In den letzten Monaten hatten Titiev und andere Memorial-Mitarbeiter in Tschetschenien an der Aufklärung der Verhaftung, des anschließenden Verschwindens und der vermutlichen Erschießung von 27 Bewohnern der Republik gearbeitet. Tschetschenische Regierungsmitglieder hatten sich mehrfach negativ über die Menschenrechtler geäußert. So hatte Magomed Daudov, Parlamentsvorsitzender der Republik Tschetschenien, im Dezember 2017 die Aufnahme Kadyrovs auf die Magnitzky-Liste und die Sperrung seiner Accounts in sozialen Netzwerken mit der Tätigkeit der Menschenrechtler in Zusammenhang gebracht und öffentlich zu ihrer Verfolgung aufgerufen. Nach der Verhaftung Titievs und dem Brandanschlag auf das Büro von Memorial in Nasran im Januar 2017 zeigte der staatliche Fernsehsender TschGTRK Grosny Kadyrov auf einer Sitzung mit Vertretern des Innenministeriums. Dort bezeichnete Kadyrov die Aktivisten als Verräter und Volksfeinde, bei einem Interview mit dem Daily Storm behauptete er, Titiev würde Marihuana rauchen, seinen Sohn nannte er einen Drogenabhängigen. Im Fernsehen wurde Titiev zudem als Vertreter der „Fünften Kolonne“ bezeichnet.
Der Anwalt Titievs, Petr Zaikin, wird demonstrativ beschattet.
Das Verhalten der Polizisten lässt auf Manipulation schließen: Die erste Durchsuchung, bei der die Drogen in Titievs Auto „gefunden“ wurden, ging ohne Zeugen vor sich, in der Erwartung, dass Titiev seine Schuld auf der Polizeiwache gestehen werde. Als er sich weigerte und ein gesetzmäßiges Vorgehen forderte, brachte man ihn und sein Auto von der Polizeiwache weg und führte eine zweite, offizielle Durchsuchung, dieses Mal mit Zeugen, durch. Diese Version Titievs wird von einem Zeugen indirekt bestätigt. Nachdem Titievs Hände auf Spuren untersucht worden waren, führte man ihn noch vor dem Versiegeln der Proben aus dem Büro. Als man ihn zurückbrachte, waren die Umschläge bereits verschlossen. Es bleibt also unklar, welche Proben in dem Verfahren Verwendung finden. Titiev wurde im Verlauf des Verhörs mehrfach nahegelegt, sich selbst zu bezichtigen.
Das oben Aufgezählte erlaubt, von groben Verfahrensverstößen zu sprechen, die alle im Verlauf dieser ungesetzlichen Handlungen erlangten Beweise inakzeptabel machen. Alarmierend ist auch, dass buchstäblich 24 Stunden nach der Verhaftung die Untersuchung mit in solchen Fällen unüblicher Geschwindigkeit und ungewöhnlichem Einsatz – an dem Verfahren arbeiteten drei Untersuchungsrichter – durchgeführt wurde. Die Verteidigung erhielt keinen Auftrag, auf deren Grundlage sie das Verfahren umgehend begleiten konnte. Bei der Prüfung der Verfahrensunterlagen entstand bei der Verteidigung der Eindruck, dass diese bereits im Vorfeld angefertigt worden waren.
Diese Umstände gestatten die Annahme, dass die Verhaftung Titievs das Ziel verfolgt, seinen Aktivitäten als Menschenrechtler ein Ende zu setzen. Dabei kam es zu Verletzungen des Rechts auf ein faires Verfahren sowie weiterer Rechte, die durch die Verfassung der Russischen Föderation, des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantiert sind. Zudem beruht die Verhaftung offenbar auf manipulierten Beweisen eines angeblichen Verbrechens, das nicht stattgefunden hat.
18. Februar 2018
Weiterlesen … Memorial erklärt Ojub Titiev zum politischen Gefangenen
„Das Europäische Parlament fordert die sofortige Freilassung des Leiters des Menschenrechtszentrums Memorial in der Republik Tschetschenien, Ojub Titijev, der am 9. Januar 2018 verhaftet, danach offiziell angeklagt und aufgrund einer falschen Anschuldigung wegen illegalen Erwerbs und Besitzes von Drogen inhaftiert wurde,“ heißt es in einer Resolution der Abgeordneten.
Im Dokument wird betont, dass das Europäische Parlament „die russischen Behörden nachdrücklich auffordert, die vollständige Achtung der Menschenrechte und gesetzlichen Rechte des Herrn Titiev sicherzustellen, ihm Zugang zu einem Anwalt und zu medizinischer Hilfe zu gewähren und seine körperliche Unversehrtheit und Würde sowie den Schutz vor Strafverfolgung, vor Kriminalisierung und willkürlicher Festnahme zu garantieren.“
Die Abgeordneten fordern die Behörden auf, die Angriffe auf die Meinungsfreiheit in Tschetschenien zu beenden und dringend „unabhängige, objektive und sorgfältige Untersuchungen der bedauerlichen Vorgänge in Tschetschenien durchzuführen.“
Zur Erinnerung: Titiev wird des Drogenbesitzes beschuldigt. Er selbst weist die Beschuldigungen zurück und besteht darauf, dass ihm das Paket mit Marihuana untergeschoben wurde. Memorial erklärt das Verfahren gegen Titiev für manipuliert.
10. Februar 2018
Weiterlesen … Das Europäische Parlament fordert die Freilassung Ojub Titievs
Am 28. Januar wurde der Menschenrechtler Dinar Idrisov in Petersburg Opfer eines brutalen Angriffs. Idrisov schilderte OVD-Info den Vorgang im Einzelnen.
Um halb zwei kam ich auf den Platz der Proletarischen Diktatur, wo sich schon Menschen zum „Wählerstreik“ versammelt hatten. Ich war dabei, einen live-Stream bei facebook zu schalten. Ich drehte mich eine Zeitlang im Kreis und fing an, die Polizeiautos zu filmen. Als sich die Menge in Bewegung setzte, ging ich in ein Haus an der Kreuzung Tverskaja-/Odessa-Straße, um dort von oben zu filmen. Ich betrat den Hauseingang mit einer Frau, stieg in die oberen Stockwerke, um zu fragen, ob ich aus einer der Wohnungen filmen könnte. Niemand öffnete und ich ging wieder nach unten. Im Erdgeschoss sah ich drei Männer, die sich unterhielten. Vor mir verließ die Frau den Hauseingang und ging an den Männern vorbei.
Vielleicht hätte ich in diesem Moment schon aufmerksam werden müssen, aber ich wollte genauso an ihnen vorbeilaufen, aber in diesem Moment traten sie mir in die Beine. Ich fiel auf die Knie und bekam sofort einen Schlag auf die Schläfe. Sie stürzten sich auf mich und verprügelten mich. Sie nahmen mir meine Handys ab – ich hatte zwei, mit einem hatte ich gestreamt – und begannen demonstrativ, sie zu zertreten. Mit der Kamera, die ich an einem Mikrostativ an der Brust befestigt hatte, machten sie dasselbe. Alles ging ohne Worte vor sich. Danach begannen sie systematisch meinen Kopf zu traktieren, vor allem mit Fußtritten. Ich versuchte, mich mit dem Arm zu schützen – und sie brachen ihn mir.
Plötzlich wurden die Schläge durch Schritte unterbrochen, es kamen Leute die Treppe herunter. Die drei Männer liefen sofort nach draußen und ließen mich im Hauseingang zurück. Die Hausbewohner nahmen mich mit zu sich, ich erinnere mich nicht, wie ich zu ihnen geriet, scheinbar war ich nicht ganz bei Bewusstsein.
In der Wohnung wusch ich mich und dann klingelte es an der Tür. Ich denke, dass diese Leute mich suchten und die Stockwerke abliefen. Daraus schließe ich, dass das keine bezahlten Provokateure waren, sondern eher Geheimdienstleute. Sie hatten professionell zugeschlagen, der erste Schlag hätte durchaus letal ausgehen können.
Die Bewohner reagierten nicht auf das Klingeln und machten nicht auf. Dann ging einer von ihnen hinaus, und nachdem er sich überzeugt hatte, dass die Gefahr vorbei war, brachte er mich durch eine Hintertür nach draußen. Ich rief keine Polizei und fuhr selbst zur Unfallstation und von dort ins Krankenhaus, wo ich jetzt bin – in der Kiefer- und Gesichtschirurgie. Ich habe eine Fraktur des linken Wangenknochens, außerdem wurde eine Netzhautverletzung vermutet, doch es stellte sich heraus, dass das Auge heil geblieben ist. Rechts habe ich ein Hämatom in der Schläfenregion, ein Schädel-Hirn-Trauma, eine Gehirnerschütterung und einen Armbruch, der eine schwierige Operation erfordert, außerdem Prellungen des Thorax und im Bereich von Lendenwirbelsäule und Kreuzbein – sitzen, aufstehen und liegen ist schmerzhaft. Die Rippen und inneren Organe sind unversehrt. Man kann sagen, ich habe Glück gehabt.
In der letzten Zeit gab es keinerlei Drohungen an meine Adresse. NODler [Mitglieder der Nationalen Befreiungsbewegung NOD] schreiben mir manchmal, aber das zähle ich nicht. Ich weiß nicht, womit dieser Überfall zusammenhängen könnte, mit der gestrigen Kundgebung, mit meinem aktuellen Engagement in Menschenrechtsfragen oder mit einem Post bei facebook zur Verfolgung von Antifaschisten und den Methoden des FSB. Durch meinen Stream konnte man leicht herausfinden, wo ich war. Bis zu diesem Zeitpunkt bin ich noch nie beschattet worden.
Ich werde natürlich versuchen, diese Sache weiter zu verfolgen, aber mit großer Wahrscheinlichkeit wird die Untersuchung irgendwo ins Stocken geraten.
Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker
4. Februar 2018
Weiterlesen … Überfall auf Menschenrechtler in St. Petersburg
Der Tod Arsenij Roginskijs bedeutet für MEMORIAL einen unschätzbaren Verlust. Er war nicht nur der Vorstandsvorsitzende von MEMORIAL International, sondern auch die anerkannte und unbestrittene Leitfigur. Er ist unersetzlich - Persönlichkeiten dieser Kapazität sind gibt es nicht allzu oft.
Natürlich wird die Arbeit ohne ihn wesentlich schwerer. Aber sie geht natürlich weiter. Gerade Arsenij Roginskij ist es zu verdanken, dass MEMORIAL nicht zu einer Organisation geworden ist, die auf eine einzige Führungskraft zugeschnitten wäre. Unsere gesamte Tätigkeit wie auch unsere einzelnen Projekte beruhen nach wie vor auf Eigenständigkeit und persönlicher Verantwortung. Die Resultate unserer Arbeit werden der Öffentlichkeit von einer Reihe ganz verschiedener Personen vorgestellt; viele von ihnen sind im In- und Ausland gut bekannt.
Auf der nächsten Vorstandssitzung soll ein neuer Vorsitzender gewählt werden. Es wird neue Projekte geben, und für diese Projekte, ihre Diskussion und Durchführung kommt der jungen Generation von „Memorialern“ eine immer größere Bedeutung zu.
In den letzten Jahren ist die Arbeit von MEMORIAL schwerer geworden. Der Druck von Seiten der Staatsmacht hat sich zusehends verschärft. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Kürzlich wurde der MEMORIAL-Verband von Krasnodar als „ausländischer Agent“ registriert, weil er internationale wissenschaftliche Tagungen durchgeführt hatte, das Verfahren gegen Jurij Dmitriev in Petrosavodsk, eine weitere verleumderische Fernsehsendung bei NTV Mitte Januar, fortgesetzte Repressalien gegen das Menschenrechtszentrum – Anfang des Jahres wurde der Leiter unserer Vertretung in Grosnyj auf Grund einer gefälschten Beschuldigung verhaftet, danach wurden ein Brandanschlag auf unsere Vertretung in Inguschetien und auf ein weiterer auf ein Auto von MEMORIAL in Dagestan verübt.
Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – stoßen immer mehr junge Gleichgesinnte zu uns, die neue Gesichtspunkte und neue Ideen bringen. Eine der wichtigsten Aufgaben der letzten Jahre – unsere Anhängerschaft zu konsolidieren und zu erweitern – wird somit erfolgreich gelöst, sie bleibt jedoch auch in den kommenden Jahren aktuell.
Jetzt gilt es das Erbe Arsenij Roginskijs zu bewahren, nicht zuletzt auch seine Arbeiten zu veröffentlichen, die er nicht mehr abschließen oder für die Publikation vorbereiten konnte. Das lag weitgehend auch daran, dass er unter den derzeitigen schwierigen Umständen der Erhaltung und Weiterentwicklung von MEMORIAL so viel Zeit gewidmet hat.
Wir sind uns dessen bewusst, dass sich viele um das Schicksal von MEMORIAL Sorgen machen, und möchten unseren Freunden sagen: Die Arbeit, der Arsenij Roginskij so viel gegeben hat, wird fortgeführt. Wir wissen Eure Unterstützung zu schätzen und zählen auch in Zukunft darauf.
Der Vorstand von MEMORIAL International
Moskau, 1. Februar 2018
Am 27. Januar wurde Jurij Dmitriev, der Vorsitzende von Memorial Karelien, am frühen Morgen nach über einem Jahr aus der Untersuchungshaft in Petrosavodsk entlassen. Er muss vorläufig an seinem Wohnort bleiben, da sein Verfahren noch nicht abgeschlossen ist.
Im Dezember hatte das Gericht seine Freilassung für den 28. Januar (einen Sonntag) angeordnet.
Die beiden Gutachten, die beim Serbskij-Institut in Moskau in Auftrag gegeben wurden, liegen noch nicht vor. Sobald dies der Fall ist, soll der nächste Verhandlungstermin anberaumt werden.
Ein unmittelbar nach Dmitrievs Freilassung aufgezeichnetes Interview (in russischer Sprache) finden Sie hier.
27. Januar 2018
Weiterlesen … Jurij Dmitriev aus Untersuchungshaft entlassen
Erklärung zum Verfahren gegen Ojub Titiev
Am 9. Januar wurde Ojub Titiev, der Leiter des Menschenrechtszentrums Memorial in Tschetschenien, festgenommen. Man wirft ihm vor, Drogen aufbewahrt zu haben. Die Anschuldigung wurde auf denkbar einfache Weise fabriziert: Die angeblich in seinem Auto gefundenen Drogen haben die Ermittlungsorgane selbst dort platziert. Das ist ein alter, primitiver und nicht sehr erfindungsreicher Trick.
Ist Titievs Verhaftung eine Initiative der tschetschenischen Behörden oder haben die lokalen Polizisten einen entsprechenden Wink aus Moskau bekommen?
Die Kräfte, die Memorial mit allen Mitteln kompromittieren wollen, gehen vielleicht davon aus, dass die öffentliche Meinung ohnehin längst an die totale Rechtlosigkeit in Tschetschenien gewöhnt ist und Titievs Verhaftung in jedem Fall darauf zurückführen wird.
Soll man die nächste „Enthüllungs“-Reportage bei NTW abwarten, in der der Memorial-Mitarbeiter als Drogenkonsument oder gar Drogendealer dargestellt wird – ähnlich wie man den Leiter von Memorial Karelien Jurij Dmitriev als Pädophilen verleumdet und ihm Kinderpornographie unterstellt hat? Das Verfahren gegen Dmitriev hält vor Gericht nicht stand – vielleicht will jemand dafür Rache nehmen wollen und eine weiteres betrügerisches Verfahren in die Wege leiten, diesmal gegen Titiev?
Wir wissen auf diese Fragen noch keine Antwort, dafür ist uns aber etwas anderes klar: Diesmal wurde die Provokation in Tschetschenien organisiert, d. h. auf einem Territorium, wo es schon lange keinerlei Gesetz und keinerlei Gerechtigkeit mehr gibt. Ojub Titiev ist also in größter Gefahr.
Das einzige, was wir in dieser Situation tun können, ist, an die russische und internationale Öffentlichkeit zu appellieren, das Verfahren gegen Titiev ebenso aufmerksam zu verfolgen und so eindeutig und engagiert zu reagieren, wie bereits im Falle Dmitriev. Es gilt zu erreichen, dass das russische Innenministerium die Ermittlungen gegen Titiev übernimmt. Nach mehrmaligen diffamierenden und drohenden Ausfällen des tschetschenischen Regierungschefs Kadyrov gegen Menschenrechtler ist in Grosnyj kein faires Verfahren zu erwarten. Die Unterlagen zu Titievs Anzeige gegen Polizisten müssen ebenfalls der nächsthöheren Instanz übermittelt werden.
Eine breite öffentliche Kampagne hat im Fall Dmitriev bisher ein widerrechtliches Urteil auf Grund eines Pseudo-Gutachtens verhindert. Grosnyj ist nicht Petrosavodsk, hier sind die Verhältnisse weit schlimmer. Aber es geht um das Leben eines aufrichtigen und mutigen Menschen. Es wird nicht einfach sein, hier Erfolg zu haben, aber wir dürfen hier nicht untätig bleiben.
24. Januar 2018
Weiterlesen … Appell von MEMORIAL International an die russische und internationale Öffentlichkeit
Am 22. Januar abends wurde in Machatschkala (Dagestan) ein Fahrzeug des Menschenrechtszentrums Memorial in Brand gesteckt. Der Fahrer hatte das Auto in der Nähe seiner Wohnung geparkt. Ein Nachbar rief ihn gegen 22 Uhr an und teilte ihm mit, dass das Auto brenne. Die Feuerwehr kam schnell, so dass nur der vordere Teil des Fahrzeugs beschädigt wurde.
Am folgenden Morgen erhielt das Memorial-Büro in Machatschkala zunächst eine SMS und unmittelbar (von derselben Nummer aus) einen Anruf mit der Ankündigung, man werde das nächste Mal das Büro mitsamt seinen Mitarbeitern in Brand setzen. In der letzten Woche war bereits ein Brandanschlag auf das Memorial-Büro in Nasran verübt worden.
Oleg Orlov sagte zu dem Anschlag auf das Fahrzeug: „Das ist ganz offensichtlich ein weiterer Akt zur Abschreckung.“ Die fingierte Anklage gegen den Leiter des Büros in Grosnyj wegen angeblichen Drogenbesitzes, weitere verdächtige Gegenstände, die im Büro Grosnyj vorgeblich „gefunden“ und tatsächlich untergeschoben wurden, der Brand in Nasran und jetzt des Autos stünden in einer Reihe: „Gegen Memorial läuft eine Kampagne der Einschüchterung und Abschreckung – das ist Terror.“ Die Hintermänner der Anschläge in Nasran sowie in Machatschkala vermutet Orlov in Tschetschenien.
23. Januar 2018
Weiterlesen … Terroranschläge und Morddrohungen gegen MEMORIAL im Kaukasus
Die Videokamera hat aufgezeichnet, dass um 3.35 ein Auto anhielt, aus dem zwei maskierte Personen ausstiegen. Sie trugen einen Kanister. Auf einer Leiter kletterten sie zum Fenster des 1. Stockwerks, wo Memorial seinen Sitz hat. Dabei versuchten sie, die Videokamera zu zerstören. Danach verschwanden sie aus dem Blickfeld der Kamera. Offenbar haben sie das Fenster eingeschlagen und sind ins Gebäude eingedrungen, haben den Kanister entleert und dann Feuer gelegt. Das Aufzeichnungsgerät hat auch die Flucht festgehalten – die Unbekannten kletterten über dieselbe Leiter zurück mit dem leeren Kanister in Händen.
Drei Räume von insgesamt sechs wurden stark beschädigt. Die Feuerwehr war schnell zur Stelle und konnte eine weitere Ausbreitung des Feuers verhindern. Verbrannt sind sowohl Dokumente als auch technische Ausrüstung.
Die Memorial-Vertretung in Inguschetien widmet sich ausschließich Menschenrechtsproblemen in Inguschetien, sie hat nichts mit Tschetschenien zu tun. Dennoch liegt für Memorial der Zusammenhang mit jenen Kräften, die die Arbeit des Menschenrechtszentrums Memorial in Tschetschenien unmöglich machen und die Organisation aus dem gesamten Nordkaukasus verdrängen wollen, auf der Hand: „Obwohl unsere Arbeit in Inguschetien nichts mit Tschetschenien zu tun hat, sehen wir einen Zusammenhang zwischen diesem Überfall und dem fabrizierten Strafverfahren gegen Ojub Titiev und der Verdrängung von Memorial aus Tschetschenien“, so Oleg Orlov gegenüber der Novaja gazeta.
17. Januar 2018
Den Artikel unseres Vorstandsmitglieds Anke Giesen zum Umgang mit GULag und Repressionen im Rahmen der russischen Geschichtspolitik in der Zeitschrift "Religion und Gesellschaft in Ost und West (RGOW)" Nr. 12, 2017 finden Sie hier.
Weiterlesen … Zur Gründung des sowjetischen Geheimdienstes vor hundert Jahren
Ein Nachruf folgt später.
18. Dezember 2017
Der Kongress war thematisch sehr breit gefächert. Natalia Taubina, Direktorin von „Public Verdict“ berichtete über Folterungen von Häftlingen durch Organe des Innenministeriums (MWD), Svetlana Gannuschkina, Leiterin der Flüchtlingsorganisation „Bürgerunterstützung“ über die Rechtlosigkeit von Flüchtlingen und Migranten, Sergej Krivenko, Leiter der Menschenrechtsorganisation „Bürger und Armee“ über schwerwiegende Probleme von Wehrpflichtigen und Soldaten.
Der Menschenrechtler Valerij Borschtschev analysierte die Lage der ONK, der gesellschaftlichen  Beobachtungskommissionen, die die Einhaltung der Menschenrechte in Hafteinrichtungen kontrollieren sollen:
„Als wir das Gesetz (zu den ONK) vorbereiteten, dachten wir an eine Reihe von Zivilschutzgesetzen. Das sollte auch eine Überwachung von psychiatrischen Einrichtungen, von Behindertenheimen und der Armee umfassen. Aber leider gelang es nicht, diese Gesetze durchzusetzen. In dem von uns vorgeschlagenen Gesetzesprojekt sollten die Mitglieder der ONK vom Menschenrechtsbeauftragten der RF bestätigt werden. Aber dann entstand die Gesellschaftskammer, und diese Aufgabe wurde ihr zugewiesen, was ein großer Fehler war. [...] Die Zusammensetzung der vierten ONK im letzten Jahr bedeutete de facto die Einstellung der gesellschaftlichen Kontrolle. [...] Keiner der führenden Menschenrechtler war vertreten. Wir müssen feststellen, dass die Gesellschaftskammer beim Aufbau der ONK gescheitert ist.“
Der Vortrag von Oleg Orlov, Vorstandsmitglied im Menschenrechtszentrum Memorial, hatte Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien zum Thema. Als Beispiel führte er die prophylaktische Registrierung religiöser Extremisten und potentieller Terroristen im Kaukasus an: „Das ist das beste Geschenk, das man Terroristen machen kann, wenn Tausende von Menschen auf solchen Listen landen. Diese Menschen beginnen dann, sich zum Staat anders zu verhalten, und werden immer empfänglicher für Propagandisten und Terroristen, die ihnen sagen: ‚Im Rahmen dieses Staates kannst du deine Rechte nicht schützen.‘ Wir verstehen, dass der Kampf gegen den Terrorismus energische Maßnahmen erfordert. Der Staat hat die Pflicht, Gewalt anzuwenden, aber dies darf nur im Rahmen des Gesetzes geschehen“, betonte Orlov.
Im Ergebnis wurde zu den diskutierten Fragen eine Resolution mit konkreten Vorschlägen verabschiedet. Die Menschenrechtler fordern die Abschaffung der diskriminierenden Gesetze zur Registrierung von NGOs und Massenmedien als „Ausländische Agenten“ und des Gesetzes über „Unerwünschte Organisationen“. Außerdem fordern sie die sorgfältige Untersuchung von Attentaten auf Journalisten. Nicht nur die Ausführenden, sondern auch ihre Hintermänner und Anstifter seien zur Verantwortung zu ziehen. Außerdem müssten die Unabhängigkeit der Gerichte und Transparenz bei der Rechtsprechung garantiert sein.
Des weiteren riefen die Teilnehmer dazu auf, das Zentrum "E" [Zentrum für den Kampf gegen Extremismus; Anm. d. Übs.] in seiner jetzigen Form aufzulösen, da es dazu dient, ideologische Gegner der Staatsmacht zu verfolgen, anstatt einen wirklichen Kampf gegen Terrorismus und Extremismus zu führen.
Zusammenstellung und Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker
6. Dezember 2017
Weiterlesen … Kongress zum Schutz der Menschenrechte in Moskau
Weiterlesen … Aktualisierte Datenbank der "Opfer des politischen Terrors in der UdSSR"
Das Komitee zur Verhinderung von Folter hatte früher unter der Bezeichnung „Komitee gegen Folter“existiert. Vor zwei Jahren schon hatten sich die Menschenrechtler unter der geänderten Bezeichnung neu registriert, um sich nicht als „ausländischer Agent“ kennzeichnen zu müssen. Gegenwärtig wird das rückgängig gemacht, und die Nischni Nowgoroder Organisation firmiert wieder unter ihrem ursprünglichen Namen. Somit wurde die Strafe gegen eine Organisation verhängt, die sich - nach den Worten Kaljapins – schon seit zwei Monaten im Stadium der Liquidation befindet.
„Ich kann diese nekrophilen Neigungen des Justizministeriums nicht nachvollziehen“, teilte Igor Kaljapin einem Korrespondent von Radio Svoboda mit. „Sobald wir das Prozedere der Liquidation einer weiteren juristischen Person starten, erinnern sie sich plötzlich und beginnen beharrlich daran zu arbeiten, eine tote Organisation zu bestrafen. Offenbar erfüllt man so das Plansoll an Repressionen.“
Der Menschenrechtler bemüht sich, jene zu beruhigen, die sich um das Schicksal einer der heute bekanntesten Menschenrechtsorganisationen Russland Gedanken machen: „Keine Sorge, alles ist in Ordnung. Wir verschwinden nirgendwo hin. Seit dem 19. Juli 2017 arbeiten wir wieder als Komitee gegen Folter. Wir sind zu unserer ursprünglichen Bezeichnung zurückgekehrt. Wir sind keine ‚ausländischen Agenten‘, macht euch keine Sorgen“, resümiert Igor Kaljapin.
Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker
22. November 2017
Weiterlesen … Justizministerium verhängt Strafe gegen „Komitee zur Verhinderung von Folter“
Der fast 400 Seiten starke Band von MEMORIAL (herausgegeben von Aljona Kozlova, Irina Ostrovskaja, Irina Scherbakova und Nikolaj Michajlov) dokumentiert das Schicksal von Zwangsarbeitern, die im Krieg aus der Sowjetunion nach Deutschland verschleppt und dort zur Arbeit eingesetzt wurden. Er enthält u. a. Auszüge aus Interviews mit Betroffenen, Erinnerungen, faksimilierte Dokumente und präsentiert so ein „Mosaik der Erinnerung der ehemaligen ‚Ostarbeiter‘ aus den verschiedensten Quellen“, wie es im Vorwort heißt. Der Zeitraum bleibt nicht auf den erzwungenen Aufenthalt in Deutschland beschränkt, sondern bezieht die Vorgeschichte sowie das Schicksal der Zwangsarbeiter nach ihrer Befreiung und Rückkehr in die Sowjetunion mit ein.
 
Viele der Interviews,die dem Band zugrundeliegen und im Laufe etlicher Jahre aufgezeichnet wurden, wurden inzwischen digitalisiert und sind online
Die Auszeichnung kommt nicht zuletzt auch der Verbreitung der Publikation zugute, denn sie wird nun an alle wissenschaftlichen Bibliotheken in Russland versandt.
19. November 2017
Weiterlesen … Publikation von Memorial International über Zwangsarbeiter erhält Auszeichnung
Bacholdin wurde auf dem Weg zu seiner Mutter nach Russland im Grenzgebiet festgenommen. Nach eigenen Aussagen wurde er mit Handschellen an einen Heizkörper gebunden und auf Beine und Kopf geschlagen, man forderte von ihm ein Geständnis. Bacholdin verweigerte dies jedoch und lehnte eine Mitarbeit bei den Ermittlungen ab. Einziger momentaner Anklagepunkt ist die Mitgliedschaft im „Rechten Sektor“.
Die Untersuchungen wurden nachlässig geführt: Als Beginn des „Verbrechens“ setzte man den 24. Oktober fest (das ist der Tag, an dem Bacholdin die weißrussisch-ukrainische Grenze passierte), obwohl der „Rechte Sektor“ erst am 17. November 2014 durch das Oberste Gericht der RF verboten wurde.
Das Menschenrechtszentrum Memorial prüfte die Entscheidung des Obersten Gerichts zum Verbot des „Rechten Sektors“ und kommt zu dem Schluss, dass dessen Argumente keiner Kritik standhalten: Grundlage des Verbots sind Mutmaßungen und ungeprüfte Fakten einschließlich eines gefälschten Schreibens von Dmytro Jarosch an Doku Umarov, dessen Urheberschaft der „Rechte Sektor“ dementiert. Das Menschenrechtszentrum Memorial ist der Auffassung, dass ein Verbot, welches auf solche Weise zustande gekommen ist, einer Strafverfolgung nicht zugrunde liegen kann.
Das Menschenrechtszentrum Memorial vertritt die Ansicht, dass Denis Bacholdin ohne tatsächliche Rechtsverletzung die Freiheit entzogen wurdeund fordert seine Freilassung.
Die Anerkennung von Personen als politische Gefangene durch Memorial bedeutet keine Übereinstimmung oder Billigung mit deren Ansichten, Äußerungen und Handlungen.
Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker
17. November 2017
Weiterlesen … Memorial erkennt Denis Bacholdin als politischen Gefangenen an