Memorial plant die Veröffentlichung des zweiten Gedenkbandes über die Opfer von Katyn. Der erste Band war 2015 erschienen. Diesmal geht es um die Personen, die im NKVD-Lager von Ostaschkow inhaftiert waren und auf Befehl des Politbüros vom 5. März 1940 erschossen wurden (einschließlich derer, die bereits vorher in der Haft verstorben waren).

Der Band macht erstmals biographische Angaben zu 6.295 polnischen Gefangenen in russischer Sprache zugänglich, die sich seit Herbst 1939 im Kriegsgefangenenlager Ostaschkow des NKWD befanden, im April und Mai 1940 in Kalinin (dem heutigen Tver) erschossen und in der Nähe von Mednoe (30 km von Kalinin entfernt) beigesetzt wurden.

Die Ausgabe basiert auf Archiv-Dokumenten des NKWD sowie bereits publizierten Quellen. Vorausgegangen sind acht Jahre intensiver Forschungsarbeit der Mitarbeiter des „Polnischen Programms“ von Memorial, die die vorliegenden Unterlagen zusammengetragen und ausgewertet haben. Für mehr als 2.700 Personen liegen Fotos aus der Vorkriegszeit vor, die aus polnischen Archiven, von Forschern und Familienangehörigen stammen. Zusätzlich zu den Biographien werden Dokumente über die Exhumierungen veröffentlicht, die die Militärstaatsanwaltschaft gemeinsam mit polnischen Experten 1991 und 1995 vorgenommen hat.

Darüber hinaus werden erstmals auf Russisch die Aussagen Dmitrij Tokarevs dokumentiert, die dieser 1991 vor der Militärstaatsanwaltschaft gemacht hat. Tokarev war von 1938-1943 Leiter der NKWD-Gebietsverwaltung in Kalinin, die die Erschießungen durchführte. Er gab wesentliche Auskünfte zu den Erschießungen selbst sowie zur Lokalisierung der Grabstätten der Ermordeten.

Um die Publikation zu ermöglichen, wurde - wie schon beim ersten Band - eine Spendenaktion (Crowdfunding) initiiert – bis Ende Mai sollen möglichst 1.700.000 Rubel (mehr als 20.000 Euro) über die russische Plattform Planeta gesammelt werden. Diesmal wird eine höhere Summe benötigt als für den ersten Band, weil die gepante Ausgabe wesentlich umfangreicher ist und zwei Bände umfasst.

MEMORIAL Deutschland schließt sich diesem Spendenaufruf an.

Spenden aus Deutschland (und anderen Ländern) zu diesem Zweck können auf das Konto von MEMORIAL Deutschland überwiesen werden – bitte dabei als Verwendungszweck „Mednoe“ angeben.

 

 

3. April 2019

 

 

Erklärung des Menschenrechtszentrums Memorial vom 9. April 2019

Im November 2018 attackierten und enterten russische Militärs drei Schiffe der ukrainischen Flotte, die auf dem Weg zu ukrainischen Häfen die Straße von Kertsch passieren wollten. Alle ukrainischen Soldaten auf den Schiffen wurden verhaftet, drei von ihnen verwundet. Das FSB beschuldigte die Matrosen des Nachbarlandes, „die Staatsgrenze der RF in einer organisierten Gruppe widerrechtlich überschritten zu haben“ (Art. 322 Abschn. 3 des StGB der RF, darauf stehen bis zu sechs Jahren Freiheitsentzug).

Die Legitimität der Okkupation und Annexion der Krim 2014 ist international nicht anerkannt. Das Gleiche gilt für den daraus folgenden russischen Anspruch auf eine 12-Meilen-Zone von der Küste der Krim aus, in die sich die ukrainischen Matrosen am 25. November 2018 begeben haben. Somit kann die Beschuldigung der ukrainischen Soldaten, diese „Grenze“ verletzt zu haben, vom internationalen Recht aus nicht als berechtigt gelten.

Außerdem haben die ukrainischen Schiffe zuvor über ihre Absicht informiert, die „Grenze“ zu passieren. Dies bestätigen sowohl Russland als auch die Ukraine.

Das UN-Seerechtsabkommen, das Russland ratifiziert hat, gestattet es Küstenstaaten nicht, ausländischen Schiffen willkürlich die friedliche Durchfahrt von Meerengen zu untersagen, und der russisch-ukrainische Vertrag zur „Zusammenarbeit bei der Nutzung des Asowschen Meeres und der Meerenge von Kertsch“ bestimmt, dass „Kriegsschiffe unter der Flagge der Russischen Föderation oder der Ukraine im Asowschen Meer und der Straße von Kertsch freie Schifffahrt haben“. Angesichts dieser Bestimmungen, die Bestandteil des russischen Rechts sind, gehen wir davon aus, dass sich die ukrainischen Schiffe auch nach russischer Gesetzgebung keines strafbaren, illegalen Grenzübertritts schuldig gemacht haben.

Wir sind mit den Experten für internationales humanitäres Recht darin einig, dass der Zwischenfall von Kertsch einen internationalen Militärkonflikt darstellt, und dass die festgenommenen ukrainischen Matrosen Kriegsgefangene sind.

Nach internationalem humanitärem Recht können die Matrosen und Offiziere für die Tatsache ihrer Beteiligung am Militärkonflikt nicht nach dem Strafgesetz des sie inhaftierenden Gegners zur Rechenschaft gezogen werden. Sie stehen unter dem Schutz der Dritten Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen und zusätzlichen Protokollen, die Russland und die Ukraine ratifiziert haben. Diese Meinung vertreten auch das UNO Hochkommissariat für Menschenrechte sowie die Parlamentarische Versammlung des Europarats (PACE).

Das Menschenrechtszentrum Memorial hält die Kriegsgefangenen (es folgen 24 Namen) für politische Gefangene. Es fordert die Einstellung ihres Verfahrens und ihre Freilassung, bis dahin sind sie entsprechend den Bestimmungen der Dritten Genfer Konvention zum Umgang mit Kriegsgefangenen zu behandeln.

 

Die Anerkennung von Personen als politische Gefangene bedeutet nicht, dass das Menschenrechtszentrum Memorial ihren Auffassungen und Äußerungen zustimmt und ebensowenig, dass es ihre Aussagen und Handlungen billigt.

 

13. April 2019

 

Bei MEMORIAL International in Moskau fand heute eine Begegnung mehrerer NGO-Vertreter mit der Menschenrechts-Kommissarin des Europarats Dunja Mijatović statt.

Neben Memorial waren die Organisationen „Öffentliches Verdikt“, „Amnesty International“, „Human Rights Watch“, „Agora“, das „Komitee gegen Folter“, „OVD-Info“, das LGBT-Netzwerk vertreten, außerdem Anwälte und Journalisten.

Insbesondere ging es um die Situation der Menschenrechtler in Russland, um die Auswirkungen des „Agentengesetzes“ sowie des Gesetzes über „unerwünschte Organisationen“, um Probleme regionaler NGOs und LGBT-Organisationen und nicht zuletzt um die Lage der Menschenrechtler auf der Krim (die Verhaftungen von Aktivisten der „Krymskaja solidarnost“). Natürlich kam auch der Prozess gegen Ojub Titiev zur Sprache, der kürzlich zu vier Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurde, sowie das Verfahren gegen den Journalisten Zhalaudi Geriev von „Kavkazskij uzel“.

Ein weiteres Thema war die Haltung der russischen Behörden, die Beschlüssen des Europäischen Menschenrechtsgerichts in der Regel nicht nachkommen.

 

2. April 2019

 

 

Nach zahlreichen Durchsuchungen haben russische Sicherheitskräfte am 27., 28. und 29. März auf der besetzten Krim 24 Krimtataren festgenommen. Die rasch eintreffenden Anwälte der Festgenommenen wurden nicht vorgelassen. Die meisten der Verhafteten sind in der Bewegung „Krymskaja Solidarnost“ aktiv, die politische Gefangene und ihre Familien unterstützt, Menschenrechtsverletzungen öffentlich macht, an Gerichtsverhandlungen teilnimmt und bewaffnete Durchsuchungen sowie Gerichtsverhandlungen ins Internet streamt. 23 Personen sind mittlerweile in Gefängnisse nach Russland gebracht worden; man gab ihnen keine Gelegenheit, zuvor ihre Familien zu verständigen. Diese Verhaftungen sind der aktuellste und heftigste Angriff russischer Sondereinheiten auf die Krimtataren seit der Besetzung der Krim 2014. Die russischen Behörden behaupten, die verhafteten Krimtataren seien Teil der internationalen Terrororganisation Hizb ut-Tahrir.

 

Das Menschenrechtszentrum Memorial veröffentlicht zur Verhaftung der Krimtataren folgende Erklärung (hier leicht gekürzt):

"Freiheit für die 24 verhafteten Krimtataren!

Am 27. und 28. März kam es auf der Krim zur massivsten Verhaftungswelle von Krimtataren seit Besetzung der Halbinsel. Nach Hausdurchsuchungen wurden 24 Personen (es folgen die Namen, s. u.) unter dem Verdacht der Mitgliedschaft und Aktivitäten in der Vereinigung Hizb ut-Tahrir festgenommen. Das Menschenrechtszentrum Memorial hat wiederholt erklärt, dass es die Einstufung von Hizb ut-Tahrir als terroristische Vereinigung für unbegründet hält. (...) Dabei gibt es in keinem der uns bekannten Strafverfahren, in denen in Russland und auf der Krim mehr als 250 Moslems verhaftet wurden, Anzeichen von Terrorismus oder der Vorbereitung, Planung oder auch nur Diskussion terroristischer Aktionen, ebensowenig wie Waffen- oder Sprengstoffeinsatz.

Die Ungerechtigkeit und Illegalität der Verfolgung von Muslimen, die der Mitgliedschaft in Hizb ut-Tahrir bezichtigt werden, wird dadurch verschärft, dass die Vereinigung nach ukrainischem Recht auf der Krim legal ist. Sowohl die strafrechtliche Verfolgung als auch die Deportation verhafteter Krimbewohner verletzen die Normen des humanitären Völkerrechts und sind daher besonders inakzeptabel. Im vorliegenden Fall wurden die Normen besonders eklatant verletzt: Die meisten, wenn nicht gar alle Verhafteten wurden bereits aus der Krim abtransportiert.

Aber selbst vor dem Hintergrund der ständigen Repressionen gegen Mitglieder von Hizb ut-Tahrir ragen diese Verhaftungen heraus, und das nicht nur wegen ihres Massencharakters. Ein großer Teil derer, die nun in die Mühlsteine der russischen Strafverfolgungsbehörden geraten sind, stehen auf die eine oder andere Weise mit der „Krymskaja Solidarnost“ in Verbindung, einer Menschenrechtsorganisation, die sich für Opfer von Repressionen einsetzt. Menschen, die Opfer von Repressionen mit Informationen unterstützen, Gefangene mit Paketen versorgen, ihren Familien helfen, regelmäßig an politischen Prozessen teilnehmen, befinden sich nun selbst hinter Gittern.

Wir wissen nicht, ob die Verhafteten überhaupt eine Verbindung zu Hizb ut-Tahrir haben, aber in dieser Situation scheint es nur allzu wahrscheinlich, dass diese bequeme und schon übliche Anschuldigung als Instrument der Unterdrückung von öffentlicher Solidarität und ziviler Aktivitäten der Krimbewohner, vor allem der Krimtataren, dient. Das Menschenrechtszentrum Memorial fordert die sofortige Freilassung der 24 Krimbewohner und ruft die russische Zivilgesellschaft sowie die Weltgemeinschaft auf, den Druck auf die russischen Behörden mit der Forderung die Verhafteten freizulassen zu erhöhen."

5. April 2019

 

Es folgen die Namen der Verhafteten:
Schaban Umerov, Remsi Bakirov, Risa Isetov, Farid Basarov, Ruslan Sulejmanov, Rustem Sejtchalilov, Dzhemil Gafanov, Sejran Murtasa, Alim Karimov, Tofik Abdulgasiev, Biljal Adilov, Medzhit Abdurachmanov, Rustem Schejchaliev, Sejtveli Sejtabdiev, Jaschar Muedinov, Iset Abdullaev, Asan Janikov, Enver Ametov, Akim Bekirov, Erfah Osman, Servet Gasiev, Osman Arifmambetov, Vladlen Abdulkadyrov, Edem Jajatschikov.

 

 

 

 

Titiev erkennt seine Schuld nicht an, hofft jedoch sobald wie möglich freizukommen und seine Menschenrechtstätigkeit wieder aufzunehmen.

Mit dem 1. April tritt das am 18. März gegen Ojub Titiev, Leiter des Menschenrechtszentrums Memorial in Grozny, verhängte Urteil in Kraft. Titiev war am 18. März in einem fabrizierten Verfahren wegen Aufbewahrung von Drogen zu vier Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Ojub Titiev hat sich entschieden, keine Berufung gegen das Urteil einzulegen. Sein Anwalt Petr Zaikin verfasste am 29. März in der Untersuchungshaft in Grozny nach seinen Worten eine entsprechende Erklärung. Titiev beharrt auf seiner Unschuld: „Ich habe mich nie eines Verbrechens schuldig bekannt, bekenne mich nicht schuldig und werde es auch unter keinen Umständen tun. Das habe ich immer offen und auch öffentlich erklärt und ich werde mich niemals falsch selbst bezichtigen.“

Titiev teilte mit, dass er seine Arbeit, der er die letzten 18 Jahre seines Lebens gewidmet hat, weiterführen will: „Während der Untersuchungshaft habe ich Menschen gesehen, die Rechtsbeistand benötigen, und habe begriffen, dass ich verpflichtet bin, meine Tätigkeit so schnell wie möglich wiederaufzunehmen. In eben dieser Menschenrechtsarbeit sehe ich den Sinn meines Lebens.“

Titiev nannte einige Gründe dafür, dass er keine Berufung einlegen wird:

„Dieses Urteil gibt mir die Möglichkeit, wahrscheinlich schon nach dem Monat Mai dieses Jahres aus der Haft freizukommen und in vollem Umfang zur Arbeit im Menschenrechtszentrum Memorial, die im Januar 2018 unterbrochen wurde und Sinn meines Lebens ist, zurückzukehren.“

Das Gericht hatte bei seinem Urteil die Kategorie des Verbrechens von „schwer“ auf „mittelschwer“ herabgesenkt. Dies bedeutet, dass Titiev, sobald ein Drittel der Strafe abgeleistet ist, im Mai 2019 auf formeller Grundlage das Recht hat, eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung zu beantragen, was er auch beabsichtigt.

„Meine Familie braucht meine Hilfe und Unterstützung. Diese fünfzehn Monate waren für sie eine wesentlich ernstere Prüfung als für mich. Als Familienoberhaupt trage ich die Verantwortung für sie. Leider gab es unter den derzeitigen Bedingungen der Rechtsanwendung in unserem Land und besonders in der Republik Tschetschenien in meinem politisch motivierten Prozess keine Hoffnung auf einen Freispruch. Jedem, dem die Fakten der Anwendung von Recht in unserem Land bekannt sind, ist klar, dass das erreichte Urteil die maximal mögliche Art der Anerkennung meiner Unschuld ist. Leider kann ich nicht alle Umstände meiner Entscheidung über die Unzweckmäßigkeit einer Berufung aufzählen … Und wenn jemand der Meinung ist, ich habe eine falsche Entscheidung getroffen, indem ich meinen Verteidigern verboten habe … gegen das Urteil in Berufung zu gehen, dann bin ich bereit, jedem von ihnen persönlich zu erklären, warum ich diese Entscheidung für richtig halte. Meine Anwälte haben große Arbeit geleistet, deren Resultat man nicht einfach am Urteilstext bewerten kann. Dank ihnen glaubt niemand in der Republik Tschetschenien, dass ich diesen Schmutz angefasst haben könnte, denn Drogen, das ist Schmutz. Alle wissen, dass ich unschuldig bin, und es ist für mich sehr wichtig, dass die Menschen nicht an diese absurde Anschuldigung glauben. Die Bewohner meines Dorfes, die mich schon das ganze Leben kennen und deren Meinung ich sehr schätze, sind zum Gericht gekommen und haben offen erklärt, dass sie nicht an meine Schuld glauben. Ich hoffe, dass ich jeden dieser mutigen Menschen umarmen und ihm die Hand drücken kann. Denn jeder weiß, wie gefährlich es unter den derzeitigen Gegebenheiten war, mich offen zu unterstützen. Eben deswegen … kann ich mit erhobenem Haupt stolz auf mich und auf die Dorfbewohner durch mein Dorf laufen. Und mit ebenso stolz erhobenem Haupt kann ich mich außerhalb der Grenzen Tschetscheniens bewegen, weil ich sicher sein kann, dass die Menschen nicht schlecht über mich denken.“

Ojub Titiev dankt allen, die ihn im Verlauf des Prozesses unterstützt haben – Angehörigen, Freunden, Kollegen, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Diplomaten, Politikern sowie allen „Bewohnern Tschetscheniens, weiterer Regionen der Russischen Föderation und auch anderer Länder, denen mein Schicksal nicht gleichgültig war.“

Memorial unterstützt diese Entscheidung Titievs.

1. April 2019

 

 

 

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