Erklärung von Memorial International

Vor einem Jahr begann mit einem massiven russischen Truppenaufgebot der Einmarsch in die Ukraine . Der „hybride Krieg" der vergangenen acht Jahre hat sich damit zu einem groß angelegten Angriffskrieg entwickelt. Ein Krieg, wie es ihn in Europa seit 1939 nicht mehr gegeben hat. 

Weder die internationale Staatengemeinschaft noch die russische Zivilgesellschaft waren in der Lage, diese Invasion zu verhindern.

Innerhalb eines Jahres starben Zehntausende von Menschen, Hunderttausende wurden verwundet oder erlebten anderes Leid. Städte und Dörfer wurden zerstört, Millionen wurden zu Flüchtlingen. Hunderttausende von Familien wurden getrennt, Zehntausende von Kindern nach Russland verschleppt. In den besetzten Gebieten wurden Entführungen, Folterungen und Tötungen dokumentiert.

Es ist nicht bekannt, welche weiteren Opfer die Ukraine wird bringen müssen, in der es wahrscheinlich keinen einzigen Menschen gibt, der nicht auf die eine oder andere Weise unter diesem Krieg gelitten hat. Das ist der ungeheure Preis, den die Ukraine für Freiheit und Unabhängigkeit und für das Recht, sie selbst zu sein, zahlen muss.

Das wichtigste Ergebnis des Jahres ist, dass die Ukraine überlebt hat. Der "Blitzkrieg", auf den Putin sich eingestellt hatte, ist gescheitert. Ukrainische Bürger aller Volksgruppen und Glaubensrichtungen verteidigen tapfer ihr Heimatland.

Genauso wichtig ist aber, dass die Welt gesehen hat, dass es für die meisten Länder wichtigere Werte gibt als Öl und Gas. Die internationale Gemeinschaft hat in ihrem Bestreben, die Ukraine dabei zu unterstützen, den Aggressor zu besiegen und zu bestrafen, eine noch nie dagewesene Geschlossenheit gezeigt. Wir glauben, dass diese aktive Solidarität auf staatlicher, internationaler und gesellschaftlicher Ebene das Ende des Kriegs mit Sicherheit näher bringen und zur Einberufung eines internationalen Tribunals führen wird, das die Aggression und die während des Krieges begangenen Verbrechen juristisch bewerten wird.

Ein weiteres Ergebnis des Jahres ist, dass der Krieg Russland an den Rand einer Katastrophe gebracht hat. Seine Zukunft als modernes, dynamisches Land ist stark in Frage gestellt. Das Wort „Russland“, seit Beginn der Perestrojka mit Hoffnung und Sympathie verbunden, stößt heute auf Abscheu. Die Politik Putins hat die Angst vor einer nuklearen Katastrophe wieder geweckt, die seit dreißig Jahren vergessen zu sein schien. Russland als Land wird zunehmend mit Putins Regime identifiziert, das auf manipulierten Wahlen, Menschenrechtsverletzungen und der Abschaffung aller Freiheiten beruht. Die Unterdrückung von Andersdenkenden ist in Brutalität und Ausmaß mit der späten Sowjetära vergleichbar. Die Kriegsgegner - von denen es sogar nach offiziellen statistischen Angaben mindestens 20 Prozent gibt - sind nicht im Parlament vertreten und haben keinen Zugang zu den Massenmedien. Aber die Existenz dieser zwanzig Prozent lässt hoffen, dass Russland eine Zukunft hat.

Am heutigen Tag erscheinen die Worte von Andrej Sacharov besonders bedeutsam: "Eine moralische Entscheidung erweist sich letztlich als die pragmatischste".

24. Februar 2023

 

Vorstand der Internationalen Gesellschaft Memorial (nach Entscheidung der russischen Behörden im Jahr 2022 aufgelöst).

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