Digest der russischen Anti-Kriegsproteste vom 1.7. bis 8.7.2023


Die Stadt spricht

Der Aktivist Aleksej Nikitin aus Krasnodar brachte an seinem Auto ein Schild mit der Aufschrift an „Recht hat, wer sein Haus beschützt“; die Verkehrspolizei nahm ihn fest und ließ ihn später frei, ohne dass ein Protokoll aufgenommen wurde.

 

In Jekaterinburg verbreiteten Aktivisten am 8. Juli in der Stadt Anti-Kriegsflugblätter mit den Worten „500 Tage Krieg“.

 

 

Einzelkundgebungen und Demonstrationen

In Petrosavodsk ist das zuvor demontierte Schild „Frieden für die Welt“ erneut installiert worden. Es befindet sich jetzt an einem neuen Ort, nämlich an der Wand des Gebäudes der ehemaligen Onega-Traktorenfabrik, wo der Kunstraum „Museum der jüngsten Zeit“ arbeiten wird.

 

Ein 77-jähriger Bewohner Perms hat bei der Gouvernementsverwaltung eine Einzelkundgebung gegen „die nukleare Erpressung“ von Politikern abgehalten. Zuvor bereits hatte der Mann eine Einzelkundgebung gegen die „Militärische Spezialoperation“ durchgeführt mit der Forderung, diese zu beenden. Gegen ihn war ein Protokoll wegen „Diskreditierung der Armee“ aufgenommen worden, das Gericht aber hatte das Verfahren eingestellt.

 

Sabotage

In Vladivostok haben Unbekannte an Gräbern von Teilnehmern des Krieges in der Ukraine russische Flaggen abgeschnitten und Fahnenmasten verbogen. Die Polizei teilte mit, dass ein Strafverfahren wegen Schändung der Staatsflagge eingeleitet wurde und die Verdächtigen identifiziert sind. Zuvor waren Gräber russischer Soldaten in Kursk, in der Region Transbaikalien sowie in den Gebieten Vladimir und Tambov beschädigt worden.

 

Verfolgungen

Der FSB hat die Festnahme eines russischen Bürgers bekannt gegeben, der geplant haben soll, den Gouverneur der Krim Aksenov in die Luft zu sprengen; der Mann soll vom ukrainischen Sicherheitsdienst angeworben worden sein.

Ein Gericht in Jakutsk hat einen ehemaligen Mitarbeiter der Spezialeinheiten wegen „Diskreditierung der Armee“ zu einer Geldstrafe von 15.000 Rubeln (ca. ein monatlicher Mindestlohn) verurteilt, weil er ukrainischen Bloggern von Kameraden berichtet hatte, die im Krieg in der Ukraine getötet worden waren.

Ein Bewohner des Gebietes Rjasan berichtete, dass Polizisten bei ihm eine Hausdurchsuchung durchgeführt und ihn mit der Pistole bedroht haben; davor hatte er den Fahrer eines Autos mit dem Buchstaben Z einen Faschisten genannt. Der Mann wurde wegen „Diskreditierung der Armee“ zu einer Geldstrafe von 30.000 Rubeln (ca. zwei monatliche Mindestlöhne) verurteilt.

In Jekaterinburg wurde ein Journalist zu einer Geldstrafe verurteilt wegen eines Videos beim ukrainischen Telegram-Kanal „Trucha“, in dem er einen Bus kommentierte mit dem Buchstaben Z auf der Heckscheibe in den Farben des Sankt-Georgs-Bandes und der Aufschrift „Wir lassen die Unsrigen nicht im Stich“.

In Tjumen wurde ein Einwohner festgenommen, weil er versucht hatte, einen Soldaten zu überreden, auf die Seite der ukrainischen Armee zu wechseln. Es wurde ein Strafverfahren wegen Staatsverrats eingeleitet.

Gegen den Journalisten der Online-Zeitschrift „Pskovskaja Gubernija“ Vladimir Kapustinskij wurde ein Protokoll wegen „Diskreditierung der Armee“ erstellt. Der Grund für die administrative Verfolgung ist nicht bekannt.

Das Permer Zentrum für historisches Gedenken wurde mit einer Geldstrafe von 300.000 Rubeln (ca. 19 monatliche Mindestlöhne) belegt wegen „Diskreditierung der Armee“. Grund dafür ist die Veröffentlichung der Erklärung gegen den Krieg von „Memorial International“ und dem „Menschenrechtszentrum Memorial“ am 24. Februar 2022.

Gegen den ehemaligen Abgeordneten Dmitrij Permjakov aus Pskov wurde ein Protokoll wegen „Diskreditierung der Armee“ erstellt. Der Abgeordnete vermutet, dass der Grund dafür seine Facebook-Posts gegen den Krieg sind.

Andrej Pavlov, Aktivist aus Tula, ist in Kasachstan verhaftet worden, wohin er wegen der strafrechtlichen Verfolgung im Rahmen des Paragraphen zur „Diskreditierung der Armee“ geflohen war. Zuvor waren bereits andere russische Aktivisten auf Ersuchen der russischen Sicherheitskräfte in Kasachstan verhaftet worden.

Gegen Gulnara Bachareva, Hausmeisterin aus Satka im Gebiet Tscheljabinsk, wurde ein Strafverfahren wegen „Anstiftung und Rechtfertigung von Terrorismus“ eingeleitet aufgrund ihrer Kommentare in sozialen Netzwerken darüber, dass der Fernsehturm Ostankino in die Luft gesprengt gehört und die „Krim-Brücke ein militärstrategisches Objekt sei“.

Gegen Marina Melichova, Anhängerin der Bewegung „Bürger der UdSSR“, aus der Region Krasnodar wurde ein Strafverfahren eingeleitet wegen eines Videos mit dem Titel „Zur Militärischen Spezialoperation in der Ukraine gibt es kein einziges offiziell veröffentlichtes Dokument der Russischen Föderation“. Sie teilte mit, dass ihr Sohn bei einer Hausdurchsuchung von den Sicherheitskräften geschlagen und sie selbst in eine Einzelhaftzelle gesteckt worden sei.

In Kamtschatka wurde das Strafurteil von zweieinhalb Jahren Haft in einer Ansiedelungskolonie wegen Kriegsdienstverweigerung gegen den Soldaten Aleksandr Stepanov bestätigt. Im Januar hatte sich der Mann dem Befehl eines Kommandanten widersetzt und sich geweigert, am Krieg in der Ukraine teilzunehmen.

 

Kultur und Kunst

Der Vorsitzende des Stadtrats der Kleinstadt Pljos (Gebiet Ivanovsk) Timerbulat Karimov hat Musiker aufgefordert, nicht zu dem Musikfestival „Schaljapinskij Lug“ zu kommen wegen der „pro-ukrainischen Haltung“ des Organisators Aleksej Schvezov.

Die Verwaltung der Stadt Kirov hat die Stadthymne abgeschafft: Diese hatte Prochor Protassov geschrieben, der zuvor wegen „Falschmeldungen“ zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt worden war, weil er Posts in den sozialen Netzwerken veröffentlichte, in denen er über den Tod der Menschen in Butscha und Krementschuk geschrieben hatte.

In Moskau hat ein Mann bei einem Konzert der Gruppe „Notschnye Snajpery“ „Ruhm der Ukraine“
gerufen, als er der Sängerin der Gruppe Diana Arbenina Blumen überreichte. Später wurde der Mann von Mitarbeitern des Zentrums für Extremismusbekämpfung festgenommen. Zuvor waren Konzerte von Arbenina, die sich gegen den Krieg gegen die Ukraine ausspricht, in vielen Städten Russlands abgesagt worden.

Der Abgeordnete Aleksandr Chinstejn hat Anzeige gegen das Gruschinskij-Musikfestival des Autorenliedes im Gebiet Samara erstattet und behauptet, die Organisatoren hätten sämtliche patriotischen Lieder verboten, vor allem solche über den Krieg in der Ukraine.

 

Sonstiges

Ein Gericht in Voronezh hat sich geweigert, eine Geldstrafe gegen einen Aktivisten zu verhängen, der eine Einzelkundgebung mit dem Plakat „Stoppt den Krieg“ abgehalten hatte. Nach den Worten der Richterin sei in Russland „kein Kriegszustand verhängt worden“. Außerdem erschienen ihr die Videoaufzeichnungen, die die Polizei angefertigt hatte, widersprüchlich.

 

Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker

 

11. August 2023

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