dokumente [für sie] vor. Wir haben spezielle Teams, die die Tiere durch die Ukraine transportieren und sogar ins Ausland. Wir überqueren mit ihnen die Grenze.
Ein Teil der ukrainischen Hunde und Katzen lebt schon in Europa. Wir freuen uns, wenn wir sie glücklich auf Fotos sehen. Die Veränderungen sind frappant!
Wir sehen, wie wir die Tiere aus den Kampfzonen geholt haben und wie sie nun in ihrem Zuhause sind. Die Frage der Tier-Adoption in der Ukraine ist gerade kompliziert. Die Menschen leben in Ungewissheit, niemand weiß, was morgen mit ihm geschehen wird. Viele Ukrainer sind ins Ausland gegangen. Wir alle sind in einer sehr schwierigen Lage. Viele, die weggegangen sind, hätten ihre Tiere sehr gerne bei sich, aber das erlauben die Vermieter ihrer Unterkünfte nicht oder sie leben in Wohnheimen in einem Zimmer und haben keine Möglichkeit, ihre Tiere zu sich zu nehmen. Und das wiederum erschwert unsere Arbeit bei der Suche nach neuen Familien.
Wir haben natürlich eine größere Nachfrage nach Rettung als nach Unterbringung. Deshalb bitten wir verschiedene Organisationen auf der ganzen Welt, Informationen über unsere Tiere zu verbreiten, Tiere aufzunehmen und sich um ihre weitere Vermittlung zu kümmern. Es gibt sehr positive Beispiele der Zusammenarbeit, zum Beispiel mit der französischen Organisation „Les petits innocents“. Sie haben kein eigenes Tierheim, aber sie haben Pflegestellen und Pflegefamilien.
Während des Krieges haben sie schon für 300 Tiere 300 Familien gefunden.
Derzeit benötigen wir sehr dringend Tierärzte und Pflegekräfte in der Klinik, wo die Tiere behandelt werden, und Freiwillige, die helfen, Informationen zur Betreuung zu verbreiten. Bei uns findet sich immer Arbeit, weil wir viel davon haben.
Für mich ist es sehr wichtig, mich nützlich zu machen. Das ist bis zum heutigen Tag mein Beitrag zu unserem Sieg. Ich habe das Gefühl, dass ich auf diese Weise an meinem Platz bin. Ich möchte jetzt nicht irgendwo im Ausland sein, mich verstecken und in Sicherheit fühlen. Ich könnte dort einfach nicht leben, weil ich weiß, dass es hier Probleme gibt, dass Hilfe gebraucht wird und ich weiß, wie man in dieser Situation helfen kann.
Ich weiß, wie wichtig das für die Menschen ist. Manchmal verliert jemand sein Zuhause, seine Stadt, seine Angehörigen, aber wir bringen ihm seinen Hund oder sein Kätzchen zurück Das Einzige, was diesem Menschen noch geblieben ist.
Ich weiß, dass das einen Menschen glücklich macht, weil er etwas für ihn sehr Wertvolles bewahrt hat.
Einer unserer Soldaten hat gesagt: „Ich will, dass ihr wisst, dass im Krieg Schutzausrüstung, Schutzwesten und Helme sehr wichtig sind – sie sind außerordentlich wichtig, aber genauso wichtig ist es, eine Schutzausrüstung für die Seele zu haben.“ Sie sagen: „Tiere sind es, dank derer wir Menschen bleiben und dank derer wir spüren, dass wir am Leben sind.“ Aus diesem Grund ist es eine sehr oberflächliche Sichtweise, wenn Menschen meinen, es sei nur wichtig, Menschen zu retten.
Interview: Denys Volocha, Redaktion: Emilija Prytkina
Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker
Quelle: https://khpg.org/ru/1608814307
24. Dezember 2024 / 12. Juni 2025