Nachrichten

Jurij Dmitriev in Südkarelien festgenommen

Jurij Dmitriev wurde heute in Olonez (Südkarelien) festgenommen. Offenbar wird ihm unterstellt, gegen Auflagen verstoßen zu haben, nach denen er das Land nicht verlassen darf. Sollte das zutreffen, könnte er in Haft gehalten werden. Der für seine Hetzkampagnen gegen Memorial und andere unabhängige NGOs bekannte Sender NTV meldete auf seiner Seite, Dmitriev habe möglicherweise nach Polen ausreisen wollen, jedenfalls habe er einen Koffer mit Wäsche dabei gehabt, außerdem habe er seinen Hund in Verwahrung gegeben.

Dmitriev hatte sich mit einer Bekannten zu einem Friedhof in Vilga begeben, wo Freunde von ihm bestattet sind, und wollte danach ein Kloster aufsuchen. Da auf dem Friedhof Arbeiten anfielen, hatte er nach Auskunft seiner Tochter eine Tasche mit Wäsche (Oberkleidung) zum Wechseln dabei.

Seine Tochter bestreitet die Behauptungen von NTV. So befinde sich auch Dmitrievs Hund zu Hause und sei keineswegs weggeben worden.

Ob Dmitriev in Haft verbleiben wird, soll morgen ein Gericht entscheiden.

27. Juni 2018

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Vergangener Konflikte gedenken, die Zukunft denken – Geschichte gemeinsam schreiben

Sommerschule zur Geschichtsaufarbeitung und -interpretation in Kutaisi/Georgien, 14.-21. Oktober 2018

Die Interpretation der Vergangenheit beinhaltet großes Konfliktpotenzial. Deshalb ist es von großer Bedeutung, durch das Freilegen von gemeinsamen Werten, die als Basis für Interpretationen von Ereignissen in der Vergangenheit dienen, Geschichtswissen von der Einflusssphäre eines Konflikts zu lösen.

Memorial Deutschland e.V. veranstaltet in Zusammenarbeit mit Memorial Perm und der Staatlichen Universität Odessa ein Projekt für Studierende mit dem Ziel, Wissen über mögliche Wege und Mittel der Konfliktlösung zu verbreiten. Interessierte Studierende aus Deutschland, Belarus, Russland und der Ukraine sind eingeladen, daran mitzuwirken.

Der erste Projektabschnitt findet in den Ländern der TeilnehmerInnen statt und besteht aus Seminaren zu Problematiken in der Vergangenheitsbewältigung. Das Seminar für die Teilnehmenden aus Deutschland findet voraussichtlich Ende August 2018 in Mainz oder Berlin statt. Den zweiten Abschnitt (14.-21. Oktober 2018) stellt eine Sommerschule in Georgien dar, in der thematische Vorlesungen gehalten werden. Außerdem erarbeiten die Studierenden gemeinsam Geschichtslehrmaterialien, die in allen teilnehmenden Ländern genutzt werden könnten. Im dritten Abschnitt soll eine gemeinsame Internetseite mit den Projektergebnissen entstehen, die als Plattform für eine langfristige Zusammenarbeit und zum Austausch für die TeilnehmerInnen dienen soll. Außerdem sollen die Teilnehmenden die Ergebnisse der Sommerschule an ihren Universitäten präsentieren.

Hast du Interesse? Wir freuen uns auf deine Bewerbung!

Zu deinem Hintergrund:

Du solltest:

  • an einer deutschen Hochschule immatrikuliert sein.
  • Interesse an Erinnerungskultur, -politik und europäische Nachkriegsgeschichte haben. Erste Arbeitserfahrungen oder Forschungsarbeiten zu diesen Themen sind von Vorteil.
  • Du kommunizierst mühelos auf Englisch, denn die Sommerschule findet auf Englisch statt.

Zu den Bewerbungsunterlagen, -verlauf und -fristen:

  • Wir erwarten einen tabellarischen Lebenslauf und ein Motivationsschreiben auf Englisch (max. 2 Seiten).
  • Bitte schicke uns bis 15.07.2018 deine Unterlagen in einem pdf-Dokument an summerschool@memorial.de.
  • Aussichtsreiche KandidatInnen werden zu einem kurzen Skype-Interview in der letzten Juliwoche eingeladen.

Zu den Kosten:

  • Die Reise- und Verpflegungskosten an beiden Seminaren werden übernommen. Wir bitten die Teilnehmenden um einen Teilnahmebeitrag in Höhe von 180 €.

Bei Fragen wende dich an Daria Buteiko oder Christina Riek (Projektleiterinnen bei Memorial Deutschland e.V.) unter summerschool@memorial.de.

Das Projekt wird im Rahmen des Programms „Ausbau der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Russland“ des Auswärtigen Amts, sowie vom Memorialzentrum „Babij Jar“ (Kyiv) und der Stiftung „Nowaja Kollekzija“ (Perm) gefördert.

Alle Informationen auch hier auf einer PDF-Datei.

24. Juni 2018

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Am Vorabend der Fußballweltmeisterschaft in Russland – Memorial veröffentlicht aktualisierte Listen politischer Gefangener

Erklärung des Menschenrechtszentrums Memorial

Während in Russland die Fußballweltmeisterschaft 2018 begonnen hat und Fans aus aller Welt nach Russland kommen, um ihre Mannschaften zu unterstützen, sitzen in den russischen Gefängnissen Hunderte von politischen Gefangenen. Das sind nicht nur diejenigen, deren Schicksal die Weltöffentlichkeit bewegt, wie der ukrainische Regisseur Oleg Sentsov, der sich derzeit im Hungerstreik befindet und die Freilassung von allen ukrainischen politischen Gefangenen fordert, oder der bekannte tschetschenische Menschenrechtler und Leiter von Memorial Groznyj, Ojub Titiev, sondern auch viele andere zu Unrecht Verurteilte, von denen die Öffentlichkeit wissen muss.

Die Listen, die wir veröffentlichen, enthalten die Namen von 158 Menschen. 50 von ihnen sind in einer allgemeinen Liste politischer Gefangener aufgenommen, 108 befinden sich auf einer Liste Gefangener, denen die Freiheit im Zusammenhang mit ihrem Glaubensbekenntnis entzogen wurde [Link]. In die Listen sind nur diejenigen aufgenommen, zu deren Verfahren genügend Material gesammelt und geprüft werden konnte, um von einer politisch motivierten und rechtswidrigen Art der Strafverfolgung sprechen zu können. In den drei Monaten seit dem 1. März, als wir die letzten Listen veröffentlichten, ist die Zahl der politischen Gefangenen abermals um 15 Personen gestiegen.

Fußball ist ein Spiel nach fairen Regeln. Es ist unmöglich, fair zu spielen, dabei gleichzeitig die Menschenrechte nicht zur respektieren, Dissens zu bekämpfen und Unerwünschte hinter Gitter zu bringen. Genau deshalb ist es am Vorabend der Fußballweltmeisterschaft so wichtig, die Aufmerksamkeit auf die Situation der politischen Gefangenen in Russland zu lenken und mehr über ihre Schicksale zu berichten. Wir tun dies im Rahmen der Kampagne „FIFA: Spiel fair! Steh auf für die Vergessenen!“, die gemeinsam mit der Fraktion „Die Grünen / Europäische Freie Allianz“ im Europäischen Parlament ins Leben gerufen wurde.

17. Juni 2018

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Oberstes Gericht von Karelien annulliert Freispruch für Dmitriev

Das Oberste Gericht in Karelien hat den Revisionsanträgen gegen das am 5. April im Verfahren gegen Dmitriev verkündeten Urteil stattgegeben.

Das Stadtgericht von Petrozavodsk hatte Dmitriev vom Vorwurf der Pornographie freigesprochen. Dagegen hatten sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Großmutter vom Dmitrievs Pflegetochter Berufung eingelegt. Die Anklagevertretung hatte verlangt, zum Verfahren noch den Beauftragten für Kinderrechte sowie einen Psychologen hinzuzuziehen, der ein Gutachten über Dmitrievs Pflegetochter erstellen sollte.

Das karelische Oberste Gericht hob am 14. Juni das ergangene Urteil auf und verwies das Verfahren an das Stadtgericht von Petrozavodsk – in anderer Besetzung – zurück, da „neue Umstände“ bekannt geworden seien. Die ausführliche schriftliche Begründung des Gerichts liegt noch nicht vor.

15. Juni 2018

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25 Jahre gemeinsam

MEMORIAL International zum 25jährigen Bestehen von MEMORIAL Deutschland

Liebe Freunde und Mitstreiter!

Von ganzem Herzen gratulieren wir MEMORIAL Deutschland zum 25jährigen Jubiläum. Eigentlich müssen wir uns auch selbst dazu beglückwünschen, dass Ihr diese vergangenen 25 Jahre bei uns oder vielmehr mit uns wart.

In unserem Memorial-Netz war MEMORIAL Deutschland die erste Organisation außerhalb der ehemaligen UdSSR. Für uns war das seinerzeit ganz selbstverständlich, weil es nur in Deutschland ein so tiefes Verständnis und so viel Empathie für das Ziel gab, das sich die Gesellschaft Memorial gesetzt hatte – die Erinnerung an die Massenrepressionen des kommunistischen Regimes zu einer wesentlichen gesellschaftlichen Aufgabe zu machen. Ihr habt von Anfang an unsere zentrale Idee geteilt, dass der Einsatz für Menschenrechte, Freiheit und Demokratie eng mit dem Kampf für die historische Wahrheit zusammenhängt. In Deutschland, das die Erfahrung zweier Diktaturen hinter sich hat, war es dieser Gedanke, von dem sich die zivilgesellschaftlichen Aktivisten leiten ließen, als sie MEMORIAL Deutschland gründeten. Ebenso teilt Ihr die für uns essentielle Auffassung, dass man als Bürger zur Verantwortung für die Vergangenheit stehen muss. Diese Verantwortung mündete in konkrete Aufgaben – in die Unterstützung von Opfern politischer Verfolgungen, in Projekte, die wir in diesen Jahren durchgeführt haben, in unsere gemeinsamen Arbeiten – Ausstellungen, Internet-Seiten und vieles mehr, was wir gemeinsam organisiert haben. Schließlich bestimmt diese Verantwortung als Bürger auch unsere heutige Tätigkeit, um zu verhindern, dass sich die Fehler und Verbrechen der Vergangenheit wiederholen.

Wir haben in all diesen 25 Jahren stets Eure freundschaftliche Teilnahme und Hilfe empfunden, sowohl auf die Ferne als auch bei unseren Begegnungen wie in dem schönen Haus von Frau Cram, deren Gastfreundschaft für immer in unserem Gedächtnis bleiben wird.

In den letzten Jahren ist die Arbeit für Memorial in Russland deutlich schwerer geworden als sie vor 25 Jahren war. Wir stehen unter ständigem Druck von Seiten der Machthaber, und die Erinnerung an den politischen Terror, an die massenhaften Menschenrechtsverletzungen wird durch die staatliche Geschichtspolitik an den Rand des öffentlichen Bewusstseins gedrängt.

Umso wichtiger ist es für uns heute zu spüren, dass wir nicht allein sind, dass es unser Netz gibt, das Menschen verbindet, die sich mit den gleichen Aufgaben befassen und die uns helfen. MEMORIAL Deutschland gehört zu unseren wichtigsten Unterstützern. Wir brauchen Eure Hilfe und Eure Solidarität heute so dringend wie noch nie. Wir wünschen Euch und uns noch viele Jahre gemeinsamer fruchtbarer Arbeit!

MEMORIAL International (Moskau)

9. Juni 2018

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Geheimbefehl zur Vernichtung von Dokumenten alarmiert Historiker

Aufgrund eines geheimen Befehls vom 12. Februar 2014 werden in Russland offenbar Registrierungskarten vernichtet, die Auskunft über die Lagerhaft von Gefangenen enthalten.

Mit den Folgen dieses – bisher nicht bekannten, da geheimen – Befehls ("für den Dienstgebrauch") wurde der Historiker Sergej Prudovskij konfrontiert. Er erforscht das Schicksal der Mitarbeiter der Chinesischen Ost-Eisenbahn (der „Charbiner“), die nach 1935 Opfer der Säuberungen wurden. Als er in Magadan nach Informationen über einen Häftling recherchierte, wurde ihm von der zuständigen Informationsabteilung der regionalen Verwaltung des Innenministeriums mitgeteilt, die Karte für den betreffenden Häftling sei im September 2014 vernichtet worden, und zwar auf Grund eines Geheimbefehls vom 12. Februar 2014. Diese Karten seien nur so lange aufzubewahren, bis die jeweilige Person das 80. Lebensjahr vollendet habe. Der Befehl ist von etlichen Behörden und Ministerien unterzeichnet, darunter den Ministerien für Inneres, Justiz und Verteidigung, der Generalstaatsanwaltschaft und dem FSB.

Die Registrierungskarten enthalten neben den persönlichen Daten etliche Informationen über die Lagerhaft eines Gefangenen, ggf. seinen Transport in andere Lager, und über seine Entlassung.

Sergej Prudovskij: „Die Strafakten der Bürger werden im FSB oder Staatsarchiven aufbewahrt. Aber sie enden alle mit der Verurteilung und der Angabe des Strafmaßes – Erschießung oder Lager. (...) Die Information, wohin der zu einer Lagerhaft Verurteilte verschickt wurde, ob er überlebt hat, von einem Lager in ein anderes verbracht wurde, finden sich nur in den Registrierungskarten, die im MVD (Innenministerium) aufbewahrt werden. Und diese Informationen fallen nach der Vernichtung der Karte dem Vergessen anheim.“

Die Vernichtung dieser Archiv-Karte bedeutet, dass wir zu dem Schicksal eines Menschen überhaupt keinerlei Quelle mehr haben“, betont auch Elena Zhemkova (MEMORIAL). „Die Aufbewahrungsfristen von Lagerakten, wo alles festgehalten wurde, was mit einer Person im Lager geschah, waren befristet, die Akten wurden nicht ständig aufbewahrt. Viele wurden bereits in den 1950er Jahren vernichtet (...) Allerdings blieben im MVD die so genannten Archiv-Karten erhalten, die in knapper Form Angaben über das Schicksal einer Person im Lager enthielten. Wir konnten beim Archiv etwa die Auskunft erhalten, dass ein Mensch gestorben oder entlassen worden war und einfach nicht zu seiner Familie zurückgekehrt ist. Jetzt, wenn es diese Archiv-Karte nicht mehr gibt, kann darüber niemand mehr etwas erfahren. Und das ist natürlich eine Katastrophe.

Elena Zhemkova schließt nicht aus, dass der Befehl weniger auf böse Absicht denn auf Unwissenheit zurückzuführen ist, auf mangelndes Verständnis dafür, welche Bedeutung solchen archivierten Daten zukommt.

Inzwischen hat der stellvertretende Innenminister Igor Subov auf einer Sitzung der Arbeitsgruppe für die Erinnerung an die politischen Verfolgungen, auf der Elena Zhemkova das Thema zur Sprache brachte, die Vernichtung dementiert. Er betonte, die Karten würden für immer aufbewahrt. Wenn in Einzelfällen solche Karten fehlten, müsse das gesondert untersucht werden. Wieweit der Befehl in noch weiteren Regionen umgesetzt wurde, ist bisher allerdings nicht bekannt.

10. Juni 2018

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Solidaritätsbekundungen in 78 Städten zur Unterstützung von Oleg Sentsov. Verhaftungen von Aktivisten in Russland

Seit Anfang Juni haben in 78 Städten auf der ganzen Welt Solidaritätsaktionen zur Unterstützung Oleg Sentsovs, der sich seit 14. Mai im Hungerstreik befindet, stattgefunden. Die Teilnehmer verlangen Sentsovs Freilassung sowie die aller anderen politischen Häftlinge und fordern von ausländischen Regierungen, die Frage der politischen Häftlinge und Menschenrechte in Russland bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 zum Thema zu machen.

Die Leiterin des Zentrums für bürgerliche Freiheiten Oleksandra Matvejtschuk, eine der Organisatorinnen der Aktionen, berichtet von mehr als 600 Unterstützern bei der Vorbereitung.

Im Rahmen der Aktionen am 1. und 2. Juni kam es in Russland auch zu Verhaftungen. In St. Peterburg wurden zwei Teilnehmer von Einzelkundgebungen festgenommen. Gegen die Aktivisten wurde wegen Verletzung der Regeln zu öffentlichen Veranstaltungen Protokolle aufgenommen. In Moskau nahmen etwa 20 Personen an Mahnwachen teil, sechs weitere führten Mahnwachen am Puschkin Denkmal durch, eine Aktivistin, wurde mit einem Plakat „Oleg Sentsov. 14. Tag des Hungerstreiks“ verhaftet und auf die Polizeiwache im Bezirk Tverskoj gebracht. Sie befindet sich mittlerweile wieder auf freiem Fuß und wird angeklagt, eine ungenehmigte öffentliche Veranstaltung durchgeführt zu haben. Verhaftet wurde als Teilnehmer einer Mahnwache auch der Regisseur Michail Mestezkij, der kurze Zeit später ebenfalls wieder freigelassen wurde. Grundlage seiner Verhaftung: der Erlass des Präsidenten, der in Zusammenhang mit der Fußball-Weltmeisterschaft die Durchführung öffentlicher Veranstaltungen einschränkt. Mestezkijs Verhandlung ist für den 21. Juni angesetzt. In Nishni Novgorod wurde ein Demonstrant festgenommen und auf die Polizeiwache gebracht und nach einigen Stunden wieder entlassen, ohne dass ein Protokoll aufgenommen wurde. Er wurde verpflichtet, vor Gericht zu erscheinen.

Der ukrainische Regisseur Oleg Sentsov war 2015 in Rostov am Don zu 20 Jahren Haft verurteilt worden – für die Organisation einer terroristischen Vereinigung und die Vorbereitung von Terroranschlägen. Mit seinem Hungerstreik will Sentsov die Freilassung von 64 ukrainischen politischen Häftlingen erreichen; seine eigene Freilassung fordert er nicht.

Neben russischen Schauspielern, Regisseuren, Schriftstellern, Sportlern und Musikern haben sich auch europäische Kunstschaffende, Politiker und Bürger für die Freilassung Sentsovs eingesetzt. Auch die Botschaft der USA in der Ukraine rief zur Freilassung Oleg Sentsovs und anderer politischer Häftlinge auf, die OSZE richtete ein Schreiben desselben Inhalts an den russischen Außenminister, ebenso fordern die Europäische Filmakademie, die Parlamentarische Versammlung des Europarats sowie das Außenministerium der Vereinigten Staaten Sentsovs Freilassung.

8. Juni 2018

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Putins Nichtversteher - Oppositionelle in Russland

Radiofeature von Mario Bandi im Südwestfunk

Der Südwestfunk hat am 9. Mai ein Feature von Mario Bandi zum Andenken von Arsenij Roginskij ausgestrahlt, die hier nachgehört und heruntergeladen werden kann.

Sie geht auf die Proteste der letzten Jahre ein (6. Mai 2012 auf dem Bolotnaja-Platz in Moskau, am 7. Oktober 2017 in Jekaterinburg), außerdem auf das von Sergej Parkhomenko gemeinsam mit Memorial initiierte Projekt der „letzten Adresse“, auf Gedenken an Opfer der stalinistischen Säuberungen in Perm und Jekaterinburg (der Erschießungsstätte am „12. Kilometer“) und vieles mehr.

Das Manuskript zur Sendung (auch mit russischen Texten) finden Sie hier.

1. Juni 2018

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„Er ist nicht euer Zar?“

Augenzeugenberichte vom 5. Mai 2018

Am Vorabend der Inauguration Vladimir Putins kam es in Russland landesweit zu Protesten mit zahlreichen Verhaftungen und gewaltsamen Übergriffen gegen Demonstranten von Seiten der Polizei und der Behörden. Wir veröffentlichen Berichte von Augenzeugen in Übersetzung (mit leichten Kürzungen).

Dmitrij Svitnev, Demonstrant (Krasnodar)

Körperverletzungen: Ödeme am rechten und linken Oberschenkel, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen

Ich nahm an der Veranstaltung teil, weil ich sie in Übereinstimmung mit Artikel 31 der Verfassung nicht für ungesetzlich halte. Personen in OMON-Uniformen, Leute in Helmen und Ausrüstung begannen uns nach vorn zu stoßen, versuchten Leute festzunehmen und gewaltsam zum Transportwagen zu führen. Die Menschenmenge, die von OMON-Mitarbeitern nach vorne gestoßen wurde, drückte sich gegen mich, ich wurde herausgezogen und in einen Transportbus gesteckt. Während dieser Festnahme wurde ich am Ellenbogen und am Knöchel verletzt. Dann brachte man uns zu einer Abteilung des Innenministeriums, von dort aus fuhren sie mich in die Notaufnahme – da waren schon 4 Stunden vergangen – danach brachten sie mich zurück zur Polizeiwache und begannen, ein Protokoll aufzunehmen. Sie nahmen mir das Telefon ab, versuchten, es zu entsperren und stellten provozierende Fragen, wie: „Bist du etwa gegen die Staatsmacht?“ Während der Protokollaufnahme forderte man mich auf, in einer leeren Spalte zu unterschreiben. Als ich fragte wozu, gab es Schimpfworte an meine Adresse, sie versuchten mir das Ohr umzudrehen und auf den Fuß zu treten.

Dann führte man mich in eines der Dienstzimmer, dabei schubsten sie mich und setzen mich mit Gewalt auf eine Bank, begannen, mir mit der offenen Hand auf dem Kopf zu schlagen, wonach ich etwas die Orientierung verlor. Sie fragten mich aggressiv, begleitet von obszönem Vokabular im Stile: „Du glaubst wohl, du bist der Allerschlaueste? Warum unterschreibst du nicht?“ Das ist sehr frei zitiert. Als sie merkten, dass ich auf die Schläge nicht reagierte, begannen zwei Mitarbeiter ohne Uniform mich von der Bank zu ziehen und mich etwa 10 – 15 Mal auf die Oberschenkel zu treten.

Ich ließ es schweigend über mich ergehen, worauf sie sagten: „Und, singst du jetzt?“ Ich verstand, dass weiterer stillschweigender Widerstand böse und mit großem Risiko für mein Leben ausgehen könnte. Ich schrie laut vernehmlich, da hielten sie einen Moment inne und fragten: „Unterschreibst du jetzt?“ Ich sagte: „Ja“, und unterschrieb das Protokoll. Die Nacht verbrachte ich in einer Untersuchungszelle mit einigen anderen Festgenommenen. Als man uns am nächsten Tag zum Gericht fuhr, hatte ich schon großflächige Hämatome an beiden Beinen und fühlte, dass die Funktionalität der unteren Extremitäten gestört war, ich konnte kaum gehen, aufstehen und sitzen. Die Verletzungen hielten wir [Svitnev und sein Anwalt] schriftlich fest, nach der vom Gericht verhängten Ordnungshaft.

Artjom Radygin, Student (Moskau)

Körperverletzungen: Prellungen am Kopf in der linken parietalen Region

Gegen 16:50 Uhr saß ich auf einer Bank am Puschkin Platz. Da waren schon keine Proteste und keine Demonstranten mehr. Ich wartete auf einen Freund. Die Polizisten begannen jemanden zu jagen. In meinem Bericht schrieben sie, es seien dort 3000 Personen gewesen, aber als man mich festnahm, waren da keine 3000, es waren vielleicht 200. Ein OMON-Mitarbeiter kam auf mich zu und sagte barsch: „Was zum Teufel machst du es dir hier bequem?“ Ich stellte mein Telefon sofort auf Videoaufnahme. Ein zweiter kommt dazu, nimmt mich an den Armen und wirft mich von der Bank. Ich lande auf den Füßen und mache zwei Schritte nach vorn, von hinten kommen zwei, verdrehen mir die Arme und führen mich ab, dabei schlug man mich das erste Mal auf den Kopf. Auf dem Video ist alles zu sehen, ich sagte ihnen, dass ich allein laufe, ich wehrte mich nicht. Dann zerrten sie mich zum Transportwagen und sagten: „Leer die Taschen aus.“ Ich hole alles aus den Taschen und zeige es vor, da schlug man mich auf den Kopf. Ich bin allen Forderungen der Polizisten nachgekommen. Das Protokoll bekam ich erst heute. Ins Krankenhaus fuhr ich noch gestern, nachdem man mich aus der Polizeiwache entlassen hatte.

Daniil Markelov, Mitarbeiter des Navalny-Stabs (Krasnodar)

Die Leute liefen im Demonstrationszug, alles ging absolut friedlich vor sich. Dann bauten sich OMON-Mitarbeiter in voller Montur als lebendiger Schild vor uns auf: Schilde, Schlagstöcke, Helme. Sie waren sehr aggressiv gestimmt. Die Leute versuchten auf die andere Straßenseite zu gelangen. In diesem Moment begann die Bereitschaftspolizei in Gruppen von 5-7 Leuten einen nach dem anderen herauszugreifen, auch Frauen und Kinder. Uns attackierte eine Gruppe von 7-8 Leuten, sie stürzten sich auf uns und warfen uns auf den Boden. Vor mir sah ich jemanden, der mich am Bein festhielt. Ich versuchte, ihn am Kopf zu halten, weil ich sah, wie man ihn auf den Kopf schlug. Ich fühlte, wie sie mir die ganze rechte Seite verprügelten, es tat sehr weh. Blaue Flecken hatte ich keine, dafür eine leichte Abschürfung. Ich habe Angst um meine inneren Organe, es schmerzt in der Nierengegend.

Erst heute habe ich angefangen, wieder zu laufen, es ist sehr schmerzhaft. Die Leute, die mich festgenommen haben, haben mich beinahe erstickt. Ich bat sie, einen Rettungswagen zu rufen, sie ignorierten das. Im Polizeiwagen hielten sie mich am Arm fest und drückten mir auf die schmerzenden Stellen. Begleitet wurde das durch einen entsprechenden Text in obszöner Sprache und heuchlerischem Ton: Ich sei ein Niemand. Als wir auf der Polizei ankamen, sagte ich dem Diensthabenden sofort, dass ich einen Arzt bräuchte. Er wollte wissen, ob ich chronisch krank sei und ihn nicht betrüge. Alle sagten ihm: „Sehen Sie denn nicht, wie schlecht es ihm geht? Der fällt gleich in Ohnmacht.“ Ungefähr neun Stunden verbrachte ich auf der Wache. Morgen gehe ich zur Unfallstation, denn ich konnte die letzten Tage nicht aufstehen.

1. Juni 2018

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Erneute Foltervorwürfe im Verfahren gegen Antifaschisten

Dmitrij Ptschelinzev, einer der Beschuldigten im Verfahren gegen die angebliche terroristische Vereinigung „Set“ (Netz), hat erneut über Folterungen und massive Drohungen berichtet. Wie er seinem Anwalt Oleg Sajzew mitteilt, wollte man ihn damit zwingen, seine Aussagen über Foltern zu widerrufen, die er etwa zwei Monate nach seiner Verhaftung gemacht hatte, und sein durch Folter erpresstes Geständnis zu bekräftigen. Darüber hinaus drohte man ihm, seine Frau zu vergewaltigen.

Tatsächlich hatte Ptschelinzew nur wenige Tage nach seinem ersten Bericht die Behauptung, gefoltert worden zu sein, zurückgezogen. Auch gegenüber Staatsanwälten und Vertretern der Menschenrechtbeauftragten wiederholte er, wie er kürzilich erklärte, den einstudierten Satz, er habe „mit der Behauptung über die Foltern gelogen, um sich der strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen“.

Am 15. Mai jedoch widerrief Ptschelinzew sämtliche Schuldbekenntnisse, beschrieb die erneuten Folterungen im Detail, und ergänzte diese Aussage mit der Erklärung: „Wenn ich mich erneut von meinen Aussagen über die Folterungen, denen ich ausgesetzt wurde, lossage, und wiederum ein absurdes Schuldbekenntnis abgebe und andere belaste, oder wenn mir in der Untersuchungshaft oder beim FSB etwas passiert – dann bedeutet dass, dass sie mich wieder gefoltert haben.

Das Moskauer Theater teatr.doc hatte geplant, unter dem Titel „Pytki 2018“ (Folter 2018) in Petersburg eine Lesung aus Unterlagen und Aufzeichnungen von Angeklagten dieses Prozesses durchzuführen. Nachdem der FSB den Inhaber der Räumlichkeiten, in denen die Veranstaltung stattfinden sollte unter Druck gesetzt und mit der Schließung seiner Institution gedroht hatte, wurde die Veranstaltung kurzfristig abgesagt.

25. Mai 2018

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Appell an das Petersburger Wirtschaftsforum für Sentsov

Solidarität mit Oleg Sentsov

Über 130 Vertreter aus Wissenschaft und Kultur haben eine gemeinsame Erklärung der Assoziation „Freies Wort“, des St. Petersburger PEN-Clubs und der „Freien historischen Gesellschaft“ unterschrieben, in der die Freilassung des ukrainischen Regisseurs Oleg Sentsov gefordert wird. Zu den Erstunterzeichnern gehören u. a. die Nobelpreisträgerin für Literatur Svetlana Aleksievitsch, die Schriftsteller Ljudmila Ulizkaja und Vladimir Vojnovitsch, der Dichter Lev Oborin, die Übersetzerin Ljubov Summ, die Journalisten Soja Svetova und Sergej Parchomenko, der Linguist Aleksej Gippius, die Literaturwissenschaftler Marietta Tschudakova und Alexander Lavrov. Der Appell richtet sich an das Petersburger Wirtschaftsforum.

Nachfolgend der Text des Aufrufs:

"Der zu zwanzig Jahren Haft verurteilte ukrainische Regisseur Oleg Sentsov, den die Menschenrehtsbewegung Memorial als politischen Gefangenen anerkannt hat, befindet sich derzeit in einem unbefristeten Hungerstreik. Er fordert die Freilassung aller ukrainischen politischen Gefangenen in Russland. Menschen, die Sentsov kennen, sind überzeugt, dass er das bis zum Ende durchhalten wird.

Wir fordern, Sentsov in seine Heimat - die Ukraine - zu entlassen. Oleg Sentsovs Tod wird Russland zur Schande gereichen und für immer ein Schandfleck für jene sein, die ihn hätten retten können, es aber nicht getan haben.

Wir appellieren an die Teilnehmer des Petersburger Wirtschaftsforums, unseren Aufruf zu unterstützen."

Eine Petition zur Unterstützung von Oleg Sentsov kann hier unterschrieben werden (russisch und englisch) - https://www.change.org/p/%D0%BF%D0%BE%D0%BC%D0%BE%D0%B3%D0%B8%D1%82%D0%B5-%D1%81%D0%BF%D0%B0%D1%81%D1%82%D0%B8-%D0%BE%D0%BB%D0%B5%D0%B3%D0%B0-%D1%81%D0%B5%D0%BD%D1%86%D0%BE%D0%B2%D0%B0-%D0%B8-%D0%B4%D1%80%D1%83%D0%B3%D0%B8%D1%85-%D0%BF%D0%BE%D0%BB%D0%B8%D1%82%D0%B7%D0%B0%D0%BA%D0%BB%D1%8E%D1%87%D0%B5%D0%BD%D0%BD%D1%8B%D1%85?recruiter=15509584&utm_source=share_petition&utm_medium

21. Mai 2018

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Unterstützung für Oleg Sentsov

Erklärung des Menschenrechtszentrums Memorial

Der ukrainische Staatsbürger Oleg Sentsov, der zu einer zwanzigjährigen Haftstrafe in der Kolonie in Labytnangi verurteilt wurde, hat am 14. Mai einen unbefristeten Hungerstreik erklärt. Er werde ihn nur unter einer einzigen Bedingung beenden – „wenn alle ukrainischen politischen Gefangenen, die sich auf dem Territorium der Russischen Föderation befinden, freigelassen werden“.

Wir unterstützen Sentsovs Forderung.

In der Liste politischer Gefangener in Russland, die unsere Organisation führt und die alles andere als vollständig ist, sind 24 ukrainische Staatsbürger verzeichnet, unter ihnen auch Sentsov. Sie alle müssen umgehend freigelassen werden, ebenso wie alle übrigen politischen Häftlinge.

Die russische Regierung hat dazu alle Möglichkeiten. Mit einem Akt der Humanität könnte die Führung des Landes ohne Zweifel die weltweite Reputation Russlands fördern.

Freiheit für die politischen Gefangenen!

18. Mai 2018

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Oleg Sentsov erklärt unbefristeten Hungerstreik

Der ukrainische Filmregisseur Oleg Sentsov, der seit vier Jahren in Russland inhaftiert ist, hat einen unbefristeten Hungerstreik erklärt.

Sentsov wurde am 10. Mai 2014 auf der Krim verhaftet, kurz darauf nach Russland deportiert und im August 2015 zu 20 Jahren Lagerhaft verurteilt. Sein Mitangeklagter Alexander Koltschenko erhielt 10 Jahre Haft. Einer der Belastungszeugen, der schon vorher verurteilte (und inzwischen ausgetauschte) Gennadij Afanasjev, hatte vor Gericht seine Aussagen widerrufen und erklärt, sie seien durch Folter erpresst worden.

Sentsov verbüßt seine Haft in der Strafkolonie "Belyj Medved" (Eisbär) in der Stadt Labytnangi im autonomen Kreis der Jamal-Nenzen im Norden Russlands.

Mit seinem Hungerstreik will Sentsov seine Forderung nach der Freilassung aller ukrainischen politischen Häftlinge in Russland unterstreichen:

„Ich, Oleg Sentsov, Bürger der Ukraine, widerrechtlich von einem russischen Gericht verurteilt und in der Strafkolonie Labytnangi inhaftiert, beginne am 14. Mai 2018 einen unbefristeten Hungerstreik. Ich werde ihn nur unter einer einzigen Bedingung beenden – wenn alle ukrainischen politischen Gefangenen, die sich auf russischem Territorium befinden, freigelassen werden.
Gemeinsam bis zum Ende. Ruhm der Ukraine!"

16. Mai 2018

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"Er ist nicht unser Zar"

Zahlreiche Festnahmen, Haft- und Geldstrafen anlässlich der Proteste vor der Inauguration Vladimir Putins

Am 5. Mai kam es anlässlich des Antritts der 4. Amtszeit Vladimir Putins in vielen Städten Russlands zu Protesten. Im Rahmen dieser Aktionen, zu denen Alexej Navalnyj aufgerufen hatte, wurden etwa 1600 Personen verhaftet. Wir veröffentlichen die Zahlen der Festgenommenen in den Städten. (Stand 6. Mai)

Moskau: 719 Festgenommene, etwa 153 Personen verbrachten die Nacht auf der Polizeiwache.

St. Petersburg: 217 Festgenommene, etwa 95 Personen verbrachten die Nacht auf der Polizeiwache.

Astrachan: 24 Festgenommene, alle Personen wurden wieder freigelassen.

Barnaul: 10 Festgenommene, alle Personen wurden wieder freigelassen.

Belgorod: 20 Festgenommene, bis auf zwei Personen wurden alle wieder freigelassen. Ein Festgenommener wurde zu 10 Tagen Haft verurteilt, über den zweiten gibt es keine Informationen.

Blagoveschtschensk: 10 Festgenommene, alle Personen wurden wieder freigelassen.

Vladimir: 18 Festgenommene, 11 verbrachten die Nacht auf der Polizeistation.

Voronesch: 48 Festgenommene, viele verbrachten die Nacht auf der Polizeiwache, bekannt sind mindestens 8 Verhaftungen für 5 Tage.

Jekaterinburg: 1 Festgenommener, 600 Rubel Geldstrafe.

Kaluga: 28 Festgenommene, keine weiteren Informationen.

Kemerovo: 2 Festgenommene.

Krasnodar: 64 Festgenommene, ein Teil wurde wieder freigelassen, einige Verfahren wurden bereits am Sonntag, den 6. Mai durchgeführt, weitere Verfahren wurden für den 10. Mai festgesetzt.

Krasnojarsk: 45 Festgenommene, alle Personen wurden wieder freigelassen.

Kurgan: 6 Festgenommene.

Nabereshnye Tschelny: 2 Festgenommene, alle Personen wurden wieder freigelassen.

Novokuznezk: 22 Festgenommene, alle Personen wurden wieder freigelassen.

Pensa: 9 Festgenommene, alle Personen wurden wieder freigelassen.

Rostov am Don: 2 Festgenommene, 1 Person zu 15 Tagen Haft verurteilt, eine zweite zu 7 Tagen Haft.

Samara: 16 Festgenommene, alle Personen wurden wieder freigelassen.

Smolensk: 1 Festgenommener, wieder auf freien Fuß gesetzt.

Sotschi: 5 Festgenommene, alle Personen wurden wieder freigelassen.

Tver: 6 Festgenommene, alle Personen wurden wieder freigelassen.

Toljatti: 63 Festgenommene, alle Personen wurden wieder freigelassen.

Tomsk: 1 Festgenommener, wieder auf freien Fuß gesetzt.

Tscheljabinsk: 185 Festgenommene, ein Teil wurde wieder freigelassen, über einen Teil wurde am Sonntag, den 6. Mai verhandelt, eine Person wurde zu 25 Tagen Haft verurteilt.

Jakutsk: 75 Festgenommene, alle Personen wurden wieder freigelassen.

Nach den Festnahmen wurden zwischen dem 6. und 15. Mai bereits zahlreiche Haft- und Geldstrafen gegen Aktivisten verhängt. Wir veröffentlichen eine Liste (Stand 15. Mai 2018).

St. Petersburg

58 Personen wurden zu bis zu 15 Tagen Haftstrafe verurteilt

55 von ihnen erhielten zusätzliche Geldstrafen zwischen 500 und 170.000 Rubel

53 Personen Geldstrafen zwischen 500 und 15 000 Rubel, 5 von ihnen außerdem gemeinnützige Arbeit zwischen 10 und 20 Stunden

Desweiteren:

1 Person zu 10 000 Rubel Geldstrafe

1 Person 10 Tage Haft und 20 Stunden gemeinnützige Arbeit

2 Personen 7 Tage Haft und 10 000 Rubel Geldstrafe

1 Person 10 Tage Haft und 10 000 Rubel Geldstrafe

1 Person 15 Tage Haft und 170 000 Rubel Geldstrafe

Die Organisation „Vesna“ berichtet ebenfalls von weiteren Geld- und Haftstrafen für 10 ihrer Aktivisten im Zusammenhang mit dem 5. Mai in St. Petersburg.

Ufa

1 Person 20 Tage Haft

1 Person 18 Tage Haft

1 Person 30 Tage Haft

1 Person 25 Tage Haft

Tscheljabinsk

1 Person 10 000 Rubel Geldstrafe plus 20 Stunden gemeinnützige Arbeit

1 Person 10 000 Rubel Geldstrafe

1 Person 30 000 Rubel Geldstrafe

1 Person 25 Tage Haft

Novokusnezk

1 (minderjährige!) Person 10 000 Rubel Geldstrafe

Perm

1 Person 250 000 Rubel Geldstrafe

1 Person 200 000 Rubel Geldstrafe

Voronesch

1 Person 3 Tage Haft und 5000 Rubel Geldstrafe

8 Personen 5000 Rubel Geldstrafe

7 Person 10 000 Rubel Geldstrafe

1 Person 15 000 Rubel Geldstrafe

21 Personen 5 Tage Haft

5 Personen 4 Tage Haft

5 Personen 3 Tage Haft

12 Personen 2 Tage Haft

6 der zu Haftstrafen Verurteilten außerdem zusätzlich 10 000 Rubel Geldstrafe

Rostov am Don

1 Person 6 Tage Haft

Tscheboksary

3 Person 20 Stunden gemeinnützige Arbeit

1 Person 30 Stunden gemeinnützige Arbeit

1 Person 50 Stunden gemeinnützige Arbeit

1 Person 10 000 Rubel Geldstrafe

1 Person 22 000 Rubel Geldstrafe

1 Person 10 000 Rubel Geldstrafe und 10 Stunden gemeinnützige Arbeit

1 Person 10 000 Rubel Geldstrafe und 30 Stunden gemeinnützige Arbeit

1 Person 20 000 Rubel Geldstrafe und 30 Stunden gemeinnützige Arbeit

Sotschi

1 Person 30 000 Rubel Geldstrafe

Jakutsk

8 Personen 10 000 Rubel Geldstrafe

1 Person 30 000 Rubel Geldstrafe

Saratov

1 Person 150 000 Rubel Geldstrafe

Tomsk

1 Person 250 000 Rubel Geldstrafe

Tver

1 Person 5 Tage Haft

1 Person 5 Tage Haft und 10 000 Rubel Geldstrafe

1 Person 5 Tage Haft und 11 000 Rubel Geldstrafe

Kaluga

1 Person 10 000 Rubel Geldstrafe

Vladimir

4 Personen 1 Tag Haft

Moskau

1 Person 10 Tage Haft

Belgorod

3 Personen 10 Tage Haft

Kemerovo

1 Person 2 Tage Haft

Krasnodar

14 Personen 10500 Rubel Geldstrafe

16. Mai 2018

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Appell für Ojub Titiev

Eine Reihe bedeutender Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens – insgesamt 60 Personen – hat sich am 14. Mai in einem Schreiben an Präsident Putin für den inhaftierten Ojub Titiev eingesetzt. Sie weisen darauf hin, dass das Verfahren gegen Titiev aus politischen Gründen fabriziert wurde und fordern, die weiteren Untersuchungen nicht der tschetschenischen Justiz zu überlassen, sondern übergeordeten, föderalen Organen zu übergeben.

Es folgt der Wortlaut ihres Appells in Übersetzung.

"Im Januar dieses Jahres wurde in Tschetschenien Ojub Titiev, der Leiter des Memorial-Verbandes in Groznyj, einer der führenden Menschenrechtsorganisationen unseres Landes, verhaftet. Er wird des Drogenbesitzes bezichtigt. Wir sind überzeugt, dass das Verfahren gegen Titiev von den lokalen Behörden fabriziert wurde, um Memorial zu zwingen, sich aus Tschetschenien zurückzuziehen. Memorial ist die einzige Organisation, die in den letzten Jahren in dieser Republik weiterhin Menschenrechtsverletzungen dokumentiert und veröffentlicht und den Opfern Rechtsbeistand geleistet hat.

Als zwei Wochen vor Titievs Verhaftung der Instagram-Account des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrov blockiert worden war, stellte sein engster Mitarbeiter, Parlamentssprecher Magomed Daudov, in einer offiziellen Erklärung eine Verbindung dieses Vorfalls zu der Tätigkeit von Menschenrechtlern her und bezeichnete diese als „Feinde“, die man „von der gesunden Gesellschaft isolieren“ sollte. Nach Titievs Verhaftung erklärte bereits Kadyrov selbst, dass die Menschenrechtler „wissen müssen: In unserer Region funktioniert ihre Arbeit nicht“. Er kündigte an, „unseren Feinden das Rückgrat zu brechen“.

In diesem Kontext liegt es offen zutage, dass das Verfahren gegen Titiev politisch motiviert ist, umso mehr, als Titiev auch nicht der erste Kritiker der tschetschenischen Regierung ist, bei dem lokale Sicherheitsorgane Drogen entdeckt haben wollen. Offensichtlich wollen sich die tschetschenischen Behörden so einer missliebigen Organisation entledigen und Rache an Titiev für seine Menschenrechtsarbeit nehmen.

Die Ermittlungsorgane der Republik sabotieren demonstrativ eine Überprüfung von Titievs Erklärung, dass Polizisten ihm die Drogen untergeschoben hätten. Einige von uns haben bereits an den Generalstaatsanwalt, den Innenminister und den Leiter des Ermittlungskomitees der Russischen Föderation appelliert, das Verfahren gegen Titiev und die Überprüfung seiner Erklärung in die Zuständigkeit föderaler Ermittlungsorgane zu geben.

Allerdings kamen aus deren Behörden nur formale Absagen in dem Sinn, dass es „zum Zweck einer objektiven und umfassenden Untersuchung und um eventuelle Gesetzesverstöße auszuschließen“ das Strafverfahren gegen Titiev dem Innenministerium entzogen und dem Ermittlungskomitee für die Republik Tschetschenien übergeben werde. Somit werden sowohl die Untersuchung selbst als auch die Überprüfung von Titievs Vorwürfen gegen die Polizei in Tschetschenien durchgeführt. Inzwischen stellt sich heraus, dass nach wie vor nichts unternommen wird, um den wahren Sachverhalt aufzuklären.

Der zynische Einsatz des Rechtswesens, um alle Menschenrechtler und Menschen guten Willens abzuschrecken, die um Gesetzlichkeit und die Einhaltung der Menschenrechte in Tschetschenien kämpfen, ist empörend. Wir wenden uns an Sie als den Garanten der russischen Verfassung mit der Bitte, das Verfahren gegen Titiev umgehend in die Hände föderaler Organe zu geben, es unter Ihre Kontrolle zu nehmen und dem Kesseltreiben gegen Memorial ein Ende zu bereiten.

Wir hoffen auf Ihre konstruktive Reaktion auf diesen Appell."

14. Mai 2018

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Ojub Titiev bleibt in Untersuchungshaft

Kürzlich hatte ein Bezirksgericht in Groznyj die Untersuchungshaft von Ojub Titiev bis zum 9. Juni verlängert. Gegen diese Entscheidung war Berufung eingelegt worden, die am 3. und 4. Mai verhandelt wurde. Der Antrag wurde abgelehnt.

Zur Verhandlung waren zahlreiche Menschenrechtsaktivisten und Journalisten erschienen, darunter Tatjana Lokschina (Human Rights Watch), Magomed Muzolgov (von der inguschischen Menschenrechtsorganisation MASCHR), Jekaterina Sokirjanskaja, (Zentr analiza i predotvraschtschenija konfliktov) sowie Alexander Tscherkassov und weitere Vertreter des Menschenrechtszentrums Memorial.

Titiev selbst wurde am 3. Mai lediglich per Videokonferenz zugeschaltet, erst am 4. Mai führte man ihn persönlich zur Verhandlung vor; er wurde an diesem Tag von seinen drei Anwälten vertreten. Erneut hatten sich Menschenrechtsaktivisten für Titiev verbürgt, unter anderem Svetlana Gannuschkina. Die Berufung gegen die Haftverlängerung wurde abgewiesen - Ojub Titiev bleibt zunächst bis 9. Juni in Haft.

8. Mai 2018

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Untersuchungshaft für Ojub Titiev erneut verlängert

Am 25. April 2018 verlängerte das Bezirksgericht Staropromyslowskij in Grozny die gegen Ojub Titiev, Leiter des Menschenrechtszentrums Memorial in Grozny, verhängte Untersuchungshaft um einen Monat bis zum 9. Juni 2018, wie das Menschenrechtszentrum Memorial meldet.

Die Anwälte Titievs wurden über das Datum der Verhandlung nicht informiert. Dass der Termin für den 15. April, 15.00 Uhr, anberaumt worden war, wurde erst bekannt, als Titievs Anwältin Marina Dubrovina auf eigene Initiative bei Gericht anrief. Auf der am selben Tag in Moskau stattfindenden Pressekonferenz erklärten die Anwälte Petr Zaikin und Ilja Novikov, dass der Ermittler, der im Voraus von ihrer Reise nach Moskau wusste, versichert hatte, dass es in den nächsten Tagen keine Aktionen im Verfahren Titiev geben werde. Die Richterin v. A. Gortschanova führte die Verhandlung; Titiev wurde von der Anwältin Marina Dubrovina verteidigt, die das Menschenrechtszentrum Memorial engagiert hatte.

Zu Beginn der Verhandlung hatte Ojub Titiev die Verschiebung auf einen späteren Zeitpunkt beantragt, damit seine Anwälte Petr Zaikin und Ilja Novikov, die sich an diesem Tag in Moskau befanden, teilnehmen könnten. Das Gericht aber wies den Antrag zurück. Danach stellte Marina Dubrovina den Antrag, dem Beschuldigten zu gestatten, neben dem Anwalt Platz nehmen zu dürfen, das Gericht lehnte auch diesen Antrag ab. Die Vertreter der Ermittlung beantragten, Titievs Haft um einen Monat zu verlängern. Der Antrag wurde damit begründet, dass Titiev eines Verbrechens angeklagt wird, das als „schweres Verbrechen“ gilt. Besonders zynisch aber klingt das Argument der Ermittler, Titiev könne vor der Untersuchungsbehörde und dem Gericht fliehen, kriminellen Tätigkeiten nachgehen, Zeugen und andere in das Gerichtsverfahren Involvierte bedrohen, Beweise vernichten oder auf anderem Weg das Strafverfahren behindern, weil „die Familienangehörigen des Beschuldigten Titiev O. S. sich außerhalb der Grenzen der Republik Tschetschenien aufhalten und Titiev dort, wo er gemeldet ist, keinen Wohnraum (kein Hauseigentum) hat.“

Wir erinnern, dass das „Hauseigentum“ Ojub Titievs dort nur deswegen nicht vorhanden ist, weil es zu den Häusern gehörte, deren Bewohner ohne jegliche Rechtsgrundlage aus ihnen vertrieben und deren Häuser selbst von den Behörden der Republik Tschetschenien zum Abriss bestimmt wurden. Ihren Bewohnern wurde eine Kompensation oder eine Bereitstellung von Wohnraum in der Zukunft versprochen, allerdings wurden keine Dokumente, die eine Kompensation garantierten ausgefertigt und unterschrieben. Bis zum Zeitpunkt des Erhalts der Entschädigung wird ersucht, bei Verwandten zu wohnen oder auf eigene Kosten eine Unterkunft zu mieten.

Am 13. Februar hatten Mitarbeiter der Bezirksverwaltung Kurtschaloj Ojub Titiev in der Untersuchungshaft besucht. Sie informierten ihn über den Abriss und boten ihm in der Zukunft eine andere Unterkunft in Kurtschaloj an. Nach Titievs Worten sah das Angebot akzeptabel aus und er nahm es an, Dokumente zur Unterschrift allerdings bot man ihm nicht an. Auf diese Weise verlor Titiev seinen Wohnsitz erst nach seiner Verhaftung, und diese Tatsache wird nun als Argument benutzt, seine Haft zu verlängern. Ojub Titiev und seinen Anwältin wandten sich gegen die Entsprechung des Antrags des Ermittlers zur Haftverlängerung und forderten eine Zwangsmaßnahme in Form von Hausarrest. Das Gericht stimmte den Argumenten der Ermittlung zur Schwere des Verbrechens ebenso zu wie dem Argument, der Beschuldigte könnte fliehen oder auf andere Weise die Untersuchung des Falls auf andere Weise behindern, und beschloß eine Verlängerung der Haft bis zum 9. Juni 2018.

Wie wir bereits berichteten, wurde Titiev am 9. Januar 2018 verhaftet, weil angeblich bei einer Kontrolle seines Wagens ein Paket mit Marihuana gefunden worden sei. Am 10. Januar wurde er gemäß § 228.2 StGB RF (Erwerb und Besitz von Drogen in großem Umfang) angeklagt. Ojub Titiev bekennt sich nicht schuldig. Seine Kollegen sind überzeugt, dass das Verfahren vollständig fabriziert ist und die Beweise untergeschoben sind.

1. Mai 2018

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Interview mit Jan Raczynski

Nachfolgend veröffentlichen wir das erste ausführliche Interview mit Jan Raczynski, dem neuen Vorsitzenden von MEMORIAL International, das kurz nach seiner Wahl zum Nachfolger von Arsenij Roginskij am 3. April 2018 auf dem Internet-Portal "7x7" erschienen ist. Mit Jan Raczynski sprach Ilja Asar.

Über sich selbst und über Memorial

In IhrerBiographie auf der Website von Memorial finden sich nicht allzu viel Informationen. Sie haben ein Studium an der mathematischen Fakultät der Moskauer Staats-Universität (MGU) abgeschlossen, als Programmierer gearbeitet, und sind seit 1988 bei Memorial. Wie sind Sie dorthin gekommen?

Meine Biographie ist nicht besonders interessant. Ja, ich habe Mathematik studiert und kam dann als Programmierer ins Rechenzentrum von Gosplan.

Wahrscheinlich haben Sie noch an Großrechnern gearbeitet?

Ja. 1982 gab es große Rechner von 27 Megabyte, das war ein großer Fortschritt im Vergleich zu den Bändern, auf denen die meisten Operationen abliefen. Es gab interessante Aufgaben, aber das Besondere bei Gosplan war, dass all diese wissenschaftlichen Berechnungen nur eingeschränkte Bedeutung hatten. Danach kamen Leute mit einem Rotstift, die wussten, worauf es ankam, und korrigierten alle Ergebnisse.

Dann kam die Perestrojka. Heute kann man sich kaum mehr vorstellen, in welchem Ausmaß sich damals die gesamte Atmosphäre veränderte. Das war wahrscheinlich die einzige Zeit in der russischen Geschichte, in der die Reden des Staatschefs so begehrt waren, dass Hunderte Schlange standen, um sie zu bekommen. Gegenüber unserem Rechenzentrum befand sich die Buchhandlung „Voennaja kniga“, und nach jedem Plenum bildete sich auf der Straße eine Schlange von Personen, die die Publikationen darüber lesen wollten.

Sie waren aber kein Dissident?

Ich hatte - soweit damals möglich - eine relativ realistische Vorstellung von dem, was vorging. Aber ein Dissident war ich nicht, ich beließ es bei Küchengesprächen. Über die Qualität der Sowjetmacht war ich mir ziemlich im Klaren, schon weil mein Großvater erschossen worden war. Zudem hatten meine Vorfahren an der Befreiungsbewegung teilgenommen, aber als Mitglieder anderer Parteien – meine Großmutter war Sozialrevolutionärin und in Akatuj mit Maria Spiridonova zusammen inhaftiert. Deshalb hatte ich eine etwas andere Vorstellung von der russischen Geschichte als die, die uns in der Schule vermittelt wurde. Aber ich hatte keinen Kontakt zu aktiven Dissidenten. Ich empfand eine völlige soziale Apathie, so wie viele heute auch. Man hatte den Eindruck, es sei unmöglich, irgendetwas zu verändern, etwas in dieser Richtung zu unternehmen sei völlig aussichtslos. Als ich dann 1988 erfuhr, dass die Gesellschaft Memorial gegründet worden war, begab ich mich schon am nächsten Tag dorthin.

Wie verlief Ihre Wahl zum Vorstandsvorsitzenden von Memorial? Gab es Konkurrenz?

Unsere Organisation ist nicht auf eine Führung ausgerichtet, sondern eher horizontal. Roginskij war eine singuläre Persönlichkeit – sowohl durch seine Biographie als auch seine außergewöhnliche Belesenheit, sein Bekanntenkreis – von Jurij Lotman bis zu den heutigen jungen Poeten. Außerdem war er jemand, der ständig neue Ideen generierte. Es ist klar, dass er unersetzlich ist.

Die meisten vorgeschlagenen Kandidaten verzichteten auf eine Kandidatur, und es gab eher eine negative Konkurrenz, denn die Nachfolge von Roginskij ist eine undankbare Position. Einen Nachfolger wird man zwangsläufig mit ihm vergleichen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand diesem Vergleich standhalten könnte.

Planen Sie irgendwelche Veränderungen in der Arbiet der Organisation? Wird es Reformen geben?

Vorläufig möchte ich mich erst mit der neuen Aufgabe vertraut machen. Unsere Kollegen arbeiten, weil das ihrer Lebenseinstellung entspricht, hier muss man niemanden besonders stimulieren und anregen. Vor allem kommt es darauf an, den Betrieb in Gang zu halten und neue Ideen aufzugreifen, die unsere jungen Kollegen einbringen.

Politische Repressionen

Sie betreuen bei Memorial dieDatenbank über politische Verfolgungen

Ja, das ist mein umfangreichstes Projekt. Außerdem habe ich an Beobachtungsreisen zu Brennpunkten teilgenommen und noch verschiedenes andere gemacht. Vermutlich hielten mich die Kollegen auch deshalb für den Vorsitz geeignet, weil ich ebenso zum Rat des Menschenrechtszentrums wie zu dem des Zentrums für Wissenschaft und Aufklärung (NIPC) gehöre, ich bin also in die verschiedenen Arbeitsbereiche von Memorial involviert.

In der letzten Version der Datenbank für Opfer der Verfolgungen sind ungefähr 3,1 Millionen Menschen erfasst. Sie wird laufend ergänzt und korrigiert, aber es gibt Probleme hinsichtlich der Qualität der Veröffentlichungen zu diesem Thema und mit dem Zugang zu Informationen. Die Archive sind in Russland bis heute gesperrt, und je weiter die Zeit voranschreitet, desto schlimmer wird es damit. Heute wird der Zugang schon zu Akten verweigert, die fast 100 Jahre alt sind. Um Akten von 1919 einsehen zu können, muss man seine Verwandtschaft nachweisen, obwohl das Akten sind, die laut Gesetz frei zugänglich sein müssen.

Ich habe von 3,1 Millionen Menschen gesprochen, aber nach minimalen Schätzungen müssten es etwa 12 Millionen sein, wenn es um die Sowjetunion geht. Das sind die, die durch gerichtliche und quasigerichtliche Organe in Strafverfahren verurteilt oder administrativ als Kulaken, Tschetschenen, Deutsche u. a. deportiert wurden...

„Es müssten“ sein – was heißt das?

Diese Statistik kennen wir ziemlich genau.

Aber sie ist nicht bestätigt?

Doch. Das ist die interne Statistik der Sicherheitsorgane. Ein Teil ist veröffentlicht, ein weiterer Teil in Vorbereitung, aber die Größenordnung ist in etwa so, insgesamt müssen es rund 12 Millionen Namen sein. Heute können wir zu den 3,1 Millionen noch ungefähr 600.000 weitere Namen hinzufügen, die in ukrainischen Gedenkbüchern verzeichnet sind. Aber wenn wir alles ergänzen, was in anderen Republiken veröffentlicht wurde, dann kommen wir vielleicht auf 5 Millionen, das ist weniger als die Hälfte der tatsächlichen Zahl.

Das ist ein Indikator für das historische Gedächtnis in der Gesellschaft.

Dabei flammen die Diskussionen über die Zahlen der Verfolgten immer wieder auf. Kürzlich gab es dazu eineAuseinandersetzung zwischen den Journalisten Schewtschenko und Svanidse, die sogar mit Handgreiflichkeiten endete. Schewtschenko wirft den Liberalen vor, von 10 Millionen Verfolgten zu sprechen, während in Wirklichkeit insgesamt 800.000 erschossen worden seien, und dass man nicht übertreiben dürfe.

Das sind gewissenlose Spekulationen. Tatsächlich wurden in den ersten historischen Arbeiten über die Repressionen überhöhte Schätzungen genannt. Aber das ist nicht die Schuld der Autoren, denn sie hatten ja keinen Zugang zu den Archiven, der erst in den Jahren der Perestrojka für ganz kurze Zeit gegeben war.

Allerdings kann man hier auch streiten, wer als „verfolgt“ gelten soll und wen die Autoren im Auge hatten. Meine Zahlen beziehen sich auf Personen, die unter das Rehabilitierungsgesetz fallen. Aber dazu gehören weder Verurteilte wegen „Ähren“ (das „Ährengesetz“ vom 7. August 1932, das Getreidediebstahl mit drakonischen Strafen bis hin zur Todesstrafe belegte, A. d. Ü.) noch Menschen, die bei Aufständen getötet wurden – das waren auch ziemlich viele - noch Opfer des Hungers, und auch das waren ja Opfer des Regimes.

Heute spricht kein ernstzunehmender Forscher von Dutzenden Millionen Opfern. Vor langer Zeit hat Memorial eine geschätzte Gesamtzahl veröffentlicht: Etwas über eine Million wurden aus politischen Gründen erschossen, etwa 4 Millionen kamen in Lager und etwa 6 Millionen wurden „entkulakisiert“ und deportiert. Darüber hinaus fallen auch jene unter das Rehabilitierungsgesetz, die in Verbannungsorten geboren wurden und sich mit ihren Eltern in Unfreiheit befanden. Das sind ziemlich viele.

Die Zahl 800.000 ist falsch, sie ist bewusst unvollständig. Oft wird noch auf einen Bericht verwiesen, der 1954 Chruschtschow zuging, wo von 642.000 Personen die Rede war. Aber selbst das sucht in der Weltgeschichte seinesgleichen. In Bezug auf das eigene Volk war dies anscheinend das blutigste Regime in der ganzen Geschichte der Menschheit.

Es gab noch Pol Pot.

Ja, Stalin hatte begabte Nachfolger. Aber das kann kaum ein Trost sein.

Stalin und der sakrale Staat

Bei den letzten Präsidenten-Wahlen haben zwei Stalinisten kandidiert: Grudinin und Surajkin. Was hat das zu bedeuten?

Das ist eine ziemlich natürliche Folge der Geisteshaltung der derzeitigen Machthaber, dass der Staat über allem steht, und dass ein starker Staat ein ganz entscheidender Wert ist. Offenbar sind weder Putin noch Medvedev Stalin-Anhänger. Aber sobald die Rede auf eine starke Staatsmacht kommt, und erst recht auf einen äußeren Feind und eine fünfte Kolonne, kommt von selbst Stalin heraus. Putin wird sich auch nicht allzu negativ über Stalin und das Stalinsche Regime äußern und auch nicht über das Regime Lenins, das sich von dem Stalins nur wenig unterschied. Zu sagen, dass der Staat verbrecherisch war, hieße für Putin, den Gedanken zuzulassen, dass ein Staat überhaupt verbrecherisch sein kann, und das wäre für ihn ein Anschlag auf die Stabilität. Den Staat Hitlers kann man als verbrecherisch bezeichnen , den syrischen aber schon nicht mehr.

Aber über Amerika wird dergleichen doch auch gesagt im Zusammenhang mit dem Irak.

Man sagt, dass Verbrechen begangen werden, aber eine Formulierung wie „Verbrecherstaat“ wird vermieden. Der Staat ist quasi ein sakrales Wesen, und man darf ihn nicht angreifen, er steht über allem. Daher haben wir ein verfälschtes Wertesystem. Entschuldigen Sie die Banalität.

Entschuldigen Sie die banalen Fragen – aber trotzdem: Die wesentlichen Argumente von Personen, die Stalin in Schutz nehmen, sind die, dass er den Krieg gewonnen und die Wirtschaft in Gang gebracht hat.

Erstens haben die Menschen eine sehr schlechte Vorstellung davon, was Repressionen bedeuten. Das ist ein sehr gebräuchliches Wort, es gibt Überschwemmungen, Erdbeben, Repressionen. Es gibt keine Schuldigen, es ist unbekannt, wer das getan hat, es ist ein Unglück geschehen, und Verbrecher gibt es nicht.

Zweitens denken viele, dass die Trojkas doch eine Art Gericht waren, wenn auch nicht ganz reguläre. Sie kommen nicht auf den Gedanken, dass diese Urteile in Abwesenheit gefällt wurden, dass der Betroffene nicht wusste, dass man ihn verurteilt hatte, bis er eine Kugel in den Kopf bekam, und das Urteil wurde ihm ja auch dann nicht mitgeteilt. Allein während des Großen Terrors (1937-1938) wurden über 600.000 Menschen in Abwesenheit zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Mit den Standgerichten der ersten russischen Revolution ist das nicht zu vergleichen. Deren Urteile wurden nicht in Abwesenheit gefällt, allerdings waren es auch Prozesse ohne Verteidigung, ohne Zeugen und ohne Appellationsrecht. Ungefähr genauso verfuhr das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR. Aber auf Grund von Urteilen der Standgerichte wurden in den acht Monaten ihres Bestehens 1906-1907 ungefähr 700 Personen hingerichtet, dem Militärkollegium fielen dagegen pro Tag manchmal über 100 Menschen zum Opfer. Vom 1. Oktober 1936 bis zum 30. September 1938 verurteilte es 30.514 Menschen zum Tode durch Erschießen.

Bortnikov (der Direktor des FSB) wollte kürzlich die Leser der „Rossijskaja gazeta“ überzeugen, dass es unter diesen Menschen tatsächliche Verbrecher gab, und manche sagen, dass sie alle schuldig waren. Aber wir kennen ja die Namen. Zehntausende wurden anhand von Listen verurteilt, die Stalin persönlich bestätigt hatte. Sie mögen doch zeigen, wer von ihnen wirklich an einer Verschwörung beteiligt war.

Fakten gibt es keine, aber es wird immer noch darüber geredet.

Wassermanbehauptet zum Beispiel, dass Stalin die Verfolgungen verhindern wollte, es aber nicht geschafft hat.

Wasserman braucht meiner Meinung nach ärztliche Hilfe. Das ist eine Erfindung von Personen, die absolut keine Ahnung haben. Das öffentliche Bewusstsein verhält sich hier wie ein religiöses Bewusstsein, die meisten Menschen sind keinen Vernunftargumenten zugänglich.

Wie konnte denn Stalin nichts von den Verfolgungen wissen, er saß doch mit Kamenev, Sinovjev und Bucharin im selben Politbüro. Wenn sie Lenin hätten ermorden wollen, hätten sie dies auch getan, ohne irgendwelche besonderen Möglichkeiten abzuwarten. Stalin war dies doch klar. Er hat bewusst gefälschte Anklagen fabriziert. Es gibt eine Masse von Dokumenten, die bestätigen, dass er den Massenterror nicht nur organisiert, sondern auch täglich minutiös kontrolliert hat.

Und wie steht es mit dem Sieg im Krieg?

Es wurde der Mythos geschaffen, Stalin habe „den Krieg gewonnen“. Eine gewisse Rolle hat er da natürlich gespielt, wie jeder Führer eines kriegführenden Landes. Die von ihm geschaffene totalitäre Konstruktion hat ihm in gewissem Maße ermöglicht, manche Dinge zu entscheiden, aber man darf nicht vergessen, welche Situation in den (1939-40) angeschlossenen Gebieten herrschte, nach dem, was das NKWD dort angerichtet hatte. Die Wlassow-Armee wollte zum Großteil nicht gegen Russland kämpfen, sondern eben gegen dieses unmenschliche System. Das ist natürlich keine Entschuldigung, aber wenn man die Vorgänge verstehen will, muss man das nüchtern beurteilen. Und man darf die Vernichtung der Befehlskader nicht vergessen, wenn man von Stalins Rolle im Krieg spricht. Und selbst wenn man all seine Befehle im Krieg für richtig hält, wäre der Krieg ohne den massenweisen Heroismus der Menschen und ihre Entschlossenheit, das Land zu verteidigen, nicht zu gewinnen gewesen.

Die Repressionen sind etwas anderes. Stalin gab Befehle, und diese wurden vom Staatsapparat ausgeführt, sie lagen also ganz in seiner Verantwortung. Da bedurfte es keines „Heroismus“ der ausführenden Organe, und von ihnen wurde keinerlei Eigeninitiative erwartet.

Der Mythos von der herausragenden Rolle Stalins im Krieg ist hartnäckig, weil die Druckerpresse 70 Jahre lang vollständig vom Regime kontrolliert wurde. Ich kenne kein anderes Land auf der Welt, über dessen Geschichte man so wenig aus den Zeitungen erfahren kann. Alles, angefangen vom Leitartikel bis zu den Nachrufen auf der letzten Seite, wurde vom Zensor, dem Glavlit (Hauptverwaltung für Literatur – oberste Zensurbehörde) gegen gelesen und gab deshalb nicht das Geschehen im Lande wieder, sondern das des „sozialistischen Realismus“.

Wissen Sie übrigens, dass es bis heute noch die erste und zweite Glavlit-Straße in Moskau gibt, in Saltykovka?

Nein, das wusste ich nicht. Aber ich weiß, dass Sie ein großerKenner der Moskauer Straßen sind. Sie habengesagt, wir „haben keine eindeutige Einstellung zu den historischen Persönlichkeiten entwickelt“. Fürchten Sie nicht, dass die Bilanz – wenn wir sie einmal entwickelt haben – wenig erfreulich sein wird?

Die Gesellschaft kann sich unterschiedlich zu Personen verhalten, die rechtlich eindeutig beurteilt worden sind. So kann man gegebenenfalls über Mussolini und Hitler verschiedener Meinung sein, aber die rechtliche Bewertung ihrer Handlungen steht fest.

Uns fehlt genau dies. Ein klares Beispiel dafür ist der Fall Katyn. Der Beschluss (das Verfahren einzustellen) ist bis heute geheim, aber es ist bekannt, dass die Taten von Katyn als Überschreitung amtlicher Vollmachten qualifiziert wurden. Das heißt, die Erschießung Tausender von Kriegsgefangenen war eine Amtsüberschreitung. Bei einer solchen Einstufung wird das öffentliche Bewusstsein natürlich niemals verstehen, warum viele Nachbarstaaten schwerwiegende Vorbehalte gegen das Sowjetregime hatten.

Wurde denn der Holodomor eingeräumt?

Es gab seinerzeit eine Erklärung der Staatsduma, allerdings nicht zum Holodomor, sondern zum Hunger. Der Holodomor hat ja nicht nur in der Ukraine stattgefunden, obwohl er dort am schlimmsten war. In Kasachstan, im Ural und im Wolgagebiet kam es jedoch auch zu Kannibalismus, davon zeugen zahlreiche Berichte.

Aber wie es heißt, war dafür nicht die Führung verantwortlich, das waren Unglücksfälle, Misserfolge. Dabei wird völlig ignoriert, dass die erhöhte Sterblichkeit 1891, während der schlimmsten Hungersnot im 19. Jahrhundert, auf Epidemien zurückging und dass kein einziger Todesfall auf Grund von Auszehrung verzeichnet wurde. Denn die Regierung hatte die notwendigen Vorkehrungen getroffen. Die Autokratie hat sicher wenig Gutes, aber in der Sowjetmacht wiederholte sich etwas, was es zum letzten Mal in der Zeit der Wirren gegeben hatte – massenweises Sterben durch Verhungern und Kannibalismus.

Derartige Parallelen werden jedoch nicht gezogen, und in den Schulbüchern bleiben die Repressionen ein unklarer Begriff. Gerade deshalb kommt es darauf an, klar zu sagen, dass es eben keine Amtsüberschreitung der Machthaber war, außergerichtliche Organe zu installieren, sondern ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, dass die Erschießungen von Katyn ein Kriegsverbrechen waren, für das die Führer der UdSSR in Nürnberg hätten verurteilt werden müssen.

In Israel ist die Leugnung des Holocauststrafbar. Brauchen wir in Russland ein ähnliches Gesetz hinsichtlich der Stalinschen Repressionen?

Ich plädiere nicht dafür, die Freiheit des Wortes einzuschänken, denn das ist fast die wichtigste aller Freiheiten. Wir haben Medvedev 2011 vorgeschlagen, Personen, die die Repressionen rechtfertigen oder leugnen, nicht zum Staatsdienst zuzulassen. Ein Beamter, der nicht versteht, was da geschehen ist, ist für seinen Beruf ungeeignet, er ist eine Gefahr für die Gesellschaft, weil er sie wieder in dieselbe Richtung führen kann. Ebenso wie ein Farbenblinder nur eingeschränkt Auto fahren kann.

Weitergehende Bestimmungen haben wir nicht vorgeschlagen und werden es auch nicht tun.

Wurde der Vorschlag ignoriert oder hat man irgendwie reagiert?

Man hat eine Arbeitsgruppe gebildet, Dokumente kursierten in Amtsstuben hin und her, aber von über 40 Vorschlägen wurden schließlich nur 14 in die Konzeption aufgenommen. Alles wirklich Wesentliche wurde leider abgelehnt – die Öffnung der Archive, außerdem Vorschläge, die Situation der Opfer zu verbessern, von denen es nur noch einige Tausend im ganzen Land gibt, aber dafür gibt es im Haushalt niemals Geld.

In Moskau wurden allerdings kürzlich ein neues Gebäude für das GULAG-Museum sowie ein Denkmal für die Verfolgungsopfer eröffnet. Ist das als Alibi gedacht?

Dass das Museum neue Räumlichkeiten hat, ist in jedem Fall gut, allerdings ist es ein Moskauer Museum, kein überregionales. Das ist in hohem Maße das Verdienst von Sergej Kapkov (dem ehemaligen Leiter der Moskauer Kulturabteilung) sowie von Leonid Petschatnikow (dem stellvertretenden Moskauer Bürgermeister), der hier auch nicht gleichgültig ist.

Gut, dass das Denkmal jetzt aufgestellt wurde, fast 30 Jahre, nachdem wir mit der Unterschriftensammlung dafür begonnen haben. Ich spreche jetzt gar nicht davon, wieviele Jahre vergangen sind, seit Chruschtschow diese Idee zum ersten Mal auf dem 22. Parteitag (1961) vorgebracht hat. Es ist jedoch gut, dass das Denkmal jetzt da ist, auch wenn die Auswahl gerade dieses Entwurfs umstritten ist. Jetzt gibt es einen Ort, den ein Lehrer mit Schulkindern aufsuchen kann, wenn dieser Wunsch besteht.

Dabei besteht allerdings die Gefahr, dass das ähnlich verläuft wie mit dem Beschluss zur Überwindung des Personenkults. Das war ein eindeutig wichtiger und progressiver Beschluss, aber bald wurde klar, dass er als abschließende Beurteilung intendiert war. Jeder, der ein schärferes oder ausführlicheres Urteil abgeben wollte, ging damit über das hinaus, was die Partei gesagt hatte, und wurde ein Abtrünniger, wenn nicht ein Volksfeind.

Es besteht die Gefahr, dass dieses Denkmal nicht ein Schritt auf dem Weg ist, sondern einen Grenzpunkt markieren soll. Es heißt, wir haben ein Denkmal aufgestellt, was braucht Ihr denn sonst noch, es reicht an Negativem, wir wollen stolz sein auf die Geschichte, wie das Genosse Putin am Anfang seiner schon sehr langen Regierungszeit gesagt hat. Leider ist diese Drohung real – am 30. Oktober wurde das Denkmal eingeweiht, am 19. Dezember hat Bortnikov ein absolut verlogenes und verantwortungsloses Interview gegeben, am 20. Dezember haben er und Putin erklärt, dass die Tschekisten immer ein Vortrupp waren, der die Interessen des Vaterlandes geschützt hat, sie seien Ritter ohne Schimpf und Schande gewesen. Selbst in der Sowjetepoche haben auf Jubiläumsversammlungen die „dunklen Zeiten“ Erwähnung gefunden, aber hier wurde das vollkommen vergessen.

Die Formulierungen in Putins Glückwunschansprache sind inakzeptabel - ich kenne keinen Geheimdienst, der gegen sein eigenes Volk mehr Verbrechen begangen hätte als die Tscheka (unter all ihren Bezeichnungen).

Putin ist auch bei der Einweihung des Denkmals für die Opfer aufgetreten.

Einerseits verurteilt er die Verfolgungen, weil viele Unschuldige umgekommen sind, und er meint das anscheinend aufrichtig. Andererseits steht für ihn aber der Staat an höchster Stelle, er ist etwas Sakrales. Diese Positionen sind ziemlich schwer zu vereinbaren, deshalb kommt es immer wieder zu Rückziehern. Das ist ein völlig eklektisches Bewusstsein, man kann es auch als Schizophrenie bezeichnen.


Schikanen und Verfolgungsmaßnahmen gegen Memorial

Zur gleichen Zeit waren zwei Leiter regionaler Memorial-Verbände in Haft und warten bzw. warten noch auf ihr Gerichtsverfahren. Ist das eine staatlich gelenkte Kampagne oder handelt es sich um regionale Übergriffe?

In Tschetschenien ist die Verfolgung von Ojub Titiev natürlich ein lokaler Vorfall, weil der internationale Skandal den föderalen Behörden natürlich in keiner Weise gelegen kommt. Es gibt auch so schon genügend Probleme. Aber das macht es jemandem nicht leichter, der hinter Gittern sitzt, zumal Kadyrov inzwischen schon völlig unlenkbar ist.

Und Dmitriev, der Leiter von Memorial in Karelien?

Ich hoffe sehr, dass die absurde Anklage fallen gelassen wird. Worauf die Staatsanwalt ihre Position stützt, ist schleierhaft. Ein Schuldspruch muss doch irgendwie untermauert werden, und heute zeigen alle Gutachten, dass kein Straftatbestand vorliegt. Das war natürlich auch ohne Gutachten klar, wir kennen Dmitriev schließlich schon etwa 25 Jahre.

Soweit ich sehe, gab es keinen Wink von oben, die Zentrale hat Dmitriev nicht gestört. Er war den regionalen Behörden ein Dorn im Auge, in Petrosavodsk ist er ziemlich bekannt, und er ist sehr direkt und rigoros in seinen Urteilen.

Sie haben wahrscheinlich mit offiziellen Vertretern über dieses Thema gesprochen?

Abgesehen von Michail Fedotov (dem Vorsitzenden des Menschenrechtsrats beim Präsidenten), der alles im Rahmen des Möglichen unternimmt, hatten wir diesbezüglich keine Kontakte auf Bundesebene.

Aber es müsste hier doch welche geben?

Mir scheint es unnatürlich, wenn wir häufiger Begegnungen mit Präsidenten anderer Staaten haben als mit unseren eigenen Politikern etwa auf der Ebene von Bürgermeistern. Wir befassen uns schließlich mit der Geschichte unseres eigenen Landes, nicht mit der des Auslands.

Eigentlich müsste der Staat Memorial als einer der ältesten Menschenrechtsorganisationen Respekt zollen, aber man hat sie als „ausländischen Agenten“ registriert.

Man muss hier Memorial nicht besonders hervorheben. Wir existieren vielleicht länger als andere, aber im Prinzip sind alle unabhängigen Organisationen den Machthabern unbequem. In der Liste ausländischer Agenten gibt es Organisationen, die in strittigen Fragen eine deutliche Position beziehen, aber auch etliche unpolitische. Das ist die Folge der Konfrontation. Zweifellos wirkt sich hier Putins Vergangenheit aus, seine vereinfachte Schwarz-Weiß-Wahrnehmung der Welt und die Gewohnheit zu manipuieren. Seine Standard-Aussage „Wer zahlt, bestellt die Musik“ klingt eher nach einer Prostituiertenmoral als nach der Position eines Staatsmanns.

Er muss doch sehen und sieht wahrscheinlich auch, dass viele der registrierten „ausländischen Agenten“ sich nicht nur nicht für Geld kaufen ließen, sondern nicht einmal für die Freiheit. Sie sind in Lager gegangen und ihren Überzeugungen treu geblieben. Aber das kümmert ihn nicht, was er sagt, sagt er, ohne dabei rot zu werden.

Manchmal verfälscht er die Realität bewusst, andererseits aber glaubt er vermutlich aufrichtig vieles von dem, was er über eine Verschwörung gegen Russland und eine fünfte Kolonne sagt. Und das ist fast die größte Gefahr in der heutigen Situation.

Aber Sie werden nicht geschlossen.

Viele Personen und manche Institutionen mögen uns gar nicht, aber wir existieren und werden hoffentlich weiterhin existieren. Wenn man unbedingt will, kann man uns schließen, aber Memorial ist immerhin eine sehr große und gut vernetzte Organisation. Man kann eine juristische Person verbieten, aber den Menschen etwas zu untersagen, was sie gerne tun möchten, ist erheblich schwerer,

Das Verhalten uns gegenüber ist nicht eindeutig. Einerseits werden wir unter Druck gesetzt, andererseits war Roginskij Mitglied der Rehabilitierungskommission beim Präsidenten, und zu Beratungen zu unserer Problematik wird Memorial immer dazugebeten.

Viele verstehen nicht, was an dem Etikett des ausländischen Agenten Schlimmes ist. Die Arbeit geht doch weiter?

Das Etikett ist um seiner selbst willen eingeführt worden. Denn Rechenschaftsberichte wurden den Kontrollorganen immer vorgelegt, so dass sie jetzt dadurch keine zusätzlichen Informationen erhalten.

Denken wir an Zhvanetskij: „Welche Argumente kann ein Lahmer haben, wenn man ihm ins Gesicht sagt dass er lahm ist?“ Das hier ist eine analoge Situation.

In den Augen des Normalbürgers ist diese Einstufung diskreditierend. Das Argument, dass eine Organisation ausländischer Agent ist, reicht aus für jemanden, der nicht informiert ist; es ist in mehreren Shows von wenig renommierten Opponenten schon mehrfach angewandt worden.

Zweitens ist es eine große Belastung für die Buchhaltung, weil eine unzählige sinnlose Papiere jetzt doppelt so oft eingereicht werden müssen. Eine kleine Organisation bringt das fast ans Ende, weil die Buchhaltung das Budget einer gesellschaftlichen Organisation ziemlich belastet.

Und die Arbeit einer gesellschaftlichen Organisation ist ohne Kooperation mit Beamten schwer vorstellbar, und diese scheuen den Kontakt mit einer Organisation, die als „ausländischer Agent“ stigmatisiert ist. Svetlana Gannuschkina führt z. B. Aufklärungs-Seminare zur Flüchtlingsarbeit durch. Die Beamten des Föderalen Migrationsdienstes weigern sich inzwischen, diese Seminare zu besuchen, obwohl sie jahrelang daran teilgenommen haben, ohne dass es irgendwelche Probleme gab.

Hat Ihrer Meinung nach der Druck auf Memorial mit den Untersuchungen der Stalinschen Repressionen zu tun oder eher mit der heutigen Menschenrechtsarbeit?

Unterschiedliche Beamte nehmen vermutlich an verschiedenen Aspekten Anstoß, sowohl an dem, was man bei uns gerne als „Schwarzmalerei der Geschichte“ bezeichnet, als auch am Kampf gegen die heutige Willkür. Bei Europäischen Gericht wurden schon recht viele Klagen gegen Russland gewonnen. Wir freuen uns natürlich sehr viel mehr, wenn etwas in russischen Gerichten erreicht wird, aber die Verkommenheit des heutigen Gerichtswesens hat inzwischen schier unvorstellbare Ausmaße erreicht. Wir sind häufig mit Urteilen konfrontiert, die sich gar nicht auf ein Gesetz berufen, was bis vor kurzem noch undenkbar war. Deshalb erregt es schon Unwillen, wenn man irgendwo Flugblätter mit Artikeln aus der Verfassung anklebt, sowie überhaupt jede unabhängige Positionierung. Das alles betrifft wiederum nicht nur Memorial.

Neue politische Gefangene. Nikita Belych und Aleksej Navalnyj

Hat Ihre Liste der heutigen politischen Gefangenen irgendeine reale Bedeutung

Natürlich besagt der Begriff „politischer Gefangener“ hier etwas anderes als zur sowjetischen Zeit. Wir haben ziemlich strenge Kriterien, anhand derer wir in jedem Einzelfall begründen können, dass wir jemanden als politischen Gefangenen betrachten. Erstaunlicherweise habe ich schon gehört, dass Personen in Haftanstalten anders behandelt wurden, weil sie diesen Status hatten.

Besser oder schlechter?

Besser, in manchen Fällen vielleicht aber auch schlechter.

Dennoch müssen die Behörden im Zusammenhang mit politischen Gefangenen ja irgendwie auf Anfragen von Journalisten - unserer eigenen oder häufiger auch aus dem Ausland - reagieren. Manche halten die Kriterien dieser Liste für zu rigoros, andere wiederum für zu großzügig, aber wir haben strenge Regeln.

Auf Ihrer Website gibt es die Liste politischer Gefangener und von Personen, die „mutmaßliche Opfer sind“, z. B. Belych, Stomachin oder Demuschkin.

Sie erfüllen unsere Kriterien nicht vollständig. Wir wägen jedes Verfahren ab, und es gibt Fälle, in denen es schwierig ist, eine eindeutige Aussage zu treffen. Aber wir verzeichnen solche Fälle als solche, die die besondere Aufmerksamkeit der Presse und der Öffentlichkeit erfordern, weil es Gründe für die Annahme gibt, dass sie eine politische Komponente haben.

Bei dem ehemaligen Gouverneur von Kirov Nikita Belych gehen viele davon aus, dass es da eine politische Komponente gibt. Es fragt sich, ob er dieses Geld genommen hat oder nicht, und warum, aber es ist klar, dass man ihn aus politischen Gründen verurteilen wollte.

Nach ziemlich heftigen Debatten sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir keine hinreichenden Gründe für diese Interpretation haben. Es ist klar, dass hier ein Auftrag vorlag, dass es eine Provokation war, dass die Anklage offenbar fabriziert wurde. Aber da Belych vom Präsidenten selbst in voller Kenntnis seiner Ansichten ernannt worden war, können wir zum heutigen Zeitpunkt nicht mit Sicherheit sagen, dass ein politischer Auftrag dahinter steckt. Die Tatsache, dass ein Verfahren fabriziert wurde, heißt ja noch nicht, dass das aus politschen Gründen geschah, denn wir haben sehr viele solcher Verfahren ohne politischen Hintergrund.

Und wie lässt sich ein politischer Hintergrund in einem Verfahren nachweisen?

Wenn die Machthaber ein eindeutiges Motiv haben, der Aktivität einer Person ein Ende zu setzen. Belych war vom Präsidenten ernannt worden, er hat nichts Besonderes gegen den Präsidenten getan, und ich neige zu der Vermutung, dass das eine Provokation von Konkurrenten und Gegnern war. Aber wir kommen immer wieder auf diese Frage zurück.

Zu sowjetischen Zeit gab es übrigens auch das Problem, wen man als politischen Gefangenen betrachten sollte und wen nicht. Das war eine schwierige Aufgabe, mit der sich damals die „Chronik der laufenden Ereignisse“ befasste. Alexander Lavut hat mehrmals gesagt, dass sie dabei davon ausgingen, dass im Zweifel zugunsten des Beschuldigten enschieden wird, und das war hier die Sowjetmacht. Wir gehen ebenfalls davon aus, dass die Staatsmacht beschuldigt ist, deshalb sind wir in Zweifelsfällen gezwungen, uns einer eindeutigen Stellungnahme zu enthalten.

Kann eine Person, die das Gesetz verletzt hat, überhaupt ein politischer Häftling sein?

Die selektive Anwendung des Rechts ist eines unserer Kriterien. Die Person muss nicht unbedingt völlig unschuldig sein. Kategorisch dagegen spricht, wenn jemand sich an gewaltsamen Verbrechen gegen eine Person beteiligt oder dazu aufgerufen oder nationale Feindseligkeit verbreitet hat.

Viele, besonders Jugendliche, halten Menschenrechtler für Leute, die nicht mehr so recht auf der Höhe der Zeit sind, etwas „angestaubt“. Wie möchten Sie die Jugend gewinnen?

Wir haben Jugendprogramme, wie zum Beispiel den Geschichtswettbewerb, an dem jedes Jahr mehrere tausend Schüler teilnehmen. Diese sollen unmittelbar mit Geschichte in Berührung kommen, nicht nur anhand von Lehrbüchern oder Sammelbänden, sondern durch Kontakt mit Menschen, mit Zeitzeugen, oder durch Recherchen in Archiven.

Man hat den Eindruck, dass die Oberschüler, sogar die, die an Navalnyjs Aktionen teilnehmen, sich nicht so sehr für Menschenrechte interessieren.

Das ist leider eine Erscheinung bei Menschen mit einem, milde ausgedrückt, infantilen politischen Bewusstsein und fehlendem Verständnis für die Vergangenheit. Statt sich an einem Programm zu orientieren, sucht man einen Führer. Das hat nicht erst mit Navalnyj angefangen. Viele Parteien präsentieren in erster Linie ihre Führer und keine Ideen. Diese Tendenzen werden stärker, und für das Land ist das keine sehr günstige Perspektive.

Es ist leichter, die Jugend für Politik zu interessieren, insbesondere vor dem Hintergrund einer sich verschärfenden Krise, und umso mehr, wenn man ihnen einfache Erklärungen und Rezepte anbietet. Das ist der Weg eines Politikers, aber nicht unser Weg.

Fotos: Kirill Satrutin

25. April 2018

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Prozess gegen Antifaschisten

Im Herbst 2017 wurde in Pensa ein Verfahren gegen eine angebliche Terror-Gruppe eingeleitet; im Zusammenhang damit wurden in Pensa fünf und St. Petersburg drei Personen festgenommen (darunter Arman Sagynbaev, der dann nach Pensa verbracht wurde). Sie sollen der Organisation „Set“ (Netz) angehören und Anschläge geplant haben. Inzwischen wurde bekannt, dass den Festgenommenen Waffen untergeschoben und sie massiv gefoltert wurden.

Darüber berichteten u. a. Jekaterina Kosarevskaja und Jana Teplizkaja, Mitglieder der Öffentlichen Beobachtungskommissionen, die die Gefangenen in der Haft besucht hatten. Am 15. April wurde in dem berüchtigten Fernsehkanal NTV eine Propaganda-Sendung ausgestrahlt, in der diese beiden Kommissionsmitglieder sowie weitere Menschenrechtsaktivisten, darunter auch Mitglieder von Memorial, in der dort üblichen Manier verleumdet wurden.

Das Ermittlungskomitee hat sich geweigert, wegen der Foltervorwürfe eines der Häftlinge, Viktor Filinkov, ein Verfahren zu eröffnen.

Im Februar hatte der russische Menschenrechtsrat (nicht mit dem von Michail Fedotov geleiteten Menschenrechtsrat beim Präsidenten zu verwechseln) zu diesem Fall nachstehende Erklärung veröffentlicht.

Seit November 2017 wurden vom Russischen Inlandsgeheimdienst FSB acht Aktivisten der Antifaschistischen Bewegung verhaftet. In St. Petersburg drei Personen: Viktor Filinkov, Igor Schischkin und Arman Sagynbaev, in Pensa fünf Personen: Dmitrij Ptschelinzev, Ilja Schakupskij, Jegor Zorin, Vasilij Kuksov, Andrej Tschernov. Die meisten von ihnen haben ein Geständnis abgelegt und alle wurden wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung angeklagt (§ 205.4 (2) StGB RF).

In der Folge stellte sich heraus, dass die Aussagen unter Folter zustande gekommen waren. Gemäß den Erklärungen der Verhafteten wurden sie in einen Wald gebracht, geschlagen, mit dem Kopf nach unten aufgehängt und mit Elektroschocks gefoltert. Ilja Kapustin, Zeuge im Verfahren, erklärte ebenfalls, gefoltert worden zu sein. Diese Aussagen werden durch Zeugenaussagen, durch Gutachten der Mitglieder der Öffentlichen Beobachtungskommission St. Petersburg und durch veröffentlichte Fotografien bestätigt. Einige Zeit verweigerte man den Anwälten den Zugang zu ihren Mandanten. Faktisch wurden die Personen von der Straße weg entführt, danach „verschwanden“ sie für einen Zeitraum von bis zu 48 Stunden, und in dieser Zeit wurden sie gefoltert, um Geständnisse zu erpressen. De facto handelte es sich um Entführungen. In die Städte Russlands haben Methoden Einzug gehalten, die zuvor im Rahmen von Anti-Terror-Operationen im Nordkaukasus in breitem Maßstab praktiziert wurden und sich in den letzten Jahren auch auf der Krim ausgebreitet haben.

Wir bestreiten nicht die Notwendigkeit, eine tatsächlich existierende terroristische Bedrohung zu bekämpfen. Im vorliegenden Fall allerdings wird ein Strafverfahren auf Grund von fabrizierten Beweisen konstruiert, unter grober Verletzung der Rechte der Verhafteten sowie der russischen Gesetzgebung.

Wir fordern die Einstellung des Strafverfahrens, das auf unzulässigen Beweisen aufgebaut ist. Wir fordern die Entfernung der Mitarbeiter, die ungesetzliche Methoden angewendet haben. Wir fordern eine effiziente Untersuchung der Folterungen. Zur öffentlichen Kontrolle der Untersuchung rufen wir die Menschenrechtsbeauftragte der RF sowie den Menschenrechtsrat beim Russischen Präsidenten dazu auf, alle ihre Möglichkeiten zu nutzen – insbesondere eine gemeinsame Kommission einzusetzen. Der Menschenrechtsrat Russlands wird eine sorgfältige öffentliche Kontrolle aller Umstände des Verfahrens durchführen.

Der Menschenrechtsrat Russlands

Ljudmila Alekseeva, Vorsitzende Moskauer Helsinki-Gruppe

Valerij Borschtschev, Vorstandsvorsitzender „Sozialnoe Partnerstvo“, Mitglied der Moskauer Helsinki-Gruppe

Svetlana Gannuschkina, Leiterin Flüchtlingshilfsorganisation Bürgerunterstützung „Grashdanskoe Sodejstvie“, Mitglied des Menschenrechtszentrums Memorial, Vorstandsmitglied Memorial International

Igor Kaljapin, Vorsitzender Komitee zur Verhütung von Folter („Komitet po predotvraschtscheniju pytok“)

Grigorij Melkonjanz, „Golos“ (Bewegung zum Schutz der Wählerrechte)

Oleg Orlov, Menschenrechtszentrum Memorial, Vorstandsmitglied Memorial International

Lev Ponomarev, Vorsitzender „Bewegung Für Menschenrechte“ („Sa prava tscheloveka“), Mitglied der Moskauer Helsinki-Gruppe

Natalja Taubina, Direktorin Public Verdict („Obschtschestvennij verdikt“)

Aleksandr Tscherkassov, Vorstandsmitglied Memorial International, Vorstandsvorsitzender Menschenrechtszentrum Memorial

24. April 2018

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Verfahren gegen Dmitriev – Staatsanwaltschaft und Großmutter von Dmitrievs Pflegetochter gehen in Revision

Neben der Staatsanwaltschaft hat auch die Großmutter der Pflegetochter Jurij Dmitrievs gegen den Freispruch beim Obersten Gericht der Republik Karelien Berufung eingelegt. Im Telefongespräch mit einem Korrespondenten der unabhängigen Nachrichtenwebsite „7x7“ bestätigte die Frau, Berufung bei einem höheren Gericht eingereicht zu haben, weigerte sich allerdings, die Gründe darzulegen und schaltete das Telefon ab.

Wie eine den Sicherheitsorganen nahestehende Person der Redaktion von „7x7“ mitteilte, werden in naher Zukunft Journalisten eines überregionalen Presseorgans die Großmutter des Mädchens aufsuchen, um ein Interview mit ihr aufzuzeichnen. Ihre Auffassung, Dmitriev habe in Bezug auf das Kind ein Verbrechen begangen, könnte zum Ausgangspunkt eines erneuten Verfahrens im Zusammenhang mit neuen Erkenntnissen werden. Dmitrievs Anwalt Viktor Anufriev hält dies für eine Provokation, das Oberste Gericht solle mit ungesetzlichen Methoden unter Druck gesetzt und beeinflusst werden. „Dmitriev selbst ruft seine Tochter Natascha derzeit weder an noch trifft er sie, da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, und sie gehen mit derart ungesetzlichen Methoden vor,“ sagt Anufriev.

Seiner Meinung nach befindet sich die Großmutter des Mädchens unter irgendwessen Einfluss. Zu diesem Schluss kam er nach ihrem Auftritt vor Gericht: In ihrer Aussage hatte sie gesagt, Dmitriev habe mit dem, was er mit dem Kind getan habe, ihre ganze Familie entehrt. Auf die Frage des Anwalts , was Dmitriev denn konkret getan habe, antwortete sie allerdings, das wisse sie nicht. Anufriev ist ebenfalls der Meinung, dass Natascha dem Einfluss der Großmutter ausgesetzt sei, die versuche, sie gegen Jurij Dmitriev einzunehmen.

Die Pflegetochter des Leiters von Memorial Karelien lebt nunmehr seit mehr als einem Jahr bei ihrer leiblichen Großmutter. Diese hatte sie seinerzeit in ein Heim gegeben, und Dmitriev hatte sie im Alter von drei Jahren zu sich genommen.

17. April 2018

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Jurij Dmitriev vom Vorwurf der Pornographie freigesprochen

Das Stadtgericht Petrozavodsk hat am 5. April Jurij Dmitriev vom Vorwurf der Pornographie freigesprochen, ihn jedoch wegen unerlaubtem Waffenbesitz zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Unter Anrechnung der in Untersuchungshaft verbrachten Zeit steht Dmitriev nun damit noch faktisch drei Monate unter gerichtlicher Aufsicht und muss nicht ins Gefängnis zurück. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft neun Jahre Haft (in strengem Regime) wegen angeblicher Kinderpornographie beantragt. Dmitriev wurde das Recht auf Rehabilitation zuerkannt.

Wir erinnern daran, das Dmitriev seit vielen Jahren die Geschichte des sowjetischen Terrors in Karelien erforscht. Seiner Arbeit ist es zu verdanken, dass die Namen von über 13.000 Opfern ermittelt und in einem Gedenkbuch verzeichnet wurden. Sein Name ist außerdem vor allem mit der Gedenkstätte Sandormoch bei Medvezhegorsk verbunden, wo während der Zeit des Großen Terrors Tausende von Menschen erschossen wurden.

6. April 2018

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