Die Stadt spricht
In Omsk haben Aktivisten am Vorabend der Regionalwahlen begonnen, Flugblätter mit der Aufschrift „Einiges Russland – die Partei der MoGilmachung“ zu verbreiten. [Wortspiel, mogila ist das russische Wort für Grab]
Während der Eröffnung des „Museums der Neuzeit“ in Petrosavodsk, das den Leuchtreklamen der Sowjetzeit gewidmet ist, wurde die Aufschrift „Frieden für die Welt“ eingeschaltet.
Aufkleber „Frieden für die Ukraine“
Anti-Kriegsaufkleber in St. Petersburg
Am Abend des 11. August tauchte auf dem Schevtschenko-Platz in St. Petersburg eine kleine Papptafel mit den Namen von zwei Musikerinnen auf, die am 9. August bei einem russischen Raketenangriff auf Saporischschja getötet worden waren.
Online-Protest
Hacker der Vereinigung Sudo rm-RF haben die Seite des Moskauer Büros für Technische Inventarisierung [MosgorBTI] gehackt. Die Hacker haben außerdem eine Erklärung veröffentlicht, dass die Daten aller Staatsbeamten, Politiker, Soldaten und Vertreter der Spezialdienste, die den Krieg unterstützen, den ukrainischen Verteidigungskräften übergeben wurden.
MosgorBTI ist mit der technischen Erfassung von Moskauer Immobilien befasst und sammelt aktuelle Informationen über Wohnungen, mehrstöckige Wohngebäude, Privathäuser und Grundstücke, einschließlich Informationen über deren Eigentümer.
Einzelkundgebungen und Demonstrationen
Ein Einwohner von Jekaterinburg ging zum Lenin-Denkmal mit einem Plakat „Nein zum Krieg“. Der Aktivist wurde von der Polizei festgenommen.
Aleksandr Pravdin, ein 73-jähriger Aktivist aus der Siedlung Siverskij (Gebiet Leningrad) hat eine Einzelkundgebung abgehalten mit dem Plakat „Machen wir Mariupol zur Partnerstadt? Oder versklaven wir es?“ Die Aktion stand in Zusammenhang mit der Anerkennung von Mariupol und Groznyj als Partnerstädte, die am 9. August vorgenommen wurde. Seit vielen Jahren schon führt Aleksandr Pravdin in seinem Wohnort verschiedene Aktionen zur Unterstützung von politischen Gefangenen und gegen repressive Gesetze durch.
Sabotage
Am 8. August setzten Unbekannte in Belgorod einen Batterieschrank der Eisenbahn in Brand. Den Partisanen gelang es, sieben Batterien zu zerstören, die für die Stromversorgung von Relaisschränken verwendet werden. In der Nähe des Tatorts wurde eine Plastikflasche mit Spuren von Benzin gefunden. Das Untersuchungskomitee hat ein Strafverfahren eingeleitet. Die Identität der Brandstifter ist noch nicht geklärt.
Am Nachmittag des 10. August warf ein 35-jähriger Moskauer eine Flasche mit einem Brandsatz in das Gebäude des Militärischen Rekrutierungsbüros in der Karl-Marx-Straße in Sarajsk bei Moskau. Der Mann hatte die Flüssigkeit jedoch nicht angezündet, bevor er sie warf, so dass kein Feuer entstand. Der Moskauer wurde sofort festgenommen.
Verfolgung und Unterdrückung
Ein Gericht in Mytischtschi hat den 51-jährigen Tierschützer Aleksandr Bachtin zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, im Frühjahr 2022 auf VKontakte „Falschmeldungen“ über die russische Armee verbreitet zu haben: über eine mögliche Blockade Kiews, über die Tötung von Zivilisten in Butscha und über ukrainische Freiwillige, die während des Krieges ihr Leben für die Rettung streunender Tiere riskiert haben. Außerdem wurde Bachtin zu einer ambulanten Zwangsbehandlung bei einem Psychiater verurteilt. In einem Gutachten wird bestätigt, er sei „nicht in der Lage, das tatsächliche Wesen und die öffentliche Gefährlichkeit seiner Taten voll zu erkennen und sie zu verantworten.“
Michail Davydov, Einwohner des Gebiets Orjol, wurde zu einer medizinischen Zwangsbehandlung verurteilt, weil er zwei Molotow-Cocktails auf ein Verwaltungsgebäude geworfen hatte. Im August 2022 hatte ein Unbekannter auf einem Fahrrad zwei Molotowcocktails gegen die Türen des Gebäudes der Regionalregierung von Orjol geworfen. Ein kleines Feuer wurde schnell gelöscht. Eine Woche später nahm man Davydov fest und steckte ihn in Untersuchungshaft. Zunächst klagte man ihn wegen Mordanschlags in allgemein gefährlicher Weise an. Später wurde Davydov in ein psychiatrisches Krankenhaus verlegt, der Fall vor Gericht dann jedoch gemäß dem Paragraphen zu Terroranschlägen verhandelt.
Das Moskauer Ermittlungskomitee hat gegen den Baptistenpastor Jurij Sipko ein Verfahren wegen „Falschmeldungen über die Armee“ eingeleitet. Sipko wird der Verbreitung von „Falschmeldungen über die Armee“ „aus politischem, ideologischem, rassischem, nationalem oder religiösem Hass oder Feindschaft oder aus Hass oder Feindschaft gegen eine soziale Gruppe“ verdächtigt. Das Verfahren wurde wegen eines Anti-Kriegsvideos eingeleitet, das der Pastor im März 2022 veröffentlicht hatte. Der Pastor selbst lebt nicht mehr in Russland , aber die Strafverfolgungsbehörden führten dennoch bei seinen Verwandten in Kaluga, bei einem anderen Geistlichen, dem Pastor Albert Ratkin, und sogar im Kirchengebäude in Kaluga Hausdurchsuchungen durch.
Das Bezirksgericht Sovetskij der Region Krasnodar verurteilte den Städtischen Abgeordneten Sergej Detotschkin wegen „Diskreditierung der Armee“ zu einer Geldstrafe von zwei monatlichen Mindestlöhnen. Den Ermittlungen zufolge hatte Detotschkin am 16. Mai bei der Beerdigung von zwei mobilisierten Soldaten den Angehörigen gesagt, es gebe „keine Entnazifizierung und Entmilitarisierung der Ukraine“, und ihnen geraten, den Beamten unbequeme Fragen zu stellen. Beamte der örtlichen Verwaltung zeigten ihn an. Detoschkin plädierte auf „nicht schuldig“ und sagte, eine der Denunziantinnen, die Abgeordnete Ignatkina von „Einiges Russland“, versuche, eine Rechnung mit ihm zu begleichen. Die Richterin Natalja Besuglova jedoch sah die Schuld als erwiesen an.
Olga, Bewohnerin von Krasnodar, beschuldigte Nachbarn, die Tarnnetze webten, dass sie „Kinder“ an den Krieg „verkauft“ hätten. Nachbarinnen, die im Pro-Kriegs-Chat „Bumerang des Guten“ schreiben, erklärten, dass sie Olga und ihre Mutter anzeigen würden. Später postete der Kanal „Krymskij SMERSCH“ ein Video, veröffentlichte die persönlichen Daten der Frauen und erklärte, dass Olgas Mutter „versucht habe, Ehefrauen und Mütter von Teilnehmern der Militärischen Spezialoperation anzugreifen.“ In den sozialen Netzwerken startete eine Hetzkampagne gegen die Frauen, sie wurden angerufen und man drohte, Olga zu enthaupten.
Unterstützung von Anti-Kriegsaktivisten
Russische Bürger haben innerhalb von eineinhalb Stunden eine Spendensammlung abgeschlossen, um Anna Tschagina, Musiklehrerin aus Tomsk, bei der Zahlung ihrer Geldstrafe in Höhe von sechs monatlichen Mindestlöhnen wegen „Diskreditierung der Armee“ zu unterstützen. Die Musikdozentin und Bratschistin war wegen Anti-Kriegsposts der „wiederholten Diskreditierung der Armee“ für schuldig befunden worden. Die Familie von Anna Tschagina hatte die Sammlung eingeleitet.
In St. Petersburg hat der Aktivist Vitalij Ioffe zur Unterstützung der politischen Gefangenen Olga Smirnova eine Einzelkundgebung abgehalten. Vitalij trug dabei ein Plakat mit der Aufschrift „Sieben Jahre Lager für Olga Smirnova wegen Kampfes gegen Faschismus und Krieg und für die Wahrheit.“ Die Passanten reagierten auf die Einzelkundgebung unterschiedlich. „Zurecht bekommt sie das“, sagte eine Frau, ein Mann ging auf Vitalij zu und schüttelte ihm die Hand.
Am 8. August hatte die Staatsanwaltschaft in einem Strafverfahren sieben Jahre Freiheitsentzug wegen Verbreitung von „Falschmeldungen“ über die russische Armee gefordert. Die Anklage ist der Meinung, dass die Frau nach Kriegsbeginn „aus politischem Hass heraus“ nicht weniger als sieben Beiträge veröffentlicht hat, in denen insbesondere von Angriffen gegen die Infrastruktur und kulturelle Einrichtungen in der Ukraine und außerdem vom Tod von Zivilisten die Rede war. Die Aktivistin befindet sich seit Mai 2022 in Untersuchungshaft.
Denkmale
Taras-Schevtschenko-Denkmal
Sonstiges
Ein Gericht in Jekaterinburg hat das Strafverfahren gegen Aleksandr Neustrojev eingestellt, der einen Jungen mit Z-Kappe einen „Schwachkopf“ genannt und ihm geraten hatte, sich die Kappe mit dem Symbol des Kriegs in der Ukraine „in den Arsch zu stecken“. Der Vorfall hatte sich im April ereignet, gegen Neustrojev war ein Strafverfahren wegen Rowdytums eröffnet worden. Das Gericht aber stellte das Verfahren ein und erteilte dem Mann eine Geldstrafe von einem halben monatlichen Mindestlohn.
Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker
2. November 2023