Digest der russischen Anti-Kriegsproteste vom 3.-10. September 2023


Die Stadt spricht

Andrej Nikoforov aus Novorossijsk wurde zu einer Geldstrafe von 45.000 Rubeln (etwa drei Monatsgehälter) verurteilt wegen „Diskreditierung der Armee“: Am 3. September hatte er bei einer Supermarkt-Kasse „Slava Ukraini“ gerufen.

In Tscheljabinsk (Bezirk Ural) tauchte auf einem Zaun die Aufschrift „Putin nach Den Haag“ auf.

 

 

Mahnwachen und Demonstrationen


Am 4. September begab sich  Aljona Kozhevnikova auf den Roten Platz, umhüllt mit einer ukrainischen Flagge. Sie wurde festgenommen.

 

Marat Saripov aus Jekaterinburg (der Hauptstadt des Bezirks Ural) hielt am 12. August eine Mahnwache ab mit dem Plakat „Nein zum Krieg“. Am 5. September sprach man ihn schuldig nach dem Artikel zur „Diskreditierung der russischen Armee“ und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 45.000 Rubeln (etwa drei Monatsgehälter).

 

Nikolaj Borisov aus Voronezh ging am 3. August auf die Straße mit dem Plakat: „Krieg ist Schmutz. Wir tragen unseren Schmutz in die Ukraine.“ Am 8. September wurde er ebenfalls nach dem Artikel zur Diskreditierung der russischen Armee zu einer Geldstrafe von 45.000 Rubeln verurteilt.

 

Am 8. September wurde Artur Makoev in Moskau mit dem Plakat „Nein zum Krieg“ festgenommen

 

Ebenfalls in den ersten Septembertagen wurden Igor Belan mit einem analogen Plakat festgenommen, die Aktivistin Ivanka Rudovskaja mit dem Plakat „Umarme mich, wenn du gegen den Krieg bist“ und Petr Kosorukov mit dem Plakat „Freedom. Peace. No war“.

Ein Einwohner von Petrosavodsk (Republik Karelien) hielt am 4. September eine Mahnwache ab mit dem Plakat: „Nicht alle Eltern brauchen einen weißen Lada – viele brauchen lebendige Kinder“. Er wurde festgenommen. [Anspielung auf hohe Geldzahlungen an Angehörige gefallener Soldaten, wofür ein Vater sich brüstete, sich einen weißen Lada gekauft zu haben].

 

Sabotage

Wegen Brandstiftung an einer Relaisstation an einem Bahnhof im Gebiet Kirov wurden der 17-jährige Kirill K. und der 16-jährige Jegor G. festgenommen. Gegen die Jugendlichen wurde ein Strafverfahren wegen eines Terrorakts eingeleitet.

Ein 17-jähriger Student aus Novosibirsk kam für zwei Monate in Untersuchungshaft. Gegen ihn war ein Verfahren wegen Sabotage der Eisenbahn eingeleitet worden. Am 25. August hatte er angeblich einen Relaisschrank auf der Eisenbahnstrecke von Novosibirsk-Sapadnyj nach Ob gesprengt, und am nächsten Tag hatte er auf derselben Strecke einen Brandanschlag auf eine weitere Relaisstelle verübt.

In der Nacht auf den 1. September steckte ein Unbekannter einen Relaisschrank auf der Strecke zwischen Kisiterinka und Alexandrovka in der Nähe von Rostov am Don (Südlicher Föderaler Bezirk) in Brand

 

Repressalien


In Chakassien wurde der Chefredakteur von „Novyj Fokus“ (Neuer Fokus) Michail Afanasejv zu fünfeinhalb Jahren Strafkolonie allgemeinen Regimes wegen „Fakes über die Armee“ verurteilt.  Anlass war eine Publikation über elf OMON-Angehörige, die sich geweigert hatten, in den Krieg zu ziehen.

Ein Einwohner der Region Primorje wurde zu zwei Jahren Bewährungsstrafe verurteilt, weil er „aus Hass gegen russische Soldaten zu Extremismus aufgerufen“ haben soll. Das Urteil wurde Ende Mai verkündet, wurde aber erst jetzt bekannt. Grund für die Verfolgung waren zwei Posts bei „Odnoklassniki“ im Mai 2022. Im Urteil finden sich nur zwei Worte aus seiner Publikation:“"Zündet an“ und „Jungens!“

Am 7. September wurde der Anti-Kriegsblogger Nikolaj Farafonov im Zusammenhang mit einem Verfahren wegen Terrorismus zum Verhör vorgeladen. Nach dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine hatte er regelmäßig Anti-Kriegs-Posts in seinem kleinen Telegram-Kanal veröffentlicht.

Am 10. September wurde gegen Alexander SChramkov in Volokonovka (Gebiet Belgorod) ein Protokoll wegen Diskreditierung der russischen Armee erstellt. Er wird beschuldigt, ein Banner mit der Aufschrift „Putin ist ein Mörder“ auf einem Laternenpfahl aufgehängt zu haben: Videokameras haben angeblich festgehalten, dass sein Auto in der Nähe stand. Im März 2022 war gegen Schramkov bereits ein analoges Protokoll ausgestellt worden wegen des Banners „Nein zum Krieg“ an seinem Haus.

 

Online-Proteste

Kürzlich wurde bekannt, dass gegen einen Einwohner von Saransk (Hauptstadt von Mordovien) im März ein Verfahren wegen öffentlicher Rechtfertigung des Terrorismus eingeleitet wurde. Ihm wird der Kommentar: „Ihr habt uns ein gutes Geschenk gemacht, tüchtige Ukrainer! Ihr seid wahre Patrioten eures Landes" zur Last gelegt. Aleksey Podolksij hatte den Kommentar “ im Oktober 2022 bei „VKontakte“ in der Rubrik „Galgenhumor“ nach der Explosion auf der Krim-Brücke veröffentlicht.

Der Dreher Aleksej S. aus Jekaterinburg kommentierte die Veröffentlichung über den Tod des Militärbloggers Vladlen Tatasrkij >(„erstaunlich, mit welcher chirurgischen Genauigkeit die Krebsgeschwulst entfernt wurde“). Am 5. September fand bei ihm eine Haussuchung statt, ein Verfahren wegen „Rechtfertigung des Terrorismus“ wurde eingeleitet.

 

Kriegsdienstverweigerung

Der Rekrut aus Karatschaevo-Tscherkessnien Resuan Bostanov weigerte sich, eine Vorladung in Empfang zu nehmen und sich zur medizinischen Untersuchung für die Aufnahme in die Armee zu begeben. Er wurde zu einer Geldstrafe von 100.000 Rubeln verurteilt wegen Verweigerung des Militärdienstes.

Im März 2022 lehnte ein Soldat es ab, in den Krieg zu ziehen, weil er in der Ukraine aufgewachsen sei. Er wurde zu zwei Jahren und drei Monaten Aufenthalt in einer Ansiedlungs-Kolonie verurteilt.

Journalisten von „Sibir.Realii“ und des Forschungsprojekts „Sistema“ haben ausgerechnet, dass seit der Mobilisierung im September 2022 über 2,00 Verfahren gegen Vertragssoldaten und Mobilisierte eingeleitet wurden wegen ihrer Weigerung, in den Krieg zu ziehen. Die Anzahl dieser Verfahren nimmt in jedem Monat weiter zu.


Sonstiges


Schüler im Bezirk Kaltasy, Baschkortostan, versahen die Zeichnungen zum „Tag der Solidarität im Kampf gegen den Terrorismus“ (3. September) mit Anti-Kriegs-Aufschriften. Der Post mit den Fotos der Zeichnungen erschien auf der offiziellen Website der Schule. Insbesondere war auf den Aufschriften zu den Bildern u lesen: „Wir sind gegen den Krieg. Wir sind für den Frieden!“, „Friede für die Welt“. Auf einer Zeichnung hatte ein Sechstklässler die Anmerkung angebracht: „Ich denke, dass es ohne Krieg, Terrorismus und Böses in der Welt für alle warm, gut, gemütlich sein wird. Ich wünsche mir, dass alle über Wasser, Heizung, zu Essen und eine Wohnung verfügen.“


Übersetzung: Vera Ammer

18. November 2023

 

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