Am 18.März wurde Ojub Titiev vom Stadtgericht Schali in Tschetschenien zu vier Jahren Freiheitsentzug verurteilt.

Nachfolgend finden Sie internationale Reaktionen auf das Urteil:

 

Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland

Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Bärbel Kofler

Ich bin zutiefst besorgt über die Verurteilung von Ojub Titijew, Träger des deutsch-französischen Preises für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Die Zweifel an den Vorwürfen und an der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens sind gut dokumentiert und auch im OSZE-Bericht zur Menschenrechtslage in Tschetschenien beschrieben. Ich fordere Russland auf, den darin enthaltenen Empfehlungen zu folgen: Das Urteil und die Untersuchungshaft sollten schnellstens von einem Gericht außerhalb Tschetscheniens überprüft, Ojub Titijew aus der Untersuchungshaft freigelassen werden. Russland muss gewährleisten, dass Menschenrechtsverteidiger ohne Angst vor Strafverfolgung auch in Tschetschenien tätig sein können.

 

Europäischer Auswärtiger Dienst

We believe that the sentencing of Oyub Titiev is directly connected to his human rights work for Memorial, an organisation that has been the subject of ongoing intimidation and harassment in the North Caucasus and beyond. We also believe that Mr Titiev has not received a fair trial. His sentencing continues a trend of arrests, attacks and discrediting of human rights defenders and journalists who work in that region of the Russian Federation. Mr Titiev's predecessor as head of Memorial in Chechnya, Ms Natalia Estemirova, was killed in 2009 and, almost ten years later, not a single person has yet been brought to justice for this crime. The European Union expects Mr Titiev to be released immediately and unconditionally.

Den vollständigen Text finden Sie hier.

 

Ministerium für Europa und Auswärtige Angelegenheiten Frankreichs

Eine aktualisierte Übersicht, basierend auf Berichten bei OVD-Info und des Menschenrechtszentrums Memorial

 

Am 15. März 2018 wurden in Moskau zehn Personen unter der Anklage, eine extremistische  Vereinigung namens „Novoe Velitschie“ (Neue Größe) gegründet zu haben, verhaftet. Die Ermittler gehen davon aus, dass sie einen Staatsstreich geplant hätten. Die Anwälte der Angeklagten erklären, „Novoe Velitschie“ sei von einem eingeschleusten Mitarbeiter der Sicherheitskräfte ins Leben gerufen worden.

Ein erstes Urteil wurde mittlerweile gefällt: Gegen Rustam Rustamov verhängte man am 5. März eine Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren wegen Unterstützung einer extremistischen Gemeinschaft. Zuvor hatte sich Rustamov schuldig bekannt und vor dem Urteil eine Übereinkunft mit der Ermittlung getroffen. Sein Fall wurde in einem eigenen Verfahren behandelt, ohne dass das Gericht die Beweise überprüft hätte.Weitere Angeklagte stehen derzeit zum Teil unter Hausarrest, andere befinden sich in Untersuchungshaft, für beide Personengruppen wurden die Vorbeugungsmaßnahmen inzwischen bis zum 13. Juni verlängert. Zur Unterstützung vor allem zweier junger Frauen der Gruppierung hatten im vergangenen Jahr in Moskau mehrere Unterstützungsaktionen stattgefunden. Beim „Marsch der Mütter“ am 15. August 2018 waren Hunderte in einer nicht-genehmigten Aktion bis zum Gebäude des Obersten Gerichts in Moskau gelaufen und hatten Stofftiere an den Eingang gelegt.Etwa 170 000 Menschen unterschrieben eine Petition zur Befreiung der Mädchen. Für die Mädchen bürgten die mittlerweile verstorbene Ljudmila Alekseeva, Vorsitzende der „Moskauer Helsinki-Gruppe“, und Lev Ponomarev, „Bewegung Für Menschenrechte“. Ebenso hatten Tatjana Moskalkova, Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation, und Michael Fedotov, Vorsitzender des Menschenrechtsrats beim Russischen Präsidenten mit Hinweis auf die schlechte Gesundheit der Frauen appelliert, sie aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Am 11. März wurden in Tschetschenien die abschließenden Plädoyers der Anklage und der Verteidigung im Fall Ojub Titiev, Leiter des Menschenrechtszentrums Memorial in Grozny, gehalten. Wir erinnern, dass Titiev des Drogenbesitzes beschuldigt wird. Er selbst weist die Beschuldigungen zurück und besteht darauf, dass ihm das Paket mit Marihuana untergeschoben wurde. Memorial erklärte das Verfahren gegen Titiev ebenfalls für manipuliert. Die Staatsanwaltschaft, die für ihr Plädoyer nur 20 Minuten bei einem Verfahren benötigte, welches das Gericht acht Monate beschäftigte, fordert für Titiev vier Jahre Strafkolonie sowie eine Geldbuße von 100.000 Rubel.

Die Verteidigung betonte, dass die Zweifel an der Schuld Titievs im Verlauf des Verfahrens nicht beseitigt wurden und zugunsten des Angeklagten ausgelegt werden müssen, die Beweise von Seiten der Anklage seien widersprüchlich und strittig. Titiev selbst bedankte sich im Schlusswort bei allen, die ihn unterstützen, nannte die für das fabrizierte Verfahren Verantwortlichen namentlich und bat die Vertreter aus Europa, Sanktionen gegen die entsprechenden Personen zu verhängen. Bezüglich des Urteils mache er sich keine Illusionen, so Titiev. „Selbstverständlich wird man ein Urteil fällen, das der Anklage folgt.“

An der Verhandlung nahmen neben russischen Menschenrechtlern auch Vertreter von Human Rights Watch, Mitglieder der Botschaften der Niederlande und Deutschlands sowie eine Delegation der Europäischen Union teil. Das Urteil wird am 18. März verkündet.

 

12. März 2019

 

 

 

 

 

 

Ojub Titiev ist heute vom Stadtgericht Schali zu vier Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Damit folgte das Gericht weitgehend dem Antrag des Staatsanwalts, milderte das Urteil aber insofern etwas ab, als Titiev zur Ansiedlung in einer Strafkolonie verurteilt wurde.

Diese Strafe wird gewöhnlich gegen Personen verhängt, die Ersttäter sind und leichtere bis mittelschwere Straftaten begangen haben oder die sich aus Fahrlässigkeit schuldig gemacht haben. In diesen Fällen sind etwas freizügigere Haftbedingungen vorgesehen (insbesondere im Hinblick auf die Bewachung und Besuchsregelungen).

Laut Gerichtsentscheid muss Titiev in Haft bleiben, bis das Urteil rechtskräftig wird. Titievs Anwalt Petr Saikin hat bereits erklärt, dass er gegen das Urteil Revision einlegen wird.

 

18. März 2019

 

 

 

Erklärung der Internationalen Gesellschaft Memorial

Am 13. und 14. Februar 2019 hat das russische Justizminiserium folgende, von Lev Ponomarev geleitete Verbände in die Liste von „Organisationen, die die Funktionen eines ausländischen Agenten ausführen“, eingetragen: „Für Menschenrechte“ („Za prava tscheloveka"), „Hotline“ („Gorjatschaja linija“) und die Stiftung „Zum Schutz der Rechte Gefangener“ („V zaschtschity prav zakljutschennych").

Die lange Propaganda-Kampagne gegen den verdienten Aktivisten wird fortgesetzt – sie fing an mit skandalösen Fernsehfilmen, kürzlich kam er widerrechtlich in administrative Haft, jetzt bringt man das Gesetz über „ausländische Agenten“ zur Anwendung, das dazu gedacht ist, unabhängige gesellschaftliche Organisationen zu diskreditieren.

Dieses Gesetz hat in der zivilisierten Welt nicht seinesgleichen. Es unterscheidet sich kardinal von dem in den USA geltenden Gesetz, auf das sich die staatliche Propaganda immer wieder beruft. Nach amerikanischem Recht ist eine Organisation dann ein „ausländischer Agent“, wenn sie „in den Vereinigten Staaten im Interesse eines ausländischen Auftraggebers (Prinzipals) politisch tätig ist oder agiert“. In Russland gilt das Gleiche für eine Organisation, „die auf dem Gebiet der Russischen Föderation, unter anderem im Interesse ausländischer Sponsoren, politisch tätig ist“ Da es heißt „unter anderem“, ist es nicht notwendig, die Arbeit „im Interesse ausländischer Sponsoren“ nachzuweisen. Wenn es den Machthabern beliebt, reicht dafür jederlei ausländische Finanzierung aus, und als „politische Tätigkeit“ kann so gut wie alles gelten. In den USA muss die Arbeit „im Interesse eines ausländischen Auftraggebers (Prinzipals)“ vor Gericht nachgewiesen werden, um eine Organisation als „ausländischer Agent“ verzeichnen zu können. In Russland reicht die Entscheidung eines Beamten im Justizministerium aus.

Wir kennen keine einzige Menschenrechtsorganisation, die als „ausländischer Agent“ registriert und tatsächlich bezichtigt worden wäre, für „ausländische Sponsoren“ tätig zu sein. Das ist verständlich, denn nicht einmal mit den geballten Einflussmöglichkeiten des Fernsehens lässt sich ohne weiteres suggerieren, der Einsatz für Bürgerrechte in Russland erfolge im Interesse von Ausländern. Das Etikett „ausländischer Agent“ bezeugt nur, dass der jeweiligen Organisation nichts vorzuwerfen ist. Wir sind überzeugt, dass der Zeitpunkt nicht mehr fern ist, zu dem der Staat alle, die in diesem berüchtigten Register aufgelistet sind, um Entschuldigung bitten wird, einschließlich Lev Ponomarev.

 

25. Februar 2019

 

 

 

 

 

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