Digest der russischen Anti-Kriegsproteste vom 10.04.2023 – 16.4.2023

 

Fortsetzung der Geschichte der Familie Moskalev

Aleksej Moskalev, Vater des Mädchens, das eine Anti-Kriegszeichnung angefertigt hatte, wurde von Belarus nach Russland ausgeliefert. Zuvor war Moskalev aus dem Hausarrest in Russland geflohen und hatte versucht, das Land zu verlassen, war aber in Minsk festgenommen worden. Mascha Moskaleva wurde an ihre Mutter übergeben.

Beim Konzert der Gruppe „Naiv“ in Moskau betrat der Leadsänger Aleksandr „Tschatscha“ Ivanov in einem T-Shirt mit der Aufschrift „Mascha Moskaleva“ die Bühne und erzählte den Konzertbesuchern von den Schikanen gegen die Familie der Schülerin. „Freunde …, entsetzt euch darüber, was Mascha und ihrer Familie wegen einer Zeichnung, die sie im Kunstunterricht angefertigt hat, widerfahren ist“, sagte der Musiker. Der Saal reagierte mit Applaus und skandierte: „Fick den Krieg!“

 

Brandstiftungen an Einberufungsämtern

Die Musiker Aleksej Nurijev und Roman Nasryjev aus der Stadt Bakal (Gebiet Tscheljabinsk) sind zu 19 Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Den Ermittlungen zufolge hatten sie mehrere Molotow-Cocktails in ein Fenster der Stadtverwaltung, in der sich eine Militärregistrierungsstelle befindet, geworfen. Bei dem Brand wurde niemand verletzt. Vor Gericht hatte Nasryjev erklärt, er habe mit dieser Handlung seinen Protest gegen den Krieg in der Ukraine und die Mobilmachung zum Ausdruck bringen wollen. Nasryjev war früher für einen außerbehördlichen Sicherheitsdienst tätig, der zur russischen Nationalgarde gehört, Nurijev hatte im Notfallministerium gearbeitet.

Adelia, eine Elftklässlerin aus Kazan, wurde zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt, weil sie versucht hatte, ein Einberufungsbüro in Brand zu setzen. Das Mädchen begründete ihre Tat mit dem Protest gegen den Krieg in der Ukraine und gegen die Mobilmachung.

In der Republik Komi wurde eine 61-jährige Frau festgenommen, weil sie versuchte hatte, ein Einberufungsbüro anzuzünden. Sie warf zwei Molotow-Cocktails in das Amt, wurde von einem diensthabenden Polizisten bemerkt und festgenommen. Das Gebäude fing jedoch kein Feuer. Nun wird gegen die Frau ein Strafverfahren nach dem Terrorismusparagraphen (10 bis15 Jahre Haftstrafe) vorbereitet.

Dmitrij Ljamin, wohnhaft in der Stadt Schuja (Gebiet Ivanovo), wurde wegen versuchter Brandstiftung an einem Einberufungsamt zu acht Jahren Lagerhaft verurteilt, zudem wurde eine psychiatrische Zwangsbehandlung im Lager verhängt. Den Ermittlungen zufolge hatte Ljamin im März 2022 einen Molotow-Cocktail durch das Fenster des militärischen Melde- und Rekrutierungsbüros geworfen, die Flasche durchschlug das äußere Glas, ohne ins Innere zu gelangen, das Feuer wurde schnell gelöscht. Ljamin wurde am nächsten Tag verhaftet. Zunächst klagte man ihn wegen versuchter Sachbeschädigung an, stufte das Verfahren später jedoch als Terroranschlag ein.

 

Anti-Kriegsproteste an Mauern

Der Moskauer Aktivist Nikolaj Korolev hat sich an das Innenministerium der RF gewendet und eine Untersuchung der Übermalung des Graffitis des gekreuzigten Christus in St. Petersburg gefordert. Korolev ist der Meinung, dass die Zerstörung der Christus-Darstellung zur gleichen Zeit, in der die Christen den Palmsonntag begehen, die Gefühle Gläubiger verletzt. Er betonte, er habe seine Anzeige in bewusst regierungstreuem Stil verfasst.
Zum Graffiti „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ siehe auch den letzten Digest.

In der Stadt Tichvin im Gebiet Leningrad haben unbekannte Aktivisten Friedenstauben aus Papier aufgehängt.


Taube mit Aufschrift „Nein zum Krieg“ am Denkmal für die Kinder Leningrads, umgebracht im Oktober 1941.

 

 

 

In St. Petersburg tauchte am Tag des Kosmonauten eine neue Arbeit der Kunstgruppe „Jav“ [Wirklichkeit] auf. Die Aufschrift auf dem Plakat lautet: „Warum schicken wir nicht dorthin Raketen?“

 

Heimlicher Widerstand im Internet

Die Menschenrechtsaktivistin Irina Jazenko machte auf unauffälligen Protest von Programmierern im Staatsdienst aufmerksam und schrieb darüber auf ihrer Facebook-Seite: „Ich denke, nun kann ich darüber schreiben. Denn jetzt gibt es das nicht mehr. In Moskauer Gerichten arbeiten wohl pazifistische Programmierer? Bei der Suche nach Prozessen, die unter Paragraph 207.3 fallen, sah ein allgemeiner Link bis vor kurzem so aus, mit Hashtag am Ende #makeartnotwar. Den Hashtag gibt es nicht mehr, aber der Link funktioniert noch, überzeugt euch selbst. Wenn ihr wüsstet, wie sehr mir der Gedanke an den unbekannten Programmierer das Herz wärmt, der den kannibalistischsten Strafverfahren des putinistischen Russlands den Hashtag #makeartnotwar hinzugefügt hat. Ich hoffe, dass es ihm oder ihr gut geht.“

 

Anti-Kriegsprotest an Ostern

Am orthodoxen Ostertag hängten Anti-Kriegsaktivisten in Ivanovo blau-gelbe Bänder und Ostereier an einen Baum neben der Alexander-Nevskij-Kapelle. Nicht weit von der Kapelle liegt der Regierungssitz des Gebietes Ivanovo. Zwischen den Bändern in den Farben der ukrainischen Flagge hängen grüne Bänder, Symbol für den russischen Anti-Kriegsprotest sowie weiße mit den Aufschriften „Frieden“ und „Freiheit.“

 

Gegen die ehemalige Moskauer Stadtverordnete Anastasija Brjuchanova wurde ein Strafverfahren wegen „Falschmeldungen“ eingeleitet. Anlass war ein Video vom Dezember, in dem Brjuchanova von Kriegsverbrechen in Butscha berichtet. Das Höchststrafmaß bei Verfahren gemäß dem Paragraphen zu „Falschmeldungen“ liegt bei 15 Jahren Gefängnis.

Am 5. April ist eine in Moskau wohnhafte Frau zu 30.000 Rubeln Geldstrafe (zwei monatliche Mindestlöhne) nach dem Paragraphen zur „Diskreditierung der russischen Armee“ verurteilt worden. Eine Woche zuvor war sie in einem Café mit einem Mann in Streit geraten, der sich aggressiv über Ukrainer geäußert hatte. Einen Teil des Gesprächs nahm der Mann mit seinem Telefon auf und rief danach die Polizei.

Der Journalist und Autor des Telegram-Kanals „Tschestnoe Korolevskoje! “ [etwa: Großes Ehrenwort] Roman Ivanov ist zunächst bis 10. Juni in Haft genommen worden. Gegen ihn wurden gleich drei Strafverfahren wegen „Falschmeldungen über die russische Armee“ eingeleitet. Anlass waren Posts in seinem Telegram-Kanal.

In Chabarovsk wurde am 11. April ein Mann vom FSB verhaftet, der nach Angaben der Sicherheitskräfte Geld an die ukrainische Armee überwiesen hat. Zuvor hatten die Sicherheitskräfte die Verhaftung eines Bewohners aus Sachalin gemeldet, der des Versuchs beschuldigt wird, in die Ukraine zu gehen und dort auf Seiten der ukrainischen Streitkräfte zu kämpfen.

In Krasnodar wurde auf Antrag von Nikita Isjumov, Leiter der regionalen Abteilung der Bewegung „Zargrad“, das Konzert der Gruppe Shortparis am 18. April abgesagt. Isjumov hatte den Antrag, das Konzert zu verbieten, gestellt, weil die Gruppe sich seiner Ansicht nach gegen den Krieg ausgesprochen hatte, außerdem habe der Leadsänger der Band Nikolaj Komjagin seine Unterstützung für den Präsidenten Volodymyr Selenskyi zum Ausdruck gebracht und bei einer Anti-Kriegsdemonstration in St. Petersburg teilgenommen.

 

Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker

Mai 2023

 

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