Die diversen Register angeblicher ausländischer Agenten in Russland werden eifrig ergänzt. Allein am 29. September wurden 22 Personen und zwei Organisationen in das Verzeichnis der als „Agenten“ eingestuften Medien eingetragen.
Rückwirkende Anwendung des Gesetzes
Igor Kaljapin, Leiter des „Komitees gegen Folter“, wurde zu einer Ordnungsstrafe von 10.000 Rubeln verurteilt. Ihm wird die Zusammenarbeit mit einer „unerwünschten Organisation“ vorgeworfen.
Es handelt sich dabei um die tschechische Organisation „People in need“ (Člověk v tísni), die 2019 in Russland für „unerwünscht“ erklärt wurde. Die NGO war 1992 von Kriegsberichterstattern gegründet worden, um Menschen zu helfen, die sich in Kriegsgebieten aufhalten.
Weiterlesen … Geldstrafe für Hinweise auf eine "unerwünschte" Organisation
In Simferopol ist es am 4. September erneut zu zahlreichen Verhaftungen unter den Krimtataren gekommen.
Diese, unter ihnen auch Frauen und Journalisten, hatten sich friedlich am Gebäude des FSB versammelt, um gegen die am 3. und 4. September von den Sicherheitskräften durchgeführten bewaffneten Hausdurchsuchungen zu demonstrieren und um Informationen über den Verbleib von fünf bei diesen Aktionen verhafteten Männern zu erhalten.
Bericht des Menschenrechtszentrums Memorial
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) kam am 31. August 2021 im Fall der 2009 ermordeten Natalja Estemirova, Mitarbeiterin der tschetschenischen Vertretung des Menschenrechtszentrums Memorial, zu dem Urteil, dass die Behörden der Russischen Föderation die Verantwortung für die unzureichende Untersuchung dieses Verbrechens tragen.
Festgestellt wurde ein Verstoß gegen die verfahrensrechtlichen Verpflichtungen gemäß Artikel 2 (Recht auf Leben) der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie ein Verstoß gegen Artikel 38 (Prüfung der Rechtssache), da die russischen Behörden es versäumt hatten, dem EGMR größere Teile der Akte zur Verfügung zu stellen.
Leider stellte der EGMR keinen substantiellen Verstoß gegen Artikel 2 fest, das heißt es sah keine Verantwortung der Staatsvertreter für die Ermordung der Aktivistin. Die Schwester Natalja Estemirovas erhält eine moralische Kompensation in Höhe von 20 000 Euro.
Am 7. September hat eine weitere Gerichtsverhandlung im Prozess gegen Jurij Dmitriev stattgefunden, die allerdings nur 30 Minuten dauerte, da sein Anwalt aus gesundheitlichen Gründen verhindert war. Die nächste Verhandlung wurde daher erst auf den 30. September angesetzt. Der Anwalt hatte auch deshalb eine Verlegung beantragt, da das Oberste Gericht der RF den Fall behandeln wird und alle Unterlagen angefordert hat. Offenbar hat diese Nachricht das Gericht in Petrosavodsk noch nicht erreicht.
Jurij Dmitriev selbst ist ebenfalls erkrankt, wurde aber trotzdem zur Gerichtsverhandlung gebracht. Genauere Informationen über seinen Gesundheitszustand gibt es bisher nicht, seine Tochter konnte seinen Arzt noch nicht kontaktieren.
7. September 2021
Weiterlesen … Revisionsverfahren Dmitriev: Weitere Verhandlung in Petrosavodsk
Am 31. August wurde bekannt, dass das Oberste Gericht die Unterlagen zum Verfahren gegen Jurij Dmitriev für das Revisionsverfahren angefordert hat. Dies geht aus der Website des Gerichts hervor. Ende Juni hatte Jurij Dmitriev das Urteil des Karelischen Obersten Gerichts vom 29. September letzten Jahres beim Obersten Gericht angefochten. Darüber hinaus wurde Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht.
Der Schuldspruch des Obersten Gerichts Kareliens, das Dmitriev zu 13 Jahren Haft verurteilte, ist bereits in Kraft, kann aber durch das Oberste Gericht annulliert oder revidiert werden. Das wäre die letzte Möglichkeit für Jurij Dmitriev, einen Freispruch und eine Rehabilitierung in Russland zu erreichen. Es ist zu erwarten, dass das derzeitige in Petrosavodsk laufende Revisionsverfahren jetzt angehalten wird und das Oberste Gericht das gesamte Verfahren neu aufrollt.
1. September 2021
Weiterlesen … Oberstes Gericht der Russischen Föderation überprüft Verfahren gegen Dmitriev
Ein Nachruf von Uta Gerlant
Sergej Kowaljow ist am 9. August 2021 im Alter von 91 Jahren gestorben. Zehn Jahre seines Lebens musste er in Gefängnis, Lager und Verbannung verbringen – von 1974 bis 1984.
Am 9. August starb in Moskau Sergej Kowaljow, einer der bedeutendsten Bürgerrechtler der Sowjetunion und Russlands. Seinen Einsatz in der Menschenrechtsbewegung in den 1960er und 70er Jahren bezahlte er mit 10 Jahren Freiheitsentzug (sieben Jahre Lager, drei Jahre Verbannung). Nach dem Ende der Sowjetunion blieb er ebenso engagiert und versuchte insbesondere, Wege zu einer friedlichen Lösung im Tschetschenien-Krieg zu bahnen. Memorial International verliert in ihm ein Vorstandsmitglied, dessen Mitarbeit – wenngleich in den letzten Jahren natürlich aus gesundheitlichen Gründen reduziert – eine unschätzbare Bereicherung war, die uns allen fehlen wird.
Wir bringen den (leicht gekürzten) Nachruf von Alexander Tscherkassov. Einen weiteren Nachruf von Uta Gerlant / MEMORIAL Deutschland finden Sie hier.
"Entweder lebt man unter einem Damoklesschwert oder man postet ausschließlich Katzen"
2021 kam es zu etlichen Gesetzesverschärfungen gegen NGOs, die angeblich „ausländische Agenten“ sind, darüber hinaus wurde der Kreis potentieller „Agenten“ erneut ausgeweitet. Über die sich hieraus ergebenden Konsequenzen – soweit absehbar – sprach Vladimir Shvedov, Chefredaktuer von „Takie dela“ mit der Juristin Tatjana Glushkova vom Menschenrechtszentrum Memorial. Das Interview erschien am 28. Juni in russischer und englischer Fassung bei Legal Dialogue.
Vladimir Shvedov: Seit Ende 2020 hat sich die Gesetzgebung über ausländische Agenten in ein monströses Chaos verwandelt – man verheddert sich hoffnungslos in Personen und Medien, die „ausländische Agenten“ sind, in den neuen und alten Bestimmungen. Was hat sich tatsächlich verändert? Wozu bedarf es dieser abwegigen juristischen Konstruktionen?
Tatjana Glushkova:Um zu verstehen, was jetzt vorgeht, müssen wir auf das Jahr 2012 zurückgreifen. Wie sah das „Agentengesetz" vor Einführung der neuen Bestimmungen aus? Es bezog sich vor allem nur auf juristische Personen. Eine Organisation, die in dieses Verzeichnis aufgenommen wurde, war verpflichtet,
- zusätzliche Tätigkeitsberichte abzugeben und ein jährliches Audit durchzuführen
- sämtliche Publikationen mit dem Vermerk zu versehen, dass sie ein „ausländischer Agent" ist.
Weiterlesen … Zur Verschärfung der Gesetzgebung gegen angebliche „ausländische Agenten“
Hier finden Sie Empfehlungen und detaillierte Informationen, wie man Briefe an politische Gefangene in Belarus versenden kann, findet sich hier.
Die Menschenrechtsorganisation Vjasna führt eine weitgehend aktuelle Liste der Gefangenen.
August 2021
Weiterlesen … Gegen das Vergessen: Briefe an Gefangene in Belarus
Leonid Drabkin – Koordinator von OVD-Info über den Kampf gegen politische Repressionen und für ein „Wunderbares Russland".
Auf einem Barcamp zum Thema Medienkompetenz führte das Medienprojekt 7x7 ein Interview mit Leonid Drabkin, dem Koordinator von OVD-Info. Das Bürgerrechtsprojekt informiert seit 2011 tagtäglich über politische Verhaftungen und Repressionen in Russland, dokumentiert diese und vermittelt juristische Unterstützung für politisch Verfolgte. Wir bringen das Interview leicht gekürzt.
Am 5. August findet an der Gedenkstätte Sandarmoch der jährliche Gedenktag statt – in diesem Jahr bereits das fünfte Mal ohne Jurij Dmitriev, der seinerzeiit (1997) maßgeblich an der Einrichtung und Gestaltung des Gedenkorts mitgewirkt und das Gedenken - solange er in Freiheit war - jährlich mitgestaltet hat.
Weiterlesen … Gedenkveranstaltung in Sandarmoch - zum fünften Mal ohne Jurij Dmitriev
Die Preisurkunde für den Lew Kopelew Preis 2020 für Jurij Dmitriev 2020 wurde am 14. Juli in den Räumen des Lew Kopelew Forums an seine in Köln lebende Kusine Nadezhda Feldman und ihren Mann Gennadij Feldman übergeben.
Weiterlesen … LKF-Preis: Urkunde für Jurij Dmitriev übergeben
Erklärung russischer Menschenrechtsorganisationen und Aktivisten
Die nachstehende Erklärung wurde von mehreren russischen Menschenrechtsorganisationen , darunter Memorial International und dem Menschenrechtszentrum Memorial, sowie zahlreichen Aktivisten aus der russischen Zivilgesellschaft unterzeichnet.
In den letzten Tagen und Wochen haben die ohnehin massiven politischen Verfolgungen in Belarus eine neue Dimension angenommen. Es kommt zu präzedenzlosen Attacken auf unabhängige Medien (Belsat, „Radio Svoboda“, „Nascha Niva“, „Silnye novosti“ u. a.) sowie auf zivilgesellschaftliche Initiativen. Betroffen sind in erster Linie die Menschenrechtsorganisationen „Vjasna“, Human Constanta und das Belarusische Helsinki-Komitee, außerdem die Belarusische Journalisten-Assoziation u. a.. Vom 14.-16. Juli wurden Hunderte von Durchsuchungen in den Büroräumen von Organisationen und Wohnungen von Mitarbeitern und Aktivisten vorgenommen mit Dutzenden von Festnahmen. Der Hauptschlag wurde gegen Vjasna geführt – die Menschenrechtler Ales Beljackij, Valentin Stefanovitch, Vladmir Labkovitsch und Nina Labkovitsch befinden sich in Untersuchungshaft.
Die unabhängige Anwaltsvereinigung „Komanda 29" hat ihre Auflösung bekanntgegeben. „Komanda 29" hatte seit ihrer Gründung 2014 die Interessen von Personen oder Vereinigungen, die politischen Verfolgungen ausgesetzt waren, juristisch vertreten.
Erklärung des Menschenrechtszentrums Memorial
Vor 12 Jahren wurde Natascha Estemirova, unsere Kollegin, Mitstreiterin und Freundin entführt und ermordet. Natascha, Lehrerin aus Groznyj, kämpfte seit Beginn der 1990er Jahre für Gerechtigkeit – zunächst als Gewerkschaftsaktivistin, dann als Menschenrechtlerin und Journalistin. Seit September 1999, von Anbeginn des Zweiten Tschetschenischen Kriegs, arbeitete sie mit Memorial zusammen und wurde sehr schnell Herz und Motor unserer Arbeit.
Weiterlesen … Zur Ermordung von Natalja Estemirova vor zwölf Jahren
Erklärung der Internationalen Gesellschaft Memorial
Beim Obersten Gericht der Russischen Föderation wurde inzwischen Kassationsklage gegen das Urteil des Obersten Gerichts der Republik Kareliens gegen Jurij Dmitriev eingereicht.
Die Haltlosigkeit der gegen ihn erhobenen Anklagen wegen „Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie“ sowie „obszöner Handlungen“ war vom Stadtgericht Petrosavodsk zweimal bestätigt worden, nach langer und sorgfältiger Überprüfung aller Umstände. Aber das Oberste Karelische Gericht zwingt das Stadtgericht zu einer dritten Untersuchung.
In Belarus sitzt der 20-jährige Russe Egor Dudnikov in einem Minsker Untersuchungsgefängnis. Gegen ihn wurde ein Strafverfahren wegen der Organisation von Handlungen eröffnet, die die öffentliche Ordnung grob verletzen [Art. 342 Teil 1 StGB RB], weil er - nach Aussagen seines Anwaltes – Filme für die belarussische Opposition vertont hatte. Über seinen Anwalt nun berichtet er der Novaja Gazeta über seine Haftbedingungen. Wir bringen den Bericht leicht gekürzt in deutscher Übersetzung.
In russischen Haftanstalten befinden sich derzeit mehrere Belarussen, denen die Auslieferung nach Belarus droht, wo sie wegen Teilnahme an Massenprotesten, Widerstands gegen Mitarbeiter der Polizei und Gewaltanwendung gegen Sicherheitskräfte unter Anklage stehen. Alle wurden auf russischem Territorium festgenommen, nachdem sie auf internationale Fahndungslisten gesetzt worden waren. Belarus besteht auf ihrer Auslieferung. Die Menschenrechtsorganisation „Vjasna“ erzählt ihre Geschichte. Wir bringen vier der Berichte gekürzt.
Weiterlesen … Belarussen droht Auslieferung wegen Teilnahme an Protestaktionen
Erklärung des Menschenrechtszentrums Memorial
Am späten Abend des 9. Juni stufte der Richter des Moskauer Stadtgerichts Vjatscheslav Polyga den Fonds zur Korruptionsbekämpfung (FBK), den Fonds zum Schutz der Bürgerrechte (FZPG) sowie die Navalnyj-Stäbe als extremistisch ein – Strukturen, die mit dem politischen Häftling Aleksey Navalnyj in Verbindung stehen.
Weiterlesen … Navalnyj-Organisationen als extremistisch eingestuft
Im Dezember 2020 hat das Russische Justizministerium fünf Einzelpersonen, Journalisten und Aktivisten in das Register der "Ausländischen Agenten" aufgenommen. Die Betroffenen sind nun nicht nur gezwungen, jede ihrer Veröffentlichungen mit dem Hinweis „Ausländischer Agent“ zu versehen, sondern müssen sich zusätzlich als juristische Personen registrieren lassen, um als solche den Behörden Rechenschaft über ihre Einnahmen und Ausgaben abzulegen. Drei von ihnen haben zu diesem Zweck gemeinsam eine GmbH namens „Angeblich Ausländischer Agent“ gegründet, denn das Gesetz sagt nicht, dass sich jede Person einzeln als juristische Person registrieren lassen muss. Die von der Eintragung in das „Agentenregister“ betroffenen Journalisten Denis Kamaljagin, Sergej Markelov und die Journalistin Ljudmila Savizkaja haben dem ebenfalls kürzlich in dieses Register aufgenommenen Online-Medium Meduza von ihren Erfahrungen erzählt. Wir bringen ihre Berichte leicht gekürzt in deutscher Übersetzung.