Bewohner des Gebiets Tschernihiv wurden einen Monat im Keller festgehalten

 

Andrij Didenko

Anna Janko ist eine der Personen, die von den Russen einen Monat lang im Keller einer Schule in Jahidne im Gebiet Tschernihiv eingesperrt wurden. Ihr und anderen Opfern leistete die Charkiver Menschenrechtsgruppe juristische und humanitäre Hilfe.

 

Andrij Didenko/KHPG

 

Video-Interview: https://www.youtube.com/watch?v=y7A4lqdkIco

 

Am 24. Februar fuhren wir raus aus Tschernihiv zur Großmutter in das Dorf Jahidne. Am 3. März kamen russische Truppen ins Dorf. Wir verloren sofort jegliche Verbindung nach außen. Und es kam eine Militärkolonne über die Autobahn Tschernihiv-Kyiv. Dann setzten Straßenkämpfe ein und Beschuss. Die russischen Soldaten wollten uns überreden, in den Keller der Schule zu gehen, aber wir entschieden, zu bleiben wo wir waren. Am nächsten Tag kamen Leute, die aussahen wie Kasachen. Die erlaubten uns auch zu bleiben, sagten aber: „Nur im Keller.“

Dann kamen betrunkene Burjaten zu uns in den Keller und begannen, ihre Maschinengewehre nachzuladen. Wir baten sie, das nicht zu tun. Sie sagten, dass wir fünf Minuten hätten, unsere Sachen zu packen und zur Schule zu gehen.

Ich fragte, ob wir nach Hause gehen könnten, um einige Sachen und Essen zu holen. Sie sagten, das dürften wir nicht, wir sollten schneller packen und gehen. Dann sind wir eben gegangen. Anfangs wollten sie uns nicht bringen. Wir baten sie, uns zu begleiten, weil wir nicht wussten, was im Dorf vor sich geht. Und dann brachten sie uns. Stießen uns, damit wir schneller liefen, richteten die Maschinengewehre auf uns. Sie führten uns in den Keller der Schule. Nahmen uns die Telefone weg und zerschlugen sie. Wir gingen rein. Es war unmöglich durchzugehen, die Menschen schliefen auf dem Boden.

Unsere Großmutter hatten sie schon vorher dorthin gebracht, wir gingen zu ihr in den Raum. Der Raum war klein, es waren 18 Menschen dort. Morgens ließen sie uns hinaus, erlaubten den Frauen, nach Hause zu gehen. Weil der 8. März war, erlaubten sie ihnen, Sachen und Essen zu holen. Aber was hätte man da schon holen können, alles war schon geplündert. Fast nichts war mehr da. So lebten wir einen Monat. Manchmal ließen sie uns nach draußen, manchmal nicht. Wir baten, auf die Toilette gehen zu können, klopften, damit sie uns aufmachten. Manchmal ließen sie uns unter Flüchen hinaus.

Das heißt, Sie waren praktisch für einen Monat in Gefangenschaft. Sagen Sie bitte, wurden Sie gefoltert oder misshandelt? Oder waren Sie möglicherweise Zeugin solcher Handlungen gegenüber anderen Menschen?

Was mich angeht, nein. Aber meine Eltern baten, nach Hause gelassen zu werden. Unsere Großmutter kann nicht sitzen, sie hat Probleme mit den Gelenken und dort haben alle im Sitzen geschlafen. Sie ließen sie raus. Dann kamen sie zu meinen Eltern, zogen meine Mutter an den Haaren ins Nachbarhaus und vergewaltigten sie. Meinen Vater schlugen sie ständig mit Gewehrkolben. Was sie angeht, gab es das. In der Schule kam das häufig vor, sie holten jemanden heraus und nahmen ihn mit.

Was haben Sie gegessen, was getrunken?

Unsere Männer liefen ins Dorf, um Wasser zu holen. Anfangs konnten sie normal rumlaufen, aber die Burjaten, die in den Häusern im Dorf waren, waren darüber nicht erfreut. Sie erlaubten das nicht. Sogar die russischen Soldaten hatten Angst vor den Burjaten. Sie betranken sich und schossen aufeinander. Dann öffneten sie einen Brunnen und schöpften Wasser von dort. Manchmal bekamen die russischen Soldaten Essen und gaben uns was davon.

Die Dorfbewohner bauten eine Feldküche auf und kochten unter Beschuss Essen, solange es noch etwas gab. Sie machten Grießbrei für die Kinder. Solange es noch Kühe gab, gingen die Leute sie melken. Später wurden die Kühe getötet, einige wurden von Minen in die Luft gesprengt. Dann baten sie die Russen um Kondensmilch, um den Kindern Brei zu kochen.

Einmal gaben die Russen uns Nudeln, die waren voller Dieselkraftstoff, man konnte sie nicht essen. Von dem Haferbrei, den sie uns gaben, bekamen alle Durchfall.

Aber nach draußen lassen wollten sie uns nicht. Wir standen um sechs Uhr auf und klopften. Zur Toilette sind wir auf einen Eimer gegangen. Es standen dort drei Eimer. Für 360 Menschen. Wir klopften so, dass sie uns aufmachten.

Sagen Sie bitte, sind in dem Monat Ihrer Gefangenschaft Menschen ermordet oder brutal geschlagen worden?

Das gab es. Einmal brachten sie einen Mann. Aus Solotynka, glaube ich. Er war voller blauer Flecken. Ganz am Anfang schossen sie auf die Menschen. Einen Bekannten erschossen sie, weil er auf seinen Hof hinausging, als sie kamen, und sagte: „Wozu seid ihr hierhergekommen? Ruhm der Ukraine!“ Sie töteten ihn auf der Stelle. Ältere Menschen starben auch in dem Keller.

Erinnern Sie sich an die Namen der Menschen oder an die Adressen, wo das geschah?

Sie sind in dem Keller gestorben. Man konnte dort nicht atmen. Man ließ sie über Nacht bei den Lebenden und trug sie dann in den Heizkeller. Sie stapelten die Leichen und baten die russischen Soldaten, sie auf dem Friedhof beerdigen zu dürfen. Erst erlaubten sie das, aber dann beschossen sie den Friedhof. Die Menschen brachten die Toten, und sie eröffneten das Feuer.

Erinnern Sie sich, wann das war?

Nein, ich erinnere mich nicht. Vermutlich Mitte März.

Wurde jemand von Ihrer Familie, Ihren Angehörigen oder Bekannten verletzt?

Meinen Bekannten, Tolik, haben sie getötet. Dann wurde der Junge Serhij Sorokopud verletzt. Sie brachten ihn nach Belarus zur Operation, weil er ernsthaft verletzt war. Er spuckte Blut. Sein Schulterblatt war völlig zerfetzt. Davon weiß ich. Aber insgesamt starben die Menschen von selbst. Wen sie töten wollten, den erschossen sie, als sie ins Dorf kamen. Sie brachten verschiedene Menschen in den Keller. Dann verschwand ein Mensch irgendwohin. Ob sie ihn umgebracht hatten oder ob sonst etwas passiert war, wissen wir nicht.

 

Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker 

Ein Video-Interview mit Anna Janko finden Sie hier.

Das Projekt wird vom Prague Civil Society Centre gefördert. Informationen zum Projekt finden Sie hier.

 

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