Während eines Besuchs in seiner Heimatstadt Homel in Belarus wurde Vitali Shkliarov im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen am 30. Juli 2020 festgenommen und sitzt seither ohne Angabe von Gründen in Haft. Shkliarov hatte in der Vergangenheit in Russland bereits Kandidaten der Opposition bei Wahlkämpfen beraten und engagiert sich ebenfalls in Belarus schon jahrelang für freie und demokratische Wahlen. Seine Beschwerde über eine unrechtmäßige Verhaftung wurde abgelehnt. Über seinen Anwalt übermittelte er nun eine Erklärung, Kontakte zur Außenwelt werden Shkliarov verwehrt. Wir bringen diese Erklärung leicht gekürzt in Übersetzung.
Artyom Vazhenkov ist heute aus der Haft in Belarus entlassen worden. Eine Anklage gegen ihn wurde bisher nicht erhoben. Nach der Erledigung einiger Formalitäten in der russischen Botschaft (er hat keinen Ausweis bei sich) wird er nach Auskunft von „Otkrytaja Rossija“ nach Russland ausreisen.
Die Ermittlungen gegen ihn (wegen angeblicher Beteiligung an Massenunruhen) werden allerdings fortgesetzt. Untersuchungshaft wurde jedoch nicht angeordnet und seine Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt, wie sein Anwalt betonte. Allerdings ist er verpflichtet, im Falle einer Vorladung vor den Ermittlungsorganen zu erscheinen.
Der Kontakt zu Vazhenkov war am 10. August abends abgebrochen. Kurz danach stellte die staatliche Nachrichtenagentur BelTA ein Video ins Netz, auf dem Misshandlungen mehrerer Festgenommener, auch Vazhenkovs, zu sehen sind.
15. August 2020
Gestern konnte Vazhenkovs Anwalt Anton Gaschinskij seinen Mandanten besuchen und seiner Vernehmung beiwohnen. Am 9. August brach bereits der Kontakt zu Vazhenkov ab, und am 11. August wurde das Video ins Netz gestellt, auf dem er nach seinen Misshandlungen zu sehen ist.
Nachfolgend ein Interview mit Gaschinski, das Dmitrij Kotschetov für "Umnyj gorod" geführt hat.
Nach jüngsten Informationen wurden Kostjantin Reutskyj und Jevhen Vasyljev inzwischen freigelassen und befinden sich auf dem Heimweg.
Artem Vazhenkov befindet sich nach wie vor in Haft. Angehörige bekommen keinen Kontakt zu ihm. Sein Anwalt hat ihn gestern besucht und berichtet von schweren Misshandlungen.
14. August 2020
Weiterlesen … Belarus: Ukrainische Festgenommene freigelassen. Vazhenkov weiterhin in Haft
Nach den Präsidentschaftswahlen in Belarus wurden im Zusammenhang mit Protesten gegen Wahlfälschung mehrere tausend Personen festgenommen. Darunter befinden sich auch Aktivisten aus dem Ausland, darunter der Ukraine und Russland. Einige der Festgenommenen wurden inzwischen wieder freigelassen oder zu Haftstrafen von bis zu 15 Tagen verurteilt.
Erklärung von Memorial International
Die groben Fälschungen der Präsidentschaftswahlen durch die Behörden in Belarus haben Massendemonstrationen von empörten Bürgern in der gesamten Republik ausgelöst.
Ein Moskauer Bezirksgericht hat am 6. August 2020 alle sieben noch verbliebenen Angeklagten im Verfahren Novoe Velitschie (Neue Größe) der Gründung einer extremistischen Organisation (Art. 282.1 StGB RF) für schuldig befunden. Am 15. März 2018 waren in Moskau zehn Personen verhaftet worden, denen man die Gründung einer extremistischen Vereinigung namens „Novoe Velitschie“ (Neue Größe) und die Planung eines Staatsstreichs zur Last legte.
Inzwischen haben alle beteiligten Parteien gegen das am 22. Juli gegen Jurij Dmitriev ergangene Urteil Berufung eingelegt, sowohl die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger als auch Dmitriev selbst. Dmitriev geht es darum, einen vollständigen Freispruch zu erreichen.
Die Berufungsklagen werden vom Stadtgericht geprüft und dann ans Oberste Gericht Kareliens übergeben.
Dmitriev befindet sich nach wie vor im Untersuchungsgefängnis in Petrosavodsk.
7. August 2020
Die Staatsanwaltschaft hat für die Angeklagten im Verfahren „Novoe Velitschie“ (Neue Größe) Mitte Juli zum Teil hohe Haftstrafen gefordert: Demgemäß sollen Ruslan Kostylenkov 7 Jahre und 6 Monate, Vjatscheslav Krjukov 6 Jahre und Petr Karamzin 6 Jahre und 6 Monate in Haft. Für die übrigen Angeklagten wurden Bewährungsstrafen beantragt: 4 Jahre für Anna Pavlikova, 6 Jahre für Maria Dubovik, 6 Jahre und 6 Monate für Dmitrij Poletaev und Maksim Roschtschin.
Das Menschenrechtszentrum Memorial hat sie alle als politische Gefangene anerkannt.
Im Sommer 1997 war Dmitriev maßgeblich an der Entdeckung der Massengräber im Waldstück von Sandormoch beteiligt. Zu diesem Zeitpunkt waren erst 1.011 Personen bekannt, die hier erschossen worden waren. Sie waren mit einem Transport von den Solowezkij-Inseln hierher geschafft worden.
Das Stadtgericht von Petrosavodsk hat Jurij Dmitriev zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren strengen Regimes verurteilt.
Memorial International hat aus diesem Anlass folgende Erklärung veröffentlicht:
Der langwierige Prozess gegen Jurij Dmitriev fand heute, am 22. Juli 2020 seinen Abschluss. Er endete mit einem partiellen Schuldspruch. Dmitriev wurde zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.
Weiterlesen … Jurij Dmitriev zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt
In Moskau und St. Petersburg fanden am 15. Juli 2020 die größten Proteste seit Beginn des Jahres 2020 statt. Die Organisatoren der Aktion „Net vetschnomu Putinu“ [Nein zum ewigen Putin] hatten dazu aufgerufen, sich an einer öffentlichen Unterschriftenaktion zu beteiligen mit dem Ziel einer kollektiven Sammelklage gegen die Ergebnisse der Abstimmung zur Änderung der russischen Verfassung.
Die Anzahl politischer Gefangener in Russland ist seit der letzten Aktualisierung der Listen am 13. April 2020 von 318 auf 333 gestiegen. Das Menschenrechtszentrum Memorial führt eine Liste von Personen, deren Verhaftung in Zusammenhang mit ihrem Glauben steht, sowie eine weitere über Gefangene, die aus politischen Gründen inhaftiert sind. Mit Stand vom 10. Juli 2020 sind 333 Personen verzeichnet: 270 wurden aufgrund ihrer religiösen Überzeugung (April: 256) und 63 aus politischen Gründen ihrer Freiheit beraubt (April: 62).
Weiterlesen … Memorial veröffentlicht aktualisierte Listen politischer Gefangener
Erklärung des Menschenrechtszentrums Memorial
Am Morgen des 7. Juli 2020 wurde in Moskau Ivan Safronov festgenommen, der Berater des Leiters der russischen Raumfahrtbehörde „Roskosmos“. Er wird des Landesverrats verdächtigt. Bis vor kurzem arbeitete er als Journalist bei den „Kommersant“ und „Vedomosti“, er war spezialisiert auf die Themen Armee und Kosmos. Am selben Tag verfügte das Bezirksgericht Lefortovo für Safronov eine Untersuchungshaft von einem Monat und dreißig Tagen. Wie sein Anwalt berichtete, wird Safronov verdächtigt, geheime Daten an den tschechischen Geheimdienst weitergegeben zu haben, der seinerseits unter der Leitung der USA agiere: Safronov sei angeblich 2012 angeworben worden und habe 2017 über das Internet geheime Informationen über die militärische Zusammenarbeit zwischen Russland und einem afrikanischen oder nahöstlichen Land weitergegeben.
Erklärung von Memorial International angesichts des bevorstehenden Urteils im Prozess gegen Jurij Dmitriev
In Petrozavodsk (Republik Karelien) geht einer der aufsehenerregendsten Prozesse im heutigen Russland zu Ende. Am 8. Juli 2020 fanden die Plädoyers im Verfahren gegen den 64jährigen Historiker Jurij Dmitriev statt, der durch seine Forschungen zu den stalinistischen Repressionen in seiner Heimatregion bekannt geworden ist. Die Staatsanwaltschaft fordert 15 Jahre Haft in einer Strafkolonie strengen Regimes.
Im Januar dieses Jahres, kurz vor dem zunächst im Februar erwarteten Ende des Prozesses gegen Jurij Dmitriev, wurde nachstehende Petition an Präsident Putin gerichtet, unterzeichnet von über 100 Personen. Wir bringen die deutsche Übersetzung.
Sehr geehrter Herr Präsident,
wir möchten hiermit unsere ernsthafte Sorge aus Anlass des Strafverfahrens gegen Jurij Dmitriev zum Ausdruck bringen. Der Historiker aus Karelien ist durch seinen herausragenden Beitrag zur Bewahrung der Erinnerung an die Opfer stalinistischer Repressionen bekannt geworden. Parallel zu dem Verfahren gegen Dmitriev gibt es Versuche, die Geschichte des Gedenk-Friedhofs Sandarmoch umzuschreiben.
Erklärung von Memorial International
Der zweite Prozess gegen den Historiker und Leiter von Memorial Karelien, unseren Freund und Kollegen Jurij Dmitriev, steht vor dem Abschluss.
Jurij Dmitriev hat die Namen vieler tausend Menschen, Opfer des politischen Staatsterrors in unserem Lande, aus dem Vergessen zurückgeholt. Seit mehr als dreißig Jahren forscht er zur Geschichte des GULAG in Karelien. Sein Beitrag zur Recherche nach Massengräbern von Opfern des stalinistischen Terrors in Sandarmoch und Krasnyj Bor ist von unschätzbarem Wert. An diesen Orten finden jetzt alljährlich Gedenkveranstaltungen statt, mit zahlreichen Besuchern aus dem In- und Ausland.
Weiterlesen … Jurij Dmitriev ist unschuldig und muss freigelassen werden
Heute begannen im Prozess gegen Jurij Dmitriev die Plädoyers, die morgen (8. Juli) fortgesetzt werden.
Die Anklagevertretung hat eine Haftstrafe von 15 Jahren strengen Regimes für Dmitriev beantragt. Wann das Urteil erfolgt, ist zum heutigen Zeitpunkt noch nicht bekannt.
7. Juli 2020
Weiterlesen … Prozess gegen Jurij Dmitriev: Staatsanwältin fordert 15 Jahre Haft
2016-2020. Chronologie
In einem anonymen Brief an die Sicherheitsorgane wird berichtet, Dmitriev mache Fotos von seiner elfjährigen Pflegetochter in unbekleidetem Zustand. Zwei Fotos sind beigelegt. Der anonyme Schreiber fordert „Maßnahmen“ gegen Dmitriev. Weder die Ermittlung noch das Gericht haben Versuche unternommen, um den Schreiber ausfindig zu machen, er ist bis heute unbekannt.
Weiterlesen … Überblick über die Verfahren gegen Jurij Dmitriev. Chronologie
Urteil gegen Leonid Ladanov bleibt in Kraft
Die Verfahren, die im nach dem Skandal in Galjaschor gegen verschiedene Teilnehmer der Expedition von Memorial Perm vom August letzten Jahres eingeleitet worden waren, sind jetzt zu einem Ende gekommen.
Weiterlesen … Gastgeber litauischer Freiwilliger in Region Perm zu Geldstrafe verurteilt
Berlin, 26.06.2020. Mit dem Talk-Podcast „MEMORIAL Deutschland – Im Gespräch" startet die Menschenrechtsorganisation MEMORIAL Deutschland ein neues Audio-Format über deutsch-russische Themen und zur Lage der Menschenrechte in Russland.
Der Gesprächspodcast bietet neben Hintergrundwissen und neuen Erkenntnissen zur aktuell angespannten Lage im deutsch-russischen Verhältnis, zur schwierigen Situation für Bürgerrechtler und zur Lage der freien Meinungsäußerung in Russland auch einen Einblick in die vielseitige MEMORIAL-Projektarbeit mit Partnerorganisationen in Russland.