Nach der Expedition nach Galjaschor, die Memorial Perm im Sommer 2019 durchgeführt hatte, war eine Serie von Strafverfahren eingeleitet worden, die allerdings nur in einem Fall zu einer Verurteilung geführt hatten: Gegen Leonid Ladanov wurde die für ihn unerschwingliche Geldstrafe von 100.000 Rubeln verhängt (weil er seine litauischen Besucher nicht ordnungsgemäß registriert haben sollte).
Der im Verfahrens Novoe Velitschie (Neue Größe) wegen Organisation der Tätigkeit einer terroristischen Vereinigung (Art. 282.1 Teil 1 StGB RF) ursprünglich zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilte Pavel Rebrovskij ist am 29. Oktober vom Moskauer Bezirksgericht Ljublinskij nach einer erneuten Überprüfung seines Falls zu sechs Jahren Straflager verurteilt worden. Zudem sieht das Urteil ein weiteres Jahr Freiheitsbeschränkung vor, ein dreijähriges Verbot Internetseiten zu administrieren sowie eine zweijährige zwangspsychiatrische ambulante Behandlung.
Zahl der politischen Gefangenen in Russland von 305 auf 362 gestiegen
Regelmäßig am 30. Oktober, dem Tag des Gedenkens an die Opfer der Repressionen, veröffentlicht das Menschenrechtszentrum Memorial aktualisierte Listen mit den Namen anerkannter politischer Gefangener in der Russischen Föderation. Während auf diesen Listen noch vor einem Jahr 305 Personen verzeichnet waren, ist die Zahl seither auf 362 angestiegen. Davon sind 297 aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit bzw. der Ausübung ihrer Religion inhaftiert, 65 aus anderen politischen Motiven.
Das Menschenrechtszentrum Memorial weist darauf hin, dass die tatsächliche Anzahl der politischen Gefangenen zweifellos höher ist.
30. Oktober 2020
Weiterlesen … Memorial veröffentlicht neue Listen politischer Gefangener
Der belarusische Schriftsteller Dmitrij Strotsev ist in Minsk wegen Teilnahme an einer nicht-genehmigten Kundgebung gemäß Art. 23.34 zu 13 Tagen Haft verurteilt worden. Zuvor war er am Morgen des 21. Oktobers verschwunden und im Laufe des Abends schließlich auf einer Verhaftetenliste der berüchtigten Haftanstalt Okrestina aufgetaucht.
Weiterlesen … Schriftsteller Dmitrij Strotsev zu 13 Tagen Arrest verurteilt
Der bereits im Juli wenige Tage vor den Präsidentschaftswahlen verhaftete Journalist und Politikberater Vitalij Shkliarov ist aus dem Untersuchungsgefängnis zunächst in den Hausarrest entlassen worden, was mittlerweile durch ein Ausreiseverbot ersetzt wurde. Er befindet sich weiterhin in Belarus.
Weiterlesen … Vitalij Shkliarov sowie weitere Verhaftete aus der Untersuchungshaft entlassen
Memorial, Public Verdict und Otkrytaja Rossija veröffentlichen gemeinsame Erklärung
Anlässlich der Selbstverbrennung der Journalistin Irina Slavina am 2. Oktober vor dem Innenministerium der Oblast Nishni Novgorod hat Memorial gemeinsam mit den Organisationen „Public Verdict“ und „Otkrytaja Rossija“ [Offenes Russland] eine Erklärung mit der Forderung veröffentlicht, die Normen der Strafprozessordnung der Russischen Föderation zu überarbeiten.
Im Laufe des Prozesses gegen Jurij Dmitriev reisten seit Beginn des Verfahrens regelmäßig Unterstützer zu den Verhandlungstagen nach Petrozavodsk. Da der Prozess nicht öffentlich war, durften die Angereisten sich nur in dem Korridor vor dem Verhandlungssaal bzw. vor dem Gerichtsgebäude aufhalten. Der Kontakt zu Dmitriev war somit auf die wenigen Minuten beschränkt, in denen er von den Sicherheitskräften durch den Flur zur Verhandlung geführt wurde. „Takie Dela“ sprach mit drei Personen, die regelmäßig dabei waren. Wir bringen ihre Erzählungen leicht gekürzt in Übersetzung.
Jurij Dmitriev wurde heute zu 13 Jahren Haft verurteilt. Die Anklagepunkte, in denen ihn die vorige Instanz, das Stadtgericht von Petrozavodsk, freigesprochen hatte, wurden zur erneuten Verhandlung an dieselbe Instanz in anderer Zusammensetzung zurück verwiesen.
Zum Urteil veröffentlichte Memorial International die nachstehende Erklärung:
Jurij Dmitriev wurde heute vom Obersten Gericht Kareliens zu 13 Jahren Haft in strengem Vollzug verurteilt.
Damit folgt das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft.
Dmitrij Ptschelinzev – Aus dem Tagebuch eines politischen Gefangenen
Fast drei Jahre nun sitzt Dmitrij Ptschelinzev schon in Haft. Im Rahmen des Verfahrens „Set“ [Netz] war er im Oktober 2017 in der Stadt Penza verhaftet und wegen Organisation einer terroristischen Vereinigung zu 18 Jahren Strafkolonie unter verschärften Haftbedingungen verurteilt worden. Ein ursprüngliches Geständnis hatte Ptschelinzev später widerrufen und erklärt, dieses sei unter Folter erpresst worden. Zeugenaussagen, Gutachten der Mitglieder der Öffentlichen Beobachtungskommission St. Petersburg sowie veröffentlichte Fotografien bestätigten die Foltervorwürfe.
Am 29. September wird in Petrozavodsk das Berufungsverfahren im Prozess gegen Jurij Dmitriev fortgesetzt. An diesem Tag sollen offenbar bereits die Ergebnisse des vor einer knappen Woche in Auftrag gegebenen erneuten Gutachtens über die Dmitriev zur Last gelegten Fotos vorgelegt werden. Welche Institution mit dieser Aufgabe betraut wurde, ist nicht bekannt. Es standen dafür nicht mehr als vier Arbeitstage zur Verfügung, beim letzten Gutachten, das Dmitriev entlastete, hatten die Experten dagegen mehrere Wochen Zeit.
Die Berufungsverhandlung gegen Jurij Dmitriev vor dem Obersten Karelischen Gericht hat am heutigen 22. September, wie geplant, stattgefunden. Dem Antrag des Anwalts, Viktor Anufriev, den Termin zu verlegen, weil er sich in Quarantäne befindet, wurde erneut nicht stattgegeben.
Am 22. September um 10 Uhr soll die Berufungsverhandlung im Verfahren gegen Jurij Dmitriev vor dem Obersten Gericht Kareliens stattfinden. Die jüngste Entwicklung lässt nichts Gutes erwarten.
Weiterlesen … Berufungsverfahren gegen Dmitriev - Verhalten des Gerichts lässt nichts Gutes ahnen
Der am 30. Juli in Belarus verhaftete Vitalij Shkliarov befindet sich nach Aussagen seines Anwalts nach einem Besuch bei ihm in einem gesundheitlich kritischen Zustand. Shkliarov hatte in der Vergangenheit in Russland Kandidaten der Opposition bei Wahlkämpfen beraten und engagiert sich auch in Belarus schon lange für freie und demokratische Wahlen.
Weiterlesen … Vitali Shkliarov in schlechtem gesundheitlichem Zustand
Wie nicht anders zu erwarten, ist die Überprüfung des Ausstellungsstands von Memorial International auf der Buchmesse in Moskau nicht ohne Folgen geblieben.
Am 10. September wurden wiederum zwei Verfahren eingeleitet, eines gegen Memorial und ein weiteres gegen Jan Raczynski als Vorsitzenden, weil Memorial mehrere Publikationen ohne die erforderliche Markierung der Organisation als „ausländischer Agent“ verbreitet habe.
Erklärung der Internationalen Gesellschaft Memorial
Am 7. September wurde Maria Kalesnikawa, die Führerin der belarussischen Protestbewegung, Mitglied des Koordinationsrats der Opposition, unsere Kollegin, Partnerin, Freundin – von „Unbekannten“ entführt. Wir haben keinerlei Zweifel daran, dass es sich dabei um Mitarbeiter der Machtstrukturen der Republik Belarus handelte.
Memorial International hat auch in diesem Jahr wieder einen Stand auf der Internationalen Buchmesse in Moskau, die vom 2. bis 6. September stattfindet.
Am 4. September hat die Staatsanwaltschaft den Stand auf Einhaltung der Bestimmungen des „Agentengesetzes“ überprüft.
Weiterlesen … Staatsanwaltschaft überprüft Stand von Memorial auf Moskauer Messe
Am 16. September wird das Oberste Gericht Kareliens das Revisionsverfahren im Prozess gegen Jurij Dmitriev verhandeln.
Jurij Dmitriev war am 22. Juli zu dreieinhalb Jahren Haft strengen Regimes verurteiltworden. Wäre dieses Urteil rechtskräftig geworden, wäre er im November dieses Jahres frei gekommen. Die Staatsanwaltschaft hatte 15 Jahre Haft gefordert, die Verteidigung dagegen für einen Freispruch plädiert.
Gegen das Urteil war von allen ParteienBerufung eingelegt worden – sowohl von Seiten der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin als auch von Dimitriev selbst, der auf einem vorbehaltlosen Freispruch vor allem auch in dem (einzigen) Anklagepunkt besteht, nach dem er schuldig gesprochen wurde.
Links zu weiteren Informationen zum Fall Dmitriev finden Sie hier.
1. September 2020
Am 15 August wurde Artyom Vazhenkov, Koordinator von „Otkrytaja Rossija“ (Offenes Russland), aus der Haft in Minsk entlassen, wo er mit seinen Kollegen die dortigen Wahlen hatte beobachten wollen. In einem bei Radio Svoboda veröffentlichten Interview berichtet er über die Zustände in der Haftanstalt, von Folter und Erniedrigungen. Wir bringen das Interview leicht gekürzt in Übersetzung.
War es nicht gefährlich den Polizisten zu sagen, dass ihr nach Belarus gekommen seid, um den Ablauf der Wahlen zu beobachten?
Während eines Besuchs in seiner Heimatstadt Homel in Belarus wurde Vitali Shkliarov im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen am 30. Juli 2020 festgenommen und sitzt seither ohne Angabe von Gründen in Haft. Shkliarov hatte in der Vergangenheit in Russland bereits Kandidaten der Opposition bei Wahlkämpfen beraten und engagiert sich ebenfalls in Belarus schon jahrelang für freie und demokratische Wahlen. Seine Beschwerde über eine unrechtmäßige Verhaftung wurde abgelehnt. Über seinen Anwalt übermittelte er nun eine Erklärung, Kontakte zur Außenwelt werden Shkliarov verwehrt. Wir bringen diese Erklärung leicht gekürzt in Übersetzung.