Am ersten Septemberwochenende trafen sich die TeilnehmerInnen aus Deutschland des Projekts „Vergangener Konflikte gedenken, die Zukunft denken – Geschichte gemeinsam schreiben“ in Berlin, um sich auf die Sommerschule in Georgien vorzubereiten. Wir beschäftigten uns mit wissenschaftlichen Theorien der Erinnerung und wagten mit Prof. Rainer Goldt einen Blick in die deutsche Geschichte – wie betrachten und bewerten wir historische Ereignisse? Wer erinnert sich wie an welche Geschehnisse? Wir besuchten die Gedenkstätte Hohenschönhausen und wurden von einem ehemaligen Gefangenen durch das frühere Gefängnis geführt, der uns seine Geschichte auf persönliche Weise erzählte.
Dann reisten wir gedanklich in den Ural nach Perm. Anke Giesen, Vorstandsmitglied von Memorial Deutschland, berichtete über die Geschichte und die derzeitige Situation des ehemaligen Lagers Perm36. In Sergei Loznitsas Film „Blokada“ beschäftigten wir uns mit einem Ereignis, das in Russland eine der traumatischsten Tragödien des Zweiten Weltkriegs darstellt, in deutschen Schulen häufig jedoch vergeblich auf dem Lehrplan gesucht wird. Am letzten Tag bereiteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Präsentation vor, in der sie zwei Ereignisse - die Machtübernahme Hitlers 1933 und den Kniefall Willy Brandts 1970 - analysieren und die Sichtweisen, die in Deutschland darüber vorherrsch(t)en, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Belarus, Russland und der Ukraine darlegen.
Wir freuen uns sehr auf den zweiten Teil des Projekts: die gemeinsame Sommerschule in Georgien mit unseren Partnern aus der Ukraine, Russland und Belarus.
Das Projekt wird vom Auswärtigen Amt gefördert.
#CivilSocietyCooperation
16. September 2018
Neue Veröffentlichung von MEMORIAL Deutschland analysiert Identitäten von Kindern deportierter Russlanddeutscher in Deutschland
Der Kollaboration mit Hitlerdeutschland bezichtigt wurden die Nachkommen der seit dem 18. Jahrhundert in Russland siedelnden Deutschen auf Anweisung Stalins nach Sibirien und Mittelasien deportiert. Die überlebten, bauten sich in Nachbarschaft zu anderen deportierten Minderheiten und angestammter Bevölkerung eine neue Existenz auf. Ihre Kinder wurden in der Verbannung heimisch, wuchsen jedoch in einer Gesellschaft auf, die ihnen die Schuld an den Opfern des so genannten Großen Vaterländischen Krieges übertrug, ihnen die Zugehörigkeit zur Familie des sowjetischen Vielvölkerstaats latent absprach und sie in vielen Lebensbereichen gegenüber der übrigen Bevölkerung benachteiligte.
Wie reagierte die nachgeborene Generation auf diese Umstände? Wo sah sie sich beheimatet? Wie setzte sie sich mit ihrer Identität als Deutsche in der Sowjetunion, in deren Nachfolgestaaten und nach der Repatriierung in Deutschland auseinander?
Diesen Fragen geht eine neue Forschungsarbeit von MEMORIAL Deutschland nach, die die Folgen der Deportation auf die nachfolgende Generation untersucht hat. Die Soziologin Dr. Marit Cremer erhob dafür biographisch-narrative Interviews mit in Deutschland lebenden Russlanddeutschen und analysierte sie wissenschaftlich.
Die Ergebnisse der Forschungsarbeit liegen nun als Broschüre vor, die über info@memorial.de gegen eine Schutzgebühr in Höhe von 5 EUR bestellt werden kann. Sie stehen außerdem als pdf zum Herunterladen kostenlos zur Verfügung: https://www.memorial.de/joomla/images/Broschuere_Russlanddeutsche.pdf
Das Projekt wurde vom Auswärtigen Amt Deutschland im Rahmen des Programms Östliche Partnerschaft und Russland gefördert.
Pressekontakt:
MEMORIAL Deutschland e. V.
Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Str. 4 | D-10405 Berlin
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Weiterlesen … „Ich wollte unbedingt, dass es meine Heimat ist!“
Über tausend Verhaftungen in ganz Russland
Am 9. September 2018 kam es in ganz Russland zu zahlreichen Demonstrationen gegen die Anhebung des Rentenalters. Alexej Navalny hatte anlässlich der Gouverneurswahlen im Land sowie der Bürgermeisterwahlen in Moskau am 9. September zu Protestaktionen aufgerufen – er selbst wurde am 27. August in Gewahrsam genommen und zu einer 30-tägigen Gefängnisstrafe verurteilt. Bereits einige Tage vor dem 9. September hatte es in 18 Städten 48 Verhaftungen in Zusammenhang mit den geplanten Aktionen gegeben. Die Demonstrationen waren lediglich in 12 Städten genehmigt worden, 59 Städte hatten ihre Genehmigung verweigert. In St. Petersburg, wo die Polizei mit großer Brutalität vorging, kam es bis zum Abend des 9. September zu 603 Festnahmen, darunter Minderjährige, Kinder, Rentner und Journalisten. In Ekaterinenburg wurden mehr als 183 Personen verhaftet, in Krasnodar 60, in Omsk und Moskau jeweils 43. Zu den ersten Verhandlungen kam es ebenfalls bereits am 9. September: Die im Vorfeld Verhafteten erhielten Haftstrafen zwischen einem und dreißig Tagen oder Geldstrafen wegen wiederholten Verstoßes gegen das Versammlungsrecht bzw. der Organisation nicht-genehmigter Veranstaltungen.
Einige dutzend Festgenommene verbrachten die Nacht auf der Polizeistation. Allen Festgenommenen drohen Geldstrafen oder bis zu 30 Tagen Haft.
Eine Liste der Festgenommenen finden Sie bei Ovdinfo.
12. September 2018
Weiterlesen … Proteste gegen die Rentenreform am 9. September 2018
Hinweis
Zur Geschichte und Gegenwart von Perm-36 finden Sie bei Dekoder hier den neuesten Artikel von Anke Giesen
7. September 2018
„Die Verantwortung für das Schicksal von Memorial liegt bei Ihnen.“
Die Vorsitzenden der Partei Jabloko haben sich mit einem Appell an den Vorsitzenden des Menschenrechtsrats beim Russischen Präsidenten, Michail Fedotov, gewandt, alle nur möglichen Maßnahmen zu ergreifen, damit die Arbeit von Memorial gewährleistet bleibt. „Die Verhaftungen von Ojub Titiev und Jurij Dmitriev, die Überfälle auf die Büros von Memorial in Dagestan und Inguschetien sowie die Zwangsräumung eines Memorial-Büros in St. Petersburg zeugen von einer zielgerichteten Hetzjagd gegen die Menschenrechtsorganisation“, so Jabloko in dem Brief an Michail Fedotov, den neben Grigorij Javlinskij auch Emilija Slabunova und Valerij Borschtschev unterschrieben haben.
In der vergangenen Woche hatte die Stadtverwaltung von St. Petersburg Memorial aufgefordert, das Gebäude, das die Aktivisten seit mehr als 20 Jahren von der Stadt gemietet haben, innerhalb von drei Monaten zu verlassen. Eine Erklärung für diese Entscheidung wurde nicht gegeben – Memorial hatte die Vertragsbedingungen stets erfüllt und wurde von der Petersburger Stadtregierung jährlich in die Gruppe derjenigen Organisationen aufgenommen, die ein Recht auf staatliche Unterstützung haben.
Jabloko unterstreicht in dem Appell, dass ein derartiger Umgang Teil einer breiten staatlichen Politik des maximalen Drucks auf die Gemeinschaft der Menschenrechtler in Russland sei. Und weiter: „Wir sind davon überzeugt, dass die Gesetze, die die Arbeit der Aktivisten künstlich einschränken und ständige Hindernisse für die tägliche Arbeit schaffen, die Entstehung einer Atmosphäre der Abgeschlossenheit, der Aggression und der beständigen Suche nach Feinden innerhalb und außerhalb des Landes fördern. Da Sie [Michail Fedotov] dem Menschenrechtsrat beim Russischen Präsidenten vorstehen, liegt die ganze Verantwortung für das Schicksal von Memorial bei Ihnen.“
30. August 2018
Weiterlesen … Jabloko appelliert an den Menschenrechtsrat beim Russischen Präsidenten
Pläne, Ausgrabungen auf dem Territorium der Gedenkstätte in Sandarmoch (Karelien) vorzunehmen, um dort angeblich vorhandene Massengräber sowjetischer Kriegsgefangener aufzufinden, die in finnischen Gefangenenlagern gesessen und erschossen wurden, irritieren und stoßen auf massive Bedenken.
Sandarmoch war eine der bekanntesten Hinrichtungsstätten während der Großen Säuberung; an den Ausgrabungen dort und der Aufklärung der Hintergründe hatte der (jetzt auf Grund einer verleumderischen Anklage inhaftierte) karelische Historiker Jurij Dmitriev maßgeblichen Anteil.
Im Sommer 2016 (einige Monate vor Dmitrievs Verhaftung) hatten die Historiker der Universität von Petrosavodsk Jurij Kilin und Sergej Verigin die Vermutung in die Welt gesetzt, dass sich am selben Ort (in Sandarmoch) auch Massengräber erschossener oder in der Haft verstorbener sowjetischer Kriegsgefangener aus finnischen Lagern befinden könnten. Es liege nahe, so Verigin, dass die Finnen die vorhandene Infrastruktur während der Besatzung genutzt hätten – also die dort befindlichen sowjetischen Gefangenenlager. Ihre Grabstätten könnten demnach auch in Sandarmoch zu finden sein.
Irina Takala, Historikerin und Mitgründerin von Memorial Karelien, hält diese These für unbegründet. Anhand der Archiv-Dokumente, auf die ihre Kollegen verweisen, kommt sie zum gegenteiligen Schluss – sie widerlegten eher die Aussage von „Tausenden in den Lagern Gequälter [sowjetischer Kriegsgefangener]“ als umgekehrt. Von Grabstätten sei dort keine Rede. Wenn die Finnen, so Takala, im Krieg das Massengrab von Sandarmoch (dass dort Opfer des sowjetischen Terrors liegen, bestreiten auch die genannten Historiker nicht) tatsächlich entdeckt hätten, hätten sie dies außerdem zweifellos als Propagandainstrument gegen die Sowjetunion genutzt.
In diesen Tagen will die „Gesellschaft für Militärgeschichte“ (deren Vorsitz der russische Minister für Kultur Medinskij innehat) mit Ausgrabungen in Sandarmoch beginnen. Die Partei „Jabloko“ hat sich an verschiedene Behörden gewandt mit der Bitte, bei dieser Expedition darauf zu achten, dass die Gesetze zum Schutz von Objekten des kulturellen Erbes auf dem Territorium der Gedenkstätte Sandarmoch eingehalten werden. Angehörige der in Sandarmoch während des Großen Terrors erschossenen Personen haben sich an den russischen Kulturminister, die karelische Regierung und weitere Instanzen gewandt mit dem Appell, auf die Ausgrabungen zu verzichten. Es lägen keinerlei Dokumente vor, die Anlass gäben, gerade auf diesem Gebiet nach Massengräbern sowjetischer Kriegsgefangener zu suchen. Die Grabstätte dort und die Gedenkstätte dürften nicht versehrt und die Totenruhe nicht verletzt werden: „Diese Erde soll auch weiter unberührt bleiben. Wir sind dagegen, dass neue Ausgrabungen vorgenommen werden, für die es keinerlei dokumentarisch erhärteten und wissenschaftlich bewiesenen Gründegibt.“
25. August 2018
In der Zwischenzeit haben weitere Verhandlungstage im Prozess gegen Titiev stattgefunden (9. August, 15. August, 17. August). Anwesend waren neben Mitarbeitern vom Memorial auch Vertreter von Human Rights Watch, Amnesty International, ein Vertreter der Norwegischen Helsinki Gruppe sowie ausländische Diplomaten. Befragt wurden an diesem Tagen Polizeimitarbeiter, die unmittelbar an der zweiten Festnahme Titievs beteiligt waren bzw. Diensthabende der Polizeistation am entsprechenden Tag, ebenso ein Experte des kriminalistischen Zentrums, der nach dem „Auffinden“ des Drogenpäckchens hinzugezogen worden war.
Die Befragten behaupteten einhellig, wie die Zeugen zuvor auch, weder Fahrzeuge noch Mitarbeiter in Uniformen mit der Aufschrift GBR gesehen zu haben.
Titievs erste Festnahme (er war zweimal festgenommen worden) war von Personen in Uniformen mit eben dieser Aufschrift vorgenommen worden, bei dieser Gelegenheit war ihm auch das ihm zur Last gelegte Drogenpäckchen untergeschoben worden. Danach war er nach seiner Aussage auf die Polizeistation gebracht, bedroht und zu einer Selbstbezichtigung gedrängt worden, was er verweigert hatte.
Bezüglich weiterer Punkte gehen die Aussagen der befragten Polizisten auseinander, werden nicht erinnert oder nicht beantwortet. Die Verhandlung wird nach dem 27. August fortgesetzt.
21. August 2018
Anna Pavlikova und Marija Dubovik aus der Untersuchungshaft in den Hausarrest entlassen
Die beiden im Rahmen des Verfahrens gegen die Gruppierung „Novoe Velitschie“ (Neue Größe) verhafteten jungen Frauen Anna Pavlikova und Marija Dubovik sind aus der Untersuchungshaft in den Hausarrest entlassen worden. Pavlikova war bei ihrer Verhaftung Mitte März erst 17 Jahre alt. Am Vorabend der Entlassung, dem 15. August, hatte in Moskau der „Marsch der Mütter“ zur Unterstützung von Pavlikova und Dubovik stattgefunden. Hunderte von Unterstützern waren bei dieser nicht-genehmigten Aktion bis zum Gebäude des Obersten Gerichts gelaufen und hatten Stofftiere an den Eingang gelegt. Die Polizei griff nicht ein. Eine Petition zur Befreiung der Mädchen hatten etwa 170 000 Menschen unterschrieben. Ljudmila Alekseeva, Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe, und Lev Ponomarev, Bewegung Für Menschenrechte, hatten für Anna Pavlikova gebürgt, die Menschenrechtsbeauftragte der RF Tatjana Moskalkova sowie der Vorsitzende beim Menschenrechtsrat des Russischen Präsidenten Michael Fedotov mit Hinweis auf die schlechte Gesundheit der Frauen zur Entlassung aus der Untersuchungshaft aufgerufen. Die Mütter von Pavlikova und Dubovik hatten sich an Präsident Putin gewandt und gefordert, das Verfahren einzustellen und den Rechtsorganen vorgeworfen, politisch interessierte junge Menschen zu manipulieren. Am Ende beantragten sogar die Ermittler mit Blick auf den Gesundheitszustand vor allem von Pavlikova eine Entlassung aus dem Untersuchungsgefängnis und die Überführung in den Hausarrest, noch am 9. August hatten sich Gericht und Anklage geweigert, einem Antrag auf Entlassung stattzugeben.
Den Mitgliedern der Gruppe, von denen am 16. März 2018 zehn verhaftet worden waren, wird die Gründung einer extremistischen Gruppierung vorgeworfen (Art. 282.1 StGB RF). Ein Teil von ihnen wurde in Untersuchungshaft genommen, ein anderer unter Hausarrest gestellt. Nach den Worten der Anwälte stützt sich die Anklage vor allem auf die Worte eines Mannes, der sich im Auftrag des FSB in die Gruppe einschleuste. Nach Aussagen der Angeklagten hatte der Mann den Aktivisten angeboten, ihren oppositionellen Chat in eine politische Bewegung umzuwandeln, ein politisches Programm geschrieben und einen Ort für konstituierende Versammlungen angemietet. Ein weiteres Mitglied der Gruppe, der ein im Internet kursierendes Geständnis abgelegt, hat dieses mittlerweile widerrufen, weil es durch Folter zustande gekommen sein soll.
Der Hausarrest gilt zunächst bis 13. September und bedeutet keine Einstellung des Verfahrens. Vier weitere Angeklagte im Verfahren „Novoe Velitschie“ befinden sich noch in Haft, einer von ihnen hat die Öffentlichkeit in einem Brief um Hilfe gebeten. Allen Angeklagten droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren.
21. August 2018
Die Mutter Oleg Sentsovs Ljudmila Sentsova hat inzwischen vom Kreml die Benachrichtigung erhalten, dass ihr am 13. Juli eingereichtes Gnadengesuch für ihren Sohn abgelehnt wurde. Begründet wurde dies damit, dass ihr Sohn selbst ein entsprechendes Gesuch an den Präsidenten richten müsste.
Wie der Anwalt Nikolaj Polosov betonte, der selbst ukrainische Gefangene vertreten hatte, sind in früheren Fällen Freilassungen keineswegs auf Grund von Begnadigungsgesuchen der Häftlinge selbst erfolgt, sondern nach Verhandlung auf höchster Ebene. Gnadengesuche hatten auf einen Wink der Behörden zum Teil völlig außenstehende Personen eingereicht. Nach Polosovs Worten „lügt man im Kreml wieder einmal hinsichtlich einer Begnadigung Sentsovs“.
Angesichts des für den kommenden Samstag geplanten Treffens von Präsident Putin mit Kanzlerin Angela Merkel hat MEMORIAL Deutschland einen dringenden Appell an die Kanzlerin gerichtet, sich für die umgehende Freilassung von Oleg Sentsov einzusetzen, da nicht mehr viel Zeit bleibe.
15. August 2018
Französische Kulturschaffende fordern Sentsovs Freilassung
Vor einigen Tagen sorgte eine Falschmeldung über eine angebliche Freilassung Sentsovs und seinen Abtransport aus dem Lager für Aufregung, die aber nach einigen Stunden von der Haftanstalt dementiert wurde. Am heutigen 14. August wurde der russischen Menschenrechtlerin und Journalistin Soja Svetova – auf Bitten des Menschenrechtsrats beim Präsidenten - die Erlaubnis eingeräumt, ihn für etwa zwei Stunden zu besuchen. Soja Svetova war jahrelang Mitglied in einer der „Öffentlichen Beobachtungskommissionen“, die die Zustände in Haftanstalten inspizieren.
Oleg Sentsov befindet sich genau drei Monate im Hungerstreik, mit dem er die Freilassung der in Russland inhaftierten ukrainischen politischen Gefangenen erreichen will – zumindest jedenfalls, dass ein Gefangenenaustausch in Gang kommt. In seinem Gespräch mit Soja Svetova bezeichnete er seinen Zustand als „noch nicht kritisch, vorkritisch“. Die Nährstoffe, die er erhält, können nach ärztlicher Auskunft sein Leben nicht retten, zumal er darauf achte, eine bestimmte, sehr geringe Dosis nicht zu überschreiten. Nach Aussage des ihn versorgenden Gefängnisarztes könnten seine inneren Organe jederzeit versagen, daher wäre es gut, den Hungerstreik zu beenden. Sentsov beabsichtigt jedoch nicht, dies zu tun.
Der Anwalt Dmitrij Dinse hatte in einem Interview erklärt, Sentsov könnte jederzeit sterben, zumal in der Haftanstalt jegliche medizinische Ausrüstung – etwa für Wiederbelebungsmaßnahmen – fehle.
Von der in der Strafkolonie herrschenden Willkür zeugen die jüngsten Berichte von Sentsovs Cousine Natalja Kaplan und Soja Svetova, denen zufolge Sentsov wochenlang keinerlei Post ausgehändigt wurde weil angeblich der Zensor in Urlaub war. Unmittelbar vor Svetovas Besuch erhielt er plötzlich alle Briefe, und Soja Svetova erfuhr, dass es ja zwei Zensoren gebe. Darüber hinaus waren zuvor ihre Versuche, mit Sentsov in telefonischen Kontakt zu treten, mit der Begründung abgelehnt worden, Sentsov wünsche keinen Kontakt. In Wirklichkeit hatte Sentsov von diesen Versuchen gar nichts erfahren und einen entsprechenden Wunsch keineswegs geäußert.
Inzwischen haben erneut zahlreiche Persönlichkeiten – darunter die französische Kulturministerin Françoise Nyssen und die Filmregisseure Jean-Luc Godard, Ken Loach und David Cronenberg – Sentsovs Freilassung gefordert: „Da sich sein Gesundheitszustand offenbar von Tag zu Tag verschlechtert, muss gehandelt werden. Und zwar schnell.“
14. August 2018
Weiterlesen … Russische Menschenrechtlerin besucht Oleg Sentsov
Am 08.08.2018 sollte am Tverskoj-Bezirksgericht in Moskau die Verhandlung stattfinden im Fall Svetlana Gannuschkina, Leiterin der Flüchtlingshilfsorganisation Grashdanskoe Sodejstvie, und Oleg Orlov, Leiter des Programms Gorjatschije Totschki im Menschenrechtszentrum Memorial, Beide hatten sich am ersten Tag der Gerichtsverhandlung gegen Ojub Titiev mit Plakaten zu dessen Verteidigung an der Kremlmauer postiert. Die Mahnwache hatte nicht länger als zehn Minuten gedauert.
Gannuschkina und Orlov wurden auf die Polizeiwache gebracht, wo man ein Protokoll wegen Verletzung des festgelegten Verfahrens für die Organisation oder Durchführung einer Versammlung, Kundgebung, Demonstration, Prozession oder Streikposten (Artikel 20.2, Abschn. 5) aufnahm. Die Verhandlung im Fall von Svetlana Gannuschkina wurde auf den 1. Oktober verschoben, da die Verteidigung die Verfahrensunterlagen noch nicht durchsehen konnte. Die Anhörung Oleg Orlovs ist für den 13. September festgesetzt. Den Menschenrechtlern droht eine Strafe zwischen 10 000 und 20 000 Rubeln oder bis zu 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit.
11. August 2018
Weiterlesen … Gerichtsverhandlung gegen Svetlana Gannuschkina und Oleg Orlov auf Herbst verschoben
Der Anwalt Oleg Sentsovs, Dmitrij Dinse, hat seinen Mandanten am 7. August in Labytnangi besucht. Seinem Bericht zufolge hat sich dessen Gesundheitszustand drastisch verschlechtert. Er leide an Anämie (infolge eines Mangels an Hämoglobin), äußerst schwachem Puls und Herzproblemen. Außerdem belaste ihn die derzeitige exteme Hitze in Labytnangi.
Sentsov lehnt eine Verlegung ins Krankenhaus ab, da sich der Leiter der dortigen Reanimations-Abteilung sich ihm gegenüber aggressiv verhalte und ihm eher schaden werde. Außerdem ist er inzwischen nicht mehr in transportfähigem Zustand. Eine Verbringung ins Krankenhaus schätzt auch der Anwalt als lebensbedrohlich ein.
Sentsov erklärte in einem Brief, dass ihm Ärzte nicht helfen könnten, er sei nicht krank, sondern im Hungerstreik, und er werde den Hungerstreik auch nicht abbrechen.
7. August 2018
Auszug aus einer Erklärung vom Menschenrechtszentrum Memorial
In den letzten Jahren findet in Russland eine Verfolgungskampagne der Zeugen Jehovas statt, die mittlerweile einen großangelegten Charakter angenommen hat, nachdem das Oberste Gericht der Russischen Föderation am 20. April 2017 das Verwaltungszentrum der Zeugen Jehovas in Russland zur extremistischen Organisation erklärt hatte. Die Kampagne verschärfte sich nochmals im April 2018, nachdem in verschiedenen Regionen Durchsuchungen durchgeführt und Beschlagnahmungen vorgenommen wurden, von denen Dutzende Gläubige betroffen waren; viele Angehörige der Glaubensgemeinschaft wurden strafrechtlich verfolgt und in Haft genommen. So gut wie alle wurden wegen Verstoßes gegen den Artikel 282 des StGB RF (Extremismusparagraph) angeklagt, ihnen drohen zwischen fünf bis zehn Jahren Haft.
Wir merken an, dass sich gegen die Verfolgung einer ganzen konfessionellen Gemeinschaft die Vertreter der Europäischen Union innerhalb der OSZE, die parlamentarische Versammlung des Europarates sowie russische und ausländische Menschenrechtsaktivisten ausgesprochen haben. Das Menschenrechtszentrum Memorial schließt sich der Kritik bedingungslos an. Wir fordern, die Verfolgung aller Zeugen Jehovas aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft sofort zu beenden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind uns 39 Verfolgte bekannt, von denen sich nicht weniger als 23 in Haft und 6 unter Hausarrest befinden. Darüber hinaus sind wir über 10 Zeugen Jehovas informiert, bei denen Prohibitivmaßnahmen zur Anwendung kamen, die nicht mit Freiheitsentzug verbunden sind. Diese Liste ist höchstwahrscheinlich nicht vollständig und wird ergänzt werden. Eine ständig aktualisierte Liste aller aufgrund ihres Glaubens verfolgten Zeugen Jehovas ist hier einsehbar.
Das Menschenrechtszentrum Memorial erklärt alle inhaftierten oder unter Hausarrest stehenden Zeugen Jehovas zu politischen Gefangenen und ruft zu ihrer sofortigen Freilassung auf. Weiter fordern wir die Einstellung der strafrechtlichen Verfolgung derjenigen Gläubigen, die anderen Prohibitivmaßnahmen ausgesetzt sind.
Die Anerkennung on Personen als politische Gefangene durch Memorial bedeutet keine Übereinstimmung oder Billigung mit deren Ansichten, Äußerungen und Handlungen.
3. August 2018
Inzwischen haben zwei weitere Verhandlungstage im Prozess gegen Ojub Titiev stattgefunden (am 26. Juli und 1. August), die ähnlich verliefen wie der erste Tag. Ausgesagt haben weitere Polizeimitarbeiter, die Titiev nicht kennen, die nicht an seiner Festnahme (bzw. beiden Festnahmen) beteiligt waren und keinerlei Aussage zum Sachverhalt machen konnten. In ihrem regionalen Polizeirevier ist keiner von ihnen Mitarbeitern in einer Uniform mit der Aufschrift GBR begegnet, keiner hat Fahrzeuge mit dieser Aufschrift gesehen. Titievs erste Festnahme hatten Personen in grünen Tarnuniformen mit dieser Aufschrift durchgeführt.
Detaillierte Aufzeichnungen über den Verlauf des dritten Verhandlungstages finden Sie hier; eine genaue Beschreibung von Titievs Festnahmen am 9. Januar hier.
Die nächste Verhandlung wurde für den 8. August anberaumt.
3. August 2018
Bischof Grigorij Michnow-Wajtenko, der für die orthodoxe Kirche Gefangene betreut, die in russischen Strafvollzugsanstalten einsitzen, ist der Besuch von Oleg Sentsov verweigert worden. Häftlinge sind gesetzlich berechtigt, Besuche von Geistlichen zu erhalten. Bischof Grigorij hatte sich zu diesem Zweck nach Salechard in die Ortschaft Charp begeben, wo sich das Lager befindet.
Der Leiter der Strafanstalt sei ihm sehr freundlich begegnet, bis er erfahren habe, wen er aufsuchen wolle. „Appelle an Gesetz, Vernunft, Gewissen und Barmherzigkeit“ seien erfolglos gewesen. Mit der Bemerkung „Ich sehe keinen Sinn darin, dass Sie Oleg Sentsov treffen“ wurde der Geistliche abgefertigt und umgehend herauskomplimentiert. Eine Reaktion auf seine Beschwerden gegen die Besuchsverweigerung, die einen eindeutigen Gesetzesverstoß darstellt, sei nicht erfolgt. Der Leiter des Menschenrechtsrats beim Präsidenten Michail Fedotov wurde über den Vorfall informiert.
Am 4. August wurde dann einem Geistlichen aus der Stadt Labytnangi erlaubt, Sentsov zu besuchen.
Vertretern von Amnesty International war der Zugang zu Sentsov ohne Angabe von Gründen verweigert worden. Angesichts des seit dem 14. Mai andauernden Hungerstreiks von Sentsov wollten ein Amnesty-Vertreter gemeinsam mit einem unabhängigen medizinischen Gutachter sich ein Bild von seinem Gesundheitszustand machen. Der stellvertretende Leiter des Vollzugsdienstes Valerij Balan betonte in seinem Schreiben an Amnesty, der Gesundheitszustand Sentsovs sei stabil.
3./4. August 2018
Am 19. Juli hat der Prozess gegen Ojub Titiev begonnen. Nach Verlesung der Anklageschrift (Titiev wird Drogenmissbrauch zur Last gelegt) wurden die ersten der fast 70 von der Anklage benannten Zeugen vernommen. Es ging um den Tag und die Umstände der Festnahmen Titievs (er wurde am 9. Januar zweimal festgenommen). Allerdings konnte keiner der Zeugen Aussagen zu den Ereignissen dieses Tages machen, sie gaben fast immer an, sich nicht erinnern zu können.
Wie Galina Tarasova vom Menschenrechtszentrums Memorial betonte, waren „die heute als Zeugen der Anklage vernommenen Personen de facto keine Zeugen“.
Sie waren am Tag von Titievs Festnahme ihrer Arbeit nachgegangen, hatten jedoch von der Festnahme nichts mitbekommen. Ein Teil von ihnen arbeitet ohnehin in der Polizeiabteilung von Jalcha-Mochk, das ist 20 Kilometer vom Ort der Festnahme entfernt: „Ebenso hätte man Polizisten aus Kamtschatka als Zeugen der Anklage befragen können.“ Dieses Vorgehen bringe in das Strafverfahren das Element einer Show für die Öffentlichkeit hinein, um den Eindruck zu erwecken, dass es viele Zeugenaussagen gegen Titiev gebe. „In Wirklichkeit konnten diese Personen weder bei der Untersuchung noch jetzt vor Gericht etwas zur Klärung des Sachverhalts beitragen.“
Der nächste Verhandlungstermin ist für den 26. Juli vorgesehen.
22. Juli 2018
Die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, hat den Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation in einem offenen Brief aufgefordert, die Rechte Ojub Titievs zu schützen. In ihrem Schreiben ruft sie u.a. dazu auf, an der Freilassung Titievs mitzuwirken und die Verhandlung an einen anderen Ort außerhalb Tschetscheniens zu verlegen, da Titiev dort nicht mit einem fairen Verfahren rechnen könne. Erst am 15. Juli hatte ein tschetschenischer Fernsehsender eine hetzerische Sendung über Ojub Titiev und weitere Memorial-Mitglieder ausgestrahlt, in der von einem „Informationskrieg der Aktivisten gegen Tschetschenien“ die Rede war. Mijatović bezieht sich in ihrer Argumentation auf eine Rechtsexpertise, die der Menschenrechtsrat beim russischen Präsidenten im vergangenen Monat veröffentlicht hatte und in der das Fazit einer fabrizierten Strafsache gezogen wird.
Der für den heutigen 18. Juli anberaumte Verhandlungstermin im Verfahren gegen Titiev wurde auf den 19. Juli vertagt, weil sein Anwalt Ilja Novikov heute nicht anwesend sein konnte.
18. Juli 2018
Jurij Dmitriev wurde nach Angaben seiner Tochter am 15. Juli aus Petrosavodsk in das Untersuchungsgefängnis Nr. 1 nach St. Petersburg gebracht, da eine erneute psychiatrische Untersuchung angeordnet wurde.
Dmitriev war am 27 Juni wegen angeblicher gewaltsamer sexueller Handlungen gegen Minderjährige unter 14 Jahren nach Art. 132, Abschn. 4b des russ. StGB verhaftet worden. Dieser Prozess läuft unabhängig von dem noch anhängigen Verfahren gegen Dmitriev, dessen Freispruch kürzlich kassiert und an das Stadtgericht zur Neuverhandlung zurückgewiesen wurde. In einem früheren psychiatrischen Gutachten im Rahmen des vorherigen Prozesses war Dmitriev psychische Gesundheit bescheinigt worden. Von der Verlegung seines Mandanten nach St. Petersburg erfuhr Dmitrievs Anwalt, Viktor Anufriev, während einer Verhandlung vor dem Obersten Gericht zur Anfechtung der Verhaftung von Dmitriev, als die zuständige Richterin die Nachricht verlas. Wer die Expertise durchführen soll, ist derzeit noch nicht bekannt.
17. Juli 2018
Weiterlesen … Jurij Dmitriev zur erneuten psychiatrischen Untersuchung nach St. Petersburg gebracht
Svetlana Gannuschkina und Oleg Orlov bei Kundgebung für Titiev festgenommen
In Tschetschenien hat das Stadtgericht von Schali die Haft Ojub Titievs, Leiter des Menschenrechtszentrums Memorial Groznyj, bis zum 22. Dezember verlängert. Zuvor hatte das Oberste Gericht der Republik Tschetschenien die Haft bereits zum 25. Juli verlängert. Nach Angaben von Titievs Anwalt, Petr Saikin, hatte das Oberste Gericht dazu kein Recht, daher verlängerte später das Stadtgericht die Haft erneut.
Zeitgleich wurden in Moskau auf dem Manegenplatz Svetlana Gannuschkina und Oleg Orlov, Vorstandsmitglieder von Memorial International, bei einer Kundgebung für Ojub Titiev festgenommen. Sie hielten Transparente mit der Aufschrift „Freiheit für Ojub Titiev“ in die Höhe. Gannuschkina und Orlov wurden auf die Polizeiwache gebracht. Dort wurde ein Protokoll wegen Verstoß gegen das Versammlungsrecht aufgenommen (§ 20.2. Ordnungsstrafrecht der RF, Verstoß gegen die Bestimmungen zu Organisation oder Durchführung einer Versammlung, Kundgebung, Demonstration, eines Marsches oder einer Einzelmahnwache), worauf beide wieder auf freien Fuß gesetzt wurden mit der Auflage am 8. August vor Gericht zu erscheinen. Beide haben mit einer Ordnungsstrafe zu rechnen.
Wie wir bereits berichteten, wurde Titiev am 9. Januar 2018 verhaftet, weil angeblich bei einer Kontrolle seines Wagens ein Paket mit Marihuana gefunden worden sei. Am 10. Januar wurde er gemäß § 228.2 StGB RF (Erwerb und Besitz von Drogen in großem Umfang) angeklagt. Ojub Titiev bekennt sich nicht schuldig. Seine Kollegen sind überzeugt, dass das Verfahren vollständig fabriziert ist und die Beweise untergeschoben sind.
10. Juli 2018
Weiterlesen … Ojub Titievs Haft um ein halbes Jahr verlängert
Am 14. Juni hat das Europäische Parlament eine Resolution mit der Forderung nach Freilassung von Oleg Sentsov und weiteren politischen Gefangenen in Russland verabschiedet. Gegenstimmen kamen von rechten Parteien (AfD, Lega Nord u. a.) sowie von linken (Podemos, Die Linke u. a.).
Die Stellungnahme des Europa-Abgeordneten Helmut Scholz (Die Linke) legt nahe, dass dieses Abstimmungsverhalten keine grundsätzliche Ablehnung der Forderung nach Freilassung der Gefangenen bedeutet. Daher appelliert MEMORIAL Deutschland an die Europa-Abgeordneten der LINKEN, sich dem Appell neun weiterer Abgeordneter linker Parteien (aus Spanien, Italien, Griechenland und Frankreich) anzuschließen, die in einem Schreiben an den Vertreter Russlands bei der EU ausdrücklich die Freilassung von Sentsov und Koltschenko gefordert haben.
Nachfolgend der Aufruf von MEMORIAL Deutschland an die Europa-Abgeordneten der LINKEN
Sehr geehrte Europa-Abgeordnete der LINKEN,
am 14. Juni hat das Europäische Parlament eine Resolution mit der Forderung nach Freilassung von Oleg Sentsov und weiteren politischen Gefangenen in Russland verabschiedet.
Die Abgeordneten der linken Parteien, darunter auch die der LINKEN, haben dieser Resolution ihre Zustimmung verweigert.
Helmut Scholz hat in einer Erklärung zu diesem Abstimmungsverhalten erläutert, dass die LINKE die Resolution vor allem deshalb nicht mittragen wollte, weil sie Punkte enthielt, die "weit über den Rahmen einer Behandlung akuter Fälle der Verletzung von Menschenrechten hinausgingen“. Zudem fordere das EP mit der grundsätzlichen Ablehnung einer Zwangsernährung Sentsovs „damit im Kern und einer möglichen Zwangsfolge, ihn sterben zu lassen.“
Daraus geht jedoch hervor, dass die LINKE die Forderung nach Freilassung Sentsovs, Koltchenkos und weiterer politischer Gefangener als solche nicht ablehnt. Inzwischen haben neun weitere Abgeordnete linker Parteien, die ebenfalls gegen die Resolution gestimmt hatten, in einem Schreiben an den Ständigen Vertreter Russlands bei der EU Valentin Chizhov ausdrücklich die Freilassung von Sentsov und Koltschenko gefordert.
MEMORIAL International hat Oleg Sentsov und Oleksandr Koltchenko als politische Gefangene anerkannt. MEMORIAL Deutschland appelliert hiermit an Sie, sich diesen Abgeordneten anzuschließen und sich auch Ihrerseits mit einem Appell für die Freilassung Oleg Sentsovs und Oleksandr Koltschenkos an den Vertreter der Russischen Föderation zu wenden.
Mit freundlichen Grüßen
Der Vorstand von MEMORIAL Deutschland
5. Juli 2018
Das Stadtgericht von Petrozavodsk hat heute entschieden, dass Jurij Dmitriev zunächst für zwei Monate in Haft bleibt.
Anlässlich seiner gestrigen Festnahme hat seine Begleiterin erklärt, er habe keineswegs vorgehabt, sich nach Polen abzusetzen.
Allerdings wurde ein neues Verfahren gegen ihn eingeleitet wegen angeblicher gewaltsamer sexueller Handlungen gegen Minderjährige unter 14 Jahren nach Art. 132, Abschn. 4 b des russ. StGB, der eine Haftstrafe von zwölf bis zwanzig Jahren vorsieht. Die Anklage wurde Dmitriev noch nicht vorgelegt. Dieser neue Prozess läuft unabhängig von dem noch anhängigen Verfahren, dessen Urteil kürzlich kassiert und das zur Neuverhandlung ans Stadtgericht zurückverwiesen wurde.
„Es liegt auf der Hand, dass es sich um eine rein politische Verfolgung handelt.“, so Oleg Orlov vom Menschenrechtszentrum Memorial. Nachdem sie mit dem ersten Verfahren gescheitert war, wolle die Staatsanwaltschaft nicht nachgeben: „Jetzt machen sie gute Miene zum bösen Spiel, angeblich sind neue Fakten aufgetaucht, und sie leiten ein neues Verfahren ein. Es ist völlig klar, dass sie einfach nicht aufhören können, obwohl sich die vorige Anklage in Luft aufgelöst hat und unverständlich ist, worauf sich eine neue Anklage gründen sollte.“ Auch die zweite Anklage werde sich ebenso als unhaltbar erweisen wie die erste.
28. Juni 2018