Digest der russischen Anti-Kriegsproteste vom 25.3.2023 – 09.4.2023
Fortsetzung der Entwicklung um die Familie Moskalev
Am 6. April verhandelte das Stadt- und Bezirksgericht in Jefremov (Gebiet Tula) das Verfahren gegen Aleksej Moskalev. Die Kommission für Jugendangelegenheiten fordert, die elterlichen Rechte Moskalevs einzuschränken. Am Gerichtsgebäude versammelte sich eine Unterstützergruppe, eine junge Frau hielt ein Plakat mit der Aufschrift „Putin isst Kinder“ hoch, ein Mann kam mit einem T-Shirt, auf dem stand „Den Vater zu lieben, ist kein Verbrechen.“ Über den Prozess gegen Moskalev haben wir bereits in vorherigen Ausgaben berichtet.
Das Medium „Aktivatika“ berichtete über den Petersburger Künstler vano_bogomaz, der im Zentrum der Stadt ein Anti-Kriegs-Graffiti geschaffen hat mit der Darstellung des gekreuzigten Christus aus einem Velazquez-Gemälde und Soldaten in modernen Uniformen. Das Werk trägt den Titel „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Auf Instagram schreibt der Künstler: „Es ist 2000 Jahre her und wir können immer noch nicht aufhören, Böses zu tun.“
Gegen eine Bewohnerin der Stadt Nizhnij Novgorod wurde ein Protokoll wegen „Diskreditierung der russischen Armee“ aufgenommen, weil sie auf ihrem Auto einen Aufkleber mit dem Schriftzug \'BeZumie\' [Wahnsinn; geschrieben mit \'Z\' anstelle des korrekten Buchstabens S] hatte.
Dmitrij Kronevald aus Tscheljabinsk wurde zu 30.000 Rubel (2 monatliche Mindestlöhne) verurteilt, weil er versucht hatte, Blumen niederzulegen. Dabei trug er eine reflektierende Sicherheitsweste, auf der er Zettel mit Aufschriften gegen den Krieg befestigt hatte. Auf einen Zettel hatte er geschrieben: „Ein Volk, das wählen kann, wählt immer den Frieden.“ Bei seiner Erklärung gegenüber der Polizei sagte er: „Ich wollte mit meiner Aktion meine persönliche Position zur militärischen Spezialoperation in der Ukraine zum Ausdruck bringen, weil ich keinerlei Kriegshandlungen in welcher Form auch immer akzeptiere.“
Gegen den ehemaligen Landwirtschaftsminister des Gebiets Archangelsk Vladimir Litschnyj wurde ein Protokoll wegen einer Ordnungswidrigkeit aufgenommen. Er soll im Eingangsbereich eines Wohnhauses ein Foto von Vladimir Putin hinterlassen haben mit der Aufschrift „Mörder.“
Der Oberstleutnant Dmitrij Vasiliz wurde zu zwei Jahren und fünf Monaten Haft in einer Ansiedlungskolonie verurteilt. Dmitrij hatte fünf Monate in der Ukraine gekämpft und nach einem Urlaub eine Meldung zur Befehlsverweigerung geschrieben, daraufhin leitete man ein Verfahren gegen ihn ein.
Vier Studenten des Staatlichen Theaterinstituts in Jaroslavl wurden gezwungen, sich zu exmatrikulieren, weil sie nicht bei einer Veranstaltung zur Unterstützung des Krieges auftreten wollten.
Der Blogger Aleksandr Nozdrinov betrieb den Kanal „Sanja Novokubansk,“ im März 2022 nahmen ihn Sicherheitskräfte fest. Gegen ihn wurde ein Strafverfahren wegen „Falschmeldungen über den Krieg“ eingeleitet, weil er die Fotografie eines zerbombten Hochhauses in Kyjiv gepostet hatte mit dem Kommentar „Ukrainische Städte nach der Ankunft der Befreier.“
Mark Serov, Aktivist aus Kazan, der Spielsachen, Blumen und Fotografien zur Erinnerung an die beim russischem Beschuss in Dnipro Umgekommenen niedergelegt hatte, wurde für acht Tage in Haft genommen, nachdem er für schuldig befunden worden war, eine nichtgenehmigte öffentliche Demonstration abgehalten zu haben.
Gegen den protestantischen Prediger Eduard Tscharov aus dem Ural wurde ein Protokoll wegen „Diskreditierung der russischen Armee“ aufgenommen, weil er in sozialen Netzwerken Beiträge gegen den Krieg gepostet hatte. Unter anderem hatte Tscharov dazu aufgerufen, nicht zum Einberufungsamt zu gehen und hatte denjenigen in seinem „Armenhaus“ Asyl angeboten, die sich vor der Mobilmachung verstecken wollen. Nach der Protokollaufnahme, betitelte Tscharov den Paragraphen, nach dem man ihn verurteilt hatte, mit „Diskreditierung des russischen Faschismus.“
Jeweils 19 Jahre Lagerhaft wurden im Verfahren gegen Roman Nasryjev und Aleksej Nurijev gefordert, die man beschuldigt, ein militärisches Registrierungsbüro im Gebiet Tscheljabinsk in Brand gesetzt zu haben. Sie werden wegen Terrorismus angeklagt, weil sie einen Molotow-Cocktail in ein Fenster geworfen haben; das dadurch entstandene Feuer wurde von einem Wächter gelöscht. Roman Nasryjev, der die Tat gestanden hat, betonte, er habe mit dieser Aktion niemandem Schaden zufügen wollen. „Ich wollte nur zeigen, dass es in unserer Stadt Widerspruch gegen die Mobilmachung und die \'militärische Spezialoperation\' gibt. Ich wollte auf diese Weise meine Ablehnung zum Ausdruck bringen, ich wollte, dass meine Stimme gehört wird“, erklärte er.
Wegen einer Karikatur über russische Propagandisten wurde Viktorija Kotschkassova aus Voronezh festgenommen. Die Aktivistin ging auf den Sowjetischen Platz und entrollte ein Plakat mit der Abbildung von Vladimir Solovev, Margarita Simonjan und Olga Skabejeva.
Aufschrift auf dem Plakat: „Ich glaube ihnen nicht. Und du?“
„Eine besondere Form der Schizophrenie – Die Heimat in einem fremden Land verteidigen.“ Aufgrund dieses Kommentars bei VKontakte wurde gegen einen 60-jährigen Rentner aus dem Gebiet Nizhnij Novgorod ein Protokoll wegen „Diskreditierung der russischen Armee“ aufgenommen.
Am 24. März wurde wegen Posts über die Okkupation ukrainischen Territoriums im Netzwerk „Odnoklassniki“ [Klassenkameraden] gegen einen Bewohner von Tomsk ein Protokoll wegen „Diskreditierung der Armee“ aufgenommen, außerdem wurde sein Telefon sowie sein Computerturm beschlagnahmt.
Zu einer Geldstrafe wurde die Journalistin Ela Znamenskaja wegen ihres Streams „Ihre Denunziation ist sehr wichtig für uns“ verurteilt. Man befand sie für schuldig, die russische Armee mit diesen Aussagen diskreditiert zu haben: „Sie kehren mit dem Gefühl der völligen Straflosigkeit zurück“, „Sie verschicken die Beute“, „Wegen den Ambitionen von irgendwem – hunderte von Toten, wir versuchen dort irgendetwas zu entnazifizieren“ und „Mich beunruhigt, dass die offiziellen Quellen Russlands Fake sind.“ Die Journalistin glaubt, dass ein Veteran der „militärischen Spezialoperation“ sie angezeigt und sich an den Abgeordneten Aleksandr Chinschtejn gewendet hat, der dies seinerseits an Medienkontrollbehörde Rozkomnadzor weiterleitete.
Am 27. März wurde Oleg Schutkov bei einer Einzelkundgebung in Samara festgenommen, er hatte in einer am Fluss entlang führenden Fußgängerzone ein Plakat mit der Aufschrift „Umarme mich, wenn du gegen den Krieg bist“ hochgehalten.
Am 27. März wurde Lev Sokolov festgenommen, der auf dem Puschkin-Platz in Moskau eine Einzelkundgebung abhielt mit einem Plakat mit dem Vyssozkij-Zitat „Jeder, der vergossenes Blut rechtfertigt, muss bereit sein, sein eigenes zu vergießen.“
Am 28. März wurde ein Mann bei einer Einzelkundgebung mit dem Plakat „Nein zum Krieg. Ich will, dass mein Papa lebt“ in der Stadt Zheleznodorozhnyj im Gebiet Moskau festgenommen.
Am 30. März wurde in Rjazan Lev Sokolov mit dem Plakat „Nimm\' mich fest, wenn du gegen den Krieg bist! Die militärische Spezialoperation ist sinnlos und gnadenlos“ festgenommen. Lev führte die Demonstration am Platz des Sieges durch.
Am 30. März wurde Viktor Moskalev, Mitarbeiter am Moskauer Institut für Physik und Technologie (MFTI) verhaftet. Gegen ihn war ein Verfahren eröffnet worden wegen zweier Kommentare auf der Website der Manager-Gesellschaft e-xecutive.ru, die am 9. April 2022 veröffentlicht worden waren. Der erste enthielt die Information, dass die russischen Streitkräfte die Stadt Mariupol dem Erdboden gleichgemacht, Tschernihiv, Charkiv und Kyjiv beschossen und „mit der Zivilbevölkerung nicht viel Federlesens“ gemacht hätten. Im zweiten wurden russische Soldaten unter anderem beschuldigt, Fernseher sowie Grafikkarten gestohlen und ukrainische Frauen vergewaltigt und getötet zu haben.
Am 3. April wurde in Sevastopol eine 58-jährige Frau wegen pro-ukrainischer Aufschriften festgenommen. Die Rentnerin hatte die Aufschriften im Laufe der letzten Monate als Zeichen ihres Protests gegen den Krieg und aus „anderen politischen Motiven“ hinterlassen.
Am 4. April wurde in Moskau am Ochotnyj Rjad Vladimir Jermakov mit einem Plakat mit der Aufschrift „Nein zum Krieg“ festgenommen. Am 7. April wurde er zu einer Geldstrafe von 40 000 Rubel verurteilt (2,5 monatliche Mindestlöhne), weil er nach Ansicht des Gerichts die russischen Streitkräfte diskreditiert hat.
Am 5. April wurde nach Angaben von RusNews in Moskau auf dem Kutusov-Prospekt ein Autofahrer festgenommen, auf dessen Auto die Aufschrift „Nein zum Krieg“ prangte. Weiter wird berichtet, der Festgenommene sei der Restaurant-Geschäftsführer Igor Polev.
Am 6. April wurde die Aktivistin Jelena Tarbajeva, die sich am Tag des Prozesses im Fall Mascha Moskaleva mit dem Plakat „Putin isst Kinder“ an das Gerichtsgebäude gestellt hatte, verhaftet. Gegen die junge Frau wurde ein Protokoll wegen „Diskreditierung der Armee“ aufgenommen.
„Betrüger! Ihr solltet besser die Jungs zurückbringen“, so kommentierte eine zufällige Passantin den feierlichen Empfang eines Mobilisierten auf einem Flughafen in Jakutsk. Die Frau wurde zu einer Geldstrafe von 30 000 Rubel (2 monatliche Mindestlöhne) wegen „Diskreditierung der russischen Streitkräfte“ verurteilt.
„Diesen Schwachsinn muss man auf allen Ebenen sabotieren. Sollen doch nur die gehen, die bereit sind, für Putlers Psychosen zu sterben, die anderen soll man in Ruhe lassen.“ „Die Probleme des Donbas sitzen im Kreml. Wenn du willst, dass man dort nicht in Kellern lebt – geh\' mit Heugabeln in den Kreml, und schick\' keine Männer in den Tod für den Arsch Putins.“ „Menschen dürfen nicht für die kranken Phantasien von Diktatoren sterben.“ Aufgrund dieser und anderer Kommentare bei VKontakte wurde gegen Vassilij Bolschakov aus der Stadt Kassimov ein Verfahren wegen „wiederholter Diskreditierung der Armee“ eingeleitet https://t.me/ovdinfolive/20009. Das erste Strafverfahren gegen ihn war wegen einem Witz über den Rückzug aus Kherson eingeleitet worden.
Annullierung „russischer Kultur“
Die Konzerte von Diana Arbenina, die sich gegen den Krieg in der Ukraine ausgesprochen hatte, sowie der Gruppe „Notschnye Snajpery“ [Nächtliche Scharfschützen], deren Leadsängerin sie ist, werden weiterhin abgesagt.
In Krasnodar und in Sotschi wurden die Konzerte von Valerij Meladze abgesagt. Zuvor waren bereits geplante Auftritte von ihm in sieben russischen Städten abgesagt worden. Der Künstler hatte sich mehrfach gegen den Krieg ausgesprochen. Am 24. Februar 2022 hatte er eine Videoansprache aufgenommen, in der er von den russischen Machthabern fordert, die Kriegshandlungen in der Ukraine einzustellen.
In Perm wurde ein Konzert der Pianistin Polina Ossetinskaja, die sich gegen den Krieg gewandt hatte, abgesagt.
Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker
Mai 2023