Zum Überfall auf Tumsu Abdurachmanov

Erklärung des Menschenrechtszentrums Memorial

Am 26. Februar 2020 wurde in einem europäischen Land ein Anschlag auf Tumsu Abdurachmanov verübt. Abdurachmanov ist ein bekannter tschetschenischer Blogger und konsequenter Kritiker des Kadyrov-Regimes. Ein Unbekannter drang in seine Wohnung ein. Abdurachmanov war zu dem Zeitpunkt allein und schlief. Der Attentäter schlug ihm mit dem Hammer auf den Kopf. Der Schlag war nicht tödlich; Tumsu wachte auf und setzte sich zur Wehr, er entriss dem Angreifer den Hammer, verletzte ihn erheblich und rief dann die Polizei. Beide wurden ins Krankenhaus eingeliefert, wo sie unter Polizei-Aufsicht stehen.

Bis zum Eintreffen der Polizei fertigte Abdurachmanov eine Video-Aufzeichnung an: Der in einer Blutlache am Boden liegende Mann gibt die Auskunft, er heiße Arslan und sei aus Moskau, ein „Abdurachman aus Groznyj“ habe ihn beauftragt, dem Opfer „einen Schrecken einzujagen“. Auf die Frage, wie der Angreifer die Adresse des Bloggers erhaben habe, der sich in Europa versteckt halte, antwortet er: „Sie haben sie mir mitgeteilt. Meine Mutter ist bei ihnen“.

Das ist nicht der erste Überfall auf einen Menschen, der Ramzan Kadyrov nicht genehm ist. Auftragskiller aus Tschetschenien haben bereits zahlreiche Morde und Anschläge in Moskau, anderen russischen Regionen, in der Türkei, der Ukraine und in Ländern West- und Mitteleuropas verübt. Das belegen nicht nur die Geständnisse der Festgenommenen, Unterlagen von Strafverfahren und Veröffentlichungen in den Medien - es liegt auch ein Urteil vor. Ramzan Kadyrov ruft mit Unterstützung des Kreml öffentlich dazu auf, mit Kritikern der tschetschenischen Machthaber abzurechnen, „sie zu töten, hinter Gitter zu bringen, alles mit ihnen zu machen, was nur möglich ist“.

Am 26. Februar, am Tag des Überfalls, ging bei Memorial eine Antwort von der Tschetschenien-Abteilung des russischen Ermittlungskomitees ein – es wurde abgelehnt, dieses Verbrechen Kadyrovs – seine öffentlichen Mordaufrufe – auch nur zu untersuchen. Wir hatten einen diesbezüglichen Appell an das Ermittlungskomitee Russlands gerichtet, der allerdings nach Tschetschenien weitergeleitet wurde. Damit wurde nur ein weiteres Mal bestätigt, was ohnehin offensichtlich ist – dass die russischen föderalen Behörden die Verbrechen der tschetschenischen Machthaber decken.

Wir haben vor kurzem über den systematischen Terror gegen Flüchtlinge aus Tschetschenien, die dem Kadyrov-Regime nicht passen, berichtet. Im März 2019 hat ein einflussreicher „Kadyrov-Mann“, der Parlamentssprecher Tschetscheniens Magomed Daudov, Tumsu Abdurachmanov mit Blutrache gedroht. Wir haben darüber informiert, dass sich offenbar in diesem Zusammenhang tschetschenische Sicherheitsleute an Vertreter der tschetschenischen Diaspora in Europa gewandt und ihnen Geld angeboten hatten - gegen Informationen über den Aufenthaltsort Abdurachmanovs. Sie verlangten, zumindest die Adresse seines Wohnhauses mitzuteilen, „die Wohnung finden wir dann schon selbst“. Andere Personen – vermutlich ebenfalls tschetschenische Agenten – boten Vertretern der Diaspora eine Million Euro für seine physische Vernichtung.

Jetzt ist es zu einem Anschlag gekommen, glücklicherweise erfolglos. Wir hoffen, dass die Behörden des Landes, in dem dies geschehen ist, Ermittlungen einleiten und aufklären können, wohin die Spuren führen, obwohl alles auch so schon klar ist.

Am 27. Februar können wir nicht umhin, daran zu erinnern, dass vor fünf Jahren in Moskau einer der Führer der russischen Opposition – Boris Nemtsov – Opfer eines feigen Mordanschlags wurde, ausgeführt von Auftragskillern aus Tschetschenien. Die Ermittlung war nicht gewillt, die Organisatoren ausfindig zu machen, man riskierte es nicht, die Auftraggeber zu nennen.

Am 29. Februar findet in Moskau eine Demonstration zum Gedenken an Boris Nemtsov statt. Aktionen im Zusammenhang mit diesem traurigen Datum werden in vielen Städten Russlands und anderer Länder durchgeführt. Wir werden an der Kundgebung teilnehmen und rufen alle, die die Kette politischer Morde stoppen wollen, im In- und Ausland dazu auf, sich den Demonstrationen anzuschließen.

27. Februar 2020

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