Anna Pavlikova und Marija Dubovik aus der Untersuchungshaft in den Hausarrest entlassen

 

Die beiden im Rahmen des Verfahrens gegen die Gruppierung „Novoe Velitschie“ (Neue Größe) verhafteten jungen Frauen Anna Pavlikova und Marija Dubovik sind aus der Untersuchungshaft in den Hausarrest entlassen worden. Pavlikova war bei ihrer Verhaftung Mitte März erst 17 Jahre alt. Am Vorabend der Entlassung, dem 15. August, hatte in Moskau der „Marsch der Mütter“ zur Unterstützung von Pavlikova und Dubovik stattgefunden. Hunderte von Unterstützern waren bei dieser nicht-genehmigten Aktion bis zum Gebäude des Obersten Gerichts gelaufen und hatten Stofftiere an den Eingang gelegt. Die Polizei griff nicht ein. Eine Petition zur Befreiung der Mädchen hatten etwa 170 000 Menschen unterschrieben. Ljudmila Alekseeva, Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe, und Lev Ponomarev, Bewegung Für Menschenrechte, hatten für Anna Pavlikova gebürgt, die Menschenrechtsbeauftragte der RF Tatjana Moskalkova sowie der Vorsitzende beim Menschenrechtsrat des Russischen Präsidenten Michael Fedotov mit Hinweis auf die schlechte Gesundheit der Frauen zur Entlassung aus der Untersuchungshaft aufgerufen. Die Mütter von Pavlikova und Dubovik hatten sich an Präsident Putin gewandt und gefordert, das Verfahren einzustellen und den Rechtsorganen vorgeworfen, politisch interessierte junge Menschen zu manipulieren. Am Ende beantragten sogar die Ermittler mit Blick auf den Gesundheitszustand vor allem von Pavlikova eine Entlassung aus dem Untersuchungsgefängnis und die Überführung in den Hausarrest, noch am 9. August hatten sich Gericht und Anklage geweigert, einem Antrag auf Entlassung stattzugeben.

Den Mitgliedern der Gruppe, von denen am 16. März 2018 zehn verhaftet worden waren, wird die Gründung einer extremistischen Gruppierung vorgeworfen (Art. 282.1 StGB RF). Ein Teil von ihnen wurde in Untersuchungshaft genommen, ein anderer unter Hausarrest gestellt. Nach den Worten der Anwälte stützt sich die Anklage vor allem auf die Worte eines Mannes, der sich im Auftrag des FSB in die Gruppe einschleuste. Nach Aussagen der Angeklagten hatte der Mann den Aktivisten angeboten, ihren oppositionellen Chat in eine politische Bewegung umzuwandeln, ein politisches Programm geschrieben und einen Ort für konstituierende Versammlungen angemietet. Ein weiteres Mitglied der Gruppe, der ein im Internet kursierendes Geständnis abgelegt, hat dieses mittlerweile widerrufen, weil es durch Folter zustande gekommen sein soll.

Der Hausarrest gilt zunächst bis 13. September und bedeutet keine Einstellung des Verfahrens. Vier weitere Angeklagte im Verfahren „Novoe Velitschie“ befinden sich noch in Haft, einer von ihnen hat die Öffentlichkeit in einem Brief um Hilfe gebeten. Allen Angeklagten droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren.

21. August 2018

 

Die Mutter Oleg Sentsovs Ljudmila Sentsova hat inzwischen vom Kreml die Benachrichtigung erhalten, dass ihr am 13. Juli eingereichtes Gnadengesuch für ihren Sohn abgelehnt wurde. Begründet wurde dies damit, dass ihr Sohn selbst ein entsprechendes Gesuch an den Präsidenten richten müsste.

Wie der Anwalt Nikolaj Polosov betonte, der selbst ukrainische Gefangene vertreten hatte, sind in früheren Fällen Freilassungen keineswegs auf Grund von Begnadigungsgesuchen der Häftlinge selbst erfolgt, sondern nach Verhandlung auf höchster Ebene. Gnadengesuche hatten auf einen Wink der Behörden zum Teil völlig außenstehende Personen eingereicht. Nach Polosovs Worten „lügt man im Kreml wieder einmal hinsichtlich einer Begnadigung Sentsovs“.

Angesichts des für den kommenden Samstag geplanten Treffens von Präsident Putin mit Kanzlerin Angela Merkel hat MEMORIAL Deutschland einen dringenden Appell an die Kanzlerin gerichtet, sich für die umgehende Freilassung von Oleg Sentsov einzusetzen, da nicht mehr viel Zeit bleibe.

15. August 2018

 

Französische Kulturschaffende fordern Sentsovs Freilassung

Vor einigen Tagen sorgte eine Falschmeldung über eine angebliche Freilassung Sentsovs und seinen Abtransport aus dem Lager für Aufregung, die aber nach einigen Stunden von der Haftanstalt dementiert wurde. Am heutigen 14. August wurde der russischen Menschenrechtlerin und Journalistin Soja Svetova – auf Bitten des Menschenrechtsrats beim Präsidenten - die Erlaubnis eingeräumt, ihn für etwa zwei Stunden zu besuchen. Soja Svetova war jahrelang Mitglied in einer der „Öffentlichen Beobachtungskommissionen“, die die Zustände in Haftanstalten inspizieren.

Oleg Sentsov befindet sich genau drei Monate im Hungerstreik, mit dem er die Freilassung der in Russland inhaftierten ukrainischen politischen Gefangenen erreichen will – zumindest jedenfalls, dass ein Gefangenenaustausch in Gang kommt. In seinem Gespräch mit Soja Svetova bezeichnete er seinen Zustand als „noch nicht kritisch, vorkritisch“. Die Nährstoffe, die er erhält, können nach ärztlicher Auskunft sein Leben nicht retten, zumal er darauf achte, eine bestimmte, sehr geringe Dosis nicht zu überschreiten. Nach Aussage des ihn versorgenden Gefängnisarztes könnten seine inneren Organe jederzeit versagen, daher wäre es gut, den Hungerstreik zu beenden. Sentsov beabsichtigt jedoch nicht, dies zu tun.

Der Anwalt Dmitrij Dinse hatte in einem Interview erklärt, Sentsov könnte jederzeit sterben, zumal in der Haftanstalt jegliche medizinische Ausrüstung – etwa für Wiederbelebungsmaßnahmen – fehle.

Von der in der Strafkolonie herrschenden Willkür zeugen die jüngsten Berichte von Sentsovs Cousine Natalja Kaplan und Soja Svetova, denen zufolge Sentsov wochenlang keinerlei Post ausgehändigt wurde weil angeblich der Zensor in Urlaub war. Unmittelbar vor Svetovas Besuch erhielt er plötzlich alle Briefe, und Soja Svetova erfuhr, dass es ja zwei Zensoren gebe. Darüber hinaus waren zuvor ihre Versuche, mit Sentsov in telefonischen Kontakt zu treten, mit der Begründung abgelehnt worden, Sentsov wünsche keinen Kontakt. In Wirklichkeit hatte Sentsov von diesen Versuchen gar nichts erfahren und einen entsprechenden Wunsch keineswegs geäußert.

Inzwischen haben erneut zahlreiche Persönlichkeiten – darunter die französische Kulturministerin Françoise Nyssen und die Filmregisseure Jean-Luc Godard, Ken Loach und David Cronenberg – Sentsovs Freilassung gefordert: „Da sich sein Gesundheitszustand offenbar von Tag zu Tag verschlechtert, muss gehandelt werden. Und zwar schnell.“

14. August 2018

 

 

 

 

Am 08.08.2018 sollte am Tverskoj-Bezirksgericht in Moskau die Verhandlung stattfinden im Fall Svetlana Gannuschkina, Leiterin der Flüchtlingshilfsorganisation Grashdanskoe Sodejstvie, und Oleg Orlov, Leiter des Programms Gorjatschije Totschki im Menschenrechtszentrum Memorial, Beide hatten sich am ersten Tag der Gerichtsverhandlung gegen Ojub Titiev mit Plakaten zu dessen Verteidigung an der Kremlmauer postiert. Die Mahnwache hatte nicht länger als zehn Minuten gedauert.

Gannuschkina und Orlov wurden auf die Polizeiwache gebracht, wo man ein Protokoll wegen Verletzung des festgelegten Verfahrens für die Organisation oder Durchführung einer Versammlung, Kundgebung, Demonstration, Prozession oder Streikposten (Artikel 20.2, Abschn. 5) aufnahm. Die Verhandlung im Fall von Svetlana Gannuschkina wurde auf den 1. Oktober verschoben, da die Verteidigung die Verfahrensunterlagen noch nicht durchsehen konnte. Die Anhörung Oleg Orlovs ist für den 13. September festgesetzt. Den Menschenrechtlern droht eine Strafe zwischen 10 000 und 20 000 Rubeln oder bis zu 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit.

11. August 2018

 

 

Der Anwalt Oleg Sentsovs, Dmitrij Dinse, hat seinen Mandanten am 7. August in Labytnangi besucht. Seinem Bericht zufolge hat sich dessen Gesundheitszustand drastisch verschlechtert. Er leide an Anämie (infolge eines Mangels an Hämoglobin), äußerst schwachem Puls und Herzproblemen. Außerdem belaste ihn die derzeitige exteme Hitze in Labytnangi.

Sentsov lehnt eine Verlegung ins Krankenhaus ab, da sich der Leiter der dortigen Reanimations-Abteilung sich ihm gegenüber aggressiv verhalte und ihm eher schaden werde. Außerdem ist er inzwischen nicht mehr in transportfähigem Zustand. Eine Verbringung ins Krankenhaus schätzt auch der Anwalt als lebensbedrohlich ein.

Sentsov erklärte in einem Brief, dass ihm Ärzte nicht helfen könnten, er sei nicht krank, sondern im Hungerstreik, und er werde den Hungerstreik auch nicht abbrechen.

7. August 2018

Auszug aus einer Erklärung vom Menschenrechtszentrum Memorial

In den letzten Jahren findet in Russland eine Verfolgungskampagne der Zeugen Jehovas statt, die mittlerweile einen großangelegten Charakter angenommen hat, nachdem das Oberste Gericht der Russischen Föderation am 20. April 2017 das Verwaltungszentrum der Zeugen Jehovas in Russland zur extremistischen Organisation erklärt hatte. Die Kampagne verschärfte sich nochmals im April 2018, nachdem in verschiedenen Regionen Durchsuchungen durchgeführt und Beschlagnahmungen vorgenommen wurden, von denen Dutzende Gläubige betroffen waren; viele Angehörige der Glaubensgemeinschaft wurden strafrechtlich verfolgt und in Haft genommen. So gut wie alle wurden wegen Verstoßes gegen den Artikel 282 des StGB RF (Extremismusparagraph) angeklagt, ihnen drohen zwischen fünf bis zehn Jahren Haft.

Wir merken an, dass sich gegen die Verfolgung einer ganzen konfessionellen Gemeinschaft die Vertreter der Europäischen Union innerhalb der OSZE, die parlamentarische Versammlung des Europarates sowie russische und ausländische Menschenrechtsaktivisten ausgesprochen haben. Das Menschenrechtszentrum Memorial schließt sich der Kritik bedingungslos an. Wir fordern, die Verfolgung aller Zeugen Jehovas aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft sofort zu beenden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind uns 39 Verfolgte bekannt, von denen sich nicht weniger als 23 in Haft und 6 unter Hausarrest befinden. Darüber hinaus sind wir über 10 Zeugen Jehovas informiert, bei denen Prohibitivmaßnahmen zur Anwendung kamen, die nicht mit Freiheitsentzug verbunden sind. Diese Liste ist höchstwahrscheinlich nicht vollständig und wird ergänzt werden. Eine ständig aktualisierte Liste aller aufgrund ihres Glaubens verfolgten Zeugen Jehovas ist hier einsehbar.

Das Menschenrechtszentrum Memorial erklärt alle inhaftierten oder unter Hausarrest stehenden Zeugen Jehovas zu politischen Gefangenen und ruft zu ihrer sofortigen Freilassung auf. Weiter fordern wir die Einstellung der strafrechtlichen Verfolgung derjenigen Gläubigen, die anderen Prohibitivmaßnahmen ausgesetzt sind.

Die Anerkennung on Personen als politische Gefangene durch Memorial bedeutet keine Übereinstimmung oder Billigung mit deren Ansichten, Äußerungen und Handlungen.

3. August 2018

Bischof Grigorij Michnow-Wajtenko, der für die orthodoxe Kirche Gefangene betreut, die in russischen Strafvollzugsanstalten einsitzen, ist der Besuch von Oleg Sentsov verweigert worden. Häftlinge sind gesetzlich berechtigt, Besuche von Geistlichen zu erhalten. Bischof Grigorij hatte sich zu diesem Zweck nach Salechard in die Ortschaft Charp begeben, wo sich das Lager befindet.

Der Leiter der Strafanstalt sei ihm sehr freundlich begegnet, bis er erfahren habe, wen er aufsuchen wolle. „Appelle an Gesetz, Vernunft, Gewissen und Barmherzigkeit“ seien erfolglos gewesen. Mit der Bemerkung „Ich sehe keinen Sinn darin, dass Sie Oleg Sentsov treffen“ wurde der Geistliche abgefertigt und umgehend herauskomplimentiert. Eine Reaktion auf seine Beschwerden gegen die Besuchsverweigerung, die einen eindeutigen Gesetzesverstoß darstellt, sei nicht erfolgt. Der Leiter des Menschenrechtsrats beim Präsidenten Michail Fedotov wurde über den Vorfall informiert.

Am 4. August wurde dann einem Geistlichen aus der Stadt Labytnangi erlaubt, Sentsov zu besuchen.

Vertretern von Amnesty International war der Zugang zu Sentsov ohne Angabe von Gründen verweigert worden. Angesichts des seit dem 14. Mai andauernden Hungerstreiks von Sentsov wollten ein Amnesty-Vertreter gemeinsam mit einem unabhängigen medizinischen Gutachter sich ein Bild von seinem Gesundheitszustand machen. Der stellvertretende Leiter des Vollzugsdienstes Valerij Balan betonte in seinem Schreiben an Amnesty, der Gesundheitszustand Sentsovs sei stabil.

3./4. August 2018

 

 

 

Inzwischen haben zwei weitere Verhandlungstage im Prozess gegen Ojub Titiev stattgefunden (am 26. Juli und 1. August), die ähnlich verliefen wie der erste Tag. Ausgesagt haben weitere Polizeimitarbeiter, die Titiev nicht kennen, die nicht an seiner Festnahme (bzw. beiden Festnahmen) beteiligt waren und keinerlei Aussage zum Sachverhalt machen konnten. In ihrem regionalen Polizeirevier ist keiner von ihnen Mitarbeitern in einer Uniform mit der Aufschrift GBR begegnet, keiner hat Fahrzeuge mit dieser Aufschrift gesehen. Titievs erste Festnahme hatten Personen in grünen Tarnuniformen mit dieser Aufschrift durchgeführt.

Detaillierte Aufzeichnungen über den Verlauf des dritten Verhandlungstages finden Sie hier; eine genaue Beschreibung von Titievs Festnahmen am 9. Januar hier.

Die nächste Verhandlung wurde für den 8. August anberaumt.

3. August 2018

 

 

Am 19. Juli hat der Prozess gegen Ojub Titiev begonnen. Nach Verlesung der Anklageschrift (Titiev wird Drogenmissbrauch zur Last gelegt) wurden die ersten der fast 70 von der Anklage benannten Zeugen vernommen. Es ging um den Tag und die Umstände der Festnahmen Titievs (er wurde am 9. Januar zweimal festgenommen). Allerdings konnte keiner der Zeugen Aussagen zu den Ereignissen dieses Tages machen, sie gaben fast immer an, sich nicht erinnern zu können.

Wie Galina Tarasova vom Menschenrechtszentrums Memorial betonte, waren „die heute als Zeugen der Anklage vernommenen Personen de facto keine Zeugen“.
Sie waren am Tag von Titievs Festnahme ihrer Arbeit nachgegangen, hatten jedoch von der Festnahme nichts mitbekommen. Ein Teil von ihnen arbeitet ohnehin in der Polizeiabteilung von Jalcha-Mochk, das ist 20 Kilometer vom Ort der Festnahme entfernt: „Ebenso hätte man Polizisten aus Kamtschatka als Zeugen der Anklage befragen können.“ Dieses Vorgehen bringe in das Strafverfahren das Element einer Show für die Öffentlichkeit hinein, um den Eindruck zu erwecken, dass es viele Zeugenaussagen gegen Titiev gebe. „In Wirklichkeit konnten diese Personen weder bei der Untersuchung noch jetzt vor Gericht etwas zur Klärung des Sachverhalts beitragen.“

Der nächste Verhandlungstermin ist für den 26. Juli vorgesehen.

22. Juli 2018

 

 

Copyright © 2024 memorial.de. Alle Rechte vorbehalten.
MEMORIAL Deutschland e.V. · Haus der Demokratie und Menschenrechte · Greifswalder Straße 4 · 10405 Berlin
Joomla! ist freie, unter der GNU/GPL-Lizenz veröffentlichte Software.
Back to Top