Stimmen gegen den Krieg - Proteste vom 18. bis 24. Juni

Digest der russischen Anti-Kriegsproteste vom 18.6–24.6.2023

Kampagne Navalnyjs gegen den Krieg

Aleksej Navalnyj hat den Start einer Kampagne gegen den Krieg angekündigt. Bei einer Gerichtsverhandlung in einem seiner Strafverfahren informierte er über den Start des neuen Projekts – einer Wahlkampagne gegen „Kandidaten des Krieges“, in deren Verlauf Aktivisten mit Bürgern Russlands ins Gespräch kommen und deren Haltung zum Krieg und zum Präsidenten der Russischen Föderation Vladimir Putin ändern sollen. Navalnyj berichtete von der Rekrutierung der ersten hundert Freiwilligen.

Die Stadt spricht

In Smolensk wurden folgende Aufkleber verbreitet: „Der Krieg ist eine Schande“, „Du bist für Putin Fleisch“, „Du bist für Putin ein Nichts“, „Putin – der Feind des Friedens“, „Leben ist wertvoller als Geld“, in Moskau: „Krieg, Diebstahl, Niedertracht“, „Tod, Krieg, Verzweiflung“. Die ersten Buchstaben auf den Aufklebern ergeben die Buchstaben VVP (Vladimir Vladimirovitsch Putin) sowie SVO [die Initialen der russischen Abkürzung für Militärische Spezialoperation].

In der Nacht zum 18 Juni wurden in Jakutsk in der Mozhajskij-Straße Pro-Kriegs-Transparente heruntergerissen. Die Polizei sucht nach den Tätern.

An einer Betonwand in Novosibirsk ist ein neues Graffiti aufgetaucht: „Putin, lass Truppen in Russland einmarschieren“. Höchstwahrscheinlich spielen die Sprayer darauf an, dass sich die russische Armee nicht dort befindet, wo sie sein sollte und sich mit allem Möglichen beschäftigt, nur nicht mit dem Schutz des Vaterlandes.

In Krasnojarsk sind folgende Aufschriften aufgetaucht: „Nein zum Krieg“, „Frieden für die Welt“ und „PoZor“ [russisches Wort für Schande, in dem das korrekte S durch das Propaganda-Zeichen Z ersetzt wurde].

Aufschriften auf einer Hauswand: „Russland hat das Wasserkraftwerk Kachovka gesprengt, Mariupol und Bachmut zerstört, wird das Wasserkraftwerk in Kyjiv zerstören und gibt an allem der Ukraine die Schuld.“ Die Stadt, in der die Aufschriften aufgetaucht sind, ist nicht bekannt.

Einzelkundgebungen und Demonstrationen

Am 18. Juni hielt der Aktivist Ruslan Dubovoj auf dem Roten Platz eine Einzelkundgebung ab und wurde festgenommen.

Am 23. Juni fand in Magnitogorsk ein Marsch gegen den Krieg und zur Unterstützung politischer Gefangener statt, mindestens drei Personen wurden festgenommen.

Sabotage

Unbekannte setzten Relaisschränke an Eisenbahngleisen zum Stahlproduzenten NLMK in Lipezk in Brand. Möglicherweise war dies die Tat von Partisanen, um die Lieferungen von Roheisen und Stahlknüppeln für die Militärindustrie zu unterbrechen, da das Unternehmen17 Prozent des gesamten Stahls in Russland produziert.

Unterdrückung

Am 24. Juni 2022 warfen Unbekannte mehrere Flaschen mit brennbarer Flüssigkeit in das Fenster des Rekrutierungsbüros im Bezirk Kirovskij in Perm. Für diese Tat schickte das Gericht Michail Sokolov aus Perm innerhalb eines Tages für elf Jahre in Lagerhaft in strengem Regime. Das Gericht sprach ihn des Staatsverrats, eines Terroranschlags sowie der Mitgliedschaft in einer terroristischen Gruppierung für schuldig.

Sergej Michajlov, Herausgeber der in der Republik Altaj erscheinenden Zeitung „Listok“, wird beschuldigt, „Falschmeldungen über die Armee“ verbreitet zu haben. Am 22. Juni verkündete er bei Gericht: „Alle Personen, die nun schon das zweite Jahr einen intensiven und aggressiven Krieg gegen die Ukraine führen, ihn geplant und entfesselt haben, müssen zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden.“

Der 64-jährige Igor Baryschnikov wurde zu siebeneinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt wegen Posts über den Beschuss von Mariupol durch die russischen Streitkräfte und über die Verbrechen in Butscha. Bei Baryschnikov wurde der Verdacht auf Krebs diagnostiziert, er trägt eine Magensonde. Seine Mutter, geboren 1926, war zuletzt ans Bett gefesselt. Sie ist inzwischen verstorben. Eine Petition zugunsten von Igor Baryschnikov finden Sie hier.

Das Gericht hat den Abgeordneten Oleg Nepejin aus Saratov - angeklagt wegen „Falschmeldungen“ - zu einer Untersuchung in die Psychiatrie eingewiesen. Grund der Verfolgung sind Kommentare des Abgeordneten in einem lokalen Telegram-Kanal. Nepejin hatte über Butscha, die Explosion des Theaters sowie den Beschuss von Mariupol geschrieben.

In Russland werden mindestens sechs Strafverfahren aufgrund von Staatsverrats wegen Finanzierung der ukrainischen Streitkräfte geführt, allein in der letzten Woche wurden drei Verfahren bekannt. Am 19. Juni tauchte die Nachricht über die Verfolgung von Aleksandr Krajtschik auf. Als Grund wurden 50 Euro genannt, die auf eine deutsche Bank auf das Konto eines Fonds überwiesen wurden, der Mittel für die Streitkräfte der Ukraine sammelt. Am 21. Juni wurde ein Verfahren in der Region Chabarovsk bekannt. Die Sicherheitskräfte behaupten, dass der Festgenommene, dessen Name nicht veröffentlicht wurde, angeblich unter Verwendung von Krypto-Währung Überweisungen persönlicher Geldmittel über dritte Personen, die auf dem Gebiet der Ukraine leben, auf Konten ausländischer Wohltätigkeitsstiftungen vorgenommen hat. Die Stiftungen sollen die ukrainischen Streitkräfte mit unbemannten Luftfahrzeugen, Wärmebildkameras, Munition und Sanitätsuniformen ausstatten. Am 25. Juni wurde ein Fall im Gebiet Amur bekannt, bei dem der 47-jährige Ostap Demtschuk, Lokführer der örtlichen Russischen Eisenbahn, festgenommen wurde. Er soll von September 2022 bis Januar 2023 angeblich Geld überwiesen haben, das dann für die Belange der ukrainischen Armee verwendet wurde. Wem genau Demschtuk das Geld überwiesen haben soll, wird nicht gesagt.

Kultur

Liza Gasisova, Moderatorin des jakutischen „Nationalfeiertages des Überflusses und der Lobpreisung des Lebens namens Ysyach Tujmaady“, hat sich geweigert, den Feiertag in diesem Jahr zu moderieren, weil die Behörden entschieden haben, den Tag den Teilnehmern der „Militärischen Spezialoperation“ zu widmen. „Ich verstehe, dass die Menschen nichts damit zu tun haben, aber an diesem \'Ysyach\' will ich nicht teilnehmen. Verzeiht.“, teilte Gasisova in den Sozialen Netzwerken mit.

Sonstiges

Natalja Dzhanijeva ist eine von fast 30 Frauen und Müttern, die aus ganz Sibirien zur Besserungskolonie 14 in Togutschin gereist sind, um zu verhindern, dass ihre Männer in den Krieg ziehen. Zuvor hatte sie erfahren, dass ihr Mann Maksim eine Vereinbarung, am Krieg in der Ukraine teilzunehmen, unterschrieben hatte. Er hatte beabsichtigt, „der Familie zu helfen“, Geld zu verdienen und in einem halben Jahr aufgrund einer Amnestie in Freiheit zu gelangen.

Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker

8. August 2023

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