Nachrichten mit dem Stichwort

UN-Ausschuss gegen Folter zur Einhaltung des Übereinkommens gegen Folter durch die Russische Föderation

(11.04.2002)
Am 16. Mai 2002 gab der Ausschuss gegen Folter der Organisation der Vereinten Nationen "Schlussfolgerungen und Empfehlungen" hinsichtlich der Einhaltung des "Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe" durch die Russische Föderation bekannt, die vor allem verschiedene Aspekte der Menschenrechtslage in der Tschetschenischen Republik berühren. Dies ist nicht zuletzt auch auf den Beitrag der russischen nichtstaatlichen Organisationen, insbesondere von "Memorial" zurückzuführen.

Der UN-Ausschuss gegen Folter hatte vom 29. April bis zum 17. Mai 2002 in Genf getagt, und auf den Sitzungen am 13., 14. und 16. Mai war die Einhaltung des "Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe" durch die Russische Föderation erörtert worden.

Die Russische Föderation hatte dem Ausschuss rechtzeitig ihren dritten turnusmäßigen Bericht über die Einhaltung des Übereinkommens vorgelegt, der den Zeitraum 1996-2000 umfasst.

Russische nichtstaatliche Menschenrechtsorganisationen haben zu dem Bericht der Regierung Stellung genommen. Gleichzeitig haben einige internationale und auch russische Menschenrechtsorganisationen dem Ausschuss zusätzliches Material präsentiert. So hat die internationale Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" eine Denkschrift verbreitet, "Memorial" legte ein kurzes Referat über die Anwendung von Folter im militärischen Konfliktgebiet in Tschetschenien vor (das Referat wurde ins Französische übersetzt und vom internationalen Dachverband der Menschenrechtsorganisationen FIDH verbreitet).

Nachdem die UN-Menschenrechtskommission auf ihrer 59. Tagung die Annahme einer Resolution zur Lage in der Tschetschenischen Republik (mit sechzehn gegen fünfzehn Stimmen!) abgelehnt hatte, sind nunmehr "Schlussfolgerungen und Empfehlungen" durch ein offizielles Organ der Vereinten Nationen verabschiedet worden, die auf viele Aspekte der Menschenrechtssituation im nördlichen Kaukasus eingehen:

"7. Im Zusammenhang mit den Ereignissen in Tschetschenien bringt der Ausschuss seine Besorgnis insbesondere über folgende Punkte zum Ausdruck:

a) nach wie vor gehen zahlreiche Mitteilungen ein über schwere Verletzungen der Menschenrechte und der Bestimmungen des Übereinkommen, darunter willkürliche Verhaftungen, Folter und Misshandlungen einschließlich der Erzwingung von Geständnissen, unrechtmäßiger Hinrichtungen, gewaltsamen Verschwindens, v. a. während "Spezialoperationen" oder "Säuberungen", und ebenso über zeitweilige Einrichtung illegaler Gefangenenlager, einschließlich "Filtrationslager". Ungewöhnlich häufig sind Beschwerden über brutale sexuelle Gewalt. Außerdem sind erneut militärische Einheiten in das Konfliktgebiet entsandt worden, die für ihre besondere Brutalität gegenüber der Zivilbevölkerung bekannt sind;

b) die in Tschetschenien eingesetzten militärischen Verbände unterstehen vielfach unterschiedlichen Behörden, was die Identifizierung derjenigen Soldaten erschwert, die für die oben genannten Verstöße verantwortlich sind;

c) die fehlende effiziente Umsetzung der oben genannten Befehle Nr. 46 und 80;

d) das duale Rechtssystem in Tschetschenien, das aus militärischen und zivilen Staatsanwälten und Gerichten besteht, was zu inakzeptabel langen Verzögerungen bei der Klageerhebung führt und einen Kreislauf in Gang setzt, in dem Informationen und Ermittlungskompetenzen von einer Stelle zur anderen und zurück verschoben werden, ohne dass die Strafverfolgung eingeleitet wird. Der Ausschuss stellt mit Besorgnis fest, dass die zivilen Staatsanwälte militärisches Personal nicht befragen dürfen und an Militärstandorten keine Ermittlungen zur Beweiserhebung durchführen dürfen, deren Ergebnisse erforderlich wären, um die Militärstaatsanwaltschaft zur Aufnahme der Strafverfolgung zu verpflichten. Zu Besorgnis gibt ferner die fehlende Unabhängigkeit der Militärgerichte, der Militärstaatsanwälte und -richter Anlass, wodurch nur in sehr wenigen Fällen gegen Militärangehörige, die eines Fehlverhaltens verdächtig sind, Anklage erhoben wird.
[…]

9. Im Hinblick auf die Lage in der Tschetschenischen Republik empfiehlt der Ausschuss ferner, dass die Russische Föderation

a) die justizielle Zuständigkeit für die Vorfälle in Tschetschenien klärt, deren Status derzeit unbestimmt ist, da der Ausnahmezustand nicht erklärt worden ist, obwohl nach wie vor ein bewaffneter Konflikt nicht-internationaler Art besteht. Eine solche Klärung würde den Opfern wirkungsvolle Mittel an die Hand geben, Schadenersatz für etwaige Rechtsverletzungen zu erhalten, und so verhindern, dass sie in einen Teufelskreis unterschiedlicher militärischer und ziviler Ressorts und Dienststellen geraten;

b) Obwohl in Tschetschenien eine Vielzahl von Mechanismen zur Prüfung von Beschwerden betreffend Menschenrechtsverletzungen geschaffen wurde, besitzt keine dieser Strukturen die Merkmale eines unabhängigen und unparteilichen Untersuchungsorgans. Der Ausschuss wiederholt seine Schlussfolgerung von 1996, in der die Regierung des Vertragsstaats aufgefordert wurde, einen glaubwürdigen, unparteilichen und "unabhängigen Ausschuss einzusetzen, der die Vorwürfe betreffend die Verletzung des Übereinkommens durch die Streitkräfte der Russischen Föderation und Tschetschenische Separatisten untersucht, um diejenigen zur gerichtlichen Verantwortung zu ziehen, die erwiesenermaßen an solchen Taten beteiligt oder mitschuldig waren";

c) die wirksame Umsetzung der Befehle Nr. 46 und 80 sicherstellt sowie klare Richtlinien für die Durchführung von "Säuberungen" verabschiedet;

d) die Kompetenzen des Sonderbeauftragten des Präsidenten der Russischen Förderation für den Schutz der Menschen- und Bürgerrechte in der Tschetschenischen Republik so erweitert, dass dieser Untersuchungen durchführen und Staatsanwälten Empfehlungen im Hinblick auf mögliche Strafsachen geben kann;

e) Maßnahmen ergreift, um sicherzustellen, dass die Streitkräfte ziviler Kontrolle unterliegen und dass das Verbot der Schikanierung sowie von Folter und Misshandlung innerhalb der Streitkräfte unter Wehrpflichtigen wie Offizieren praktisch eingehalten wird;

f) die Bildung einer aus Vertretern der Militär- und der Zivilstaatsanwaltschaft bestehenden gemeinsamen Ermittlungsgruppe vorsieht, solange nicht die Möglichkeit besteht, festzustellen, in wessen sachliche und richterliche Zuständigkeit eine Angelegenheit fällt."

Wir hoffen, dass die zwischenstaatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen diese "Schlussfolgerungen und Empfehlungen" entsprechend einbringen können.

(Übersetzung aus dem Russischen: Andreas Koch)

Weiterlesen …

MEMORIAL erhält den Lew-Kopelew-Preis für Frieden und Menschenrechte 2002

(11.04.2002)
aus dem Russischen übersetzt von Agnes Gilka-Bötzow

Am 7. April 2002 wurde der internationalen historisch-aufklärerischen Menschenrechtsorganisation Memorial der Lew-Kopelew-Preis für Frieden und Menschrechte 2002 verliehen. Die vom Lew-Kopelew-Forum gestiftete Auszeichnung erhielt die Organisation MEMORIAL "für ihre Verdienste um die Aufarbeitung der Stalin-Diktatur und ihren Einsatz zum Schutz der Menschenrechte". Bundespräsident Johannes Rau, der den Preis überreichte, bezeichnete MEMORIAL als einen der wichtigsten Pioniere der demokratischen Entwicklung in Russland. "Die Deutschen wissen aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, die ganze Wahrheit über ihre totalitäre Vergangenheit zu sagen. Denn anders kann eine demokratische Erneuerung nicht gelingen.", mahnte Rau.

Fritz Pleitgen, Intendant des WDR, sieht in der Organisation MEMORIAL eine der wertvollsten Errungenschaften der neuen Epoche in Russland, da ihre Hauptaufgabe heute wie in der Vergangenheit der Schutz der Menschenwürde sei. "Memorial untersucht nicht nur die Verbrechen des Totalitarismus, sondern wendet sich auch heute mutig gegen Menschenrechtsverletzungen auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion. MEMORIAL setzt sich dafür ein, dass die Stimmen der Opfer von Menschenrechtsverletzungen bei UNO, Europarat und OSZE gehört und Verbrechen auf die Tagesordnung gesetzt werden", betonte Pleitgen.

Die Vertreter von MEMORIAL bei der Preisverleihung waren A. B. Roginskij (Vorsitzender), E. B. Schemkowa (geschäftsführende Direktorin) und A. J. Daniel (Vorstandsmitglied und Direktor des Programms "Die Geschichte des Andersdenkens in der UdSSR").

A. B. Roginskij erläuterte in seiner Rede den Zusammenhang zwischen dem Kampf des Dissidenten Lew Kopelew und der heutigen Tätigkeit von Memorial und erinnerte an die Aufgaben eines wahren Historikers. Das Wichtigste sei es, die Wahrheit über die Ereignisse der Vergangenheit herauszufinden. Der Historiker muss Fakten sammeln, verifizieren, systematisieren und analysieren, um sie dann der Öffentlichkeit vorzustellen. Die Aufgaben eines Menschenrechtlers seien im Grunde die gleichen, mit dem einzigen Unterschied, dass sie Ereignisse in der Gegenwart betreffen.

"Der Sinn unserer Tätigkeit liegt im Kampf für Wahrheit und Recht, für eine demokratische Zukunft unseres Landes.", sagte A. B. Roginskij. "Das ist der gleiche Kampf, den jahrzehntelang auch Lew Kopelew mit einer Handvoll gleichgesinnter Dissidenten führte. Wir setzen einfach die von ihm begonnene Arbeit fort. Wir machen weiter unter neuen Bedingungen natürlich, die weit weniger gefährlich aber wahrscheinlich nicht weniger schwierig sind."

Weiterlesen …

Offener Brief russischer NGOs (Menschen- und Bürgerrechte in Tschetschenien)

(19.06.2002)
Die Organisationen (u.a. Memorial, die Moskauer Helsinki-Gruppe, die Gesellschaft für russisch-tschetschenische Freundschaft, das "Echo des Krieges") erinnern in ihrem Schreiben an die im November vergangenen Jahres anlässlich des Bürgerforums getroffenen Vereinbarungen, die regelmässige Arbeitstreffen zwischen Vertretern des Staates und NGO`s zur Frage der Wahrung der Menschenrechte in der Tschetschenischen Republik vorsehen.

Zuständig für diese Treffen sind von staatlicher Seite der Präsidentenberater Jastreschembski sowie der Sonderbeauftragte des russischen Präsidenten für den Schutz der Menschen- und Bürgerrechte in der Tschetschenischen Republik Kalamanow.

Seit letzten Januar haben die Treffen regelmäßig in Tschetschenien stattgefunden, ein Treffen wurde in der Moskauer Präsidialverwaltung durchgeführt; ständige Kontakte bestanden zwischen den NGO`s und Vertretern der Staatsanwaltschaft, dem Sonderberater des russischen Präsidenten für den Schutz der Menschen- und Bürgerrechte in der Tschetschenischen Republik und den militärischen Befehlshabern.

Nach nunmehr sechsmonatigen Beratungen und Arbeitstreffen müssen die NGO`s jedoch zu ihrem tiefen Bedauern feststellen, dass ihre Arbeit im Wesentlichen ergebnislos blieb. Einzig sichtbarer Erfolg dürfte der Befehl Nr. 80 des Oberkommandierenden für den Nordkaukasus sein. Der Befehl regelt das Vorgehen der Streitkräfte bei der Durchführung von Spezialoperationen in Ortschaften und soll der Willkür und Gewaltanwendung gegenüber der Zivilbevölkerung Grenzen setzen.

Mehr als zwei Monate nach seiner Veröffentlichung zeigt sich jedoch, dass der Befehl allgemein und vorsätzlich durch die Streitkräfte missachtet wird. Eine Antwort auf die Frage, was konkret unternommen wird, um die Einhaltung des Befehls sicherzustellen, und wer für die gezielte Missachtung des Befehls bestraft wird, erfolgte nicht. Die Mehrzahl der Anfragen, die die NGO`s an die Staatsanwaltschaft richteten, blieb inhaltlich unbeantwortet. Damit wird der Gedanke eines "Gesprächsforums" über Menschenrechtsfragen in der Tschetschenischen Republik insgesamt diskreditiert.

Die Menschenrechtsorganisationen erklären deshalb, dass sie nicht bereit sind, an der Schaffung "potemkinscher Dörfer" mitzuwirken und dies auch in Zukunft nicht tun werden: "Wir möchten nicht, dass "die gemeinsame Arbeit der staatlichen Organe und der NGO`s zum Schutz der Menschenrechte in Tschetschenien" lediglich der Deckmantel ist, unter dem Willkür und Gewaltmissbrauch wie bisher praktiziert werden."

Die NGO`s äussern ihre Zweifel daran, ob die Fortsetzung der Arbeit im Rahmen der Gesprächsforen zur Wahrung der Menschenrechte in der Tschetschenischen Republik in der bisherigen Form noch sinnvoll und zweckmäßig sein kann. Die NGO`s haben daher vor dem planmäßigen Juni-Treffen einen Verfahrenskatalog für den gegenseitigen Informationsaustausch vorgeschlagen, der vorsieht, dass konkrete Anfragen am darauffolgenden Treffen durch die Vertreter der Staatsanwaltschaft nach bestimmten Vorgaben beantwortet werden. Ferner wurde Beispielmaterial für die gezielte Missachtung des Befehls Nr. 80 mit detaillierten Orts- und Zeitangaben in den Brief aufgenommen.

Weitere Information finden Sie in russischer Sprache auf der Website von Memorial Moskau unter www.memo.ru

Weiterlesen …

Menschenrechtskommissar Gil-Robles spricht erneut Empfehlungen zur Lage in Tschetschenien aus

(03.07.2002)
Übersetzt aus dem Französischen


Der Europarat in Straßburg veröffentlichte am 30. Mai 2002 die neuen Empfehlungen von Menschenrechtskommissar Gil-Robles zur Wahrung der Rechte des Einzelnen bei Festnahme und Inhaftierung anlässlich sog. "Säuberungsaktionen" in der Tschetschenischen Republik.


1. "Die Behörden sollten alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die Bestimmungen der Verordnung Nr. 46 des Generalstaatsanwalts der Russischen Föderation und des von General Moltenskoi erlassenen Befehls Nr. 80 bei der Überprüfung des gemeldeten Wohnsitzes (propiska) im Verhältnis zum Aufenthaltsort in der Tschetschenischen Republik, d.h. sog. "Säuberungsaktionen" der Streitkräfte, tatsächlich eingehalten und mögliche Verstöße gegen diese Bestimmungen streng bestraft werden.
2. Der Generalstaatsanwalt sollte nach Artikel 22 des Verfassungsgesetzes der Föderation (N 168-FZ vom 17. November 1995 über die Staatsanwaltschaft der Russischen Föderation) Sorge tragen, dass die zivilen Staatsanwälte praktischen Zugang zu allen Einrichtungen, einschließlich militärischer Stellungen, erhalten, in denen Zivilisten inhaftiert sind, um sicherzustellen, dass die Bürger bei Festnahme und Inhaftierung einer Zivilperson durch Soldaten oder auf dem Gelände einer militärischen Stellung auch tatsächlich in den Genuss der verfassungsmäßig garantierten Rechte kommt.
3. Zur Umsetzung der genannten Empfehlungen und zur wirksamen Wahrung der Menschenrechte könnte der Generalstaatsanwalt im Rahmen seiner Regelbefugnis einen speziellen Mechanismus der Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen zivilen und militärischen Staatsanwälten in Tschetschenien einrichten. So könnten z.B. gemischte Gruppen, die aus einem zivilen und einem militärischen Staatsanwalt bestehen, gebildet werden, die gemeinsam in einer militärischen Stellung auftreten, um bei einer Untersuchung miit den Inhaftierten zusammenzutreffen und gegebenenfalls auf der Grundlage ihrer jeweiligen Zuständigkeit ein rechtliches Verfahren gegen diese einzuleiten bzw. die strafrechtliche Verfolgung möglicher Verstöße der Soldaten bei der Festnahme von Zivilisten aufzunehmen.
4. Die materiellen und personellen Mittel der zivilen Staatsanwalt sollten verstärkt werden, damit diese ihre Kontroll- und Ermittlungssaufgaben ordnungsgemäß erfüllen kann.
5. Die notwendigen Maßnahmen sollten ergriffen werden, um den Angehörigen der Inhaftierten und gegebenenfalls auch den aktiv mit der Wahrung der Menschenrechte in Tschetschenien befasst NROs die Möglichkeit zu geben, sich über den Verbleib der bei Aktionen zur Überprüfung des gemeldeten Wohnsitzes (propiska im Verhältnis zum Aufenthaltsort in Tschetschenien festgenommenen und/oder inhaftierten Personen zu informieren."

Alvaro Gil-Robles
Kommissar für Menschenrechte des Europarats

Straßburg, den 30. Mai 2002


Weitere Informationen finden Sie auf der website des Europarats:www.commissioner.coe.int/docs/CommDH-Rec(2002)1_F.htm

Weiterlesen …

Memorial Moskau informiert, dass NGO`s Teilnahme an den Sitzungen der Ständigen Arbeitsgruppe aussetzen

(12.07.2002)
Auf dem Bürgerforum im November vergangenen Jahres wurden regelmäßige Arbeitstreffen zwischen Regierungsvertretern und NGO`s zur Frage der Wahrung der Menschenrechte in der Tschetschenischen Republik vereinbart.

Von staatlicher Seite waren Präsidentenberater Jastreschembski sowie der Sonderbeauftragte des russischen Präsidenten für den Schutz der Menschen- und Bürgerrechte in der Tschetschenischen Republik Kalamanow für diese Treffen zuständig. Seitens der NGO`s waren die Organisationen Memorial, die Moskauer Helsinki-Gruppe, die Gesellschaft für russisch-tschetschenische Freundschaft und das Tschetschenische Komité für nationale Rettung vertreten. Ein erstes Gespräch fand im Januar dieses Jahres statt.

Am 07. Juni 2002 richteten die NGO`s ein Schreiben an Jastreschembski und den Direktor des Büros des Sonderbeauftragten des Präsidenten für den Schutz der Bürger- und Menschenrechte in Tschetschenien und brachten ihre Enttäuschung über die seit Januar in diesen Treffen erzielten Ergebnisse zum Ausdruck. Gleichzeitig wurden Zweifel an Sinn und Zweck der Fortsetzung der Gespräche in der bisherigen Weise geäussert und konkrete Vorschläge formuliert, um die Arbeit künftig ergiebiger zu gestalten.

Am 08. Juli fand wiederum ein Treffen der Ständigen Arbeitsgruppe in Grosny statt, nach dessen Abschluss die NGO`s erklärten, dass ihre Teilnahme an den Gesprächen suspendiert würde. Sie erklärten im Einzelnen:

- Wir untersützen den Dialog zwischen Staat und Gesellschaft und möchten konstruktiv mit den staatlichen Organen an der so brennenden Frage der Menschenrechtssituation in der Tschetschenischen Republik zusammenarbeiten.

- Wir haben im Laufe der sechsmonatigen Treffen und Konsultationen den staatlichen Organen regelmäßig konkrete Informationen zur Situation der Menschenrechte vorgelegt, Vorschläge zur Verbesserung der Lage unterbreitet und waren bereit, den Dialog aufzunehmen.

- Leider sind die staatlichen Organe nicht bereit, einen ehrlichen und offenen Dialog mit den NGO`s zu führen. Auf unsere Fragen erhielten wir lediglich nichtssagende Antworten; die Frage nach der Bestrafung derer (einschließlich der Generäle), die den Befehl Nr. 80 nicht ausführten, und was die militärische Führung der Antiterroroperationen konkret gegen die fortgesetzte massenhafte Verletzung der Menschenrechte durch die Streitkräfte unternimmt, blieb unbeantwortet.

- Unter diesen Bedingungen sind wir der Auffassung, dass die Fortführung der Gespräche und Konsultationen zwischen NGO`s und staatlichen Organen in der bisherigen Form nicht nur sinnlos, sondern konterproduktiv ist.

- Wir behalten uns das Recht vor, mit einer Beschwerde an die Präsidialverwaltung und die Regierung der russischen Föderation als Mitorganisatoren heranzutreten.

Weiterlesen …

Erklärung russischer Nichtregierungsorganisationen (NGO`s) zur Verabschiedung des Gesetzes über den alternativen Wehrdienst (AGS)

(12.07.2002)
(Zusammenfassung aus dem Russischen / Quelle www. memo.ru)

Am 10.07.2002 hat der Föderationsrat dem Gesetz über den alternativen Wehrdienst zugestimmt, das eine Woche zuvor von der Staatsduma verabschiedet worden war. Es gibt wenig Zweifel daran, dass auch der Präsident Russlands das Gesetz unterzeichnen wird. Soweit bekannt, hat der Präsident bei einem Treffen mit den Fraktionschefs der Staatsduma das Gesetz gutgeheißen.

Diese Meinung weicht scharf von der Position russischer gesellschaftlicher Organisationen ab. In ihrer kürzlich verabschiedeten Erklärung hat die Gruppe der gesellschaftlichen Organisationen "Für einen demokratischen alternativen Wehrdienst" das von der Staatsduma verabschiedete Gesetzes als repressiv, unsozial, korrupt und einen den realen Interessen des Staates widersprechenden Akt bewertet.

Von allen denkbaren Varianten des alternativen Dienstes, die im Land mehr als 10 Jahre diskutiert wurden, hat der russische Staat die härteste und am wenigsten effiziente gewählt.

Selbst für den Laien ist erkenntlich, dass dieses System den Haushalt belasten, die gravierenden sozialen Probleme des Landes nicht lösen und die Rechte junger Leute nicht wahren wird. Dafür aber schützt das Gesetz durchaus die Interessen des Verteidigungsministeriums, d.h. nicht der russischen Armee und nicht der russischen Soldaten und Offiziere, sondern der militärischen Führung.

Dies ist ein eindrucksvoller Beweis ihrer völligen Unfähigkeit und ihres Unwillens, Reformen in den Streitkräften durchzuführen.


Das Gesetz über den alternativen Wehrdienst

- macht den alternativen Zivildienst faktisch wiederum zu einem Wehrdienst, da es zulässt, dass die Zivildienstleistenden auch ohne deren Einverständnis in Einrichtungen der Armee eingesetzt werden;

- schafft den in der Welt längsten Dienst, der gleichsam als Strafe abgeleistet wird;

- sieht den Einsatz überwiegend nach dem Grundsatz der Extraterritorialität vor, d.h. die Zivildienstleistenden bleiben für den Dienst nicht in ihrem Heimatort, sondern werden durch die Armee an anderen Orten eingesetzt;

- diskriminiert den Zivildienst, weil es von nichtvolljährigen Jugendlichen die Aufgabe ihrer Überzeugungen verlangt;

- bietet die Möglichkeit, den Dienst den Behörden zu unterstellen, die über bewaffnete Strukturen verfügen.


Die Verabschiedung des Gesetzes vollzog sich unter beispiellosem Druck des Generalstabs auf die gesetzgebende und ausführende Gewalt. Wir sind es schon gewöhnt, dass die Duma kremlfreundlich abstimmt.

Als neu erweist sich, dass auch die Regierung Russlands so offensichtlich, frech und erfolgreich über den Tisch gezogen wird.

Denn noch genau eine Woche, bevor das Gesetz die entscheidende zweite Lesung durchlief, fand sich die Mehrheit der Ministerien in Übereinstimmung mit dem Standpunkt der gesellschaftlichen Organisationen, die die Interessen der Zivilgesellschaft vertreten,

- dass die Dauer des Dienstes auf keinen Fall die des Wehrdienstes mehr als die Hälfte übersteigen dürfe;

- dass der Dienst am Wohnort geleistet werden soll und

- dass die jungen Leute auf jeden Fall das Recht haben müssen, nicht in Einrichtungen der Armee zu arbeiten.

Monate harter gemeinsamer Arbeit von Experten der gesellschaftlichen Organisationen und der Regierung wurden einem politischen Handel geopfert. Der Kreml hat die Interessen des Verteidigungsministeriums höher angesiedelt als die Interessen des gesamten Staates und der gesamten Gesellschaft. (…)

Die Art, wie das repressiven Gesetz über den alternativen Wehrdienst zustandegekommen ist, und die Tatsache, dass monatelange Gespräche geplatzt sind, stellen ein wichtiges Signal in der kurzen Geschichte des Dialogs zwischen dem Staat und der Zivilgesellschaft dar, der sich nach dem Bürgerforum entwickelt hatte.

Dieser Verlauf der Ereignisse wirft für die Zivilgesellschaft unvermeidlich die Frage auf, ob die weitere Fortsetzung des Dialogs und Entwicklung der Zusammenarbeit noch möglich und sinnvoll sind.


Zu den Unterzeichner der Erklärung gehören:
Historisch-aufklärende Menschenrechtorganisation Memorial
Moskauer Helsinki-Gruppe
Vereinigung der Komitees der Soldatenmütter Russlands
Zentrum für das Wachstum der Demokratie und Menschenrechte
Fonds zur Verteidigung der Glasnost
Humanitäres Zentrum "Mitgefühl"
Institut des nationalen Projektes "Gesellschaftlicher Vertrag"
Internationaler sozial-ökologischer Bund
Menschenrechtsinstitut

Weiterlesen …

"Säuberungsaktion" in der Kontaktstelle von Memorial in Grosny

(30.07.2002)
Angehörige der russischen Streitkräfte sind am 18. Juli 2002 widerrechtlich in das Büro der Menschenrechtsorganisation Memorial in Grosny eingedrungen.

Mitarbeiter der Organisation wurden bei diesem offensichtlichen Versuch, die unliebsamen Menschenrechtler einzuschüchtern, nicht verletzt. Lediglich ein Teil der Einrichtung wurde beschädigt.

Memorial unterrichtete die für innere Angelegenheiten zuständigen Stellen sowie die Kommandobehörde und die Staatsanwaltschaft Grosny über den Vorfall.

Die Kontaktstelle in Grosny wird ihre Arbeit wie bisher fortführen.

Weiterlesen …

Offener Brief des Zentrums für Menschenrechte von MEMORIAL an den georgischen Präsidenten Schewardnadse

(20.10.2002)
In einem offenen Brief vom 5. Oktober 2002 bittet der Vorsitzende des Zentrums für Menschenrechte von MEMORIAL, O.P.Orlow, die georgische Regierung, keine tschetschenischen Kämpfer mehr an Russland auszuliefern. Das VN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe untersage die Auslieferung an Staaten, in denen gefoltert wird. Orlow verweist auf die kriminellen Ermittlungsmethoden der russischen Behörden und unterstreicht, wie wichtig es sei, dass Terroranschläge und Straftaten durch kompetente und unparteiische Gerichte verfolgt und bestraft würden. In Russland könne jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die festgenommenen tschetschenischen Kämpfer in einem fairen Verfahren verurteilt würden.

Weitere Informationen auf der russischen Website.

Weiterlesen …

Antwortschreiben des georgischen Präsidenten an das Zentrum für Menschenrechte von Memorial

(23.10.2002)
In seinem Antwortschreiben an das Zentrum für Menschenrechte von MEMORIAL vom 23.10.02 erklärt Schewardnadse, dass die wegen Grenzverletzung festgenommenen 5 Personen tschetschenischer Staatsangehörigkeit an die Russische Föderation ausgeliefert wurden, nachdem die russische Staatsanwaltschaft feste Garantien bezüglich der Einhaltung der gesetzlich vorgesehenen Rechte abgegeben hatte.

Die Angelegenheit acht weiterer Inhaftierter werde derzeit durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geprüft. Die georgischen Behörden würden den dort getroffenen Beschluss umsetzen.

Weiterlesen …

Über die Geiselnahme in Moskau am 23. Oktober 2002

(24.10.2002)
Erklärung gesellschaftlicher Organisationen

Gestern fand in Moskau eine massenhafte Geiselnahme friedlicher Menschen statt, unter ihnen viele Frauen und Kinder. Dies ist ein Akt von unmenschlichem Terrorismus, ein Verbrechen, für das es eine Rechtfertigung weder gibt noch geben kann.
Wir müssen erneut erkennen, dass in Russland Krieg herrscht, und dass dieser Krieg in seine schrecklichste, grausamste Phase getreten ist – in einen Partisanenkrieg, in einen terroristischen Krieg. Terror gegen die Bevölkerung, der von den Föderalen Kräften [der russischen Armee und russischen Spezialeinheiten] in Tschetschenien verübt wird, erhöht nur die Unterstützung der [tschetschenischen] Kämpfer unter der dortigen Bevölkerung, schafft nur die Voraussetzungen für unmenschlichen Terrorakte.
Aber heute, da Hunderte von Menschen sich den Mündungen von Maschinengewehren gegenüber sehen, ist keine Zeit für Vorwürfe und Anschuldigungen.
Wir hoffen, dass die Führung der Russischen Föderation alles Mögliche zur Lebensrettung der Geiseln tun wird. Gerade das – der Schutz friedlicher Bürger vor Gewalt – soll die einzige Priorität in den Handlungen der Vertreter der Machtorgane sein. Dafür benötigt die Macht Weisheit und Zurückhaltung.
Wir rufen die Führung der Russischen Föderation und Moskaus dazu auf, es nicht zuzulassen, dass das Volk Tschetschenines die Tat einer Gruppe von Terrorsisten verantworten muss, es nicht zuzulassen, dass es zu wiederholten „ethnischen Säuberungen“ in Moskau und anderen Regionen Russlands kommt.
Unabhängig von den deklarierten Forderungen, persönlichen Motiven und subjektiven Absichten der Terroristen, kann die wahnsinnige Aktion in Moskau die Perspektiven einer friedlichen Regulierung in Tschetschenien, die in letzter Zeit realistischer schien als früher, ernsthaft untergraben. Wir rufen die Führung der Russischen Föderation auf, sich nicht auf die Provokation einzulassen und das Geschehene nicht als Beweis für die Unmöglichkeit einer friedlichen Lösung des Tschetschenienproblems anzusehen.
Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass der Konflikt in Tschetschenien ausschließlich auf dem Weg friedlicher Verhandlungen gelöst werden kann. Fragen, die mit der Beendigung der Kampfhandlungen, der „Säuberungen“ und der Terrorakte verbunden sind, kann und muss das Föderale Zentrum [die russische Regierung] unmittelbar mit den Führern der gegnerischen Seite besprechen, in erster Linie mit denen, die die legitim gewählte – aber von Russland nie anerkannte – ausführende und legislative Gewalt in Tschetschenien darstellen. Fundamentale Unstimmigkeiten, inklusive der Frage der Bestimmung des künftigen Status der Republik, können und müssen auf dem Weg einer späteren Ausweitung des Verhandlungsprozesses und der Einbeziehung von Vertretern des gesamten tschetschenischen gesellschaftlich-politischen Spektrums in diesen Prozess entschieden werden.

Die Gesellschaft „Memorial“
Die Moskauer Helsinki-Gruppe
Das Komitee „Bürgerhilfe“
Die Bewegung gegen Gewalt
Der Koordinationsrat der Hilfe für Flüchtlinge und Zwangsumgesiedelte

Weiterlesen …

MEMORIAL appelliert an Medvedev zu Katyn

In einem Schreiben vom 25. Mai 2010 wendet sich der Vorstand der Internationalen Gesellschaft MEMORIAL erneut an Präsident Medvedev, um eine adäquate juristische Bewertung der Verbrechen von Katyn herbeizuführen:
Anlass ist ein Schreiben der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft vom 09. April 2010, das MEMORIAL als Antwort auf ihren Brief an den Präsidenten vom 2. März d. J. erhalten hat und in dem weiterhin die alten Positionen vertreten werden: Es gebe keine Unterlagen, die die Ausübung „staatlicher Zwangsmaßnahmen“ gegen jeden der polnischen Kriegsgefangenen im Einzelnen belegten. Darüber hinaus werde den dafür Verantwortlichen des NKWD (deren Namen der Geheimhaltung unterliegen) lediglich Artikel 193-17 (b) des Strafgesetzbuches zur Last gelegt – Amtsmissbrauch mit schweren Folgen und unter erschwerenden Umständen. Die in diesem Fall nach 10 Jahren eintretende Verjährung schließe eine Wiederaufnahme des Verfahrens aus.
MEMORIAL macht auf die eklatanten faktischen und rechtlichen Fehler in diesem Schreiben aufmerksam: Es gebe hinreichend Beweismaterial nicht zuletzt aus den sowjetischen Archiven, unter anderem auch Namenslisten der polnischen Kriegsgefangenen, die das NKWD 1940 erstellt hatte. Die gegenteilige Behauptung der Staatsanwaltschaft zeige, dass sie nicht alle vorliegenden Beweise zur Kenntnis genommen habe. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens sei daher unumgänglich.
Vor allem sei aber die Qualifizierung der Verbrechen von Katyn nach Artikel 193-17 unhaltbar. Dieser Artikel betreffe ausdrücklich nur den Amtsmissbrauch führender Armeeangehöriger sowie gleichrangiger NKWD-Funktionäre. Die Partei- und Staatsführung und damit die eigentlichen Verantwortlichen wie Stalin und Molotow seien damit von vornherein ausgeschlossen. Um diese Qualifizierung zu revidieren, sei ebenfalls eine Wiederaufnahme des Erfahrens erforderlich, was die Militärstaatsanwaltschaft unter Hinweis auf die bei Art. 193-17 geltende Verjährungsfrist unterbinde.
MEMORIAL kämpft seit Jahren um die Wiederaufnahme der Ermittlungen in der „Strafsache Katyn“ und hatte bereits an den Präsidenten appelliert, dieses Anliegen vor allem dahingehend zu unterstützen, dass alle Opfer namentlich ermittelt und rehabilitiert sowie alle Verantwortlichen und Beteiligten festgestellt werden.
MEMORIAL bittet den Präsidenten, er möge den Generalstaatsanwalt deshalb zu einer Überprüfung der Ermittlungen der Militärstaatsanwaltschaft zu veranlassen, „Wir sind sicher, dass eine gewissenhafte, vollständige und transparente Untersuchung der Verbrechen von Katyn nicht nur für die Normalisierung der russisch-polnischen Beziehungen unerlässlich ist, sondern vor allem auch, um zu verhindern, dass sich der Schatten der Stalinschen Verbrechen auf das heutige Russland legt.“
Vollständig im Original: http://www.memo.ru/2010/05/27/katyn_president.htm

Weiterlesen …

Wohin sind die tschetschenischen Al-Quaida-Kämpfer verschwunden?

(04.03.2002)
Kommersant - LeTemps.ch

Ou sont passes les combattants tchetchenes d`Al-Qaida?
Wohin sind die tschetschenischen Al-Quaida-Kämpfer verschwunden?
Retour sur une enigme
Das Geheimnis bleibt ungelöst

Samuel Gardaz
Russ. Übersetzung Fedor Kotrelev
Deutsche Übersetzung Marlen Wahren

Seit dem Fall des Taliban-Regimes im November vergangenen Jahres lässt eine Frage den westlichen Beobachtern keine Ruhe: Wohin verschwanden die Tschetschenen, die in den Reihen der Al-Quaida gekämpft haben? Es ist erstaunlich, aber unter Tausend ausländischen Söldnern, die im Laufe des Krieges gegen die Taliban gefangen genommen wurden, befindet sich kein einziger Tschetschene. Im Augenblick befinden sich ungefähr 500 Taliban-Kämpfer in amerikanischer Gefangenschaft, davon 300 im Lager in Guantanamo/ Kuba und 200 in Afghanistan. Weder dort, noch im Gefängnis von Schebargan (in der Nähe von Masari-Scharif) gibt es tschetschenische Häftlinge. In diesem Gefängnis, das General Abdul Rashid Dostum unterstellt ist, sind arabische Staatsangehörige, Pakistani, Franzosen, Briten und sogar österreicher inhaftiert, aber nicht ein Tschetschene.

Dennoch gibt es keinen Zweifel daran, dass Tschetschenen in Afghanistan kämpften. Nach offiziellen russischen Informationen zu urteilen, waren es zwischen einigen hundert und einigen tausend. Allerdings muss man mit diesen Ziffern vorsichtig sein: Moskau ist sehr daran interessiert, die Tschetschenen einer Verbindung mit den Taliban und der Organisation von Osama bin Laden "Al-Quaida" zu beschuldigen. Die Tschetschenen selbst weisen diese Informationen kategorisch zurück und bezeichnen sie als eine Erfindung der russischen Propaganda. Die in Katar registrierte Internet-Seite www.kavkaz.org, das Sprachrohr der tschetschenischen Fundamentalisten, meldete noch im November vergangenen Jahres: "Weder die Amerikaner noch die NATO können auch nur einen einzigen gefangenen Tschetschenen als Beweis für die Teilnahme `hunderter oder tausender Tschetschenen`im Afghanistan-Krieg vorweisen."

Der französische Spezialist für Zentralasien und den Islam Oliver Roy geht davon aus, dass in Afghanistan eher sehr wenige Tschetschenen kämpften. Und es würde sich sehr einfach erklären: für die Tschetschenen wäre es nicht im geringsten von Vorteil auf der Seite der Taliban zu kämpfen. "Schließlich haben sie zuhause ihren eigenen Dschichad", sagt der Forscher, "aus diesem Grund waren auch nur wenige Palästinenser in Afghanistan. Außerdem hat der bewaffnete tschetschenische Kampf noch kein internationales Niveau erreicht." Der französische Wissenschaftler nimmt weiterhin an, dass die Mehrheit der Tschetschenen, die in Afghanistan kämpften, Ende November vergangenen Jahres in der Gegend um Kunduz gefallen sind. Diejenigen, die überlebten, versuchten Afghanistan in versiegelten Transportcontainern zu verlassen, aber die meisten von ihnen erstickten. Etwas später, während des Aufruhrs in der Festung Kala-i-Dschangi in der Nähe von Masari-Scharif, kamen hunderte Gefangene ums Leben. Und schließlich sind die letzten überlebenden Tschetschenen möglicherweise in den Kämpfen um Tora-Bora im Dezember ums Leben gekommen. Dieses Gebiet ist bekanntermaßen stark bombardiert worden.

Andererseits ist die genaue Ziffer der überlebenden Tschetschenen auch deswegen schwer zu bestimmen, weil das Wort "Tschetschene" selbst mehrdeutig geworden ist. In Afghanistan zum Beispiel kann jeder, der aus der früheren UdSSR stammt, als Tschetschene bezeichnet werden: Kaukasier genauso wie Tataren und Baschkiden. In dem im Dezember von der Organisation Human Rights Watch veröffentlichten Bericht über das Schicksal der Familien ausländischer Söldner wird das Wort "Tschetschene" nur mit größter Vorsicht verwendet. Noch ein Beispiel für die Mehrdeutigkeit des Wortes gibt das Interview mit dem "amerikanischen Taliban-Kämpfer" John Walker Lindh, der im Gefängnis Kala-i-Dschangi inhaftiert war. Als er die Fragen des Journalisten Robert Young Pelton beantwortete, hatte er große Schwierigkeiten, die Nationalität "Tschetschene", der er in Afghanistan begegnet ist, genauer zu bestimmen.

Die Verwirrung über die nationale Zugehörigkeit derjenigen, die man als Teschetschenen bezeichnet, führte dazu, dass westliche humanitäre Organisationen, die in Afghanistan arbeiten (wie das Rote Kreuz, CICR), Alarm schlugen:
Warum befindet sich unter den Gefangenen kein einziger Tschetschene?
Hält man sie irgendwo versteckt?
Werden die Genfer Konventionen verletzt?
Oder, noch schlimmer, haben ihre Aufseher sie an die usbekische Regierung verkauft?
Tatsächlich sind es die humanitären Organisationen selbst, die solche Gerüchte verbreiten. Hier erinnert man sich daran, dass während der Einnahme von Kunduz Islamabad eine richtige Luftbrücke einrichtete, um die pakistanischen Taliban-Kämpfer auszufliegen. Daraus ergibt sich, dass man die Besorgnis darüber äußert, dass die am Leben gebliebenen tschetschenischen Söldner vom usbekischen Präsidenten, Islam Kamirov, am Ende an Moskau übergeben worden sein könnten. Dort würde man sie zu allen Einzelheiten der antirussischen Stimmung im Kaukasus befragen. Kann es sein, dass es so ist? Schließlich muss Moskau die von den Kämpfern entführten Russen befreien. Eine solche Praktik fand noch im ersten tschetschenischen Krieg 1994-1996 breite Anwendung.

Weiterlesen …

Offener Brief an Präsident Putin

(29.10.2002)
Sehr verehrter Herr Präsident,

Erleichterung und Trauer prägen heute das Land.

Erleichterung, weil der Alptraum im Kulturhaus "Kristall" ein Ende gefunden hat. Trauer, weil der Erfolg der Befreiungsaktion überschattet wird durch die Tatsache, dass so viele Geiseln bei dieser Aktion zu Tode gekommen sind.

Gestern war für uns alle der Tag tiefer Trauer. Heute sind wir aufgerufen nachzudenken und das Geschehene zu bewerten.

Um das, was in diesen 57 Stunden geschehen ist, ernsthaft analysieren zu können, ist die Gesellschaft noch zu wenig informiert. Das, was bekannt ist, erscheint jedoch widersprüchlich genug. Wir hoffen, dass die staatlichen Behörden so rasch wie möglich detaillierte und wahrheitsgemäße Antworten auf die unzähligen Fragen geben werden, die die Bürger sich im Zusammenhang mit der Geiselnahme in Moskau und deren Befreiung stellen (z.B. Wie konnte geschehen, was geschah? Musste man bei dieser Aktion auf ein so gefährliches Mittel wie Gas zurückgreifen, das Terroristen und Geiseln gleichermaßen traf? Und viele weitere Fragen). Wir sind sicher, dass die Ereignisse der vergangenen Woche eine ernsthafte und eingehende Diskussion in der Gesellschaft auslösen werden - über die Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck im Kampf gegen den Terrorismus, die Prioritäten des Staates in Krisensituationen, in denen Menschenleben auf dem Spiel stehen, den Preis, der für eine erfolgreiche Aktion gegen die Terroristen gezahlt werden darf, usw.

Die Tragödie in dem Moskauer Theater ist bereits Geschichte. Jetzt müssen wir für die Zukunft daraus lernen. Eine dieser Lehren ist die Notwendigkeit einer unverzüglichen Lösung des Tschetschenienkonflikts.

Dass dieser Konflikt mehr als eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Föderation und Separatisten auf einem winzigen Flecken Erde unseres Landes ist, steht nunmehr ausser Frage. Die furchtbare Lehre aus "Nord-Ost" lautet sicherlich, dass die schwärende Wunde Tschetschenien ganz Russland erfasst hat.

"Memorial" hat immer wieder öffentlich darauf hingewiesen, dass der Tschetschenienkonflikt nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden kann. Jedenfalls nicht ausschließlich mit militärischen Mitteln. Das jetzige militärische Vorgehen in Tschetschenien führt in die Sackgasse. Es ist sinnlos, einen Ausweg durch militärische Gewalt zu suchen: gegen Partisanen und Sabotage gibt es keine "militärisch überlegene Macht", und Staatsterror gegen die Bevölkerung als Antwort auf Sabotageakte führt nicht zum Ziel, sondern fördert nur die Unterstützung für die Kämpfer.
Wir kennen die aktuelle Situation in Tschetschenien und sind überzeugt von der Sinnlosigkeit der pseudolegitimen Inszenierung von "Wahlen" und "Volksabstimmungen"; wie sie noch kürzlich vorgeschlagen wurden. In einem Land, das sich im Krieg befindet, kann man damit niemanden täuschen, sondern höchstens die ohnehin angespannte Lage weiter verschärfen. Neue Rebellenführer von Schlage eines Barajew oder Basajew verhindert man so nicht.
"Memorial" ist überzeugt, dass es als ersten Schritt aus der Sackgasse zu einer bilateralen Vereinbarung zwischen Separatisten und der Föderation über die Einstellung sowohl der Militäraktionen und "Säuberungen" als auch der Sabotage- und Terrorakte kommen muss.
Wir verstehen, dass ein solcher Schritt von Ihnen großen politischen Mut verlangt. Wir verstehen, was die "Falken", die eine "endgültige Lösung für das Tschetschenienproblem" nur durch Waffengewalt fordern, jetzt von Ihnen erwarten. Aus dem Medienecho kann man schließen, dass auch ein gewisser Teil der Öffentlichkeit diese Meinung teilt.
Dennoch ist gerade jetzt, nach der Lösung des Geiseldramas, das politische Klima und die Stimmung in der Gesellschaft einzigartig günstig für Schritte in Richtung Frieden. Gerade jetzt wird niemand wagen zu behaupten, die russische Regierung sei von bewaffneten Banditen zu diesem Schritt gezwungen worden oder eine Geste in Richtung Frieden sei eine nationale Schande für Russland. Heute kann sich der russische Staat mehr denn je ein vernünftiges und verantwortungsvolles Herangehen an das Tschetschenienproblem leisten.
Außerdem wäre eine friedliche Lösung des Problems ein wirkungsvoller Schlag gegen den Terrorismus.

Gestatten Sie, dass wir Ihnen kurz die Haltung von "Memorial" zu den Grundzügen einer potentiellen Lösung des Tschetschenienkonflikts darstellen.
Am Ende der ersten Etappe einer solchen Lösung könnten Vereinbarungen zwischen den unmittelbar am Konflikt Beteiligten stehen.
Der Verzicht auf separatistische Forderungen kann ebenso wenig eine Vorbedingung sein wie die Annahme solcher Forderungen durch Russland als ein Apriori. Diejenigen Separatisten, die nicht in Terrorakte gegen Zivilisten verwickelt waren und bereit sind, den bewaffneten Widerstand zu beenden und gewaltlose und legale Methoden zur Verwirklichung ihrer Vorstellung für die Zukunft Tschetschenien anzuwenden, dürfen nicht als Verbrecher und Banditen betrachtet werden. Es darf nur eine einzige "Vorbedingung" geben: die Beendigung sowohl des Terrors von Militär und Polizei gegen die Bevölkerung wie auch des Partisanenterrors gegen die Truppen der Föderation, die Staatsbediensteten und lokalen Beamten und die Gegner des Separatismus in Tschetschenien selbst - und natürlich die kategorische Verurteilung von Terrorakten außerhalb des tschetschenischen Gebiets. Militärische Mittel dürfen nur gegen jene eingesetzt werden, die den Verhandlungsweg ablehnen und auf der Anwendung von Gewalt bestehen.
An solchen Vorgesprächen zur Beendigung von Gewalt und Blutvergießen würden als Verhandlungspartner führende politische und militärische Vertreter der Russischen Föderation einerseits und die Führer der tschetschenischen Separatisten andererseits teilnehmen, in erster Linie die Vertreter der 1997 gewählten tschetschenischen Gremien (Russland hatte diese Wahlergebnisse seinerzeit anerkannt).
Heute ist ein eventueller Verhandlungsprozess dadurch erschwert, dass sich der führende Politiker und offizielle Kommandierende der Separatisten Aslan Maschadow während der Moskauer Tragödie schwer kompromittiert hat. Einmal abgesehen von Barajews Behauptung, sein verbrecherischer Akt sei angeblich mit Maschadow abgestimmt gewesen (andere Argumente, die für diese These angeführt wurden, sind in unseren Augen kaum beweiskräftig), kommen wir nicht umhin zu bemerken, dass sein Verhalten in diesen Tagen unwürdig und mehr als zweideutig gewesen ist. Bis zu jenem Moment, als das Ergebnis der Erstürmung des Kulturhauses "Kristall" bekannt wurde, hatte Maschadow nicht den Mut, den barbarischen Terrorakt und die Ausführenden deutlich zu verurteilen oder die sofortige bedingungslose Freilassung der Geiseln zu fordern. Mehr noch, aus einigen der Erklärungen, die A. Sakajew in Maschadovs Namen abgegeben hat, spricht zwar nicht Unterstützung, doch zumindest Verständnis für die Terroristen. Bis heute hat er sich nicht zu einer klaren Verurteilung der Barajew-Leute und ihrer Aktion durchringen können.
Dennoch gehen wir davon aus, dass Maschadow weiterhin ein wichtiger potentieller Partner in Verhandlungen über eine Beendigung des Widerstands in Tschetschenien ist, und sei es allein deshalb, weil ihm der Wahlsieg von 1997 eine gewisse Legitimität verleiht. Dafür sprechen auch pragmatische Überlegungen: erstens kontrolliert er weiterhin einen gewissen (einigen Angaben zufolge einen bedeutenden) Teil der bewaffneten Separatisten, zweitens ist er immer noch eine Autorität für große Teile der tschetschenischen Bevölkerung, und drittens halten ihn die meisten Beobachter für den gemäßigtsten Vertreter aus dem Lager der tschetschenischen Separatisten, mit dem überhaupt verhandelt werden kann.
Natürlich wären diese Vorgespräche nur ein erster Schritt hin zu einer Lösung. Grundlegende Probleme wie die Frage nach dem zukünftigen Status von Tschetschenien müssten angegangen werden, indem man den Verhandlungsprozess ausweitet und das gesamte politische und gesellschaftliche Spektrum in Tschetschenien, Befürworter wie Gegner des Separatismus, einbezieht. Für die zweite Etappe wäre eventuell eine "Friedensversammlung", wie sie von einigen russischen Politikern vorgeschlagen wurde, die günstigste Lösung. Die Modalitäten für die Einberufung einer solchen Versammlung könnten Thema der ersten Verhandlungsetappe sein, direkt nach der Beendigung von Partisanenkrieg und Gewalt auf beiden Seiten.

Wir sind uns bewusst, dass unsere Vorschläge nicht die einzig mögliche Vorgehensweise sind. Doch es erscheint uns außerordentlich wichtig, dass Sie unverzüglich und öffentlich wenigstens die Absicht der russischen Regierung bekunden, eine friedliche Lösung zu suchen. Wir sind überzeugt, dass mit einem solcher Schritt des russischen Staatsoberhauptes eine neue Epoche nicht nur der Geschichte des Tschetschenienkonfliktes, sondern der Geschichte Russlands beginnen würde.

Der Vorstand "Memorial"

Weiterlesen …

Internationale Konferenz "Für die Beendigung des Krieges und Herstellung von Frieden in der Republik Tschetschenien"

(10.11.2002)
Am 9. und 10. November 2002 tagte in Moskau die Internationale Konferenz "Für die Beendigung des Krieges und Herstellung von Frieden in der Republik Tschetschenien", an der russische und tschetschenische Menschenrechtsorganisationen teilnahmen, darunter das Menschenrechtszentrum von Memorial, das Andrej-Sacharow-Zentrum, das russische PEN-Zentrum, das Komitee der Soldatenmütter, das Tschetschenische Komitee der Nationalen Rettung, der Tschetschenische Antikriegskongress und das Komitee für Tschetschenisch-Russische Freundschaft. Auch Vertreter verschiedener Parteien und Institutionen waren gekommen, unter ihnen der Vorsitzende der Jabloko-Partei Grigorij Jawlinski sowie die Duma-Abgeordneten Sergej Kowaljow und Jurij Rybakow.Auf der Konferenz wurden Fragen im Zusammenhang mit einer Beendigung des Krieges in Tschetschenien und Möglichkeiten einer friedlichen Beilegung des Konflikts erörtert.

Es folgt die auszugsweise Wiedergabe der

- Rede des Vorsitzenden des Menschenrechtszentrums von Memorial, O. Orlow

- eines Beschlusses

- einer Resolution

- eines Memorandums

- und eines Appells an die EU-Staats- und Regierungschefs.

Die Konferenz beauftragte in einem Beschluss das Russländische Interethnische Komitee "Für die Beendigung des Krieges und Herstellung von Frieden in der Republik Tschetschenien" mit der Einsetzung einer internationalen Kommission, die eine rechtliche Bewertung des Vorgehens der Konfliktparteien vornehmen soll. Mitglieder der Kommission sollen Juristen und Experten aus der Russsischen Föderation und anderen Staaten sein, in jedem Fall aber auch Juristen und Experten, die in Tschetschenien tätig sind. Außerdem soll das Komitee bekannte Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft, Politik und Kultur zu einem Engagement gegen den Krieg ermutigen und eine Reise dieser Personen in das Konfliktgebiet organisieren.

In einer Resolution stellten die Teilnehmer der Konferenz fest, dass die Versuche der russischen Regierung, mit Gewalt das Problem des tschetschenischen Separatismus zu lösen, Tod und Leid für Hunderttausende von Menschen gebracht und die Region in eine humanitäre Katastrophe gestürzt haben. Eine Fortsetzung des Krieges würde noch mehr Elend sowohl für Tschetschenien als auch für Russland bedeuten. Die Konferenz begrüßte das Engagement vieler Gruppen für eine Beendigung des Krieges und hob die Notwendigkeit einer Koordinierung der Antikriegsbewegung hervor. Alle gesellschaftlichen und politischen Organisationen, die sich für demokratische und humanistische Prinzipien, Menschenrechte und -freiheiten und die Stärkung der Zivilgesellschaft in Russland einsetzen, wurden aufgerufen, sich daran zu beteiligen. Mit den organisatorischen Aspekten der Koordinierung der Antikriegsbewegung wurde das Interethnische Russländische Komitee "Für die Beendigung des Krieges und Herstellung von Frieden in der Republik Tschetschenien" beauftragt.

Zusammenfassung der Rede von Oleg ORLOW auf der Internationalen Konferenz "Für die Beendigung des Krieges und die Herstellung von Frieden in der Republik Tschetschenien"

Orlow (O.) führte zunächst aus, dass er auf dieser dem Schutz der Menschenrechte - aber nicht nur diesem - gewidmeten Konferenz eine Reihe von Aspekten des Tschetschenien-Konfliktes berühren wolle, die in der Regel von den Menschenrechtsorganisationen nicht behandelt würden.
Als erstes bezweifelt O. die Daten der kürzlichen Volkszählung an, nach denen in Tschetschenien (Tsch) 1,88 Mio Menschen lebten. Um auf diese Zahl zu kommen, hätten nicht nur alle tschetschenischen Flüchtlinge nach Tsch. zurück kehren müssen, sondern auch sämtliche Flüchtlinge der 90-er Jahre anderer Volkszugehörigkeit. Darüber hinaus sei auch noch ein erheblicher Bevölkerungszuwachs nötig, um auf diese Zahl zu kommen - angesichts zweier Kriege und des Zusammenbruchs auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet eine Absurdität.

Gleichermaßen unwahr seien andere offizielle Zahlenangaben über Tsch., so die Zahl der Angehörigen illegaler bewaffneter Einheiten (Kämpfer), Angaben über Verluste derselben und über konkrete Militäraktionen. O. stellt die offiziellen Zahlen den mit Kräften seiner Organisation vor Ort gesammelten Daten gegenüber und führt anhand von Fakten schlüssig den Beweis für die Falschheit der Ersteren.

O. fürchtet um die Sicherheit des Landes, wenn sich dessen Führung in ihren Aktionen von derartig falschen Angaben leiten ließe. Auch der Anführer der Geiselnehmer von Moskau Barajew sei vor seinem Auftauchen in Moskau schon zweimal offiziell tot gemeldet gewesen.
Ähnlich sehe es hinsichtlich des möglichen Eindringens tsch. Kämpfer aus Georgien aus. Die föderalen Kräfte behaupteten, ein solches Eindringen sei unmöglich - im September sei das Gegenteil der Fall gewesen.

Bezüglich der Kämpfer - oder wie immer man die Gegner der föderalen Kräfte nennen wolle - sei die Situation nicht viel anders. Entgegen mehrfacher Ankündigungen sei es nicht zu einer militärischen Großaktion im Frühling oder Sommer 2002 und somit auch nicht zu einer grundlegenden Änderung der militärischen Lage in Tsch. gekommen.

Eine militärische Lösung des Konflikts erweise sich mehr und mehr als unmöglich. Die politische und militärische Führung Russlands setze daher auf seine "Tschetschenisierung" - die Tschetschenen sollten untereinander kämpfen und die föderalen Kräfte würden sich allmählich zurück ziehen. (Beweis: Einrichtung von tschetschenischen Milizstrukturen, Behörden für Inneres und Sondertruppen (OMON). Diese tsch. Einheiten versuchten oft, Grausamkeiten gegenüber der Zivilbevölkrung durch russ. Einheiten zu verhindern und würden dafür von Letzteren oft bestraft. Man müsse sich dann fragen, ob diese Kräfte noch eine Hilfe für die Föderalen sein würden. Andererseits gebe es auch Übergriffe von seiten der neu eingesetzten tsch. Milizbehörden, was letztlich zu neuen Konfrontation der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen führen müsse.
Ein weiteres Problem sei die Durchsetzung der Milizeinheiten mit "Kämpfern" und die Tätigkeit der Ersteren mit Billigung der Letzteren. Dies führe zu Aktionen der tsch. Miliz gegen eigene und föderale Einrichtungen und zu Hilfestellungen der Miliz zugunsten der Kämpfer.
All dies zeige, dass eine "Tschetschenisierung" nicht den gewünschten Effekt haben könne und dass eine fortgesetzte militärische Lösung des Konflikts allein Sache der föderalen Kräfte sein werde.
Dies bedeute aber auch die andauernde Belastung der Zivilbevölkerung, die der Gewalt von jeder Seite ausgesetzt sei. Sie sei das Hauptobjekt der Aktionen der sich gegenüberstehenden Kräfte des Konflikts.

O. beschreibt weiter detailliert Beispiele von Gewalt und Terror gegen die Zivilbevölkerung vonseiten der Kämpfer in Tsch. aber auch in anderen Teilen Russlands.
Die russische Führung versuche, die Bekämpfung solcher Gewaltakte als Teil des internationalen Kampfes gegen den Terrorismus darzustellen. Die föderalen Kräfte beantworteten diesen Terror mit genau den gleichen Terroraktionen (Ermordung von Zivilisten, Zerstörung ganzer Dörfer, sog. Säuberungen von Ortschaften, die von großangelegten Verhaftungen, Verprügelungen und Morden begleitete seien, illegale Filtrationslager, in denen Willkür jeglicher Art ausgeübt werde).
Die russische militärische Führung versuche zwar durch entsprechende Befehle, Terror und Gewalt im Zuge dieser Säuberungen zu verbieten, die föderalen Einheiten hielten sich aber demonstrativ nicht an solche Befehle, was beweise, dass sie letzlich nicht mehr steuerbar seien und sich mehr und mehr der Befehlsgewalt von oben entzögen. Dies sei eine Bedrohung der nationalen Sicherheit Russlands.
Putin habe das Ende von großangelegten Sonderoperationen der föderalen Kräfte angekündigt, doch es falle schwer, an diese Worte zu glauben. Auch zielgerichtete Operationen seien ein Mittel des Terrors der Föderalen. Die Anzahl der "Verschwundenen", die man später z.T. tot und mit Foltermerkmalen wieder finde, gehe in die Tausende, es handele sich um einen Terror, der innerhalb der föderalen Truppen erfolge und den man mit Fug und Recht mit dem von Stalin vergleichen könne.
Die Zahl der wegen Gewalthandlungen eingeleiteten Strafverfahren sei äußerst gering, die der Verurteilungen gleich Null.
Gleichzeitig müsse gesagt werden, dass dieser Terror nicht für alle Angehörigen der föderalen Einheiten charakteristisch sei, es gebe auch Beispiele der Rettung von Zivilisten durch einzelne Angehöriger der Föderalen. Die Anzahl der Terrorbeispiele überwiege jedoch.

Die tsch. Bevölkerung habe vor drei Jahren den Einmarsch der föderalen Einheiten mit der Hoffnung auf ein Ende von Gewalt und Banditentum begrüßt. Terror und Gewalt der Föderalen hätten dieses positive Verhältnis ins Gegenteil verkehrt.
Und was bedeuten die Gewaltakte der Angehörigen der föderalen Einheiten für Russland? Als was für Menschen kehren die jungen Soldaten und Milizionäre in ihre Heimat zurück, nachdem sie ungestraft Gewalt in jeder Form anwenden durften?

All dies führe in eine Sackgasse, aus der es keinen Ausweg gebe, wenn man weiter auf Gewalt setze und - besonders nach der Moskauer Geiselnahme - eine politische, friedliche Lösung ausschließe.
Das Gegenteil sei richtig. Gerade jetzt, nachdem der Präsident Festigkeit gezeigt habe - für welchen Preis, wolle O. hier nicht erörtern - , nachdem er der Erpressung nicht nachgegeben habe, sei der Moment gekommen, den Konflikt in Tsch. vernünftig anzugehen und dem Terrorismus den Boden zu entziehen.
"Memorial" sei immer für eine friedliche Konfliktlösung eingetreten - das letzte Mal in einem offenen Brief an den russischen Präsidenten am Tag nach dem nationalen Trauertag. Frieden sei der schlimmste Schlag gegen den Terrorismus und die würdigste Art, die umgekommenen Geiseln zu ehren.


In einem Memorandum erklärten die Konferenzteilnehmer, dass die unverzügliche Aufnahme von Gesprächen die Grundvoraussetzung aller Bemühungen um eine friedliche Lösung sei. Dabei dürfe die Aufnahme dieser Gespräche an keine Vorbedingungen geknüpft werden.

Die Haltung der westlichen Staats- und Regierungschefs käme nach Auffassung der Konferenzteilnehmer einer Duldung der gravierenden und massenhaften Verletzung der grundlegenden Menschenrechte in Tschetschenien gleich.

Die Fortsetzung des Krieges führe in der gesamten Russischen Föderation zu einer Verletzung der Rechte und Freiheiten des Einzelnen sowie zu erhöhter Kriminalität und Korruption; sie schade dem internationalen Ansehen Russlands, berge die Gefahr einer Ausweitung der Auseinandersetzung auf andere Regionen des Landes und leiste dem Terrorismus Vorschub.

Die Konferenzteilnehmer kamen überein, möglichst rasch eine Folgekonferenz zu veranstalten und mit deren Ergebnis an die Verantwortlichen in der Russischen Föderation und in Tschetschenien und darüber hinaus an die Weltöffentlichkeit heranzutreten. Dabei würden u.a. folgende grundlegende Fragen behandelt:

- das Format, in dem die Gespräche geführt werden sollen
- die Internationalisierung des Friedensprozesses (Entsendung internationaler Beobachter, Einbeziehung der VN, Einsatz von Friedenstruppen usw.)
- der künftige Status und die politische Ordnung für Tschetschenien.


Die Konferenzteilnehmer erinnerten in einem Appel an die EU-Staats- und Regierungschefs anlässlich des bevorstehenden Treffens mit Präsident Putin an den seit Jahren andauernden bewaffneten Konflikt in Tschetschenien, der eine humanitäre Katastrophe in der Region ausgelöst habe.

Der Europäische Rat wird aufgefordert, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um dem Krieg ein Ende zu setzen, die Achtung der Menschenrechte zu unterstützen und eine friedliche Lösung im nördlichen Kaukasus zu fördern.

Die Konferenzteilnehmer vergleichen die mit dem Tschetschenienkonflikt verbundenen Gefahren und menschlichen Tragödien mit dem Nahostkonflikt und sind der Auffassung, dass eine Friedenslösung im Kaukasus die gleiche Aufmerksamkeit wie dem Frieden für Palästina zukommen müsse.

Sie sind der Überzeugung, dass es keine Friedenslösung ohne politische Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien geben kann und appellieren an die Staats- und Regierungschefs, die zwangsweise Rücksiedlung Vertriebener nach Tschetschenien nicht zuzulassen, solange die Situation dort nicht vollständig stabil sei und Krieg und Unterdrückung ein Ende gefunden haben.

Weiterlesen …

Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte prüft erstmals sechs Klagen aus Tschetschenien

(30.01.2003)
Am 16. Januar 2003 wurde offiziell erklärt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg sechs Klagen aus Tschetschenien für zulässig erklärte. Die Klagen waren im Frühjahr 2000 eingereicht worden und betreffen Vorfälle im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt im Nordkaukasus. Das Gericht entschied am 19. Dezember 2002.

Die Interessen der Kläger werden durch einen Juristen des Menschenrechtszentrums Memorial, Kirlill Korotejew, und den Professor an der Universität Nord-London, William Bowring, vertreten. Bei der Vorbereitung der Klage wurde das Menschenrechtszentrum Memorial durch die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch unterstützt.

Insgesamt reichte Memorial 36 Klagen beim Straßburger Gerichtshof ein, 32 Klagen betreffen Vorfälle im Zusammenhang mit dem Tschetschenienkonflikt. Die beim Straßburger Gerichtshof für Menschenrrechte eingereichten Klagen werden zunächst auf ihre Zulässigkeit hin geprüft. Nach Klärung der formalen Kriterien erfolgt die sachliche Prüfung der Klage. Dies ist bei den sechs gegen Russland eingereichten Klagen der Fall.


Die sechs Klagen wurden zu drei Verfahren zusammengefasst. Das erste Verfahren betrifft Hinrichtungen ohne Gerichtsurteil, die nach einer "Säuberungsaktion" in Gosny im Januar 2000 durchgeführt wurden. Eine gerichtliche Untersuchung in Inguschetien wurde nach Aufnahme der Vorfälle durch die Richter im Februar 2002 immer wieder ausgesetzt. Bei dem zweiten Verfahren handelt es sich um den Luftangriff auf einen Flüchtlingstransport im Oktober 1999, bei dem mehr als zehn Personen zu Tode kamen oder verwundet wurden. Eine gerichtliche Untersuchung der Vorfälle wurde im Mai 2000 aufgenommen, wegen Abwesenheit der Piloten jedoch wieder ausgesetzt. Das dritte Verfahren betrifft die Opfer, die nach dem Beschuss des Dorfes Katyr-Jurt Anfang Februar 2000 unter der Zivilbevölkerung zu beklagen waren.

Weiterlesen …

Abgeordnete des Deutschen Bundestages "tief besorgt" über Menschenrechtssituation in Tschetschenien

(31.01.2003)
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Berlin: (hib/RAB) Die Mitglieder des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe sind "tief besorgt" über die anhaltenden schweren Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien. In einer am Freitagmorgen einstimmig verabschiedeten Erklärung heißt es, beide Konfliktparteien, das russische Militär und die tschetschenischen Kämpfer, seien für die Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Ein aktueller Bericht einer Delegation des Europarates, die sich vor wenigen Tagen in Tschetschenien ein Bild von der Situation vor Ort gemacht habe, hat diese Sorge noch verstärkt, schreiben die Parlamentarier weiter. In der Erklärung, die an Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer weitergeleitet werden soll, fordern die Abgeordneten den russischen Präsidenten Putin auf, sich für eine dauerhafte politische Lösung in Tschetschenien unter Einbeziehung authentischer tschetschenischer Repräsentanten einzusetzen. Darüber hinaus müsse das humanitäre Völkerrecht geachtet und den Menschenrechtsverletzungen mit Hilfe der russischen Armee Einhalt geboten werden. Von zentraler Bedeutung sei es auch, das Mandat der OSZE für Tschetschenien zu verlängern.

Rudolf Bindig (SPD), Mitglied der Delegation des Europarates für Tschetschenien, hatte zuvor im Ausschuss die Sicherheitslage vor Ort als "extrem schwierig" bezeichnet. Offiziell befänden sich 80 000 Sicherheitskräfte in der Region, während sich lediglich 505 000 erwachsene Menschen in Tschetschenien aufhielten. Die Darstellung russischer Vertreter gegenüber der Delegation des Europarates, die wirtschaftliche Lage in Tschetschenien würde sich verbessern, stehe in einem "krassen Widerspruch" zur Realität. Nach Auffassung Bindigs sind sowohl die russischen Seite als auch die tschetschenischen Kämpfer für die Konfliktlage verantwortlich. So gäbe es keine öffentliche Diskussion über den Entwurf einer Verfassung, über den am 23. März ein Referendum abgehalten werden soll. In dem Entwurf werde Tschetschenien als Bestandteil Russlands bezeichnet und Russisch als Amtssprache festgelegt. Den tschetschenischen Kämpfern warf der Abgeordnete Menschenrechtsverletzungen durch Terroranschläge vor, mit denen die Zusammenarbeit schwer belastet werde.

Die CDU erkundigte sich nach Möglichkeiten der Nichtregierungsorganisationen, auf die Lage vor Ort einzuwirken. Auch solle beleuchtet werden, inwiefern ein politischer Prozess ohne den tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow, mit dem die russische Seite Verhandlungen ablehnt, möglich sei. Die FDP bedauerte, dass der Tschetschenienkonflikt aus dem Blickwinkel der Öffentlichkeit verschwunden sei. Dies sei fatal, da auf beiden Seiten Menschenrechtsverletzungen ausgeübt würden. Somit sei der internationale Druck auf Putin, für Frieden in der Region zu sorgen, zu gering. Die Fraktion forderte die Bundesregierung auf, in bilateralen Gesprächen und auf EU-Ebene auf die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien hinzuweisen. Die Bündnisgrünen sprachen Schwierigkeiten in Zusammenhang mit dem geplanten Referendum an. Es sei unklar, wer sich an der Befragung beteiligen dürfe. Weiter müsse gefragt werden, welche Vorschläge die Russische Förderation mache, um das Problem zu lösen.

Weitere Informationen auf der Website des Deutschen Bundestages.

Weiterlesen …

Rechtliche Aspekte des militärischen Einsatzes in Tschetschenien / Rechtmäßigkeit des militärischen Einsatzes aus der Sicht der russischen Gesetze

(07.12.2002)
Die erste Militäraktion in Tschetschenien (Tsch.) (1994-96) wurde bekanntlich nicht mit klaren Rechtsbegriffen bezeichnet, sondern durch Euphemismen wie "Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung" oder "Lösung der Verfassungskrise" umschrieben.

Diese rechtliche Unklarheit herrscht auch in Bezug auf den derzeit durchgeführten militärischen Einsatz. Zu ihrer Rechtfertigung wird offiziell zumeist auf den notwendigen Kampf gegen den Terrorismus verwiesen und von Anti-Terror-Operation gesprochen; gelegentlich ist auch die Rede von der Antwort auf Angriffe durch organisierte Banden oder einfach nur "Tschetschenen". Diese Äusserungen besitzen deklaratorischen Wert, stellen jedoch keine rechtliche Begründung dar.

Das Konzept der nationalen Sicherheit, das mit Präsidentenerlass Nr. 1300 vom 17.12.97 bestätigt wurdet, sieht vor, dass "die Anwendung militärischer Gewalt gegen Zivilisten oder zur Umsetzung innenpolitischer Ziele nicht zulässig ist. Gleichzeitig ist der Einsatz von Einheiten der Streitkräfte der Russischen Föderation zusammen mit anderen Truppen, bewaffneten Kräften und Einrichtungen in Bezug auf illegale bewaffete Gruppen, die eine Gefahr für das nationale Interesse der Russischen Föderation darstellen, in strikter Übereinstimmung mit der Verfassung der Russischen Föderation und föderalen Gesetzen zulässig". Das Konzept unterstreicht auch die Notwendigkeit, "die Normen des Völkerrechts und die russischen Gesetze bei der Anwendung von Zwangsmaßnahmen(einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt) einzuhalten".

Es ist also davon auszugehen, dass die Anwendung militärischer Gewalt mit dem Ziel der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit nicht nur dadurch bestimmt werden kann, was die für die entsprechenden Entscheidungen zuständigen Stellen für zweckmäßig halten, sondern auf konkrete Rechtsnormen gestützt und in einen rechtlichen Rahmen gestellt sein muss.

Wie sehen also die rechtlichen Möglichkeiten aus, auf die die Regierung bei der Rechtfertigung der breitangelegten militärischen Aktionen in Tsch. verweisen kann?

1. Artikel 88 der Verfassung bestimmt, dass der Präsident im Falle einer realen Gefahr für die Sicherheit der Bürger oder die verfassungsmäßige Ordnung, die außerordentliche Maßnahmen erforderlich macht, durch Erlass im gesamten Hoheitsgebiet oder in einzelnen Regionen den Ausnahmezustand erklärt und den Föderationsrat sowie die Staatsduma unverzüglich davon in Kenntnis setzt. Der entsprechende Erlass muss durch den Föderationsrat bestätigt werden. Die Formulierung dieser Verfassungsnorm lässt jedoch die Frage offen, ob die Erklärung des Ausnahmezustands ein Recht des Präsidenten ist, das dieser nach eigenem Ermessen ausübt, oder eine Pflicht, die er zu erfüllen hat.

Das Gesetz über den Ausnahmezustand wurde bereits 1991 angenommen (Nr. 1252-1 vom 17.05.91). Es wurde jedoch weder während des ersten bewaffneten Einsatzes in Tsch. noch in der jetzigen Situation angewendet, obwohl die Machtorgane bei der Begründung des militärischen Einsatzes auf eben diese Situation Bezug genommen haben, die nach Artikel 4 Buchstabe a des Gesetzes Grundlage für die Erklärung des Ausnahmezustands sind: Versuch einer gewaltsamen Veränderung der verfassungsmäßigen Ordnung, Massenunruhen mit Gewaltanwendung, internationale Konflikte, Blockade einzelner Gebiete, Gefahr für Leben und Sicherheit der Bürger oder die ordentliche Tätigkeit staatlicher Einrichtungen.

Die Tatsache, dass das Gesetz über den Ausnahmezustand nicht angewendet werden soll, erklärt sich zunächst damit, dass dieses die Teilnahme der Streitkräfte an Maßnahmen zur Normalisierung der Lage nicht vorsieht und diese Aufgabe den Truppen des Innenministeriums (MWD) überträgt (der Einsatz der Streitkräfte ist ausschließlich im Rahmen der Katastrophenhilfe zugelässig). Ein weiterer Grund, der nicht offen ausgesprochen wird, sind die präzisen Vorschriften des Gesetzes über den Ausnahmezustand, das eine rechtliche Regelung für den Ausnahmezustand vorgibt und die genaue Angabe der staatlichen Stellen fordert, die für die entsprechenden Maßnahmen zuständig sind, sowie die Angabe von Ausmaß und Umfang der außerordentlichen Maßnahmen in dem entsprechenden Erlass und die erschöpfende Aufzählung der zeitweiligen Einschränkung der Rechte und Freiheiten der Bürger und darüber hinaus Garantien enthält für die Rechte des Bürgers und den Schutz dieser Rechte (Artikel 8, 17, 18 ff) schafft. Artikel 27 bestimmt deutlich, dass die Einführung des Ausnahmezustands nicht als Grund für die Anwendung von "Folter, grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung" dienen darf; die Artikel 28 und 33 bestimmen, dass die gesetzlich geregelte Anwendung von Gewalt und der Einsatz von Feuerwaffen während des Ausnahmezustand nicht geändert werden dürfen und Angehörige des Innenministeriums und Wehrpflichtige für die unrechtmäßige Anwendung von Gewalt und die Überschreitung ihrer dienstlichen Befugnisse, einschließlich der Verletzung der garantierten Bürgerrechte, zur Verantwortung gezogen werden. In der Tat werden mit dieser Regelung "die Hände gebunden" und der Ermessensspielraum (oder einfacher gesagt, die Willkür) bei der Durchführung bewaffneter Operationen erheblich eingeschränkt.

Man kann dem zustimmen, dass das Gesetz über den Ausnahmezustand extreme Situationen, die die zusätzliche Beteiligung der Streitkräfte zur Stabilisierung des Ausnahmezustands rechtfertigen, nicht in vollem Umfang in Betracht zieht; dass das Gesetz also auch Normen enthalten sollte, die eine solche Beteiligung und die Anwendung bewaffneter Gewalt in einen festen rechtlichen Rahmen stellen. Seit seiner Annahme wurde das Gesetz jedoch nicht geändert. Formal ist es weiterhin in Kraft, in der Praxis wird es jedoch ignoriert.

2. Nach dem föderalen Gesetz über die Verteidigung Nr. 61-FS vom 24.04.96 sind die Streitkräfte (die als "staatliche militärische Organisation (definiert werden,) die die Grundlage der Verteidigung der Russischen Föderation" bilden) dazu bestimmt, "einen Angriff gegen die Russische Föderation abzuwehren, die Integrität und Unverletztlichkeit des Hoheitsgebiets der Russischen Föderation mit Waffengewalt zu schützen und darüber hinaus Aufgaben zu erfüllen, die sich aus völkerrechtlichen Verträgen der Russischen Föderation ergeben. Das ihrer Zweckbestimmung nicht entsprechende Heranziehen der Streitkräfte der Russischen Föderation zur Erfüllung von Aufgaben mit Waffengewalt erfolgt durch den Präsidenten der Russischen Föderation nach Maßgabe der föderalen Gesetze" (Artikel 10 Absatz 2 und 3). Im Zusammenhang mit dem genannten Artikel ist ohne Frage die Rede von bewaffnetem Schutz vor einem Angriff von außen, denn rechtlich gesehen kann bei einem Subjekt der Föderation (d.h. einer territorialen Einheit innerhalb des Landes) &_65533; und als solches gilt Tsch. offiziell &_65533; nicht von einem Angriff gegen die Russische Föderation gesprochen werden. Doch selbst wenn man davon ausgeht, dass es sich im vorliegenden Fall um einen Angriff handelt, muss Artikel 19 des Gesetzes über die Verteidigung zur Anwendung gelangen, der die Einführung des Kriegszustands vorsieht. Der Artikel definiert den Kriegszustand als besondere rechtliche Regelung, die das Handeln der staatlichen und Selbstverwaltungsorgane bestimmt und mit der eine Einschränkung der Rechte und Freiheiten verbunden ist. "Im Kriegszustand können die Streitkräfte, andere Truppen, bewaffnete Kräfte und Einrichtungen militärisch zur Abwendung eines Angriffs unabhängig von der Ausrufung des Krieges eingreifen. Der Kriegszustand wird nach Artikel 87 der Verfassung jedoch durch den Präsidenten verhängt, der den Föderationsrat und die Staatsduma unverzüglich davon in Kenntnis setzt, der entsprechende Erlass muss durch den Föderationsrat bestätigt werden. Hier sollte nicht vergessen werden, dass der Kriegszustand in Übereinstimmung mit der Verfassung durch ein föderales Verfassungsgesetz geregelt werden muss (ein solches Gesetz wurde bislang nicht verabschiedet).

In diesem Fall wurde der Kriegszustand nicht ausgerufen. Wenn man also die Militäroperation in Tsch. aus Sicht des geltenden russischen Rechts betrachtet, kann man nur festgestellen, dass es sich hier um einen bewaffneten Einsatz der Streitkräfte handelt, der nicht zu ihrer Zweckbestimmung entspricht. Dies ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, das bereits zitierte Konzept der nationalen Sicherheit weist darauf hin; der "politische" Charakter des Konzept geht jedoch deutlich aus seinem Wortlaut hervor. Gesetze, die die Modalitäten des Einsatzes von Waffen und militärischer Kontingente außerhalb ihrer Zweckbestimmung regeln, gibt es gegenwärtig nicht. Es folgt jedoch aus Artikel 5 Absatz 1 Unterabsatz 3 des Gesetzes über die Verteidigung, dass ein Heranziehen der Streitkräfte und anderer bewaffneter Kräfte außerhalb ihrer Zweckbestimmung durch Erlass des Präsidenten erfolgen muss, der der durch den Föderationsrat bestätigt wird. In diesem Fall wurde kein derartiger Erlass veröffentlich und zur Bestätigung vorgelegt, der Einsatz der Streitkräfte zur Durchführung von Aufgaben, die nicht mit ihrer Zweckbestimmung verbunden sind, wird damit unmöglich.

3. Die breitangelegten militärischen Aktionen in Tsch. werden zumeist als Anti-Terror-Aktion begründet, wobei auf das Gesetz über den Kampf gegen den Terrorismus verwiesen wird (Nr. 130-FS vom 03.07.98). Tatsächlich heißt es in Artikel 7 dieses Gesetzes, das die Zuständigkeit der Stellen zur Bekämpfung des Terrorismus festlegt, dass das Verteidigungsministerium den Schutz von militärischen Objekten und Waffen, die Sicherheit der Seeschiffahrt und des Luftraums gewährleistet und auch an der Durchführung von "Anti-Terror-Operationen teilnimmt". Diese allgemeine Formulierung im Gesetzestext wird nicht näher erläutert und die Frage nach dem Wie, der Art und des Umfangs der Beteiligung bleibt offen.

Artikel 3 des Gesetzes über den Kampf gegen den Terrorismus definiert eine Anti-Terroroperation als "besondere Maßnahmen, die Terroranschläge verhindern, die Sicherheit von Menschen gewährleisten, Terroristen unschädlich machen und die Folgen eines Terroranschlags gering halten sollen". Kapitel III des Gesetzes regelt die Durchführung von Anti-Terror-Operationen. Das Gesetz sieht die Einrichtung eines Operationsstabs vor, der aufgrund eines Regierungsbeschlusses gebildet wird und die unmittelbare Leitung einer solchen Operation unter Führung eines Vertreters des FSB oder des Innenministeriums (je nachdem, in wessen Kompetenzbereich die Durchführung einer bestimmten Anti-Terror-Operation fällt) wahrnimmt und auf der Grundlage eines besonderen Richtlinienpapiers tätig wird, das den Rahmenbestimmungen des föderalen Anti-Terror-Ausschusses entspricht. Der Operationsstab für die Anti-Terror-Operation hat allerdings das Recht, die notwendigen Kräfte und Mittel der föderalen Organe anzufordern, die unmittelbar mit dem Kampf gegen den Terrorismus befasst sind, u.a. auch des Verteidigungsministeriums (Artikel 11). Eine Analyse der oben genannten Definition einer Anti-Terror-Operation sowie verschiedener weiterer Bestimmungen des Gesetzes, insbesondere des Artikels 2 über die Grundsätze des Kampfs gegen den Terrorismus ("Priorität der Maßnahmen zur Vorbeugung des Terrorismus", "Zusammenwirken offener und verdeckter Methoden des Kampfes", "Priorität des Schutzes der Rechte derjenigen, die aufgrund eines Terrorakts gefährdet sind"), führt zu dem Schluss, dass das Gesetz bei Durchführung einer Anti-Terror-Operation den Spezialdiensten vorrangige Bedeutung einräumt und der Einsatz der Streitkräfte und deren Waffen nur als ergänzende Unterstützung erfolgen kann, in jedem Fall jedoch nicht zu schwerwiegenderen Folgen im Verhältnis zum eigentlichen Terrorakt führen darf, der verhindert werden sollte (Tod von Zivilisten, Zerstörung von Gebäuden, Infrastruktur usw.).

Gleichzeitig folgt daraus, dass die Rechtsgrundlage für den Kampf gegen den Terrorismus nicht nur durch das genannte Gesetz, sondern auch durch die Verfassung und andere föderale Gesetze sowie die allgemeingültigen Grundsätze und Normen des Völkerrechts gegeben ist (Artikel 1 des Gesetzes über den Kampf gegen den Terrorismus). Das bedeutet insbesondere, dass die Normen des Gesetzes über den Kampf gegen den Terrorismus systematisch unter Berücksichtigung der bereits genannten Verfassungsnormen und Bestimmungen föderaler Gesetze über den Einsatz der Streitkräfte interpretiert und angewendet werden müssen.

Insofern entbehrt der breitangelegte Einsatz der schwer bewaffneten Streitkräfte in Tsch. einer überzeugenden Rechtsgrundlage durch Verfassung und föderale Gesetze sowie einer ordentlichen Rechtsform. Der Einsatz der Streitkräfte erfolgt im rechtlichen Vakuum und lässt breiten Raum für Willkür und Nichteinhaltung der grundlegenden Verfassungsrechte der Zivilbevölkerung.

Aus dem Russischen übersetzt im Dez. 2002; der Artikel wurde von Memorial am 27.12.1999 in russischer Sprache publiziert

Weiterlesen …

LE MONDE befragt Kristof Ruehl, Wirtschaftsexperte der Weltbank, zur Jukos-Affaire

(09.07.2004)
1. Wie bewerten Sie als verantwortlicher Wirtschaftsexperte der Weltbank in Moskau die Auswirkungen der Jukos-Affaire? Letztlich wird diese Sache den Haupterfolg Putins, die Stabilität nämlich, die die Investionstätigkeit angekurbelt hat, in Frage stellen. Die Investitionsquote ist erst Ende 2002 wieder angestiegen. Für Russland ist es nicht so wichtig, ausländische Investoren zu gewinnen; vielmehr muss die Rückkehr des seit 1991 ins Ausland geflossenen Kapitals bewirkt werden: dieses Kapital wird mit 245 Milliarden Dollar angegeben,das ist mehr als die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts. Putin war es gelungen, die Kapitalflucht zu bremsen; das zurückgeflossene Geld kommt größtenteils aus Zypern oder off-shore-Gebieten, wo die Oligarchen angelegt haben; es sind Gewinne aus Erdölexporten, Gelder der Freunde Chodorkowskijs also! Jetzt stellen wir fest, dass das Geld erneut ins Ausland fließt. Die russischen Banken haben kürzlich ihre Aktiva im Ausland aufgestockt. Das alles verstärkt die Unruhe, die diesen Sektor erfasst hat. 2. Welche Ziele verfolgt der Kreml? Die entscheidende Frage lautet doch, ob die Jukos-Affäre ein Einzelfall oder aber Teil einer umfassenden Strategie ist? Im Kreml glaubt man wahrscheinlich, dass man überzeugend dartun kann, dass Jukos ein Einzelfall sein und diese Krise bei den ausländischen Investoren schnell in Vergessenheit geraten wird, so wie das auch 1998 der Fall war. Das Spiel mit den Eigentumsrechten in Russland ist aber ein Spiel mit dem Feuer, denn der Begriff des Privateigentums ist noch relativ neu. Die Jukos-Affäre zeigt, dass die Privatisierungen der neunziger Jahre kein abgeschlossenes Kapitel sind; dass immer wieder eine Revidierung dieser Verkäufe drohen kann. Wenn es sich hier um eine teilweise Wiederverstaatlichung handeln sollte, so wäre das verheerend. Alle Untersuchungen belegen, dass die vom Staat kontrollierten Unternehmen in Russland weitaus weniger erfolgreich sind als die Privatwirtschaft. 3. Ist der Konkurs von Jukos unvermeidlich? Mehrere Situationen sind denkbar. Es sieht so aus, als wolle der Staat einen Teil des Erdölgeschäfts wieder unter seine Kontrolle bringen. Die Lage ist nicht aussichtslos, ihre jetzige Entwicklung jedoch bedauerlich. Wenn es Regeln für die Geschäfte der Oligarchen geben soll, dann müsste zuallererst ein unabhängiges Rechtssystem geschaffen werden. Oder man müsste allgemein verbindliche Regeln aufstellen, die Monopolbildung verhindern oder den Wettbewerb schützen sollen. Nicht diese Art von Guerilla-Krieg gegen eine einzige Gruppe. Mich besorgt, dass es keine offene Debatte in Russland darüber gibt, welche Regeln für diese Gruppen gelten sollen. Übersetzt aus dem Französischen, LE MONDE vom 09.07.04

Weiterlesen …

Nationale Stiftung für Demokratie (National Endowment for Democracy) verleiht an russische Menschenrechtler Demokratie-Preis

Die Nationale Stiftung für Demokratie (National Endowment for Democracy, NED) wird ihre jährliche Auszeichnung, den "Demokratie-Preis" ("Democracy Award"), den Führern von vier herausragenden Nichtregierungsorganisationen verleihen, die sich für die Bewahrung und Entwicklung der Demokratie in Russland einsetzen. Die Preisverleihung findet am 9. Juni in Washington statt.

Preisträger sind Ljudmila Aleksejewa, Vertreterin der "Moskauer Helsinki-Gruppe", Arsenij Roginskij, Vorsitzender der Internationalen Gesellschaft "Memorial", Aleksej Simonow, Präsident der "Stiftung zur Verteidigung von Glasnost", und Mara Poljakowa, Direktorin des Unabhängigen Rechtsexpertenrats.

Der Preisverleihung wird eine Diskussion vorangehen - ein Runder Tisch zum Thema "Perspektiven von Demokratie und Menschenrechten in Russland". Moderator ist der Direktor der Kongressbibliothek James Billington, Teilnehmer sind die russische Bürgerrechtlerin und Witwe Andrej Sacharows, Jelena Bonner, und der Russlandexperte Michael McFaul. Kommentieren werden US-Senator John McCain, der Kolumnist der Washington Post Jackson Diehl sowie der Russlandexperte Stephen Sestanovich.

NED-Präsident Carl Gershman erläuterte die Auswahl der Preisträger mit folgenden Worten: "Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Fall des Kommunismus steht Russland an einem Scheidewege. Es kann sich weiter in Richtung einer Demokratie, wirtschaftlichen Wohlstands und Gesetzlichkeit entwickeln oder aber zurück zu einer Gesellschaftsordnung, in der der Staat in Gesellschaft und Wirtschaft die beherrschende Stellung einnimmt, elementare Freiheiten beschnitten werden und die von Korruption und Autokratie geprägt ist. Die hier ausgezeichneten Gruppen sind führende Verfechter einer demokratischen und freiheitlichen Zukunft Russlands. Sie verdienen unsere uneingeschränkte Unterstützung."

Ljudmila Michailowna Aleksejewa: Gründungsmitglied der Moskauer Helsinki-Gruppe, seit 1998 Präsidentin der Internationalen Helsinki-Stiftung. 1950 Abschluss des Geschichtsstudiums in Moskau. Unterstützung politischer Gefangener und ihrer Familien. Ausführliche Schriften über Menschenrechte in der UdSSR. 1976 Mitglied der Moskauer Helsinki-Gruppe. Nach Verhaftung des Vorsitzenden Jurij Orlow Ausreise in die USA. 1993 Rückkehr nach Russland. Seit 1989 Mitglied der wiederhergestellten Moskauer Helsinki-Gruppe, 1996 Wahl zur Vorsitzenden.

Mara Fjodorowna Poljakowa: Führende Anwältin im Bereich der Menschenrechte und derzeit Direktorin des Unabhängigen Rechtsexpertenrats (dieser Rat überprüft die Gesetzgebung hinsichtlich der Grundrechte und leistet juristische Hilfe bei der Verteidigung dieser Rechte). Ebenfalls Mitglied der Moskauer Helsinki-Gruppe, Leiterin des Expertenrats im Büro des Menschenrechtsbevollmächtigten der Russischen Föderation, Mitglied der Russischen Sektion der Internationalen Kommission von Anwälten. In den 90er Jahren im Mitarbeiterstab der Duma-Abgeordneten Jurij Tschernitschenko, Galina Starowojtowa und Sergej Kowalew.

Arsenij Borisowitsch Roginskij: Geb. 1946. Mitbegründer der Gesellschaft Memorial für Geschichte, Aufklärung und Menschenrechte, seit 1988 im Vorstand, derzeit Vorsitzender der Internationalen Gesellschaft Memorial. In den 70er Jahren Sammlung von Samisdat-Materialien über die Geschichte der politischen Repression in der UdSSR für eine Publikation in Paris. Von 1981 bis 1985 wegen Veröffentlichung historischer, literarischer und politischer Schriften inhaftiert. Herausgeber des historischen Almanachs "Svenja" ("Kettenglieder").

Aleksej Kirillowitsch Simonow: Geb. 1939. Seit 1991 Präsident der Stiftung zur Verteidigung von Glasnost. 1991-1995 Dekan und Professor am Institut für Kinematographie. Autor zahlreicher Artikel zum Thema Pressefreiheit. Tätig in der Ausbildung von Journalisten für die Arbeit in Kriegsgebieten.

08.06.2004

Übersetzung aus dem Amerikanischen

Quelle: National Endowment for Democracy, NED

Weiterlesen …

Offizielle russische Vertreter torpedieren das Besuchsprogramm der Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in der Tschetschenischen Republik

Seit gestern, dem 2. Juni, hält sich eine Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in der militärischen Konfliktzone in Tschetschenien auf, unter anderem die Sonderberichterstatter Rudolf Binding und Andreas Gross. Zuvor waren die Treffen der Delegation mit gesellschaftlichen Organisationen, so auch mit "Memorial" in Grosnyj und Nasran, geplant und abgestimmt worden. Allerdings blockieren die russischen Begleiter der Berichterstatter mit Erfolg diesen Teil des Besuchsprogramms. Insbesondere teilte der Abgeordnete der Staatsduma Leonid Sluzkij (LDPR) Andreas Gross mit, die Büros von "Memorial" seien angeblich geschlossen, und die vorgesehenen Treffen könnten nicht stattfinden. Man kann sicher sein, dass auch alle übrigen Informationen, die die Berichterstatter aus dieser Quelle erhalten, ebenso "zutreffend" sind. Übrigens haben die Behörden auch früher schon bei anderen ausländischen Delegationen solche Methoden angewandt.

In den Büros von "Memorial" werden die Gäste des Europarats nach wie vor erwartet, in der Hoffnung, sie werden sich aus der "Gefangenschaft" befreien können.


Vertreter des Europarats trafen doch mit Menschenrechtlern zusammen

3.6.2004

Im Gebäude von "Memorial" in Nasran fand ein Treffen der Sonderberichterstatter des Europarats Rudolf Binding und Andreas Gross mit Einwohnern Tschetscheniens und Inguschetiens statt. Es handelt sich um Angehörige von Personen, die während des militärischen Konflikts entführt und ermordet wurden, sowie um Juristen, die ihre Interessen vertreten. Die Begegnung dauerte von 15 bis 17 Uhr.

Themen waren das Verschwinden von Personen, das Ausbleiben der Verfolgung von Verbrechen, die Lage der Zwangsmigranten - kurz, der Kontext des "politischen Prozesses" in der Tschetschenischen Republik.

Ursprünglich waren zwei Treffen geplant - heute in Grosnyj und morgen in Nasran, aber der Duma-Abgeordnete der LDPR Leonid Sluzkij, der die Delegation begleitete, gab vor, alle Büros von "Memorial" seien geschlossen. Bei der Begegnung erklärte er den Mitarbeitern von "Memorial", er habe nur die Räumlichkeiten in Grosnyj im Auge gehabt. Die Änderung des Termin- und Arbeitsplans der Delegation rechtfertigte er damit, dass man versuchen wolle, die Aufständischen zu überlisten.


Menschenrechtszentrum "Memorial"

Quelle: russischer Nachrichten-Server von MEMORIAL

Weiterlesen …

Deutsch-Russischer Austausch warnt vor Eskalation der Gewalt nach Anschlag auf tschetschenischen Präsidenten Achmad Kadyrow in Tschetschenien

Der Deutsch-Russische Austausch Berlin (DRA) verurteilt das tödliche Attentat auf den tschetschenischen Präsidenten Achmad Kadyrow und die anderen Mitglieder der tschetschenischen Führung. Der Mord an Menschen, so umstritten ihre politische Tätigkeit auch gewesen sein mag, ist nicht zu rechtfertigen.

Gleichzeitig warnt der DRA vor einer Eskalation der Gewalt in Grosnyj. Die Fahndung nach den Schuldigen des Anschlags darf nicht zu einer weiteren Einschränkung der Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten in der Republik führen. Für notwendig hält der DRA stattdessen eine Politik der Deeskalation, die die Spirale der Gewalt durchbricht, die auf die Bedürfnisse der örtlichen Bevölkerung eingeht und die die Tschetschenen an allen sie betreffenden Entscheidungen durch die Einbeziehung lokaler Initiativen beteiligt. Es darf nicht darüber hinweggesehen werden, dass viele Anhänger der Separatisten in Tschetschenien erst unter dem Eindruck von Menschenrechtsverletzungen durch die russischen Behörden und Streitkräfte auf die Seite aufständischer Gruppierungen gewechselt sind. Für die Legitimität der russischen Führung in Tschetschenien ist es daher unabdingbar, dass alle ihre Vertreter, vom Präsidenten bis zum einfachen Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter, die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit uneingeschränkt achten.

In diesem Zusammenhang begrüßt der DRA ausdrücklich die Verleihung des Aachener Friedenspreises an die Organisation "Petersburger Soldatenmütter", mit der den DRA seit 1992 eine vielfältige, enge Zusammenarbeit verbindet. Die langjährige Arbeit der "Petersburger Soldatenmütter" für mehr Rechtsstaatlichkeit in den Streitkräften, gegenüber jedem einzelnen Angehörigen der Streitkräfte und gegenüber den Wehrpflichtigen hat Tausenden Menschen zur Wahrung ihrer Rechte verholfen und das Rechtsbewusstsein in den Streitkräften und in der Gesellschaft Russlands und nicht zuletzt in Tschetschenien insgesamt gestärkt.

Deutsch-Russischer Austausch e.V.
Stefanie Schiffer, Geschäftsführerin
Brunnenstrasse 181
10119 Berlin
Tel 030 446680 22, Fax 030 444 94 60

Berlin, 11. Mai 2004

Weiterlesen …

Suche