Digest der russischen Anti-Kriegsproteste vom 15.10.2023 – 22.10.2023
Die Stadt spricht
In Jekaterinburg verbreiten Agit-Partisanen weiterhin Anti-Kriegsaufkleber.
Aufschriften: Frieden für die Welt, [in etwa:] Läuten der Arschlöcher, Schande, Böse [in den letzten drei Wörtern wurde der korrekte Buchstabe S durch das Propaganda-Zeichen Z ersetzt]
Anti-Kriegsaufschriften finden sich auch auf Geldscheinen.
Aufschriften: Frieden für die Welt; Gott, beerdige den Zaren; Könnt ihr diesen Albtraum wirklich immer noch rechtfertigen? Genug Krieg
Anti-Kriegsagitation in St. Petersburg, Irkutsk, Moskau, Syktyvkar, Tomsk, Ivanovo und in anderen Städten:
Nein zum Krieg; Nein zum Krieg, Nein zum Bösen. [Der korrekte Buchstabe S im russischen Wort \'Böse\' wurde durch das Propaganda-Zeichen Z ersetzt]
Freiheit für Navalnyj; Putin nach Den Haag
Verbreite Information – rette Leben auf beiden Seiten der Front
Das grüne Band – Symbol des Anti-Kriegsprotestes
Frieden für die Ukraine, Freiheit für Russland
Mobilisiert euch selbst, ihr Teufel!
Nein zum Krieg
Die zweite Mobilisierungswelle naht, rette Leben
Verfolgungen
Gegen Sergej Bakanov aus Rjasan wurde ein Strafverfahren wegen „Diskreditierung der Armee“ eröffnet, weil er drei Anti-Kriegstweets gepostet hatte. Bereits im Januar 2023 war gegen Bakanov ein Verfahren wegen „Rehabilitierung des Nazismus“ eingeleitet worden, weil er in einem Post bei VKontakte die Soldaten der russischen Armee mit Nazis verglichen hatte.
Ein Petersburger Gericht hat gegen Oleg Pronin Unterbringung in Haft bis zum 11. Dezember 2023 verhängt. Er wird beschuldigt, „ein Herz als Zeichen der Liebe und Achtung vor den Ukrainischen Streitkräften“ an die Fassaden der Häuser 12/49 in der Sinjavinskij-Straße sowie der Häuser 51/13 am Sredneochtinskij-Prospekt gemalt zu haben.
Anatolij Arsejev, Stadtabgeordneter der Partei „Einiges Russland“ wurde von einem Gericht in Kotlas wegen „Diskreditierung der Armee“ zu einer Geldstrafe von 120.000 Rubeln (7,5 monatl. Mindestlöhne) verurteilt, weil er bei VKontakte zwischen Juli und September 2022 Kommentare veröffentlicht hatte. Bereits Anfang Februar 2023 hatte bei dem Abgeordneten eine Hausdurchsuchung stattgefunden.
In Moskau hat das Basmannyj-Gericht D.A. Mamedov und M.A. Memodova wegen „Verbreitung von militärischen Falschmeldungen durch eine Gruppe von Personen“ verhaftet (Art. 297.3 Teil 2b StGB RF). Edvard Bondarenko aus Voronezh wurde zu einer Geldstrafe in Höhe von 30.000 Rubeln (ca. 2 monatl. Mindestlöhne) verurteilt. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass Bondarenko am 13. Juni 2023 ein Werbeplakat für den Kriegsdienst mit einem Filzstift beschmiert hat. Eine Berufungsverhandlung war für den 17. Oktober angesetzt, die Richterin Kalugina jedoch bestätigte die Entscheidung des Gerichts.
Der Aktivist Andrej Trofimov ist zu zehn Jahren Lagerhaft in strengem Regime verurteilt worden. Das Konakovskij-Stadtgericht im Gebiet Tver befand ihn für schuldig, „Falschmeldungen über die russische Armee“ verbreitet, zu extremistischen Aktivitäten aufgerufen und versucht zu haben, sich einer illegalen bewaffneten Gruppierung anzuschließen. Das Verfahren gegen Trofimov war schon im Mai 2022 eingeleitet worden. In seinem letzten Wort bei Gericht erklärte der Aktivist, dass er nichts zu bereuen habe, seine Ankläger „verachte“ und „nicht vorhabe, auf demselben Boden wie sie zu wandeln und im selben Staat wie sie zu leben.“
Michail Zharikov, ehemaliger Eishockey-Kommentator aus Nizhnij Novgorod, ist wegen „Verbreitung von Falschmeldungen über die Armee aus Hass“, „Öffentlicher Rechtfertigung von Terrorismus“ und „Rehabilitierung von Nazismus“ zu sechs Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Außerdem wurde ihm die Administration von Internet-Ressourcen für vier Jahre untersagt.
Oksana Osadtschaja, eine behinderte (blinde) junge Frau aus Moskau, wurde wegen eines Anti-Kriegsplakats zu 60.000 Rubeln Geldstrafe (ca. 4 monatl. Mindestlöhne) verurteilt. Ihr Anwalt Vladimir Vassilenko bezeichnete das Geschehen im Gerichtssaal als „Verhöhnung von Recht und Rechtsprechung“. Die Aktivistin selbst konnte nur äußern, dass sie ihre Schuld nicht anerkennt.
Alena Katorzhnych, ehemalige Studentin der Lesozavodskij-Industrie-Fachschule in Omsk, wurde in die Liste der „Terroristen und Extremisten“ aufgenommen. Die junge Frau war am 29. September unter dem Verdacht der Brandstiftung an einem Rekrutierungszentrum in Vladivostok festgenommen worden. In Vladivostok hatte Alena die jungen Männer Manap und Andrej kennengelernt, die sie am 26. September baten, den Brandanschlag auf das Rekrutierungsbüro im Bezirk Pervomajskaja zu filmen. Die Männer hatten die Fenster der Einrichtung mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angezündet.
Einzelkundgebungen und andere Anti-Kriegsaktionen
In Novosibirsk hat die Aktivistin Jelena Tardassova-Jun auf dem Lenin-Platz eine Einzelkundgebung durchgeführt mit dem Plakat „Nein zum Krieg“ und mit einem zweiten Plakat mit einem Zitat aus Georg Orwells Roman 1984.
In Kasan hat der örtliche Aktivist Daniil Alimov eine Einzelkundgebung mit dem Plakat „Frieden für die Welt. Nein zum Krieg“ abgehalten. Er wurde festgenommen, zur Polizeistation gebracht, wo ein Protokoll aufgenommen wurde wegen „Diskreditierung der russischen Armee“ (Art. 20.3.3 Teil 1 Ordnungsstrafrecht RF), danach setzte man ihn wieder auf freien Fuß.
Valerij Mankevitsch aus Perm, ehemaliger Arzt am Städtischen Krankenhaus, führte am 19. September mit dem Plakat „Ruhm der Ukraine“, „Nein zum Krieg“ und [in etwa] „F*** den Krieg“ durch. Am darauffolgenden Tag wurde er von Mitarbeitern des Extremismus-Zentrums E [Zentrum zur Extremismusbekämpfung] festgenommen. Die Sicherheitskräfte interessierten sich stark für seine privaten Auslandsreisen und stellten ihm Fragen über Verbindungen zu ausländischen Geheimdiensten. Das Gericht verurteilte den Arzt zu einer Geldstrafe von 35.000 Rubeln (ca. 2 monatl. Mindestlöhne).
Sonstiges
Der Menschenrechtsaktivist Lev Ponomarev hat eine Petition bei Change.org zur Unterstützung der Nominierung eines Antikriegskandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2024 gestartet. Unterstützt wurde er von der Sacharov-Bewegung „Frieden. Fortschritt. Menschenrechte“.
Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker
13. Dezember 2023