(12.07.2002)
(Zusammenfassung aus dem Russischen / Quelle www. memo.ru)

Am 10.07.2002 hat der Föderationsrat dem Gesetz über den alternativen Wehrdienst zugestimmt, das eine Woche zuvor von der Staatsduma verabschiedet worden war. Es gibt wenig Zweifel daran, dass auch der Präsident Russlands das Gesetz unterzeichnen wird. Soweit bekannt, hat der Präsident bei einem Treffen mit den Fraktionschefs der Staatsduma das Gesetz gutgeheißen.

Diese Meinung weicht scharf von der Position russischer gesellschaftlicher Organisationen ab. In ihrer kürzlich verabschiedeten Erklärung hat die Gruppe der gesellschaftlichen Organisationen "Für einen demokratischen alternativen Wehrdienst" das von der Staatsduma verabschiedete Gesetzes als repressiv, unsozial, korrupt und einen den realen Interessen des Staates widersprechenden Akt bewertet.

Von allen denkbaren Varianten des alternativen Dienstes, die im Land mehr als 10 Jahre diskutiert wurden, hat der russische Staat die härteste und am wenigsten effiziente gewählt.

Selbst für den Laien ist erkenntlich, dass dieses System den Haushalt belasten, die gravierenden sozialen Probleme des Landes nicht lösen und die Rechte junger Leute nicht wahren wird. Dafür aber schützt das Gesetz durchaus die Interessen des Verteidigungsministeriums, d.h. nicht der russischen Armee und nicht der russischen Soldaten und Offiziere, sondern der militärischen Führung.

Dies ist ein eindrucksvoller Beweis ihrer völligen Unfähigkeit und ihres Unwillens, Reformen in den Streitkräften durchzuführen.


Das Gesetz über den alternativen Wehrdienst

- macht den alternativen Zivildienst faktisch wiederum zu einem Wehrdienst, da es zulässt, dass die Zivildienstleistenden auch ohne deren Einverständnis in Einrichtungen der Armee eingesetzt werden;

- schafft den in der Welt längsten Dienst, der gleichsam als Strafe abgeleistet wird;

- sieht den Einsatz überwiegend nach dem Grundsatz der Extraterritorialität vor, d.h. die Zivildienstleistenden bleiben für den Dienst nicht in ihrem Heimatort, sondern werden durch die Armee an anderen Orten eingesetzt;

- diskriminiert den Zivildienst, weil es von nichtvolljährigen Jugendlichen die Aufgabe ihrer Überzeugungen verlangt;

- bietet die Möglichkeit, den Dienst den Behörden zu unterstellen, die über bewaffnete Strukturen verfügen.


Die Verabschiedung des Gesetzes vollzog sich unter beispiellosem Druck des Generalstabs auf die gesetzgebende und ausführende Gewalt. Wir sind es schon gewöhnt, dass die Duma kremlfreundlich abstimmt.

Als neu erweist sich, dass auch die Regierung Russlands so offensichtlich, frech und erfolgreich über den Tisch gezogen wird.

Denn noch genau eine Woche, bevor das Gesetz die entscheidende zweite Lesung durchlief, fand sich die Mehrheit der Ministerien in Übereinstimmung mit dem Standpunkt der gesellschaftlichen Organisationen, die die Interessen der Zivilgesellschaft vertreten,

- dass die Dauer des Dienstes auf keinen Fall die des Wehrdienstes mehr als die Hälfte übersteigen dürfe;

- dass der Dienst am Wohnort geleistet werden soll und

- dass die jungen Leute auf jeden Fall das Recht haben müssen, nicht in Einrichtungen der Armee zu arbeiten.

Monate harter gemeinsamer Arbeit von Experten der gesellschaftlichen Organisationen und der Regierung wurden einem politischen Handel geopfert. Der Kreml hat die Interessen des Verteidigungsministeriums höher angesiedelt als die Interessen des gesamten Staates und der gesamten Gesellschaft. (…)

Die Art, wie das repressiven Gesetz über den alternativen Wehrdienst zustandegekommen ist, und die Tatsache, dass monatelange Gespräche geplatzt sind, stellen ein wichtiges Signal in der kurzen Geschichte des Dialogs zwischen dem Staat und der Zivilgesellschaft dar, der sich nach dem Bürgerforum entwickelt hatte.

Dieser Verlauf der Ereignisse wirft für die Zivilgesellschaft unvermeidlich die Frage auf, ob die weitere Fortsetzung des Dialogs und Entwicklung der Zusammenarbeit noch möglich und sinnvoll sind.


Zu den Unterzeichner der Erklärung gehören:
Historisch-aufklärende Menschenrechtorganisation Memorial
Moskauer Helsinki-Gruppe
Vereinigung der Komitees der Soldatenmütter Russlands
Zentrum für das Wachstum der Demokratie und Menschenrechte
Fonds zur Verteidigung der Glasnost
Humanitäres Zentrum "Mitgefühl"
Institut des nationalen Projektes "Gesellschaftlicher Vertrag"
Internationaler sozial-ökologischer Bund
Menschenrechtsinstitut
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