Digest der russischen Anti-Kriegsproteste vom 9.5.2023 – 14.5.2023

 

Aktionen und Einzelkundgebungen

Auf einer Straße in Tscheljabinsk erschien auf Bildschirmen anstelle des Z-Zeichens das verpixelte Bild einer Taube.

In Moskau ging der Aktivist Sergej Sadovskij mit dem Plakat „Nein zu Krieg“ auf die Straße. Das Schild war in den Farben der ukrainischen Flagge gemalt. Sadovskij wurde sofort festgenommen und zur Polizeistation gebracht, wo man ein Protokoll wegen „Diskreditierung der Armee“ aufnahm. 

In Chabarovsk hielt eine Aktivistin ein Plakat hoch mit der Aufschrift „Gedenken gegen Krieg. Never again. Nie wieder.“ Auf das Plakat waren rote Mohnblumen gemalt - ein Zeichen des Gedenkens an die Opfer des Ersten Weltkriegs, das zum Symbol für alle Opfer bewaffneter Konflikte geworden ist.

 

Der Moskauer Aktivist Aleksandr Poskonnyj stellte sich an die Metrostation „Tverskaja“ mit der Flagge der Ukraine. Polizisten nahmen ihn fest, schlugen ihn und drohten mit einem Strafverfahren wegen Extremismus. Nach Angaben des Aktivisten befanden sich auf der Polizeistation, zu der man ihn brachte, mindestens drei Personen, die wegen blau-gelber Farben ihrer Kleidung festgenommen worden waren. 

Im Gebiet Sverdlovsk ging eine junge Frau mit einem Plakat auf die Straße mit der Aufschrift: „Armee und Flugzeuge sollen hier die Brände löschen, und sie nicht in der Ukraine entzünden.“

 

Viktorija Kotschkassova, Aktivisten aus Voronezh, hat eine weitere Einzelkundgebung durchgeführt. Zuvor war sie bereits viermal wegen Einzelkundgebungen mit Anti-Kriegsplakaten und Karikaturen von Propagandisten festgenommen worden. 

Im Gebiet Novosibirsk haben Unbekannte neben dem Truppenübungsplatz Kolzovo einen Panzer mit den Farben der ukrainischen Flagge bemalt. Die Polizei fahndet nach Verdächtigen, die lokalen Medien bezeichnen sie als „Saboteure“. 

In Russland werden weiterhin Blumen als Zeichen des Gedenkens und der Trauer um getötete Ukrainer niedergelegt, so in Uljanovsk und am Taras-Schevtschenko-Denkmal in Omsk. 

In Moskau und in der Stadt Poldolsk bei Moskau tauchen auf den Straßen immer mehr Graffitis mit der weiß-blau-weißen Anti-Kriegsflagge auf. 

In Uljanovsk wurde an den Obelisken zum Gedenken an den 50. Jahrestags des Siegs über Nazi-Deutschland eine Postkarte mit der Aufschrift gestellt „Nicht dafür haben sie gekämpft! Nein zum Krieg!“

 

Angriffe und Sabotage 

In Lichoslavl im Gebiet Tver wurde ein Rekrutierungsamt in Brand gesetzt. Einem vorbeilaufenden Polizist gelang es, das Holzgebäude zu löschen. Der 18-jährige Michail Lazakovitsch wird verdächtigt, das Feuer gelegt zu haben, gegen ihn wurde ein Verfahren wegen eines terroristischen Anschlags eingeleitet, am 9. Mai wurde er auf richterlichen Beschluss verhaftet.

In Jekaterinburg versuchten zwei Männer nachts das Gebäude eines Rekrutierungsamts mit einem 5-Liter Kanister Benzin anzuzünden. Polizisten, die das Rekrutierungsamt bewachten, bemerkten sie und riefen Polizisten zur Verstärkung. Die Verdächtigen wurden in ein Verwaltungsgebäude des FSB gebracht. 

In Moskau und im Gebiet Saratov kam es zu zwei Sabotageakten an der Eisenbahn. In beiden Fällen setzten Saboteure Relaisschränke in Brand, von denen einer zur Steuerung von Ampeln und der andere für Versorgungszwecke verwendet wurde. Im Gebiet Saratov gibt es an dieser Strecke Berichten zufolge sechs Öl- sowie sechs Gaskondensatfelder.

Nach Angaben der Zeitschrift „Verstka“ ist die Zahl der Sabotageversuche in Russland stark gestiegen. Seit Anfang des Jahres wurden mehr als 50 Versuche registriert. Fast 25 Prozent davon fanden allein in 13 Tagen des Monats Mai statt.

 

Verfolgung wegen Anti-Kriegshaltung

Ein stellvertretender Kommandant einer Kompanie aus dem Gebiet Murmansk wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, weil er sich geweigert hatte, in der Ukraine zu kämpfen. Das Gericht befand ihn der Befehlsverweigerung während geltenden Kriegsrechts für schuldig: Er hatte sich dreimal geweigert, in die Ukraine zu gehen. 

Aleksandr Satonin, Kosaken-Ataman aus dem Gebiet Tscheljabinsk, wurde zu einer Geldstrafe in Höhe von 30.000 Rubel (2 monatliche Mindestlöhne) wegen Diskreditierung der Armee verurteilt. Grund war ein Video, dass er bei Youtube gepostet hatte, auf dem der Beschuss ukrainischer Städte und Dörfer zu sehen ist. 

Ein kirchliches Gericht hat den Moskauer Priester Ioann Koval, der in einer Kirche in Ljublino diente, seines Amtes enthoben. Er wurde beschuldigt, aus eigenen Stücken den Text des Gebetes „Über die Heilige Rus“ von Patriarch Kirill verändert zu haben, indem er das darin enthaltende Wort „Sieg“ durch das Wort „Frieden“ ersetzte. 

In Krasnojarsk wurde die Leiterin des Sportclubs im Sibirischen Institut für Wirtschaft, Verwaltung und Psychologie Natalija Podoljak entlassen, weil sie im Dezember 2022 wegen Diskreditierung der Armee zu einer Geldstrafe (30.000 Rubel – 2 monatliche Mindestlöhne) verurteilt worden war. Die Geldstrafe war verhängt worden wegen Kommentaren von ihr in den Sozialen Netzwerken: „Sie kämpfen jetzt auf fremdem Boden, die Heimat aber wurde durch nichts bedroht. Selbst wenn ihr sie nicht als ein Volk von Brüdern und Freunden betrachtet, gibt uns das nicht das Recht, in ihrem Land zu besetzen, zu zerstören und zu töten!“ 

Diese Woche fand www.proekt.media heraus, dass die Fluggesellschaft „Pobeda“ den Piloten Vladimir N. entlassen hat, der den Krieg in der Ukraine ein Verbrechen genannt hatte. Vladimir hatte sich im März 2022 im türkischen Antalya an Passagiere eines Flugs gewandt und neben der üblichen Verabschiedung nach der Landung seine Meinung über den Krieg in der Ukraine geäußert. „Ich finde, dass der Krieg gegen die Ukraine ein Verbrechen ist. Und ich glaube, dass jeder vernünftig denkende Bürger mich unterstützt und alles tun wird, was er kann, um den Krieg zu stoppen – am besten jetzt sofort. Wir brauchen keinen Krieg!“, sagte Vladimir auf Russisch und Englisch, woraufhin die Passagiere begannen, dem Piloten zu applaudieren. Das Video mit seinen Aussagen sahen fast sechs Millionen Menschen.


Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker


10. Juli 2023

 

 

 

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