Digest der russischen Anti-Kriegsproteste vom 14.5.2023 – 20.05.2023


Sichtbarer Protest

Nikolaj aus Lipezk hielt in Voronezh drei Stunden lang eine Einzelkundgebung ab und wurde trotz der langen Dauer der Aktion nicht festgenommen. Er war nach Voronezh gekommen, nachdem er von den Einzelkundgebungen der dort wohnhaften Viktorija Kotschkassova erfahren hatte: Sie hatte fünf Aktionen durchgeführt und war erst nach der letzten festgenommen worden.

An einem historischen Maschinengewehrwagen, der in einem Park im Zentrum von Kaliningrad steht, hat jemand ein Schild gehängt mit der Aufschrift: „Nicht angreifen!!!“

In Petrosavodsk sind Aufschriften aufgetaucht: „Die Ukraine ist kein Feind!“


In Chabarovsk wurde eine Einzelkundgebung mit einem Plakat durchgeführt: „Nein zum Krieg“.


In Berjosovkij wurden Flugblätter mit den neuen Vorgaben zur Einberufung ausgehängt.


In St. Petersburg werden Anti-Kriegssticker und weitere Anti-Kriegs-Symbolik verbreitet.


In Kasan fand eine Einzelkundgebung gegen den Krieg stattmit dem Plakat „NEIN ZUM KRIEG. Der Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine bedroht den Frieden und die Menschen.“

In einer russischen Schule wurde eine „Anti-Unterrichtsstunde“ zum antifaschistischen Widerstand im nationalsozialistischen Deutschland durchgeführt. Darin wurde angeboten, die Erfahrungen antifaschistischer Zellen während des Zweiten Weltkrieges zu studieren und einen Aktionsplan sowie Sicherheitstechnik für eine solche Zelle zu entwickeln.

Vladimir Ovtschinnikov, Künstler aus Kaluga, hat ein neues Anti-Kriegsgraffiti erstellt, auf dem ein Fleischwolf Menschen zermahlt. Die Aufschrift auf dem Graffiti lautet: „Die Politik des Fleischwolfs“.

 

Bewohner der Stadt Irkutsk, die gegen den Krieg sind, bewerfen ein vor dem Theater hängendes Z-Banner derart oft mit faulen Eiern, dass das Bürgermeisteramt schon den zweiten anonymen Brief erhalten hat mit der Aufforderung, das Banner zu entfernen.

 

In Novosibirsk ist auf einer Kirchenmauer die Aufschrift „Du sollst nicht töten“ aufgetaucht. Nach Angaben von Bewohnern steht die Aufschrift dort schon seit Anfang Mai.

 

Sabotage, Kriegsdienstverweigerung, Brandstiftung

In der Nacht vom 14. Mai hat Schamil Alijev-Gassanov in Murmansk das Rekrutierungsamt in der Burkov-Straße angezündet. Kurz darauf wurde er festgenommen.

In Naltschik wurde der Soldat Konstantin Trifonov für 25 Stunden in Haft genommen, weil er sich geweigert hatte, sich in Kriegsgebiete zu begeben.

Am Mittwoch, den 17. Mai um vier Uhr früh geriet ein Relaisschrank in Brand. Nach vorläufigen Informationen war die Ursache Brandstiftung.

Ein unbekannter Bergarbeiter hat in der Siedlung Malinovka mit dem Finger in den Staub „Ruhm der Ukraine“ geschrieben. Hinzugekommene Mitarbeiter vom Zentrum E [Extremismus] sowie vom FSB unterbrachen die Arbeit im Schacht für mehrere Stunden.

Das Online-Medium „Verstka“ hat eine Statistik über Sabotage in Russland seit Beginn des Jahres 2023 veröffentlicht. Im Mai stieg die Zahl stark an. Insgesamt kam es seit Jahresbeginn zu mehr als 50 Sabotageversuchen.

 

Ordnungs- und Strafverfahren

In Moskau wurde mit Hilfe von Überwachungskameras Kamilla Muraschova, Krankenschwester in einem Kinderhospiz, wegen zweier Buttons mit der Aufschrift „Nein zum Krieg“ und der ukrainischen Flagge auf ihrem Rucksack festgenommen, später nach der Aufnahme eines Protokolls wegen „Diskreditierung der Armee“, wieder auf freien Fuß gesetzt.

In Moskau wurde Igor Polev wegen der Aufschrift „Nein zum Krieg“ auf seinem Auto zu einer Geldstrafe verurteilt. Zuvor waren bereits drei Verfahren wegen Anti-Kriegsdemonstrationen gegen ihn eingeleitet worden.

Michail Krieger, Aktivist der Bewegung „Solidarnost“ hat als Schlusswort vor Gericht eine Rede gegen den Krieg gehalten und das ukrainische Lied „Chervona Kalyna“ (Roter Schneeballstrauch) gesungen. Er wurde zu sieben Jahren Lagerhaft im allgemeinen Regime verurteilt.

Ramilja Saitova, Aktivistin aus Baschkortostan, wurde wegen eines Videos mit dem Aufruf, sich dem Wehrdienst zu entziehen, verhaftet. Das Video hatte sie im November aufgenommen.

Kirill Butylin hat sich bei der Verhandlung, in der das Urteil gegen ihn wegen Brandstiftung an einem Einberufungsamt bestätigt wurde, erneut gegen den Krieg in der Ukraine ausgesprochen.

In St. Petersburg wurde ein Rekrut festgenommen, weil er versucht haben soll, einen Relaisschrank an der Strecke „Finnischer Bahnhof“ - Lanskaja“ in Brand zu setzen.

 

In Karelien wurde eine Mutter mehrerer Kinder zu einer Geldstrafe von 15.000 Rubel (1 monatlicher Mindestlohn) verurteilt für die Verbreitung von Anti-Kriegsstickern mit den Aufschriften „Nein zum Krieg“, „Töte nicht“ und „Man darf keine Menschen töten“.

Eine Einwohnerin von Magadan wurde wegen „Diskreditierung der russischen Armee“ zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie Kommentare bei VKontakte gepostet hatte, die folgende Worte enthielten: „Kleine grüne Männchen (höfliche Menschen) – das sind versteckte Terroristen“

Auf Sachalin wurde der Ausländer Kelebajev zu 30.000 Rubel Geldstrafe (2 monatliche Mindestlöhne) verurteilt und aus Russland ausgewiesen, weil er sich negativ über die russische Armee geäußert hatte. Ihm wurde zudem die Einreise nach Russland für 70 Jahre untersagt.
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Eine Studentin wurde wegen Anti-Kriegsäußerungen im Internet zu einer Geldstrafe von 80.000 Rubeln (5 monatliche Mindestlöhne) verurteilt.

Ein Einwohner von Blagoveschtschensk wurde gezwungen, sich vor laufender Kamera dafür zu entschuldigen, dass er beim FSB angerufen und „Ruhm der Ukraine! Den Helden Ruhm!“ in den Hörer gerufen hatte. Er wurde wegen geringfügigen Rowdytums zu sechs Tagen Haft verurteilt.

Jevgenij Kotikov aus Rostov am Don wurde zu drei Jahren Haft in einer Ansiedelungskolonie und einer Geldstrafe von 800.000 Rubeln (50 monatliche Mindestlöhne) verurteilt. Den Ermittlungen zufolge hat Jevgenij "das Regime in Kyjiv unterstützt" und sich einer Gruppe von Hackern angeschlossen, die DDoS-Attacken auf die Websites des russischen Verteidigungsministeriums und des russischen Präsidenten gestartet hatten.

Jurij Stepanjuk, Taxifahrer aus Vladimir, wurde vom Gericht zu 35.000 Rubeln Geldstrafe verurteilt wegen kriegsfeindlicher Aussagen im Gespräch mit Fahrgästen.

Eleonora Demidova wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie einen Post zum Beschuss der Ukraine erstellt und den Beitrag eines Historikers aus Novgorod geteilt hatte, in dem dieser Erklärungen russischer Politiker und Propagandisten über die "ewige Konfrontation mit dem Westen" kommentierte hatte.

Ein Mann aus Tscheljabinsk wurde zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt, weil er in den Sozialen Netzwerken dazu aufgerufen hatte, Mobilisierungs- und Militäraktivitäten zu sabotieren und außerdem Soldaten der russischen Streitkräfte aufgefordert hatte, Kriegsgerät und Waffen zu zerstören.

Im Gebiet Archangelsk wurde der Strafgefangene Artamonov wegen „Diskreditierung der russischen Armee“ zu einer Geldstrafe von 15.000 Rubeln verurteilt (1 monatlicher Mindestlohn), weil er sich mit anderen Verurteilten über den Krieg unterhalten hatte.

 

Sonstiges

Dem Sverdlovsker Priester Eduard Tscharov könnte seine Unterkunft für Obdachlose, Alte und Mobilisierungsflüchtige“ weggenommen werden. Der Inspektor für Bodennutzung hat ihm eine eine Warnung geschickt.

Der ehemalige Leiter des militärpatriotischen Clubs von Tambov Oleg Borissenko weigerte sich, seinen Absolventen, die in den Krieg hatten ziehen wollen, zu helfen. Er schlug ihnen vor, über die Folgen einer Kriegsteilnahme nachzudenken und kritisierte das Vorgehen der russischen Machthaber.

Der Stand-up-Comedian Kirill Lavruchin hat sich während eines Auftritts in Moskau gegen den Krieg ausgesprochen. „Wenn du dich entschieden hast, den Buchstaben Z auf die Heckscheibe deines Autos zu kleben …, dann bist ein hundertprozentiger verfickter Idiot“, sagte er von der Bühne aus.


Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker

 

13. Juli 2023

 

 

 

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